Steuerrechtliche Anerkennung eines Mietvertrags zwischen nahen Angehörigen bei fortbestehendem dinglichem Wohnungsrecht des Mieters am Mietobjekt
Gesetze: EStG § 21
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb mit notariellem Vertrag vom von ihrer Mutter ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. Sie verpflichtete sich, das vorhandene Wohnhaus abzutragen, zwei Wohnhäuser zu errichten und der Mutter eines der Wohnhäuser gegen eine noch auszuhandelnde angemessene Miete zur Verfügung zu stellen; diese sollte die Kosten für Strom, Wasser und Beheizung des Hauses tragen. Gleichzeitig räumte die Klägerin ihrer Mutter ein lebenslängliches Wohnungsrecht an diesem Haus ein und verpflichtete sich, sie bei Pflegebedürftigkeit unentgeltlich zu pflegen oder pflegen zu lassen. Zur Sicherung der Nutzungsüberlassung sowie der Pflegeverpflichtung bewilligten die Vertragsparteien die Eintragung eines Altenteilsrechtes in das Grundbuch.
Entsprechend den notariellen Vereinbarungen errichtete die Klägerin auf dem übertragenen Grundstück nach Abriss der vorhandenen Bebauung ein Doppelhaus. Eines der beiden Häuser bezog sie selbst; das andere wurde im Dezember des Jahres 1990 (Streitjahr) von der Mutter der Klägerin bezogen.
Im Februar 1992 schloss die Klägerin mit ihrer Mutter über das nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) bereits seit bestehende Mietverhältnis einen schriftlichen Mietvertrag ab. Danach betrug die von der Mutter zu zahlende monatliche Miete einschließlich Nebenkosten zunächst 650 DM; im Januar 1994 wurde sie auf 800 DM erhöht. Die Aufwendungen für Strom, Gas und Wasser hatte die Mutter unmittelbar an die entsprechenden Versorgungsunternehmen zu zahlen. Nach den Feststellungen des FG wurde der geschuldete Mietzins vereinbarungsgemäß an die Klägerin entrichtet.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin für die an ihre Mutter überlassene Doppelhaushälfte einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung geltend, den der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) nach Durchführung einer steuerlichen Außenprüfung nicht anerkannte.
Der dagegen nach erfolglosem Einspruch eingelegten Klage gab das FG statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 21 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Im Streitfall sei der Erwerb des Grundstücks gegen die Verpflichtung, es mit einem Wohnhaus zu bebauen und der Veräußererin an dem Gebäude ein dingliches Wohnungsrecht zu bestellen, als Tauschgeschäft zu behandeln.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid unter Berücksichtigung eines zu versteuernden Einkommens von ... DM aufgrund geänderter Kinderfreibeträge —ohne weitere Korrekturen— geändert.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin einen über 38 970 DM hinausgehenden Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung begehrt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG gemäß § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahin gehend zu berichtigen, dass die Einkommensteuer 1990 unter Minderung der Bemessungsgrundlage um 78 412 DM geändert wird, und die Revision zurückzuweisen.
Das FG habe die Einkommensteuer durch ein offensichtliches Versehen zu hoch festgesetzt. Denn das FG habe dem Begehren der Klägerin in den Gründen seiner Entscheidung voll umfänglich stattgegeben, jedoch irrtümlich das vom FA zu Unrecht um 78 412 DM erhöhte zu versteuernde Einkommen nicht um denselben Betrag, sondern lediglich um den vom FA anerkannten Werbungskostenüberschussbetrag von 49 020 DM gemindert. Infolge dieser Zahlenverwechslung habe das FG die Einkommensteuer für das Streitjahr im Tenor seiner Entscheidung nicht auf den zutreffenden Betrag von ... DM, sondern auf ... DM festgesetzt.
II. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 107 FGO wegen offenbarer Unrichtigkeit zu korrigieren.
1. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt ersichtlich vor, weil das FG ausweislich der Urteilsgründe den von der Klägerin geltend gemachten Werbungskostenüberschuss uneingeschränkt berücksichtigen und deshalb die vom FA vorgenommene Einnahmeerhöhung um 78 412 DM außer Ansatz lassen wollte, gleichwohl aber das vom FA angesetzte zu versteuernde Einkommen nicht um den Betrag der erfolgreich angefochtenen Einnahmeerhöhung, sondern (nur) um den Betrag des Werbungskostenüberschusses vermindert hat. Somit stimmt der erkennbar gewollte Inhalt der gerichtlichen Aussage —wie er aus den Urteilsgründen deutlich wird— mit dem im Tenor erklärten Text des Urteils nicht überein.
2. Zuständig für die Berichtigung ist nach Anhängigkeit des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz —wie im Streitfall— der Bundesfinanzhof —BFH— (vgl. , BFHE 95, 97, BStBl II 1969, 340; vom VIII R 128/76, BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36; , BFH/NV 1993, 426). Die berichtigte Fassung tritt an die Stelle der ursprünglichen Fassung und ist allein maßgeblich für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (Bundesgerichtshof —BGH—, Beschluss vom XII ZB 114/92 (Frankfurt), Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 1399, m.w.N.).
III.
Die aufgrund der Berichtigung des FG-Urteils und der dadurch gegebenen Beschwer des FA zulässige Revision ist unbegründet.
