BFH Urteil v. - XI R 51/03 BStBl 2005 II S. 441

Steuerfreiheit einer Abfindung wegen Auflösung des Dienstverhältnisses

Leitsatz

Seit der Neufassung des § 3 Nr. 9 EStG durch das EStRG 1974 kommt es für die Steuerfreiheit einer Abfindung wegen Auflösung des Dienstverhältnisses nicht mehr darauf an, ob dem Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber noch zuzumuten ist.

Gesetze: EStG § 3 Nr. 9

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger, der von Beruf Ingenieur ist, war seit Arbeitnehmer einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Gesellschafter R und S waren, mit einem monatlichen Festgehalt von 3 750 DM. Darüber hinaus stand ihm nach dem Arbeitsvertrag vom für den Fall der erfolgreichen Vermittlung von Geschäften eine Erfolgsprovision zu, deren Höhe je nach Vorhaben gesondert festgelegt werden sollte. Nach § 2 des Arbeitsvertrags war für den Fall der Kündigung des Vertrags in der Zeit bis zum eine Abfindung von zwei Monatsgehältern vereinbart. Am vereinbarte der Kläger mit dem bevollmächtigten Vertreter der GbR, R, die Aufhebung des Arbeitsvertrags zum und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 300 000 DM. Ebenfalls am schloss der Kläger mit der…KG (KG), vertreten durch R, eine Vereinbarung zur Weiterführung seiner bisherigen Arbeitsbereiche; allerdings wurde ihm nun die Position eines Geschäftsführers eingeräumt mit einer Jahresvergütung von 126 750 DM und einer im Einzelnen noch festzulegenden Tantieme.

Im Mai 1995 erhielt der Kläger die Abfindung von 300 000 DM. Er erklärte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1995 24 000 DM als steuerfrei und 276 000 DM als ermäßigt zu besteuernde Entschädigung. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) veranlagte die Kläger entsprechend unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Anschluss an eine Außenprüfung versagte das FA die Steuerbefreiung sowie den ermäßigten Steuersatz und unterwarf den Gesamtbetrag von 300 000 DM als Arbeitslohn für mehrere Jahre der Besteuerung nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Einspruchsverfahren änderte das FA die Steuerfestsetzung dahin gehend, dass es einen steuerfreien Betrag von 12 334 DM ansetzte und den restlichen Betrag von 287 666 DM nach § 34 Abs. 3 EStG besteuerte. Der steuerfreie Betrag entspricht zwei Monatsgehältern, die das FA aus einem Bruttoarbeitslohn von 74 000 DM im Jahr 1994 ermittelte und aufgrund der Regelung in § 2 des Arbeitsvertrags vom als Abfindung ansah.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die Abfindung sei in Höhe von 24 000 DM nach § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG steuerfrei und die auf den übrigen Betrag entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen (§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG). Bei der gezahlten Summe von 300 000 DM handele es sich um eine Abfindung wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung des Dienstverhältnisses. Die entscheidende Ursache für die Auflösung sei von der Arbeitgeberin gesetzt worden. Die Gesellschafter der GbR hätten wegen der schlechten Marktentwicklung kein Interesse an der weiteren Fortführung der Firma gehabt und deshalb eine Beendigung der Aktivitäten des Klägers gewollt. Nicht entscheidungserheblich sei in diesem Zusammenhang die Frage, ob dem Kläger eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten gewesen sei. Dies sei nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht mehr Voraussetzung für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 9 EStG.

Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Das finanzgerichtliche Urteil widerspreche der Rechtsauffassung, die der Bundesfinanzhof (BFH) in den Urteilen vom VI R 165/77 (BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205), vom VI R 91/77 (BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155) und vom VI R 150/76 (BFHE 122, 478, BStBl II 1977, 735) vertreten habe. Danach setze die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG u.a. voraus, dass dem Arbeitnehmer im Hinblick auf das Verhalten des Arbeitgebers eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten sei. Der Kläger arbeite im Unternehmen eines der Gesellschafter seiner früheren Arbeitgeberin.

Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als dem Kläger die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG gewährt worden ist und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Wie das FG zu Recht entschieden hat, setzt die Steuerbefreiung einer vom Arbeitgeber gezahlten Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG nicht voraus, dass dem Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten ist.

1. Gemäß § 3 Nr. 9 EStG in der für das Streitjahr 1995 geltenden Fassung sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24 000 DM, steuerfrei. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist vom Arbeitgeber veranlasst, wenn dieser die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat (vgl. zuletzt , BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516, unter II. 3., m.w.N.). Dabei wird die entscheidende Ursache vom Arbeitgeber gesetzt, wenn er die Auflösung betrieben hat, von ihm also die Initiative zur Beendigung der Zusammenarbeit ausgegangen ist. Ob das Arbeitsverhältnis dann letztlich einvernehmlich aufgelöst wird, ist unerheblich.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes, der in dieser Fassung durch das Einkommensteuerreformgesetz vom (EStRG 1974; BStBl I 1974, 530) eingeführt worden ist, ist —abgesehen von dem Fall der gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses— die Veranlassung durch den Arbeitgeber die alleinige Voraussetzung für die Steuerfreiheit einer im Zusammenhang mit der Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlten Abfindung. Dass dem Arbeitnehmer im Hinblick auf das Verhalten des Arbeitgebers eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten ist, setzt § 3 Nr. 9 EStG seitdem nicht mehr voraus. Dieses zusätzliche Merkmal ist deshalb entgegen der Auffassung des FA nicht mehr zu prüfen.

