BFH Urteil v. - II R 77/01

Bewertung eines Einfamilienhauses im Sachwertverfahren ohne vorherige Ermittlung einer Vergleichsmiete

Gesetze: BewG § 76 Abs. 3 Nr. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Erbengemeinschaft, die aus den Erben nach dem im August 1995 verstorbenen B besteht. Dieser war am Stichtag Eigentümer eines im Sachwertverfahren bewerteten Zweifamilienhauses in F.

Das 1979 an einem Hang errichtete Gebäude weist im Erdgeschoss die Hauptwohnung mit einer Nettowohnfläche von ca. 137 qm und im Untergeschoss eine Einliegerwohnung sowie einen weiteren Wohnraum mit einer Nettowohnfläche von zusammen ca. 62 qm auf. Das Finanzgericht (FG) hat als besondere Ausstattungsmerkmale u.a. ein Schwimmbad mit Dusche und WC, dessen Bruttowohnfläche bei hälftigem Ansatz ca. 15 qm beträgt, zwei offene Kamine, mehrere Terrassen und Balkone, Dreifachisolierverglasung sowie den nach oben bis zum Dach hin offenen Wohnraum festgestellt.

Die Klägerin beantragte, das Zweifamilienhaus im Wege einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung auf den im Ertragswertverfahren zu bewerten. Mit Bescheid vom und Einspruchsentscheidung vom , jeweils an einen Bevollmächtigten der Erbengemeinschaft für die „Erbengemeinschaft NN/NN” bekannt gegeben, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Antrag ab. Die hiergegen eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Das FG ging mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 481 veröffentlichten Urteil davon aus, dass mit der Bezeichnung „Erbengemeinschaft NN/NN” die Bescheide inhaltlich ausreichend bestimmt und wirksam seien, und vertrat in der Sache die Auffassung, die Ausstattungsmerkmale des Gebäudes rechtfertigten zwar nicht jedes für sich allein, aber in ihrer Gesamtheit eine Bewertung im Sachwertverfahren.

Mit der Revision rügt die Klägerin, das FG habe unzutreffend angenommen, dass der Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung wirksam geworden seien, sowie die Voraussetzungen des § 76 Abs. 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) verkannt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einheitswert für das streitige Grundstück auf den im Ertragswertverfahren fortzuschreiben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der an die „Erbengemeinschaft NN/NN” gerichtete Ablehnungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung den sowohl formell- als auch materiell-rechtlichen Inhaltsadressaten ausreichend bezeichnen. Das FG hat auch in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Voraussetzungen für die Anwendung des Sachwertverfahrens (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) als erfüllt angesehen.

1. Die Klägerin ist sowohl formell- als auch materiell-rechtlich die richtige Inhaltsadressatin und als solche ausreichend bezeichnet.

a) Eine Ablehnungsverfügung sowie die im anschließenden Rechtsbehelfsverfahren ergehende Einspruchsentscheidung sind gegen den zu richten, der den Antrag gestellt und den Einspruch eingelegt hat. Sowohl den Antrag auf fehlerberichtigende Wertfortschreibung als auch den Einspruch hat im Streitfall die Erbengemeinschaft gestellt bzw. eingelegt. Daher sind der Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung insoweit zutreffend gegen die „Erbengemeinschaft NN/NN” gerichtet worden.

b) Die Erbengemeinschaft ist auch materiell-rechtlich die richtige Inhaltsadressatin. Bei Feststellungsbescheiden entspricht dem Steuerschuldner der Feststellungsbeteiligte als der Inhaltsadressat, gegen den der Bescheid zu richten ist (§ 181 Abs. 1 Satz 1 der AbgabenordnungAO 1977— i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Dieser ist regelmäßig identisch mit demjenigen, dem der Gegenstand der Feststellung bei der Besteuerung zuzurechnen ist —§ 179 Abs. 2 Satz 1 AO 1977— (vgl. , BFH/NV 1998, 417, m.w.N.). Ergeht allerdings ein Einheitswertfeststellungsbescheid erst nach dem Tode eines Beteiligten auf einen davor liegenden Stichtag, bleibt der Verstorbene Zurechnungssubjekt unbeschadet des Umstandes, dass Feststellungsbeteiligte der Erbe oder —bei mehreren Erben— die Erbengemeinschaft ist (vgl. , BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410).

Das streitbefangene Grundstück ist, soweit sein Einheitswert für Zwecke der Erbschaftsteuer von Bedeutung ist, auf den dem Erblasser und nicht der Erbengemeinschaft zuzurechnen; jener ist daher Zurechnungssubjekt der Feststellung (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Die Erbengemeinschaft ist insoweit lediglich als Rechtsnachfolgerin des Erblassers Feststellungsbeteiligte.

Da der Einheitswert des Grundstücks im Gesamthandseigentum der Erbengemeinschaft mithin für diese ab 1996 nur noch für die Grundsteuer von Bedeutung ist, hat gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 seine Aufteilung auf die Erben zu unterbleiben. Die Aufteilung ist für Grundsteuerzwecke nicht erforderlich, weil das Grundsteuergesetz (GrStG) in § 10 Abs. 1 und 3 für beide denkbaren Möglichkeiten der Zurechnung (Gesamthandsgemeinschaft oder Gesamthänder) eine Regelung über den Steuerschuldner enthält (, BFHE 194, 243, BStBl II 2001, 476). Die Erbengemeinschaft ist somit auch materiell-rechtlich die richtige Feststellungsbeteiligte.

