BFH Urteil v. - VII R 8/04

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für die Hälfte der nach Anordnung der Sequestration verwirkten Säumniszuschläge

Gesetze: AO §§ 34, 69, 191, 240; GmbHG § 35

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH. Über deren Vermögen wurde am die Sequestration angeordnet. Die Eröffnung des Konkursverfahrens ist später mangels Masse abgelehnt worden. Wegen der von der GmbH schuldig gebliebenen Steuern wird der Kläger vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) auf Haftung in Höhe von insgesamt rd. 120 000 DM in Anspruch genommen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen abgewiesen; es hat jedoch, soweit der vorgenannte Betrag auf nach der Anordnung der Sequestration entstandene Säumniszuschläge entfiel, die das FA zur Hälfte in die Haftungssumme einbezogen hatte, den Haftungsbescheid aufgehoben, weil es der Meinung war, Säumniszuschläge, die ab dem Zeitpunkt des Eintritts nachweislicher Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners entstanden seien, müssten erlassen werden; demzufolge dürfe ein Haftungsschuldner auf solche Säumniszuschläge nicht in Anspruch genommen werden. Das FG hat dementsprechend in seinem Urteil die ab September 1996 für die einzelnen Steuerschulden entstandenen Säumniszuschläge neu berechnet und den Haftungsbescheid insoweit aufgehoben, als darin Säumniszuschläge enthalten sind, die den nach vorgenannter Berechnung maßgeblichen Betrag von 12 042 DM übersteigen.

Hiergegen richtet sich die von dem erkennenden Senat zugelassene Revision des FA, zu deren Begründung das FA darauf hinweist, der Bundesfinanzhof (BFH) habe in neuerer Zeit wiederholt entschieden, dass Säumniszuschläge ab Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Hauptschuldners grundsätzlich nicht in vollem Umfang, sondern nur zur Hälfte zu erlassen seien. Denn es sei der doppelte Zweck der Säumniszuschläge zu berücksichtigen, die auch eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für den durch die Säumnis entstandenen Verwaltungsaufwand darstellten. Ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sei deshalb nur dann möglich, wenn über die Insolvenz hinaus noch besondere Gründe einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit bestünden. Dazu sei weder etwas geltend gemacht noch ersichtlich und vom FG auch nicht festgestellt.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger hat sich zu dem Vortrag des FA nicht geäußert und keinen Antrag formuliert.

II. Die Revision des FA ist begründet und führt zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage in vollem Umfang (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Denn das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

Grundlage der Haftung ist, was die strittigen Säumniszuschläge angeht, § 69 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977, § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Danach haftet der Geschäftsführer auch für die Säumniszuschläge, die infolge von Pflichtverletzungen gemäß § 240 AO 1977 entstanden sind, sofern er als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft pflichtwidrig nicht dafür gesorgt hat, dass die Steuern zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet werden. Nach § 69 Satz 2 AO 1977 ist die Haftung bei Säumniszuschlägen also nicht davon abhängig, dass der Haftungsschuldner unmittelbar dafür Verantwortung trägt, dass ein Anspruch auf Zahlung von Säumniszuschlägen entstanden ist, d.h. die Säumnis des Steuerschuldners eingetreten oder weiter aufrecht erhalten worden ist. Folglich haftet ein Geschäftsführer auch für nach Sequestration des Vermögens der von ihm vertretenen Gesellschaft entstehende Säumniszuschläge.

Nach den dazu vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, bei denen das FG die Verweigerung der Mitwirkung des Klägers bei der Aufklärung des Sachverhalts zu dessen Lasten berücksichtigen durfte, liegen im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 69 Satz 2 AO 1977 vor. Der Kläger will dies auch offenbar nicht mehr bestreiten. Seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner stand daher nach § 191 Abs. 1 AO 1977 im Ermessen des FA. Dieses hat von seinem Ermessen dahin Gebrauch gemacht, dass es für die Zeit, nachdem für die vom Kläger vertretene Gesellschaft Sequestration angeordnet worden war, den Kläger nur auf die Hälfte der nach § 240 AO 1977 an sich verwirkten Säumniszuschläge in Anspruch genommen hat. Diese Entscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 191 Abs. 1 AO 1977 sind allerdings die Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen, die bei der Erhebung der Säumniszuschläge bei dem Steuerschuldner sonst nach § 227 AO 1977, also in einem besonderen Verfahren, zu einem Billigkeitserlass führen können und unter Umständen führen müssen (Urteil des erkennenden Senats vom VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217). Es ist indes entgegen der Ansicht des FG nicht ermessensfehlerhaft, dass das FA den Kläger auf Haftung für die Hälfte der nach Anordnung der Sequestration verwirkten Säumniszuschläge in Anspruch genommen hat. Denn selbst wenn die Steuerschuldnerin in diesem Zeitpunkt, wie zu unterstellen ist, zahlungsunfähig gewesen ist, hätte sie nach der Rechtsprechung des BFH keinen Anspruch auf vollständigen Erlass der kraft Gesetzes entstandenen Säumniszuschläge. Diese zu erheben, würde deren Zweck nicht verfehlen, weil Säumniszuschläge u.a. den Zweck verfolgen, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuerschulden zu erhalten und Verwaltungsaufwendungen abzugelten, die bei den steuerverwaltenden Körperschaften regelmäßig entstehen, wenn Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß bezahlen (vgl. u.a. Beschluss des Senats vom VII B 347/98, BFH/NV 1999, 1440; , BFH/NV 1999, 10; vom XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom X R 87/96, BFH/NV 2000, 161, und in BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217).

Die Säumniszuschläge sind deshalb in einem solchen Fall in der Regel nur zur Hälfte zu erlassen, und demzufolge kann ein Haftungsschuldner ermessensfehlerfrei auf die andere Hälfte in Anspruch genommen werden. Anders ist es nur, wenn —über Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung hinaus— zusätzliche, besondere Gründe persönlicher oder sachlicher Billigkeit gegen die Geltendmachung jeglicher Säumniszuschläge sprechen (BFH-Urteil in BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; Beschluss des Senats in BFH/NV 1999, 1440). Ein solcher vollständiger Erlass von Säumniszuschlägen bzw. eine Nichtinanspruchnahme eines Haftungsschuldners kommt nach vorgenannter Rechtsprechung des BFH insbesondere in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der nicht pünktlich entrichteten Steuerforderung ein Steuererlass oder ein Verzicht auf Stundungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit gerechtfertigt gewesen wäre (, BFHE 160, 296, BStBl II 1990, 673, und in BFH/NV 2000, 161) oder wenn persönliche Billigkeitsgründe in der Person des Steuerschuldners vorliegen (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612, und vom X B 54/88, BFH/NV 1989, 285).

Diese Rechtsprechung aufzugeben gibt der Streitfall keinen Anlass. Die in ihr für einen vollständigen Verzicht auf die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners aufgestellten Voraussetzungen liegen nach den vom FG dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Streitfall nicht vor. Es wird vom Kläger nicht einmal behauptet, dass sie vorlägen. Dementsprechend muss die Klage in vollem Umfang abgewiesen werden, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 494
BFH/NV 2005 S. 494 Nr. 4
HFR 2005 S. 385
RAAAB-42766