Betätigungsmittelpunkt bei mehreren Tätigkeiten im häuslichen Arbeitszimmer auch bei qualitativem Schwerpunkt einer Einzeltätigkeit außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers
Gesetze: EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr (1997) als Kirchenmusikdirektor und als Lehrer im Nebenberuf an einer Musikhochschule Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit sowie daneben als Musiker (Organist) und Komponist Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Im Streitjahr machte der Kläger im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 11 345,08 DM als Betriebsausgaben geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erkannte die Aufwendungen für das Arbeitszimmer nur in Höhe von 2 400 DM als Betriebsausgaben an, weil das Arbeitszimmer seiner Ansicht nach nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers gebildet habe.
Dagegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch, mit dem sie vortrugen, dass das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen und betrieblichen Tätigkeit bilde. Der Kläger habe als angestellter Kirchenmusiker keine Präsenzpflicht in der Kirchengemeinde. Auch stehe ihm dort kein Arbeitsplatz zur Verfügung. Die Anwesenheit in der Kirchengemeinde sei nur im Hinblick auf die Teilnahme an verschiedenen Gottesdiensten und an 9 Konzertveranstaltungen erforderlich. Von der für seine nichtselbständige Tätigkeit aufzubringenden Arbeitszeit von ca. 173 Stunden monatlich entfielen daher nur 22 Stunden auf außerhalb seines Arbeitszimmers zu erledigende Geschäfte. Letztere seien daher im Verhältnis zu seinem gesamten Arbeitsaufwand von untergeordneter Bedeutung. Das Arbeitszimmer diene auch der Vorbereitung der 2 Wochenstunden umfassenden Lehrtätigkeit des Klägers an der Musikhochschule.
Während des Einspruchsverfahrens wies das FA die Kläger darauf hin, dass sie im Falle der Weiterverfolgung des Rechtsbehelfs auch mit einer verbösernden Entscheidung rechnen müssten, da die der Höhe nach begrenzten Aufwendungen von 2 400 DM anteilig im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen seien. Die Aufwendungen würden sich jedoch bei den Einkünften aus § 19 EStG steuerlich nicht auswirken, da sie in vollem Umfang dem Pauschbetrag gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG unterfielen.
Daraufhin teilten die Kläger mit, dass von den im Arbeitszimmer durchgeführten Tätigkeiten nur 10 % dem Bereich der nichtselbständigen Tätigkeit zuzuordnen seien.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Vielmehr änderte das FA den Steuerbescheid zum Nachteil der Kläger dahin ab, dass Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer lediglich in Höhe von 2 160 DM (90 %) als Betriebsausgaben und im Übrigen (10 %) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit anerkannt wurden.
Die Klage, mit der die Kläger weiterhin den vollständigen Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben begehrten, wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1590 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger die fehlerhafte Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass einerseits auf die gesamte berufliche Tätigkeit abgestellt, andererseits aber eine Aufteilung auf die nichtselbständige und selbständige Tätigkeit durchgeführt werde. Der Mittelpunkt der Tätigkeit liege dann im häuslichen Arbeitszimmer, wenn der Steuerpflichtige dort nach der Verkehrsauffassung die für den beruflichen Erfolg wesentlichen Leistungen erbringe. Nach der Rechtsprechung des , EFG 2001, 1182) liege der Mittelpunkt dort, wo der wesentliche Teil des Honorars bzw. Einkommens verdient werde. Auch der Kläger habe seine wesentlichen Arbeiten im häuslichen Arbeitszimmer erbracht. Die in dem Konzertsaal bzw. in der Kirche abgelieferten Arbeiten seien nur das Ergebnis bzw. der Ausfluss der Arbeiten, die vorher im häuslichen Arbeitszimmer in Form von Proben, Kompositionen etc. durchgeführt worden seien. Letztere seien aber wohl unstreitig die wesentlichen Leistungen, weshalb der Hauptteil des Einkommens bzw. Honorars im Arbeitszimmer verdient worden sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1997 vom in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom insoweit abzuändern, als Aufwendungen für das Arbeitszimmer insgesamt in Höhe von 11 345,08 DM als Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben anerkannt werden und die Einkommensteuer auf 33 400 DM festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen nicht dessen Annahme, dass das Arbeitszimmer des Klägers nicht den Mittelpunkt dessen gesamter betrieblicher und beruflicher Betätigung bildet.