Im Streitfall haben der Kläger und seine Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben; nach den Feststellungen des FG war die Auflösung dabei von der Arbeitgeberin veranlasst. Die Voraussetzungen für eine Steuerfreiheit der Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG liegen damit vor.

2. Die Frage, ob dem Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber zuzumuten ist, musste lediglich bei Abfindungen geprüft werden, die vor dem gezahlt worden waren. Denn nach der bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1974 geltenden Fassung des § 3 Nr. 9 EStG waren Abfindungen wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis nur insoweit steuerfrei, als sie auf §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes vom (BGBl I 1969, 1317) oder § 74 des Betriebsverfassungsgesetzes beruhten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155). Dabei konnte das Arbeitsgericht u.a. auch im Falle einer unwirksamen Kündigung durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auf dessen Antrag hin eine Abfindung zuerkennen, wenn diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden konnte. Durch die Neufassung des § 3 Nr. 9 EStG wurde ab dem Veranlagungszeitraum 1975 die Steuerfreiheit von Abfindungen auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt und ein neuer Abfindungsbegriff eingeführt, der unabhängig von der arbeitsrechtlichen Beurteilung auszulegen ist. Das hat der BFH in der Folgezeit getan, als er die Veranlassung durch den Arbeitgeber im Sinne eines „Setzen der entscheidenden Ursachen” ausgelegt hat (vgl. insbesondere die BFH-Urteile in BFHE 122, 478, BStBl II 1977, 735; in BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; in BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205).

Dem FA ist allerdings zuzugeben, dass der BFH in den oben genannten Entscheidungen sowie in dem noch später ergangenen Urteil vom XI R 7/90 (BFH/NV 1992, 305) in missverständlicher Weise die Formulierung verwendet hat, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses dann vom Arbeitgeber veranlasst ist, „wenn dieser die entscheidenden Ursachen für die Auflösung des Dienstverhältnisses gesetzt hat und dem Arbeitnehmer im Hinblick auf dieses Verhalten eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten ist”. In keinem dieser Urteile ist allerdings das Merkmal der Unzumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit vom BFH ausdrücklich geprüft worden bzw. diesem Merkmal Entscheidungserheblichkeit beigemessen worden.

Im Urteil in BFHE 122, 478, BStBl II 1977, 735 war einem Arbeitnehmer mangels gegenseitigen Vertrauensverhältnisses mitgeteilt worden, dass ihm aus wichtigem Grund gekündigt werden sollte. Der BFH hat das der Klage stattgebende Urteil des FG bestätigt und ausgeführt, das FG habe ohne Rechtsverstoß festgestellt, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber einerseits „kein Recht zur fristlosen Kündigung gegeben hatte und ihm andererseits die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar war”. Der Entscheidung in BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155 lag ein Fall zugrunde, in dem nach der Eröffnung des Konkursverfahrens der Konkursverwalter einem Arbeitnehmer gekündigt hatte und das Arbeitsverhältnis dann vorzeitig einvernehmlich aufgelöst worden war. Der BFH hat ausgeführt, dass der Arbeitgeber mit dem Konkurs die entscheidende Ursache für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesetzt hatte und dem Arbeitnehmer „deshalb eine weitere Zusammenarbeit nicht nur nicht mehr zumutbar, sondern nicht mehr möglich war”. Im Urteilsfall in BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205 war einem Arbeitnehmer die vorzeitige Pensionierung angeboten und schließlich einvernehmlich vereinbart worden. Der BFH hat mit dem FG eine Veranlassung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber angenommen. Zu der Frage, ob dem Arbeitnehmer eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zuzumuten war, enthält das Urteil keinerlei Ausführungen, obwohl die Unzumutbarkeit hätte verneint werden müssen. Im Urteil in BFH/NV 1992, 305 war die Frage der Unzumutbarkeit schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil der BFH —wie zuvor bereits das FG— zu dem Ergebnis kam, dass der Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eindeutig im Bereich der Arbeitnehmerin gelegen hatte.

3. Die Auffassung, dass seit der Neufassung des § 3 Nr. 9 EStG durch das EStRG 1974 die Unzumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit nicht mehr als Voraussetzung für die Steuerfreiheit einer Abfindung angesehen werden kann, wird überwiegend auch in der Literatur vertreten (vgl. z.B. Blümich/Erhard, Kommentar zur Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer, § 3 EStG Rz. 31; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 23. Aufl. 2004, § 3, ABC, Stichwort: „Abfindungen wegen Auflösung eines Dienstverhältnisses”, unter C; von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 3 Nr. 9 Rdnr. B 9/54). Selbst die Finanzverwaltung geht davon aus, dass im Zusammenhang mit der vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung eines Dienstverhältnisses die Frage der Zumutbarkeit einer weiteren Zusammenarbeit nicht mehr zu prüfen ist (vgl. R 9 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 2004).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 441
BB 2005 S. 529 Nr. 10
BFH/NV 2005 S. 607
BFH/NV 2005 S. 607 Nr. 4
BStBl II 2005 S. 441 Nr. 11
DB 2005 S. 478 Nr. 9
DStRE 2005 S. 378 Nr. 7
FR 2005 S. 656 Nr. 12
HFR 2005 S. 397
INF 2005 S. 241 Nr. 7
KÖSDI 2005 S. 14586 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 1681
StB 2005 S. 122 Nr. 4
YAAAB-43701