Soweit sich aus der Entscheidung des Senats in BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410 etwas anderes ergibt, wird hieran nicht festgehalten.

c) Die Erbengemeinschaft als formell- wie materiell-rechtlicher Inhaltsadressat ist durch die Bezeichnung „Erbengemeinschaft NN/NN” gemäß § 119 Abs. 1 AO 1977 ausreichend bezeichnet. Der Inhaltsadressat, d.h. die Angabe dessen, dem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll, muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Vielmehr reicht es aus, wenn sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes, der auslegungsfähig ist, zweifelsfrei ergibt, wer Inhaltsadressat sein soll. Dabei sind Formalismus und Wortklauberei unangebracht. Entscheidend ist vielmehr, ob der Inhaltsadressat sich sicher identifizieren lässt (vgl. zu Steuerbescheiden , BFH/NV 1998, 1329, m.w.N., sowie , BFH/NV 1993, 702). Dies ist im Streitfall möglich. Die „Erbengemeinschaft NN/NN” ist im Verfahren als solche aufgetreten. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft hatten Bevollmächtigte bestellt. Diese konnten dem Ablehnungsbescheid vom und der Einspruchsentscheidung vom eindeutig entnehmen, gegen wen sie sich richten.

2. Das FG ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ablehnungsbescheid auch insoweit rechtmäßig ist, als das FA die Voraussetzungen für die Anwendung des Sachwertverfahrens (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) bejaht hat. Das FA war daher nicht zu verpflichten, den Einheitswert des streitbefangenen Grundstücks im Ertragswertverfahren zu ermitteln.

a) Nach § 76 Abs. 1 BewG wird der Wert von Einfamilienhäusern grundsätzlich im Ertragswertverfahren ermittelt. Ausnahmsweise erfolgt die Bewertung im Sachwertverfahren (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG), und zwar dann, wenn sich das zu bewertende Objekt durch besondere Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den im Ertragswertverfahren zu bewertenden Einfamilienhäusern unterscheidet. Dies ist eine Frage der Wertverhältnisse, deren Beantwortung unter dem Gebot der Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt () des § 27 BewG steht. Entscheidend ist, ob aus der Sicht des Hauptfeststellungszeitpunkts das Einfamilienhaus der Klägerin sich i.S. des § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG von den nach § 76 Abs. 1 BewG zu bewertenden Einfamilienhäusern wesentlich unterscheidet (vgl. , BFH/NV 2001, 583, m.w.N.; vom II R 146/87, BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57). Nach der Rechtsprechung des BFH genügen sowohl die besondere Gestaltung oder die besondere Ausstattung für sich allein als auch das Zusammenwirken beider Merkmale für die Anwendung des Sachwertverfahrens (vgl. , BFH/NV 1996, 108, m.w.N.).

b) Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine besondere Ausstattung des Hauses bejaht. Die vom FG bei der rechtlich gebotenen Gesamtwürdigung (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 583; vom II R 17/97, BFH/NV 1999, 593) gezogene Schlussfolgerung, dass die festgestellten Ausstattungsmerkmale das streitbefangene Gebäude jedenfalls in ihrer Gesamtheit deutlich von der Masse der Einfamilienhäuser abheben und den Wohnwert des Hauses in besonderem Maße erhöhen (vgl. , BFHE 125, 290, BStBl II 1978, 523), ist nach Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen möglich (vgl. , BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, m.w.N.); mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen ist sie nicht angegriffen und daher für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).

3. Die Rüge der Klägerin, das FG habe nicht geprüft, ob Vergleichsmieten ermittelbar seien, greift nicht durch. Der Anwendung des Sachwertverfahrens auf Ein- oder Zweifamilienhäuser braucht nicht der vergebliche Versuch vorauszugehen, eine Vergleichsmiete zu ermitteln (vgl. , BFHE 151, 88, BStBl II 1987, 841, unter 2., a.E., und in BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57). Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht auf die Entscheidung des (BVerfGE 74, 182, BStBl II 1987, 240) stützen. Das BVerfG hat nicht etwa im Einzelnen die Voraussetzungen für die Anwendung des Sachwertverfahrens festgelegt, sondern lediglich die Erwägungen wiedergegeben, die den Gesetzgeber zur Anordnung von zwei Bewertungsverfahren (Ertragswert- und Sachwertverfahren) veranlasst haben, und daraus den Schluss gezogen, dass gegen die unterschiedlichen Wertfindungsmethoden keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57). Das BVerfG bezieht sich insoweit auf den Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des BewertungsgesetzesBewG/RegE— (zu BTDrucks IV/3508, S. 3), der das in der Regierungsvorlage vorgeschlagene Sachwertverfahren grundsätzlich gebilligt hat (S. 15). Die angezogene Entscheidung kann sich inhaltlich daher nur auf die in der Regierungsvorlage vorgesehenen Fälle einer vorgehend zu prüfenden Vergleichsmiete beziehen (§ 51e Abs. 3 Nr. 1 und 3 BewG/RegE; vgl. jetzt § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG). Für Ein- und Zweifamilienhäuser war aber schon in der Regierungsvorlage (§ 51e Abs. 3 Nr. 2 BewG/RegE; vgl. jetzt § 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) eine vorgehend zu prüfende Vergleichsmiete nicht vorgesehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 73
BFH/NV 2005 S. 74 Nr. 1
HFR 2005 S. 94
VAAAB-35534