BFH Beschluss v. - IV B 113/02

Verfahrensfehler i. S. des § 119 Nr. 6 FGO infolge Nichtwürdigung einer Zeugenaussage

Gesetze: FGO § 119 Nr. 6

Instanzenzug:

Gründe

Bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) handelt es sich um eine im Jahre 1984 auf Initiative der Architekten A und B gegründete GbR.

Zweck der Gesellschaft war dem Gesellschaftsvertrag zufolge der Ankauf, die Sanierung und Bebauung, die Vermietung sowie Verwaltung eines Grundstücks in X. Die Bebauung des Grundbesitzes sollte entsprechend den Plänen der Architekten A, B und Partner aus Y durchgeführt werden. Es waren drei Bauabschnitte beabsichtigt. Zunächst sollte die Klägerin nur den Grundbesitz erwerben und Block A errichten. Die Blöcke B und C sollten erst im Anschluss daran in Angriff genommen werden. Die Gesellschaft war zunächst für die Dauer von fünf Jahren eingegangen. Sie sollte sich jeweils um weitere fünf Jahre verlängern, wenn sie nicht spätestens 12 Monate vor Vertragsende gekündigt wurde. Sie sollte (endgültig) enden nach Abschluss des beabsichtigten Bauvorhabens, der Aufteilung in Wohnungs- und Teileigentumsflächen und grundbuchlicher Umschreibung des Wohnungs- und Teileigentums.

Bereits im Gründungsvertrag erhielt der geschäftsführende Gesellschafter die Vollmacht, die Aufteilung des Bauvorhabens in Wohnungs- bzw. Teileigentum vorzunehmen und die dazu erforderlichen Erklärungen abzugeben.

Ursprünglich hatten die Architekten A und B geplant, das Vorhaben allein durchzuführen. Nachdem sie festgestellt hatten, dass dies aufgrund der Größe nicht durchführbar war, beschlossen sie zusammen mit dem Steuerberater C, die Klägerin zu gründen.

Die Gründungsgesellschafter hatten die Absicht, die Gesellschaft nach Art eines geschlossenen Immobilienfonds zu erweitern. Dabei war vorgesehen, dass sich insgesamt etwa 20 Mitgesellschafter finden sollten, von denen jeder ein Eigenkapital von 30 000 DM zur Verfügung stellen sollte. Die restlichen Kapitalmittel sollten von der Sparkasse als Darlehen gewährt werden.

Mit Vertrag vom erwarb die Klägerin das Grundstück von Frau C und Frau D für 600 000 DM. In der Folgezeit traten neun weitere Gesellschafter in die Klägerin ein. Zwei Gesellschafter wurden im Laufe der Zeit wieder ausgeschlossen, darunter der Gründungsgesellschafter A.

Die Klägerin errichtete auf ihrem Grundbesitz nach der Planung der Architekten A, B und Partner insgesamt drei Häuserblöcke mit Herstellungskosten in Höhe von ca. 4,5 Mio. DM.

Die Errichtung des Blockes A, bestehend aus sechs Läden und 12 Wohnungen, begann 1984 und endete im August 1985.

Die Errichtung des Blockes B, bestehend aus einem Laden und 10 Wohnungen, begann 1986 und endete im Dezember 1987.

Die Errichtung des Blockes C, bestehend aus einem Laden und acht Wohnungen, begann 1986 und endete im Juli 1987.

Am begründete die Klägerin durch Abgabe einer Teilungserklärung gemäß § 8 des Wohnungseigentumsgesetzes Wohnungs- und Teileigentum an allen drei Blöcken. Im Anschluss an die Fertigstellung vermietete die Klägerin die Läden und Wohnungen mit unbefristeten Mietverträgen bzw. mit Zeitmietverträgen, die über die Dauer von drei, fünf und 10 Jahren vereinbart waren.

Die Tiefgaragenplätze wurden nicht aufgeteilt.

