Bedarfsbewertung eines Erbbaurechts [BStBl 2004 II S. 1041]
Leitsatz
Verstoßen die Belastungsfolgen einer schematisierenden Bedarfsbewertung eines Erbbaurechts gemäß § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG gegen das Übermaßverbot, ist in verfassungskonformer Auslegung der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes durch den Steuerpflichtigen zuzulassen.
Gesetze: BewG § 68 Abs. 1 Nr. 2BewG § 70 Abs. 1BewG § 138 Abs. 1 Satz 2BewG § 138 Abs. 3 Satz 1BewG § 146 Abs. 7BewG § 148 Abs. 1 Satz 1 und 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erbte am ein Erbbaurecht mit Gebäude (Zweifamilienhaus). Der Erbbauzins betrug jährlich 110 DM. Das Erbbaurecht war am auf die Dauer von 80 Jahren bestellt und das Gebäude 1952 errichtet worden. Nach Ablauf des Erbbaurechts sollte der Grundstückseigentümer laut Erbbaurechtsvertrag dem Erbbauberechtigten zwei Drittel des aktuellen gemeinen Wertes des Gebäudes erstatten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) stellte mit Bescheid vom den Wert des Erbbaurechts (Grundstückswert) auf den in Höhe von 270 000 DM fest. Als den nach § 146 oder § 147 des Bewertungsgesetzes (BewG) ermittelten Wert des (bebauten) Grundstücks i.S. des § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG hatte das FA dabei den Mindestwert gemäß § 146 Abs. 6 BewG angesetzt. Der hiergegen erhobenen Klage mit dem Antrag, den Grundstückswert des Erbbaurechts auf den zwischen den Parteien unstreitigen Ertragswert gemäß § 146 Abs. 2 bis 5 BewG für das bebaute Grundstück in Höhe von 124 000 DM festzustellen, gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, der Ermittlung des Wertes des Erbbaurechts dürfe in verfassungskonformer Auslegung des § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG nicht der Mindestwert nach § 146 Abs. 6 BewG zu Grunde gelegt werden.
Mit der Revision wendet sich das FA gegen diese Rechtsauffassung des FG und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und —sinngemäß— die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Das FG hat zu Unrecht angenommen, der Ermittlung des Wertes eines Erbbaurechts dürfe in verfassungskonformer Auslegung des § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG ein Mindestwert nach § 146 Abs. 6 BewG nicht zu Grunde gelegt werden.
Das Erbbaurecht bildet, neben dem belasteten Grundstück, eine selbständige wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens (§ 138 Abs. 3 Satz 1 i.V.m § 68 Abs. 1 Nr. 2 BewG) und bewertungsrechtlich ein Grundstück (§ 138 Abs. 3 Satz 1 i.V.m § 70 Abs. 1 BewG), das nach den Vorschriften über die Wertermittlung von Grundbesitz bewertet wird (§§ 138 ff. BewG). Nach § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG ist der Wert eines Erbbaurechts über seine gesamte Laufzeit hin gleich bleibend durch Abzug des 18,6-fachen des nach den vertraglichen Bestimmungen im Besteuerungszeitpunkt zu zahlenden jährlichen Erbbauzinses von dem sich nach § 146 oder § 147 BewG ergebenden Grundstückswert zu ermitteln. Dieser Differenzmethode liegt die gesetzgeberische Planvorstellung zu Grunde, dass die Werte des belasteten Grundstücks und des Erbbaurechts zusammen keinen anderen Wert erbringen als ein unbelastetes Grundstück mit entsprechender Bebauung (Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997 —JStG 1997—, BTDrucks 13/5952, 42). Die Verweisung auf § 146 BewG dient also nicht unmittelbar der Bewertung des Erbbaurechts, sondern der Ermittlung des Wertes des bebauten, unbelasteten Grundstücks als Ausgangsgröße (Minuend). Deswegen darf dabei gemäß § 146 Abs. 6 BewG der Wert des Grundstücks auch nicht niedriger angesetzt werden als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück nach § 145 Abs. 3 BewG zu bewerten wäre (vgl. , BFHE 199, 11, BStBl II 2002, 844).