Sie führt zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil sich während des Revisionsverfahrens der angefochtene Verwaltungsakt, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hat, geändert hat (, BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589). Gleichwohl ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (vgl. , BFH/NV 2002, 1409); denn die Klage, über die der Senat nach den §§ 100, 121 FGO angesichts der Spruchreife der Sache selbst entscheidet (vgl. , BFH/NV 1992, 759), ist begründet.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Streitjahr einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung in der geltend gemachten Höhe erzielt hat.
1. Dem streitigen Mietverhältnis ist entgegen der Auffassung des FA die steuerrechtliche Anerkennung nicht zu versagen.
a) Ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung: , BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214, vom IX R 5/00, BFHE 201, 246, BStBl II 2003, 509, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; , BFHE 190, 173, BStBl II 2000, 224). Auch Angehörigen steht es danach frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214).
b) Danach liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts bei Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen nicht schon deshalb vor, weil das Objekt vor der Vermietung vom jetzigen Mieter auf den Vermieter übertragen wurde.
Dem Eigentümer eines Immobilienobjekts steht es nämlich frei, dieses ohne jede Auflage oder Einschränkung zu übertragen oder im Zuge der entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung mit dem Erwerber eine —wie auch immer geartete— Nutzungsmöglichkeit für sich vorzusehen (, BFHE 156, 403, BStBl II 1989, 872). Deshalb ist es nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nicht unangemessen, ein Grundstück unter gleichzeitiger Vereinbarung eines Mietvertrages mit dem vormaligen Eigentümer —auch wenn es sich um einen Angehörigen handelt— zu übertragen (vgl. dazu , BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158; vom IX R 51/94, BFH/NV 1997, 404; , BFH/NV 1997, 406, m.w.N.).
Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass die Eigentumsübertragung einerseits und die anschließende Vermietung andererseits jeweils zivilrechtlich und wirtschaftlich getrennt und deshalb auch steuerrechtlich grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen sind.
c) Auch ein Nebeneinander von Wohnungsrecht und Mietvertrag ist zivilrechtlich zulässig und steuerrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Über dieselbe Wohnung kann ein Mietvertrag und gleichzeitig oder auch nachträglich ein dingliches Nutzungsrecht bestellt werden (Entscheidungen des , Der Deutsche Rechtspfleger 1974, 187; vom V ZR 221/64, Betriebs-Berater 1968, 767; vom V ZR 29/98, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht —ZIP— 1999, 404; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 372 f.; Rothe in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des BGH, § 1093 Rn. 5). Dementsprechend steht ein Nebeneinander von Mietvertrag und Wohnungsrecht grundsätzlich auch der steuerrechtlichen Berücksichtigung des Mietvertrags nicht entgegen (, BFHE 190, 125, BStBl II 1999, 826).
d) Im Übrigen ist der zwischen den Vertragsparteien geschlossene Mietvertrag steuerrechtlich anzuerkennen, wenn er zum einen bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen ist und darüber hinaus sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht; dabei schließt nicht jede Abweichung vom Üblichen notwendigerweise die steuerliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus (, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106; vom IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196).
2. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nicht gegeben und das Mietverhältnis steuerrechtlich anzuerkennen.
a) Nach den vom FA nicht angegriffenen und demnach für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG ist die Nutzungsüberlassung auch hinsichtlich der Entgeltzahlungen wie unter Fremden Dritten vereinbart und tatsächlich durchgeführt worden.
b) Die Annahme einer entgeltlichen Nutzungsüberlassung wird insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beteiligten im Grundstücksübertragungsvertrag vom gleichzeitig die Bestellung eines Wohnungsrechts i.S. des § 1093 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu Gunsten der Mutter der Klägerin vereinbart haben. Denn eine die erkennbaren Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Auslegung des Übertragungsvertrages, die der Senat selbst vornehmen kann (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 24), ergibt, dass die Klägerin ihrer Mutter die Nutzung der Doppelhaushälfte gegen Entgelt überlassen hat. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob im Streitfall von einem Mietvertrag oder von der Einräumung eines entgeltlichen Wohnungsrechts auszugehen ist, da auch in letzterem Fall die laufenden monatlichen Zahlungen der Mutter grundsätzlich Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung der Klägerin darstellen (, BFH/NV 1996, 598, m.w.N.).
Der Senat weicht mit dieser Auslegung des Übertragungsvertrages nicht von seiner Entscheidung vom IX R 265/87 (BFHE 163, 560, BStBl II 1992, 718) ab; der Sachverhalt jener Entscheidung unterscheidet sich wesentlich von den hier zu beurteilenden tatsächlichen Umständen.
Während Gegenstand der Entscheidung in BFHE 163, 560, BStBl II 1992, 718 ein in Leistung und Gegenleistung ausgewogener Übergabevertrag mit ausdrücklich vereinbarter unentgeltlicher Überlassung der vom Erwerber zu errichtenden Wohnung war und deshalb als Anschaffungsvorgang gewertet wurde, sollte die Klägerin im Streitfall nach den ausdrücklich getroffenen und tatsächlich umgesetzten Vereinbarungen für die Überlassung der von ihr zu errichtenden Wohnung eine angemessene Miete erhalten. Angesichts dieser Umstände ist die tatsächliche Würdigung des FG, die Grundstücksübertragung sei als unentgeltliche Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge anzusehen (vgl. , BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847; , BFH/NV 1997, 344) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 1265
BFH/NV 2004 S. 1265 Nr. 9
KAAAB-23784