Fristennotierung im Anwaltsbüro anhand von Klebezetteln
Gesetze: FGO § 56
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, stellt ...waren her und war seit Jahren Organträgerin der X-GmbH. Diese beantragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom ernannte das Amtsgericht (AG)…einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete gemäß den Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) „zur Sicherung der Masse und zum Schutz der Gläubiger der Antragstellerin” u.a. an:
„1. Gemäß § 21 Abs. 2 Ziff. 1 InsO wird die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Antragstellerin angeordnet.
2. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wird…bestellt.
3. Gemäß § 21 Abs. 2 Ziff. 2 InsO wird angeordnet, dass Verfügungen der Antragstellerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
4. Der Antragstellerin wird untersagt, Gegenstände ihres Vermögens zu veräußern und zu belasten, Ansprüche abzutreten sowie Forderungen einzuziehen.
5.…Den Schuldnern der Schuldnerin (Drittschuldnern) wird verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. ...
6. Der vorläufige Insolvenzverwalter soll gemäß § 22 Abs. 2 InsO
a) das Vermögen der Antragstellerin sichern und erhalten;
b) ein Unternehmen, das die Antragstellerin betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Antragstellerin fortführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stillegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Die Verfügungsbefugnis über bestehende Arbeitsverhältnisse obliegt weiterhin der Antragstellerin; die Begründung, Änderung und Beendigung bestehender Arbeitsverhältnisse bedürfen der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters;
c) prüfen, ob das Vermögen der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens decken wird. ...”
Mit Beschluss vom eröffnete das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH.
In der Folge gab die Klägerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen für April und Mai 2001 ab, in denen sie die in April und Mai 2001 von der GmbH erzielten Umsätze und die in April und Mai 2001 bei der GmbH angefallenen Vorsteuerbeträge außer Ansatz ließ. Gleichzeitig gingen für April und Mai 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen der GmbH ein, in denen die GmbH die von ihr in April und Mai 2001 erzielten Umsätze und die bei ihr in April und Mai 2001 angefallenen Vorsteuerbeträge erklärte. Als Begründung für die nach Klägerin und GmbH getrennten Steueranmeldungen führte die Klägerin an, dass die Ernennung des vorläufigen Insolvenzverwalters die bisher bestehende Organschaft zwischen der Klägerin und der GmbH beendet habe.
Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Auffassung, dass die Organschaft zwischen der Klägerin und der GmbH erst im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH geendet habe. Das FA erließ dementsprechend für die Klägerin Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für April und Mai 2001, in denen es die von der Klägerin und der GmbH vorangemeldeten Besteuerungsgrundlagen zusammenfasste.
Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens setzte das FA die Jahresumsatzsteuer für 2001 gegen die Klägerin fest. In dem Jahressteuerbescheid vom erfasste das FA ebenfalls die von der GmbH für April und Mai 2001 erklärten Besteuerungsgrundlagen; außerdem korrigierte es unter Berufung auf die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) die von der Klägerin in vorangegangenen Steueranmeldungen angesetzten Vorsteuerbeträge, denen bis Ende März 2001 noch nicht von der GmbH bezahlte Rechnungen zugrunde lagen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid ab.
Auf die Beschwerde der Klägerin hat der erkennende Senat die Revision gegen das Urteil des FG zugelassen.
Der Beschluss über die Zulassung der Revision wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt.
Mit Schriftsatz vom teilte die Geschäftsstelle des erkennenden Senats den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass die Frist für die Begründung der Revision abgelaufen sei und die Begründung bislang nicht vorliege. Dieser Schriftsatz wurde den Prozessbevollmächtigten am zugestellt.
Am ging die Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Gleichzeitig beantragte die Klägerin wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Wiedereinsetzung schildert die Klägerin ausführlich, wie bei ihren Bevollmächtigten die Fristwahrung organisiert ist. In Fällen der vorliegenden Art habe der Bürovorsteher die Akte mit einem Klebezettel mit der Aufschrift „Frist notieren?” zu versehen und dem die Sache bearbeitenden Prozessvertreter zur Bestimmung der Frist vorzulegen. Habe dieser auf dem Zettel eine Frist bestimmt, würden diese vom Bürovorsteher in dem elektronischen Fristenkalender der Prozessbevollmächtigten notiert. Im Streitfall sei die Kanzleiangestellte X mit der Handakte zu Rechtsanwalt Y zur Feststellung der Fristen gegangen. Dieser habe auf einem Klebezettel handschriftlich sinngemäß notiert:
„RevBegr
WV ”
und die Akte wieder mit dem Klebezettel zu Frau X gebracht. Diese habe stattdessen in dem elektronischen Fristenkalender als Ablauf der Revisionsbegründungsfrist den notiert und diese Frist auch auf dem Beschluss vermerkt. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist eine eidesstattliche Versicherung von Frau X beigefügt, in der es heißt:
„Ich kann mich noch sicher daran erinnern, dass der Fristablauf auf den eingetragen werden sollte. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich mir beim Eingang des Beschlusses die Rechtsmittelbelehrung durchgelesen hatte und mir die Fristenbestimmungen dafür nicht genau bekannt waren, weil es sich um einen nicht alltäglichen Vorgang handelte. Gleichwohl bin ich bemüht, mich mit allen Dingen, mit denen ich zu tun habe, möglichst genau auszukennen und hatte daher anhand der Belehrung für mich selbst ermittelt, dass für „uns” als Beschwerdeführer eine Monatsfrist maßgeblich ist und sich daher von den Begründungsfristen bei Berufungen nicht unterscheidet. Ich freute mich daher, dass ich mit meiner Berechnung richtig lag, und kann daher bestimmt angeben, dass Herr Y eine Monatsfrist aufgeschrieben hat.
