Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung; Übergehen eines Beweisantrags; Unterlassen einer Zeugeneinvernahme
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Instanzenzug:
Gründe
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Duldungsbescheid gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens (AnfG), mit dem er eine zwischen dem Kläger und dessen Mutter geschlossene Abtretungsvereinbarung über die Zahlung eines Restkaufpreises für ein von der Mutter des Klägers veräußertes Grundstück anfocht. Im Duldungsbescheid wurde auf rückständige Steuern sowie auf deren vergebliche Vollstreckung hingewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zunächst Einspruch und Sprunganfechtungsklage. Nach Rücknahme des Duldungsbescheides durch das FA begehrte der Kläger, die Nichtigkeit des Duldungsbescheides festzustellen. Zur Begründung der Nichtigkeitsfeststellungsklage führte er aus, dass der angefochtene Bescheid sittenwidrig und daher nichtig sei. Hierzu verwies er auf einen Zivilprozess vor dem Landgericht X. Die Bekanntgabe des Bescheides an den Drittschuldnervertreter in diesem Verfahren sei als verbotene Streithilfe für die Drittschuldnerin in deren Vollstreckungsabwehrprozess gegen den Kläger anzusehen. Das FA habe den ehrverletzenden und kreditschädigenden Inhalt des Bescheides auch bei dessen Rücknahme nicht richtig gestellt oder auf ein Missverständnis hingewiesen. Hierin liege eine Persönlichkeitsverletzung des Klägers, da der Bescheid sich weiterhin frei zugänglich bei den Gerichtsakten befinde.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit dargelegt habe. Trotz Nachfrage habe er nicht erkennbar werden lassen, dass und wie der inzwischen zurückgenommene Bescheid in dem Vollstreckungsabwehrprozess erheblich sei und sich auf die Prozessaussichten auswirken könne. Auch sei der Kläger der Aufforderung zur Vorlage von Prozessunterlagen nicht nachgekommen. Er habe nicht einmal dargelegt, dass er in das zivilgerichtliche Verfahren die Rücknahmeverfügung des FA eingeführt habe. Deren Vorlage sei bestens geeignet gewesen, die befürchtete Verwertung des Inhalts des Duldungsbescheides —etwa in einem Berufungsverfahren— zu verhindern. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass der mit dem Prozess verfolgte Anspruch überhaupt ein abgabenrechtliches Interesse des Klägers berühre. Auch einen unmittelbar bevorstehenden Amtshaftungsprozess gegen das FA habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Schließlich sei für das FG nicht nachvollziehbar, inwiefern der Inhalt des zurückgenommenen Duldungsbescheides eine Persönlichkeitsverletzung darstelle. Als unzulässig zurückzuweisen sei das vom Kläger gemäß § 44 der Zivilprozessordnung (ZPO) gestellte Ablehnungsgesuch, da sich der Kläger in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt habe. Die offensichtliche Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ergebe sich auch daraus, dass es an jeder Substantiierung eines Ablehnungsgrundes fehle. Der Hinweis auf angeblich gemäß § 71 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch das FA noch vorzulegende Akten sei nicht nachvollziehbar, denn der Kläger habe Einsicht in alle Akten erhalten, die dem FG vorgelegen hätten.
Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG richtet sich die Beschwerde des Klägers, die er im Wesentlichen auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sowie auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) stützt.
Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, „ob ein mit Gläubigeranfechtung nach AnfG mittels Finanzverwaltungsakts überzogener Forderungszessionar überhaupt ein eigenes abgabenrechtliches Interesse zur Begründung seines Nichtigkeitsfeststellungsantrags gegenüber einem Anfechtungsbescheid nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO geltend machen könne”. Denn bei dieser Vorschrift handle es sich allein um eine Rechtswegverweisung im zivilrechtlichen Gleichordnungsverhältnis. Das vom FG angenommene Erfordernis eines eigenen abgabenrechtlichen Interesses an der Nichtigkeitsfeststellung verletze das in Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angelegte Willkürverbot und den nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bestehenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Unter Verstoß gegen § 76 Abs. 1 und § 96 Abs. 1 FGO sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 103 Abs. 1 GG habe das FG entgegen dem vom Kläger mit Schriftsatz vom gestellten Antrag die Beiziehung von Akten des Landgerichts X unterlassen. Hinsichtlich des vor dem Landgericht X geführten Prozesses sei der vom FG vermisste Klagevortrag so nie angefordert worden. In jeder mündlichen Verhandlung sei lediglich von dem Erfordernis der Darlegung eines besonderen abgabenrechtlichen Feststellungsinteresses die Rede gewesen. Auch habe das FG trotz eines entsprechenden Antrags die Handakten des FA nicht beigezogen, sondern sich lediglich mit der ersatzweisen Vorlage einzelner Aktenbestandteile zufrieden gegeben. Schließlich vermisse das FG zu Unrecht Darlegungen des Beklagten zur Frage, warum die Nichtigkeitsfeststellung durch das FG ein effizientes Mittel zur Wahrung der zivilprozessrechtlichen Pflichten des Klägers sei. Denn die Vollstreckungsabwehrklägerin habe sich —wie bereits dargelegt und unter Beweis gestellt— den Inhalt des Duldungsbescheides in diesem Prozess zu eigen gemacht. Nicht nachvollziehbar seien schließlich die Ausführungen des FG, der Kläger habe nicht dargelegt, dass er die Rücknahmeverfügung vom zu den Akten des damals noch landgerichtlichen Prozesses gereicht habe. Denn die Verkündung des erstinstanzlichen Urteils sei bereits am erfolgt.