BFH Urteil v. - I R 20/04

Umfang der Überprüfung einer angefochtenen Steueranmeldung gemäß § 73e EStDV; Erbringung des Aufführungskonzepts für die Bühnenshow einer Musikgruppe als künstlerische Darbietung

Gesetze: EStG §§ 49, 50a; EStDV § 73e

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1 (Klägerin zu 1), eine im Inland ansässige GmbH, war im Streitjahr 1998 Veranstalterin von inländischen Aufführungen der Popmusik-Band X auf deren weltweiter Tournee. Die Beteiligten streiten darüber, ob die von ihr in diesem Zusammenhang geschuldete Vergütung für Dienstleistungen eines Produktionsmanagement- und Technikerteams zur Koordinierung und Präsentation sämtlicher Aspekte des Bühnenaufbaus, des Beleuchtungs- und Tonsystems durch die Klägerin und Revisionsklägerin zu 2 (Klägerin zu 2), einer in den USA ansässigen Kapitalgesellschaft US-amerikanischen Rechts, dem Steuerabzug für beschränkt Steuerpflichtige gemäß § 50a des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) unterliegt.

Die Klägerin zu 1 gab für den streitgegenständlichen Zeitraum II/1998 eine Anmeldung über den Steuerabzug bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 und 3 EStG 1997 i.V.m. § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV 1997) ab. Die Anmeldung wurde von beiden Klägerinnen angefochten. Die Klägerin zu 2 unterliege mit den von ihr erbrachten Leistungen nicht der beschränkten Steuerpflicht; es sei deswegen keine Körperschaftsteuer im Abzugswege einzubehalten und abzuführen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte dem nicht.

Die daraufhin erhobenen Klagen blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) Berlin wies sie mit Urteil vom 3 K 3511/98 ab. Das Urteil ist in Internationales Steuerrecht 2003, 496 veröffentlicht.

Ihre Revisionen stützen die Klägerinnen auf Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und die angemeldete Körperschaftsteuer um 1 522 351,09 DM und den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer um 83 441,06 DM zu ermäßigen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

II. Die Revision der Klägerin zu 2 ist unbegründet (nachfolgend 1.), diejenige der Klägerin zu 1 ist hingegen begründet (nachfolgend 2.). Sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

1. Die Revision der Klägerin zu 2 ist unbegründet.

a) Die im Ausland ansässige Klägerin zu 2 hat gegenüber der Klägerin zu 1 Leistungen erbracht. Die Klägerin zu 1 hat im Hinblick darauf als Vergütungsschuldnerin beim FA gemäß § 50a Abs. 5 Satz 2 und 3 EStG 1997 i.V.m. § 73e EStDV 1997 für den streitgegenständlichen Zeitraum eine Steueranmeldung abgegeben, die von ihr selbst, aber auch von der Klägerin zu 1 mit dem Einwand angefochten wurde, es fehle an der beschränkten Steuerpflicht der Klägerin zu 2 als Voraussetzung für den Steuerabzug. Die Klägerin zu 2 kann im Rahmen dieses Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Steueranmeldung eine abschließende gerichtliche Entscheidung über ihre beschränkte Steuerpflicht jedoch nicht herbeiführen. Sie ist darauf angewiesen, ihre Rechte in einem Freistellungs- oder Erstattungsverfahren geltend zu machen. In Anbetracht der durch den Streitfall ersichtlichen Ungewissheit über die Frage der beschränkten Steuerpflicht (s. nachfolgend unter 2.) blieb der Klägerin zu 1 als Vergütungsschuldnerin zunächst keine andere Möglichkeit, ihrer gesetzlichen Entrichtungssteuerverpflichtung nachzukommen. Die Einwendungen der Klägerin zu 2 können daran nichts ändern. Im Einzelnen verweist der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf sein Urteil vom I R 73/02 (BFHE 205, 174) sowie auf seine Beschlüsse vom I B 30/97 (BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700) und vom I B 69/02 (BFHE 201, 114, BStBl II 2003, 189).

b) Eine Diskriminierung der Klägerin zu 2 ist darin nicht zu sehen. Denn das Recht Deutschlands zum Steuerabzug gemäß § 50a EStG 1997 entspricht ebenso wie das Recht der Klägerin zu 2 auf Durchführung eines Freistellungs- oder Erstattungsverfahrens den Erfordernissen des Art. 29 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom (DBA-USA). Der weiter gehenden Rechtsfrage, ob es sich auch mit gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen verträgt, dass der Gebietsfremde anders als unter vergleichbaren Umständen der Gebietsansässige einem Steuerabzug auf Basis der Bruttovergütungen und einem anschließenden Steuererstattungsverfahren unterworfen wird (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften —EuGH—, Urteil vom Rs. C-234/01 „Gerritse”, EuGHE I 2003, 5933, BStBl II 2003, 859; Senatsbeschluss vom I R 39/04, BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878), braucht in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen zu werden. Bei der Klägerin zu 2 handelt es sich um eine in den USA ansässige Kapitalgesellschaft US-amerikanischen Rechts, die die Inanspruchnahme der EG-vertraglich gewährleisteten Grundfreiheiten grundsätzlich nicht beanspruchen kann. Das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 DBA-USA ändert daran nichts. Dieses Verbot verhindert die unterschiedliche steuerliche Behandlung der Staatsangehörigen der USA und Deutschlands (vgl. dazu Art. 3 Abs. 1 Buchst. h DBA-USA), wovon im Streitfall aber keine Rede sein kann. Die unterschiedliche Behandlung folgt allein aus der Ansässigkeit (Sitz und Geschäftsleitung) der Klägerin zu 2 in den USA. Der Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 DBA-USA wird durch die im Streitfall erfolgte Besteuerung nicht berührt. Einzelheiten dazu ergeben sich aus dem Senatsurteil vom I R 22/02 (BFHE 205, 37, BStBl II 2004, 560), auf das Bezug genommen wird.