Im Oktober 1990 befand sich die Klägerin in Zahlungsschwierigkeiten. Aufgrund aufgelaufener Zins- und Tilgungsrückstände drohte die finanzierende Bank mit der Kündigung von Krediten in Höhe von insgesamt 5,7 Mio. DM. Dazu kam es aber nicht.

Am erteilten die Gesellschafter dem Mitgesellschafter C notariell die Vollmacht, den gesamten Grundbesitz ganz oder teilweise zu veräußern.

In den Streitjahren (1992 und 1993) veräußerte die Klägerin zwei Wohnungen in Block A (im Jahr 1992) sowie einen Laden und vier Wohnungen in Block A, drei Wohnungen in Block B und drei Wohnungen in Block C (im Jahr 1993).

In der auf die Streitjahre folgenden Zeit verkaufte sie folgende Objekte:

  • 1994 fünf Wohnungen in Block A, drei Wohnungen in Block B und fünf Wohnungen in Block C,

  • 1995 eine Wohnung in Block B, im Jahr 1996 eine Wohnung in Block C,

  • 1997 fünf Läden und zwei Wohnungen in Block A, einen Laden und zwei Wohnungen in Block B sowie einen Laden und eine Wohnung in Block C.

Nach Darstellung der Klägerin veräußerte sie im Dezember 1997 die bis dahin nicht verkauften Wohnungen und Läden an einzelne Gesellschafter. Nur die Tiefgarage behielt die Klägerin in ihrem Eigentum. Im Zeitpunkt der jeweiligen Veräußerungen standen 14 der Wohnungen leer, die übrigen waren vermietet.

Die Klägerin erklärte für die Jahre 1984 bis 1993 jeweils negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Für die Streitjahre (1992 und 1993) wiesen ihre „Einnahme-Überschuss-Rechnungen” neben den laufenden Verlusten Veräußerungsgewinne in Höhe von 50 613 DM bzw. 373 914 DM aus, die ihrer Ansicht nach jedoch nicht der Besteuerung unterlagen. Dagegen behandelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Veräußerungsgewinne als Einkünfte aus einem gewerblichen Grundstückshandel. Die hiergegen gerichteten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.

Mit der nachfolgenden Klage machte die Klägerin geltend, die Veräußerungen seien sämtlich außerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren seit Erwerb bzw. Fertigstellung erfolgt. Ein gewerblicher Grundstückshandel könne daher nur gegeben sein, wenn sich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles feststellen ließe, dass die Wohnungen von der Klägerin schon in Veräußerungsabsicht errichtet worden seien. Dies sei aber nicht der Fall.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, nachdem es einen der Gründungsgesellschafter als Zeugen gehört hatte.

Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt ist. Die Klägerin macht geltend, das FG-Urteil weise einen Verfahrensfehler auf, da es wegen des Fehlens jeglicher Beweiswürdigung nicht mit Gründen versehen sei. Außerdem sei die Vorentscheidung willkürlich, so dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere.

Die Beschwerde ist begründet.

1. Das Urteil des FG beruht auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das finanzgerichtliche Urteil ist „nicht mit Gründen versehen” (§ 119 Nr. 6 FGO).

Der Mangel, dass ein Urteil nicht mit Gründen versehen ist, liegt nicht nur dann vor, wenn das Urteil überhaupt keine Entscheidungsgründe enthält, aber andererseits auch nicht schon dann, wenn die Gründe in irgendeiner Beziehung lückenhaft oder unvollständig sind. Für die Annahme eines Verstoßes ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass zu wesentlichen Streitpunkten, z.B. in Bezug auf einzelne Ansprüche oder einzelne Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die Erwägungen, die die Vorinstanz zu seiner Entscheidung geführt haben, nicht erkennbar sind (so schon , BGHZ 39, 333; Stein/Jonas/ Grunsky, Zivilprozessordnung, 21. Aufl., § 551 Rdnr. 25).