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen. Es ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn der Kläger hat einen Grund, der zur Zulassung der Revision führen könnte (§ 115 Abs. 2 FGO), nicht in der erforderlichen Weise gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Denn der Kläger hat nicht dargelegt, dass das erstinstanzliche Erkenntnis auf der nach Ansicht des Klägers rechtsirrigen Ansicht beruht, die Zulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage setze ein besonderes abgabenrechtliches Interesse des Klägers voraus. Tatsächlich hat das FG die Abweisung der Klage in erster Linie darauf gestützt, dass der Kläger trotz entsprechender Nachfragen und Aufforderungen den von ihm behaupteten Zusammenhang des Duldungsbescheides mit dem vor dem Landgericht X geführten Zivilprozess nicht substantiiert dargelegt hat. Unabhängig von der Frage der zu fordernden Art eines nachzuweisenden Feststellungsinteresses hat das FG die Erheblichkeit des Duldungsbescheides für den Ausgang des Zivilprozesses als nicht gegeben angesehen. Lediglich als zusätzliche Begründung hat das FG darauf verwiesen, dass „im Übrigen” die Berührung eines eigenen abgabenrechtlichen Interesses des Klägers durch den mit dem Zivilprozess verfolgten Anspruch nicht erkennbar sei.
Unabhängig davon, lässt der Vortrag des Klägers auch jegliche Auseinandersetzung mit der zu § 41 Abs. 1 FGO ergangenen Rechtsprechung und mit den zur Frage des Feststellungsinteresses veröffentlichten Literaturmeinungen vermissen. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung reicht es nicht aus, lediglich eine auf den Einzelfall bezogene und angeblich noch nicht entschiedene Frage mit der Behauptung zu formulieren, dass diese nunmehr der Entscheidung bedürfe. Denn das Interesse der Allgemeinheit an einer Klärung dieser Frage wird damit noch nicht belegt.
2. Der Kläger hat auch keine schwerwiegenden Rechtsfehler des erstinstanzlichen Erkenntnisses aufgezeigt, die eine Zulassung der Revision aus diesem Gesichtspunkt geboten erscheinen ließen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Vorliegen solcher Fehler dann bejaht, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV B 85/02, BFHE 203, 404, 405, BStBl II 2004, 25, und vom IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837). Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift anzuführen. Die Formulierung von Rechtsfragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung und der bloße Hinweis auf erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzeswidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung darzulegen (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 216/01, BFH/NV 2002, 923).
3. Zur ordnungsgemäßen Darlegung des Verfahrensfehlers mangelhafter Sachaufklärung gehört nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Vortrag, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhalts und die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. , BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und Senatsbeschluss vom VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust —z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde— zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrages oder einer unterlassenen Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung seiner Beweisanträge erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
Im Streitfall lässt die Beschwerdeschrift nicht erkennen, ob der Kläger die unterbliebene Beiziehung der Akten des Landgerichts X sowie der Handakten des FA in der erforderlichen Weise vor dem FG gerügt hat. Den Sitzungsprotokollen lassen sich entsprechende Rügen ebenfalls nicht entnehmen. Ausweislich des Protokolls vom…hat sich der Prozessvertreter des Klägers in der letzten mündlichen Verhandlung zur Sache selbst überhaupt nicht geäußert. Im Übrigen ist dem Protokoll nicht zu entnehmen, dass das FG ausschließlich auf ein abgabenrechtliches Interesse abgestellt hat. Vielmehr geht aus dem Protokoll hervor, dass dem Prozessbevollmächtigten des Klägers seitens des FG eröffnet wurde, „dass für die Nichtigkeitsfeststellungsklage ein gesondertes Feststellungsinteresse erforderlich sei und dass dieses nach der Überzeugung des Gerichts noch nicht dargelegt worden sei”. In Anbetracht dieses allgemeinen Hinweises hätte für den Kläger besonderer Anlass bestanden, Ausführungen zur Sache zu machen und seinen Beweisanträgen Nachdruck zu verleihen. Bei diesem Befund ist eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs für den Senat nicht erkennbar; auch liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in Verfahren wegen Steuersachen aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung nicht zur Anwendung kommen könnte (vgl. Senatsentscheidung vom VII B 294/01, BFH/NV 2002, 942, m.w.N.).
Fundstelle(n):
TAAAB-44209