c) Die Klage der Klägerin zu 2 war deshalb unbegründet. Der Vorwurf, das angefochtene Urteil sei i.S. von § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) „nicht mit Gründen versehen”, weil es erst am an die Geschäftsstelle übergeben worden sei, ist nicht tragfähig. Wie der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes im GmS-OGB 1/92 (BVerwGE 92, 367, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 2603) entschieden hat, ist ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil i.S. des —dem § 119 Nr. 6 FGO entsprechenden— § 138 Nr. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Diese Frist von fünf Monaten wurde im Streitfall eingehalten. Es ist nichts erkennbar, was im Streitfall eine Verkürzung dieser Frist erzwänge. Das FG mag sein Urteil recht knapp begründet haben. Das rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass das Erinnerungsvermögen des Gerichts bei Abfassung des Urteils ausnahmsweise bereits vor Ablauf jener fünf Monate „verblasst” gewesen sei.

d) Auf die übrigen auch von der Klägerin zu 2 erhobenen verfahrensrechtlichen Einwendungen gegen das Zustandekommen des angefochtenen Urteils kommt es nicht an, weil diese Einwendungen die vom FG gegebenen Hilfsbegründungen betreffen. Die Klage der Klägerin zu 2 war jedoch mit der Hauptbegründung abzuweisen.

2. Die Revision der Klägerin zu 1 ist demgegenüber begründet.

a) Abweichend von der Klägerin zu 2 —als der Vergütungsgläubigerin— kann die Klägerin zu 1 im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Steueranmeldung eine abschließende gerichtliche Entscheidung über die beschränkte Steuerpflicht der Klägerin zu 2 herbeiführen. Der gegenteiligen Auffassung der Vorinstanz ist nicht zu folgen. Auch insoweit verweist der Senat auf das vorbezeichnete Urteil in BFHE 205, 174.

b) Nach § 50a Abs. 4 Satz 1 EStG 1997 wird die Einkommensteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen im Wege des Steuerabzugs erhoben. Abzugsverpflichtet ist der Schuldner der Vergütungen; dieser hat den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldners) vorzunehmen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG 1997). Voraussetzung für den Steuerabzug ist das Vorliegen von Einkünften i.S. von § 50a Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 EStG 1997.

Das FG hat angenommen, dass die Klägerin zu 2 gegenüber der Klägerin zu 1 Leistungen erbracht habe, die den von der Musikgruppe X erbrachten künstlerischen Darbietungen ähnlich seien. Die Klägerin zu 2 habe deswegen Einkünfte i.S. des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1997 erzielt. Ob diese Annahme zutrifft, lässt sich nach den vom FG bislang getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.

Das FG hat letztlich nur auf den Inhalt der zwischen den Klägerinnen geschlossenen Verträge verwiesen, jedoch dazu sowie zu den zugrunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten keine Feststellungen getroffen. Dessen bedarf es aber, um beurteilen zu können, ob das von der Klägerin zu 2 erbrachte Aufführungskonzept der Bühnenshow einer künstlerischen Darbietung i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1997 ähnlich ist. Das Aufführungskonzept dient —wie das FG ausgeführt hat— dazu, „die Darbietung der Musikgruppe planmäßig um optische und akustische Effekte im Sinne einer erfolgreichen Bühnenshow zu bereichern”. Der von der Klägerin zu 1 erbrachte Beitrag steht also neben der Darbietung der Musikgruppe und ähnelt der davon abzugrenzenden Tätigkeit des Bühnenbildners, der lediglich die Kulisse dafür liefert, dass sich der eigentlich Darbietende entsprechend in Szene setzen kann. Ihm könnte nur dann ein eigenständiger Darbietungscharakter beizumessen sein, wenn er Ausdruck einer eigenschöpferischen Leistung wäre und dem Publikum als solche und prinzipiell unabhängig von der Darbietung der Musiker in eigenständig wahrnehmbarer Weise dargeboten worden wäre. Sollte sich dies anhand der vertraglichen und tatsächlichen Gegebenheiten nicht bestätigen, könnte es sich nur um Leistungen handeln, die i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1997 mit den künstlerischen Darbietungen der Musiker zusammenhängen. Dies unterstellt, müssten bei der erneut vorzunehmenden Sachverhaltsbeurteilung insoweit u.U. die Grundsätze berücksichtigt werden, die der Senat in seinem Urteil vom I R 64/99 (BFHE 196, 210, BStBl II 2003, 641) entwickelt hat. Danach sind eigenständige Leistungen, die neben der im Inland ausgeübten oder verwerteten künstlerischen Darbietung erbracht werden, nur dann mit dieser Darbietung zusammenhängende Leistungen, wenn sie von demselben Anbieter erbracht werden (vgl. umfassend Hidien in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 49 Rdnr. E 410 ff.; Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 49 Rdnr. 43, jeweils m.w.N.). Daran dürfte es im Streitfall fehlen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für Einkünfte, die einer anderen Person als dem darbietenden Künstler zufließen, ohnehin nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2 DBA-USA zusteht.

3. Es ist Sache der Vorinstanz, die notwendigen Feststellungen im 2. Rechtsgang nachzuholen. Zu diesem Zweck war das angefochtene Urteil, soweit es die Klägerin zu 1 betrifft, aufzuheben und die Sache insoweit an das FG zurückzuverweisen, ohne dass es noch auf die übrigen geltend gemachten Verfahrensverstöße ankäme (vgl. z.B. , BFHE 168, 454, BStBl II 1992, 982).

Fundstelle(n):
IStR 2005 S. 604 Nr. 17
IAAAB-51708