Demzufolge ist eine Entscheidung „nicht mit Gründen versehen”, wenn eine Beweiswürdigung gänzlich fehlt (BGH-Beschluss in BGHZ 39, 333, 338; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 551 Rdnr. 27; Wenzel in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl., § 551 RdNr. 17; Albers in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, § 547 Rz. 14; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 25; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 105 FGO Tz. 18 —Brandis— und § 119 FGO Tz. 84 —Seer—). Das hat der BFH angenommen in einem Fall, in dem das FG einen Zeugen vernommen, jedoch gleichwohl nach § 105 Abs. 5 FGO von einer Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen hat (, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707).

Die Abgrenzung zwischen Fehlern, die das Urteil als nicht hinlänglich begründet erscheinen lassen, und Mängeln, die ein solches Gewicht nicht erreichen, ist nach dem Sinn des Begründungszwangs vorzunehmen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 24, m.w.N.). Die Beteiligten sollen Kenntnis davon haben, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom X R 7/93, BFH/NV 1994, 491, und vom VIII R 80-82/93, BFH/NV 1995, 416, 418, jeweils m.w.N.).

a) Hiervon ausgehend fehlt im Streitfall jede Beweiswürdigung. Zwar trifft es entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht zu, dass das FG die Aussage des Zeugen B überhaupt nicht erwähnt habe. Es zitiert vielmehr auf S. 8 der Urteilsreinschrift die „Aussage von Herrn B in der mündlichen Verhandlung”. Entscheidend ist jedoch, dass das FG die Äußerungen des Zeugen, denen zufolge die Gesellschafter beim Erwerb des Grundbesitzes und seiner Bebauung nur ihre Altersversorgung im Auge hatten und eine „schnelle Verwertung” nicht beabsichtigt war, weder erwähnt noch gewürdigt hat.

Allerdings wägt das FG-Urteil die aus objektiven Umständen erkennbaren Indizien, die für oder gegen eine von Anfang an bestehende, zumindest bedingte Veräußerungsabsicht sprechen, ausführlich gegeneinander ab (S. 7 Mitte bis 9 der Urteilsreinschrift). Es kommt zu dem Ergebnis, dass mehrere Beweisanzeichen den Schluss zuließen, die Klägerin habe von Anfang an eine zumindest bedingte Veräußerungsabsicht gehabt, wohingegen die von der Klägerin angeführten Umstände (z.B. die Art und Weise der Vermietung) nicht aussagekräftig seien. Damit sind aber nur die aus den objektiven Umständen erkennbaren Indizien gewürdigt. An einer Würdigung des Beweises „Zeugenvernehmung B” fehlt es.

Ein anderes Ergebnis lässt sich nicht aus der Erwägung herleiten, es liege auf der Hand, dass das FG dem Zeugen B nicht geglaubt habe. Der Verfahrensmangel des § 119 Nr. 6 FGO ist rein formaler Art (Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 551 Rdnr. 26). Wie der BFH im Urteil in BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707 zutreffend entschieden hat, kann die Rechtsfolge des § 119 Nr. 6 FGO nicht davon abhängig gemacht werden, ob das Ergebnis der Beweisaufnahme offensichtlich war und auf der Hand gelegen hat. Zum einen könnte das Revisionsgericht diese Unterscheidung nicht treffen, ohne selbst erstmals den erhobenen Zeugenbeweis zu würdigen. Zum anderen sollte das Verfahrensrecht im Interesse der Rechtsklarheit nicht mit vermeidbaren Unsicherheiten belastet werden.

b) Aber selbst wenn man der Auffassung sein wollte, infolge der Würdigung der Indizien fehle nicht „jegliche” Beweiswürdigung, kann das FG-Urteil keinen Bestand haben. Die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, ist verfahrensfehlerhaft, wenn das FG seiner Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO nicht nachkommt oder Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens entgegen dem Gebot des § 96 Abs. 1 FGO unberücksichtigt lässt (BFH-Beschlüsse vom X B 188/95, BFH/NV 1996, 747, und vom X B 46/97, BFH/NV 1998, 602; , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1999, 3191; Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rz. 26; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 76; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 551 Rdnr. 27).

