Rüge mangelnder Sachaufklärung und Verletzung der richterlichen Hinweispflicht
Instanzenzug:
Gründe
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen. Der gegen den Haftungsbescheid eingelegte Einspruch wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Die Zustellung des Bescheides erfolgte am an den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Am 21. und erkundigte sich die nunmehr mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragte Prozessbevollmächtigte (H) beim Finanzgericht (FG) nach dem Eingang der per Fax übersandten Klage und kündigte die nochmalige Einreichung der Klage und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an. Zudem führte sie aus, den Faxbericht nicht mehr zu besitzen. Den Umschlag mit der Original-Klageschrift habe sie unter Zeugen eingeworfen.
Die Klage ging am beim FG ein. Ihren mit Schriftsatz vom gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründete die Klägerin damit, dass sie den die Klage enthaltenden Brief einem Herrn W mit der Bitte mitgegeben habe, ihn am nächsten Tag beim Postamt aufzugeben. Auf die Aufforderung des FG, das Postausgangsbuch im Original vorzulegen, erklärte H, ein solches nicht zu führen. Da ihr Fax-Gerät nicht funktioniert habe, sei es möglich, dass Herr W das Fax-Gerät einer Firma M benutzt habe und dass der Sendebericht inzwischen von dieser Firma entsorgt worden sei. Ursprünglich habe sie die Absicht gehabt, den Brief persönlich einzuwerfen; dann habe sie dies doch Herrn W überlassen. An diese Umstände habe sie sich bei den Telefonaten mit der Geschäftsstelle des FG nicht mehr erinnert.
Das FG hat die Klage wegen Fristversäumung als unzulässig abgewiesen. Es urteilte, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil die Ausführungen im Schriftsatz vom den Anforderungen an eine substantiierte und in sich schlüssige Darlegung der entscheidungserheblichen Tatsachen nicht genügten. Das mangelnde Erinnerungsvermögen könne das widersprüchliche Vorbringen nicht entschuldigen, da H ihren Obliegenheiten nicht nachgekommen sei, durch organisatorische Maßnahmen Vorsorge für eine rechtzeitige Absendung der Klageschrift zu treffen. Auch die Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen W und D hätten das FG nicht von der rechtzeitigen Übersendung der Klageschrift per Fax an das FG überzeugt. Denn nach diesen Aussagen existiere eine mit einer entsprechenden Markierung versehene Mehrfertigung der Klageschrift, die eine Übersendung per Fax belege. Es sei nicht nachvollziehbar, warum dieses Dokument dem Gericht nicht vorgelegt worden sei. Auch stehe zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass die Klageschrift entsprechend der Aussage des W am zur Post gegeben worden sei. Denn diese Aussage widerspreche den von H gegenüber der Geschäftsstelle gemachten Angaben, nach denen H selbst den Umschlag unter Zeugen eingeworfen habe. Auch habe die Klägerin keine Angaben dazu gemacht, wie die Fristenkontrolle in ihrem Büro organisiert sei.
Mit ihrer auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) gestützten Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG. Sie trägt vor, das FG habe seine Amtsermittlungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt und es rechtsfehlerhaft versäumt, gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 und § 79b Abs. 2 Nr. 2 FGO die Vorlage der Klageschrift anzuordnen. Auch habe das FG den Hinweis unterlassen, dass es der Mehrfertigung der Klage und deren Vorlage eine streitentscheidende Bedeutung beimessen würde. Das FG hätte —gegebenenfalls unter Fristsetzung— Gelegenheit zur Beschaffung dieses Dokuments geben müssen. Da sich die Klägerin zur Vorlage des Dokuments nicht hätte erklären können, liege darüber hinaus ein Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO vor. Das per Fax versandte Schreiben —das die Klägerin mit ihrer Beschwerde im Original zu den Akten gegeben hat— weise den Abdruck eines kleinen roten „Kringels” auf, der die erfolgreiche Versendung des Faxes dokumentiere. Durch die Aussagen der beiden Zeugen und durch den Absendenachweis seien die vom FG festgestellten Widersprüche nunmehr geklärt. Hätte das FG rechtzeitig auf eine Vorlage des Dokuments hingewirkt, hätte es dem Wiedereinsetzungsgesuch stattgeben müssen.
Da sie ein Fristenbuch führe, sei ihr auch kein Organisationsverschulden vorzuwerfen. Ein zusätzlicher Eintrag in einem Postausgangsbuch hätte die Kontrolldichte nicht erhöht. Vielmehr habe sie im Rahmen der äußersten, den Umständen nach angemessenen und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt dafür gesorgt, dass der Schriftsatz rechtzeitig zur Post gegeben worden sei.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen. Von einer Überraschungsentscheidung könne im Streitfall keine Rede sein. Auch liege kein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz vor. Es sei nicht nachvollziehbar, dass H die Bedeutung einer Vorlage der mit einem aufgedruckten Absendenachweis versehenen Klageschrift für die Entscheidungsfindung des FG nicht erkannt haben will.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn das Vorbringen der Klägerin entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO; im Übrigen liegen die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel nicht vor.
1. Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen geltend macht, das FG hätte gegen den sich aus § 76 Abs. 1 FGO ergebenden Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen und hinsichtlich der von den Zeugen benannten Mehrfertigung der Klageschrift weitere Sachaufklärung betreiben müssen, ist die Rüge dieses vermeintlichen Verfahrensmangels nicht schlüssig erhoben. Denn eine schlüssige Rüge, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt u.a. den substantiierten Vortrag darüber voraus, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom VII R 72/99, BFHE 192, 390, und Senatsbeschluss vom VII B 51/03 BFH/NV 2004, 217, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Insbesondere legt die Klägerin nicht dar, aus welchen Gründen sich dem FG aus seiner Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hinsichtlich des nicht rechtzeitig vorgelegten Dokuments hätte aufdrängen müssen.
Das FG hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Klägerin ihren Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der nach § 56 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Frist hinreichend begründet hat. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb dieser Frist eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen (vgl. Senatsentscheidung vom VII B 369/03, BFH/NV 2004, 1285, sowie BFH-Entscheidungen vom X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, und vom III R 66/97, BFH/NV 1998, 1231). In der Urteilsbegründung hat das FG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es im Streitfall an einer in sich schlüssigen Darstellung der entscheidungserheblichen Tatsache, ob, wann und wie die Klageschrift per Fax oder per Brief an das Gericht gesendet worden sei, fehle. Auch habe die Klägerin keine Angaben über die Organisation der Fristenkontrolle in ihrem Büro gemacht. Aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG kam es somit auf die Vorlage des Originals der Klageschrift nicht mehr an. Ausgehend von der Rechtsauffassung des FG lassen seine Ausführungen, es sei nicht nachvollziehbar, warum dieses Dokument dem Gericht nicht vorgelegt worden sei, die Deutung zu, dass das FG die Nichtvorlage innerhalb der in § 56 Abs. 2 FGO festgelegten Frist beanstandet hat. Ein neuer Tatsachenvortrag in der mündlichen Verhandlung oder die Vorlage der Klageschrift im Original hätten deshalb aus der Sicht des FG nicht dazu geführt, dass es dem Wiedereinsetzungsantrag hätte stattgeben müssen.
2. Da die Existenz des vermeintlichen Absendenachweises erst in der mündlichen Verhandlung angesprochen worden ist, war eine Anordnung nach § 79 Abs. 1 Nr. 4 FGO zur Vorlage der Klageschrift im Vorgriff auf die mündliche Verhandlung gar nicht möglich. Eine entsprechende Verpflichtung des FG lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus § 79b Abs. 2 Nr. 2 FGO ableiten. Unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts stand es vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, von einer solchen prozessleitenden Maßnahme abzusehen. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel liegt demnach nicht vor. Auch eine Verletzung der Hinweispflicht ist im Streitfall nicht erkennbar. Unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs ist das FG nicht verpflichtet, seine Rechtsauffassung und seine Schlussfolgerungen im Rahmen der Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern, weil sich diese oft erst nach der mündlichen Verhandlung aufgrund der abschließenden Beratung ergeben (, BFH/NV 1997, 124, m.w.N.). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass der Prozessvertreterin der Klägerin die Bedeutung eines Dokuments, mit dem der Nachweis der fristgerechten Übersendung der Klageschrift hätte geführt werden können, nicht verborgen geblieben sein dürfte. Es lag auf der Hand, dass das FG einem solchen Dokument eine gewisse —wenn im Streitfall auch nicht entscheidungserhebliche— Bedeutung beimessen würde, zumal die in der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen W und D auf die Existenz eines solchen Dokuments ausdrücklich hingewiesen hatten. Unter diesen Umständen vermag der Senat in dem Urteil des FG keine mit einem Verfahrensfehler behaftete Überraschungsentscheidung zu erkennen.
3. Auch die Ausführungen der Klägerin zum Nichtvorliegen eines Organisationsverschuldens können nicht zur Zulassung der Revision führen. Zum einen beruht das Urteil nicht auf dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens, sondern darauf, dass die Klägerin ihrer Darlegungspflicht nicht nachgekommen ist (vgl. zu den Darlegungserfordernissen hinsichtlich der Organisation der Fristenkontrolle Senatsbeschluss vom VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795, m.w.N.), zum anderen würde sich das Vorbringen der Klägerin —selbst wenn dem Urteil eine Aussage zum Vorliegen eines Organisationsverschuldens entnommen werden könnte— gegen die materiell-rechtliche Würdigung des FG richten. Einwendungen gegen die tatsächliche oder rechtliche Würdigung des FG vermögen indes die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO nicht zu begründen (, BFH/NV 2003, 805, m.w.N.).
Fundstelle(n):
EAAAB-41486