...
Letzte Woche habe ich von Herrn Y erfahren, dass im Kalender der 05. und für Vorlage und Fristablauf eingetragen sind und dieser Fristablauf auch in der Akte notiert ist. Ich kann mir auch nicht erklären, weshalb die Daten für den Februar anstatt für den Januar eingetragen worden sind.”
Mit der Revisionsbegründung macht die Klägerin einen Verfahrensmangel und Verletzung materiellen Rechts geltend.
Als Verfahrensmangel rügt die Klägerin, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden. Sie habe auf mündliche Verhandlung vor dem FG nur verzichtet, nachdem ihr der berichterstattende Richter T versichert habe, dass es sich um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung handele, so dass er die Revision zum BFH zulassen wolle. Gleichwohl habe der erkennende Senat des FG die Revision nicht zugelassen. Dadurch sei es ihr unmöglich gemacht worden, ihre schwerwiegenden Argumente noch einmal persönlich vor sämtlichen Mitgliedern des Spruchköpers darzulegen.
In der Sache selbst rügt die Klägerin Verletzung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
Sie meint, die Organschaft habe bereits mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (am ) geendet und nicht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (am ).
Außerdem trägt die Klägerin vor, sie habe für die Abgabe ihrer Umsatzsteuervoranmeldungen eine Dauerfristverlängerung nach § 46 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) erhalten. Die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate April und Mai 2001 seien deshalb erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nach Beendigung der Organschaft fällig geworden. Auch deshalb könne der Organträger nicht mehr zahlungspflichtig sein.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA den Umsatzsteuerbescheid zugunsten der Klägerin geändert und Erstattungszinsen festgesetzt (Umsatzsteuerbescheid vom ).
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des Umsatzsteuerbescheides vom die Umsatzsteuer für das Jahr 2001 einschließlich Zinsen zur Umsatzsteuer auf…€ herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Beide Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II. Die Revision ist unzulässig.
Die Klägerin hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt.
Nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen; im Fall ihrer Zulassung nach § 116 Abs. 7 FGO beträgt die Begründungsfrist für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO).
Im Streitfall ist der Beschluss des erkennenden Senats über die Zulassung der Revision den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Die Begründungsfrist lief deshalb am ab. Die am erfolgte Revisionsbegründung war verspätet.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war der Klägerin nicht zu gewähren.
Nach § 56 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich (§ 155 FGO, § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung —ZPO—). Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO in der für das Streitjahr geltenden Fassung).
Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Frist ohne Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist.
Ein Rechtsanwalt genügt nicht den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten an die Kontrolle der Revisionsbegründungsfrist, wenn er sein Büro durch Anbringung eines Klebezettels an der Akte anweist, die Frist einzutragen (so auch zur Berufungsbegründungsfrist Bundesgerichtshof —BGH—, Beschluss vom VII ZB 19/98, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1999, 940). Übernimmt der Prozessbevollmächtigte die Fristberechnung in Fällen, die in seiner Kanzlei nicht regelmäßig anfallen oder bei denen die Fristberechnung nicht einfach ist, selbst, muss er seine Fristermittlung in der Akte vermerken. Angesichts der Bedeutung, die er selbst der Fristermittlung beimisst, genügt es nicht, dass er sie auf einem Klebezettel vermerkt, der nach der Notierung der Frist durch den dafür zuständigen Kanzleiangestellten weggeworfen wird. Andernfalls kann bei der Notierung einer falschen Frist nicht festgestellt werden, ob dem eine falsche Fristberechnung durch den Prozessvertreter oder ein Übertragungsfehler durch die Kanzleikraft zugrunde liegt. Im Streitfall glaubt zwar die Kanzleiangestellte X sich zu erinnern, dass Rechtsanwalt Y eine Monatsfrist aufgeschrieben habe, die in den Januar 2004 gefallen sei; sie kann sich aber nicht erklären, warum sie statt dessen den 5. und 16. Februar in den Terminkalender eingetragen hat. Obwohl Frau X dies eidesstattlich versichert hat, bleiben Zweifel, weil die maßgebenden Fristzettel weggeworfen wurden. Die Tatsache, dass eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt wird, macht nicht zwangsläufig die darin enthaltenen Erklärungen glaubhaft (vgl. , BFH/NV 1997, 545).
Im Übrigen hätte die Klage auch nach den Grundsätzen des (BFHE 204, 520) keinen Erfolg.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 558
BFH/NV 2005 S. 558 Nr. 4
LAAAB-41757