Im Streitfall ist zwar angesichts des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen Zeugenvernehmung und Urteilsberatung kaum anzunehmen, dass das FG die Aussage des Zeugen B übersehen hat. Darauf kann es jedoch nicht ankommen, wenn jegliche Auseinandersetzung mit der Zeugenaussage fehlt (ähnlich BGH-Urteil in NJW 1999, 3191). Den Urteilsgründen muss zu entnehmen sein, aufgrund welcher Unterlagen oder Erwägungen der Tatrichter zu den seiner Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen und seinen rechtlichen Folgerungen gelangt ist (, BFH/NV 1999, 52). Das Verhalten des FG im Streitfall weist zudem eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fall auf, dass das Gericht aufgrund der von ihm als eindeutig angesehenen Indizien einen angebotenen Beweis erst gar nicht erhebt. Auch in diesem Fall wäre das Urteil wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 1 FGO (vorweggenommene Beweiswürdigung) mit einem Verfahrensfehler behaftet.

2. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Diese Verfahrensweise drängt sich schon deswegen auf, weil das FG den Zeugen wegen des Gebotes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§§ 81, 103 FGO) erneut wird vernehmen müssen, sofern die Beteiligten hierauf nicht verzichten.

a) Sodann wird das FG abzuwägen haben, welches Gewicht der Zeugenaussage angesichts der aus den objektiven Tatsachen herzuleitenden Indizien zukommt.

b) Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten weist der Senat —ohne Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO— auf Folgendes hin:

Es kommt für die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. darauf an, ob auch nach dem Beschluss des Großen Senats des (BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291) gewerblicher Grundstückshandel bereits bei Vorliegen einer bedingten Veräußerungsabsicht anzunehmen ist. Die Folgerechtsprechung hat mittlerweile herausgearbeitet, dass in den Fällen, in denen die „Drei-Objekt-Grenze” nicht überschritten ist, ein gewerblicher Grundstückshandel nur dann angenommen werden kann, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass die Tätigkeiten, die in ihrer Gesamtheit das Merkmal der Nachhaltigkeit erfüllen, mit unbedingter Veräußerungsabsicht ausgeübt worden sind (vgl. , BFHE 200, 293, BStBl II 2003, 238 unter II.3.a; vom VIII R 40/01, BFHE 201, 180, BStBl II 2003, 294 unter 3.b).

Hat der Steuerpflichtige dagegen mehr als drei Grundstücke veräußert, lässt es auch die nach der Entscheidung des Großen Senats in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291 ergangene Rechtsprechung genügen, dass er bei Erwerb oder Bebauung des Grundstücks lediglich die bedingte Absicht zu einer späteren Veräußerung hatte und zwar auch insoweit, als die Grundstücke später als fünf Jahre nach ihrem Erwerb oder ihrer Bebauung veräußert wurden (vgl. , BFHE 200, 304, BStBl II 2003, 133; vom IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; vom X R 74/99, BFHE 200, 380, BStBl II 2003, 245; vom IX R 77/99, BFH/NV 2003, 911).

Dabei ist naturgemäß die Einschränkung zu machen, dass die bedingte Absicht, den erworbenen Grundbesitz irgendwann —ggf. nach langjähriger Nutzung— zu veräußern, nicht darauf hindeutet, dass der Bereich der privaten Vermögensverwaltung verlassen wird. Das folgt daraus, dass die Aufteilung und Veräußerung von Grundstücken, die der Steuerpflichtige über einen langen Zeitraum selbst bewohnt oder vermietet, als (letzte) Akte der Vermögensverwaltung anzusehen sind. Ein solcher langer Zeitraum beträgt nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV A 6 -S 2240- 46/04 (BStBl I 2004, 434, Tz. 2) mindestens 10 Jahre, nach dem (BFH/NV 1997, 396 unter 3.) „wesentlich länger als 10 Jahre”. Die bedingte Veräußerungsabsicht muss sich demnach auf einen Zeitraum unterhalb dieser Grenzen erstrecken.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1411
BFH/NV 2004 S. 1411 Nr. 10
OAAAB-24798