Die Schlussfolgerung des FG, über § 146 Abs. 6 BewG werde dadurch statt des Erbbaurechts der Wert des Grund und Bodens erfasst, übersieht die in der Differenzmethode liegende, wenn auch grob typisierende Systematik. Nach dieser Systematik wird der gemäß § 146 BewG ermittelte Wert des unbelasteten Grundstücks durch Abzug des den Grund und Boden erfassenden Wertes des belasteten Grundstücks nach § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG „neutralisiert”. Wenn diese Neutralisierung misslingt, dann kann dies zwar einerseits an der Höhe des Mindestwertes nach § 146 Abs. 6 BewG liegen, andererseits aber auch am abzuziehenden Wert nach § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG. Denn dieser Wert berücksichtigt zum einen typisierend weder die Restlaufzeit des Erbbaurechts noch, ob tatsächlich eine Heimfallvergütung zu zahlen ist (vgl. BTDrucks 13/5952, S. 42). Zum anderen muss die Höhe des Erbbauzinses, die den Wert nach § 148 Abs. 1 Satz 1 BewG bestimmt, auch nicht in jedem Fall an der marktüblichen Bodenrendite ausgerichtet sein. Sie kann —etwa unter gesellschaftsrechtlich verbundenen Beteiligten oder unter Angehörigen oder aus sozialen Gründen— auf anderen Erwägungen beruhen. Die vom FG vorgenommene Korrektur greift daher —abgesehen von ihrer Systemwidrigkeit— zu kurz, wenn sie nur an § 146 Abs. 6 BewG ansetzt.
Eine Bewertung des Erbbaurechts, die gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot verstößt, ist nicht durch Nichtanwendung des § 146 Abs. 6 BewG bei der Bewertung des bebauten Grundstücks zu vermeiden, sondern allenfalls dadurch, dass der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes zugelassen wird. Eine solche verfassungskonforme Auslegung hat der Senat bei einem Verstoß gegen das Übermaßverbot für die Bewertung des erbbaurechtsbelasteten Grundstücks vorgenommen (, BFHE 204, 570). Sie muss gleichermaßen bei der Bewertung des Erbbaurechts selbst Platz greifen, das bewertungsrechtlich ebenfalls ein Grundstück bildet (§ 138 Abs. 3 Satz 1 i.V.m § 68 Abs. 1 Nr. 2 und § 70 Abs. 1 BewG). Verstoßen die Belastungsfolgen einer schematisierenden Bewertung eines Erbbaurechts gemäß § 148 Abs. 1 Satz 2 BewG gegen das Übermaßverbot oder sind —anders ausgedrückt— die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt, so ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes durch den Steuerpflichtigen zuzulassen (vgl. im Einzelnen BFH in BFHE 204, 570).
Ob im Streitfall die Bewertung des Erbbaurechts wegen eines niedrigeren gemeinen Wertes das Übermaßverbot verletzt, ist vom FG —von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent— nicht festgestellt. Der Senat kann daher in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Sache war somit an das FG zurückzuverweisen. Weist die Klägerin nach, dass der vom FA festgestellte Wert derart über den gemeinen Wert hinausgeht, dass das Übermaßverbot verletzt ist, wird das FG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 1041
BB 2004 S. 2618 Nr. 48
BFH/NV 2005 S. 98
BFH/NV 2005 S. 98 Nr. 1
BStBl II 2004 S. 1041 Nr. 23
DB 2005 S. 89 Nr. 2
DStR 2004 S. 2099 Nr. 49
DStRE 2005 S. 128 Nr. 2
HFR 2005 S. 95
INF 2004 S. 921 Nr. 24
KÖSDI 2004 S. 14439 Nr. 12
OAAAB-36154