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 1. Halbsatz der Vorschrift in der für die Streitjahre geltenden Fassung die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2 400 DM begrenzt. Die Begrenzung entfällt, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
2. a) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der seine berufliche und/oder betriebliche Tätigkeit teilweise in seinem Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, ist „Mittelpunkt” i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG, wenn der Steuerpflichtige im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Der „Mittelpunkt” bestimmt sich mit anderen Worten nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen. Wo er liegt, kann nur im Wege einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit festgestellt werden. Die diesbezügliche Würdigung aller Umstände des Einzelfalles obliegt in erster Linie den FG. Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Dabei kann das häusliche Arbeitszimmer selbst dann (noch) den Mittelpunkt einer beruflichen Betätigung bilden, wenn die außerhäuslichen Tätigkeiten überwiegen (, BFHE 201, 93, BStBl II 2004, 62, und VI R 104/01, BFHE 201, 100, BStBl II 2004, 65; vom IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43; vom X R 75/00, BFH/NV 2003, 917, und X R 52/01, BFH/NV 2003, 1172).
b) Geht der Steuerpflichtige —wie im Streitfall— mehreren Tätigkeiten nach, ist der Mittelpunkt anhand einer Gesamtbetrachtung aller von ihm ausgeübten Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. , BFHE 189, 438, BStBl II 2000, 7).
c) In Fortführung und Präzisierung dieser Rechtsprechung hat der VI. Senat des BFH nunmehr ausgeführt, dass die Abzugsbeschränkung allerdings ihrem Wortlaut nach nicht voraussetzt, dass das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt „jedweder” oder „einer jeden einzelnen betrieblichen und beruflichen Tätigkeit” bilden muss. Maßgeblich ist vielmehr die „gesamte betriebliche und berufliche” Betätigung des betreffenden Steuerpflichtigen, so dass sich auch in diesem Sinne eine Einzelbetrachtung der jeweiligen Betätigungen verbietet; denn es geht gerade darum, alle Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Gleichwohl bedarf es zunächst der Bestimmung des jeweiligen Betätigungsmittelpunktes der einzelnen beruflichen und betrieblichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, um sodann auf dieser Grundlage den qualitativen Schwerpunkt der Gesamttätigkeit zu ermitteln (vgl. zur Begründung im Einzelnen sowie zu den gebildeten Fallgruppen: , BFHE 204, 88).
3. Zutreffend hat das FG danach im Rahmen der Subsumtion darauf abgestellt, welche konkreten Handlungen und Tätigkeiten für den Beruf des Klägers prägend sind.
a) Gleichwohl fehlt es für die Annahme, der Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers als Kirchenmusikdirektor liege außerhalb des Arbeitszimmers, an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Das FG hat die Darbietung der Kirchenmusik anlässlich kirchlicher Veranstaltungen und die Veranstaltung besonderer Konzerte als prägend für die gesamte berufliche und betriebliche Tätigkeit angesehen. Weiter hat es ausgeführt, die im Arbeitszimmer anfallenden Arbeiten dienten lediglich der Vorbereitung der Auftritte und Musikdarbietungen und seien diesen gegenüber von untergeordneter Bedeutung.
Diese Würdigung ist nicht nachvollziehbar, da das FG weder den Umfang noch die Art der Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer festgestellt hat. Derartige Feststellungen mussten sich dem FG aber schon deshalb aufdrängen, weil die außerhäusliche Tätigkeit nach dem bisher unwidersprochenen Vorbringen des Klägers im Vorverfahren lediglich 22 Stunden im Monat in Anspruch genommen haben soll. Zudem hat das FG das weitere Vorbringen des Klägers im Vorverfahren dahin verstanden, dass dieser 173 Stunden im Monat für seine Tätigkeit als Kirchenmusikdirektor aufgewendet hat. Setzt man ausgehend von diesem Vorbringen den Zeitanteil der im Arbeitszimmer verbrachten Betätigung als Kirchenmusiker und den Zeitanteil der außerhäuslichen Betätigung in diesem Beruf in Relation, so ist nicht mehr nachvollziehbar, weshalb das FG ohne konkrete Sachverhaltsfeststellungen zu den im Einzelnen im Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten deren untergeordnete Bedeutung angenommen hat. Im Gegenteil hätte das FG, die Richtigkeit des Vorbringens des Klägers unterstellt, die Indizwirkung des hohen Zeitanteils der im Arbeitszimmer verbrachten Tätigkeit in seine Gesamtwürdigung mit einbeziehen müssen (vgl. zur Indizwirkung bei umgekehrtem Sachverhalt: BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 1172, und in BFH/NV 2003, 917).
b) Aus den zuvor genannten Gründen ist auch die Annahme, der Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers als selbständiger Konzertveranstalter liege außerhalb des Arbeitszimmers, nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen gedeckt. Denn das FG nimmt lediglich auf seine Ausführungen zur Bestimmung des Mittelpunkts der Tätigkeit des Klägers als Kirchenmusikdirektor Bezug.
c) Zutreffend hat das FG indes unter Hinweis auf das (BFHE 184, 532, BStBl II 1998, 351; bestätigt durch das , BVerfGE 101, 297) ausgeführt, dass das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der (weiteren) Lehrtätigkeit des Klägers gebildet hat, sondern dass dieser vielmehr in der Musikhochschule lag.
4. Durch die Zurückverweisung erhält das FG die Gelegenheit, die notwendigen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen. Das FG wird zunächst den jeweiligen Betätigungsmittelpunkt der einzelnen beruflichen und betrieblichen Tätigkeiten des Klägers zu bestimmen haben, um sodann auf dieser Grundlage den qualitativen Schwerpunkt der Gesamttätigkeit zu ermitteln. Sollte der Kläger als Kirchenmusikdirektor einer Vollzeitbeschäftigung nachgegangen sein, worauf die Aktenlage hindeutet, käme dieser Beschäftigung indizielle Bedeutung für die Beurteilung des qualitativen Schwerpunktes der Gesamttätigkeit zu. Kommt das FG daher nach erneuter Würdigung des Sachverhalts wiederum zu dem Schluss, dass der Mittelpunkt der Kirchenmusikertätigkeit eindeutig nicht im häuslichen Arbeitszimmer gelegen hat, indiziert dies hier, dass der qualitative Schwerpunkt auch der Gesamttätigkeit des Klägers nicht im häuslichen Arbeitszimmer gelegen hat. Eine andere Würdigung könnte dann angezeigt sein, wenn die Dienstzeitverpflichtung des Klägers für die Tätigkeit als Kirchenmusikdirektor deutlich unter der eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers gelegen haben sollte.
In diesem Zusammenhang weist der Senat auch auf das nicht nachvollziehbare Vorbringen des Klägers zur Aufteilung der Aufwendungen auf die verschiedenen Einkunftsarten hin. Danach soll, was das FG nicht für beanstandungswürdig gehalten hat, das Arbeitszimmer nur zu 10 % für die nichtselbständige Tätigkeit genutzt worden sein. Dieses Vorbringen ist angesichts des behaupteten geringen Umfangs der außerhäuslichen Tätigkeit dann nicht glaubhaft, wenn, was der Senat unterstellt und wovon das FG wohl ausgegangen ist, die Dienstzeitverpflichtung des Klägers als Kirchenmusikdirektor ca. 38 bis 40 Stunden je Woche betragen hat.
Zur Bestimmung des Mittelpunktes der Tätigkeit des Klägers als Kirchenmusikdirektor wird das FG daher insbesondere festzustellen haben, welche konkreten Aufgaben und Pflichten dem Kläger auf Grund seines Anstellungs-/bzw. Dienstvertrages oblagen und in welchem zeitlichen Umfang der Kläger verpflichtet war, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Dabei wird insbesondere aufzuklären sein, ob der Kläger tatsächlich nur in dem von ihm behaupteten geringen Umfang außerhäuslich tätig werden musste. Zur Aufklärung wird das FG ggf. den Dienstvorgesetzten sowie andere haupt- und ehrenamtlich beschäftigte Gemeindemitarbeiter befragen müssen.
Soweit das FG im zweiten Rechtsgang eine andere Aufteilung der abzugsfähigen Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer auf die verschiedenen Einkunftsarten für zutreffend erachten sollte, wird es zudem zu berücksichtigen haben, dass es auf Grund des Verböserungsverbots gehindert ist, den angefochtenen Bescheid abweichend vom Antrag des Klägers zu dessen Ungunsten zu ändern (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 174
BFH/NV 2005 S. 174 Nr. 2
DStRE 2005 S. 70 Nr. 2
HFR 2005 S. 303
GAAAB-40256