Darlegung der grds. Bedeutung; Erforderlichkeit einer Entsch. des BFH zur Sicherung der Rechtseinheit; Rüge des Übergehens eines Beweisantrags
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 4 K 878/01
Gründe
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zusammen mit dem Geschäftsführer O als weiterer Geschäftsführer für eine GmbH tätig, über deren Vermögen inzwischen die Gesamtvollstreckung eröffnet worden ist. Mit Beschluss vom…wurde O als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung abberufen und zugleich der als Ingenieur tätige S in Abwesenheit zum weiteren Geschäftsführer ernannt. Dieser lehnte jedoch seine Bestellung zum Geschäftsführer ab und wurde dementsprechend auch nicht im Handelsregister eingetragen. Für die Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume November 1994 bis April 1995 wurden von der GmbH Steuern nicht entrichtet. Die Besteuerungsgrundlagen für den Monat Juli 1995 wurden mangels eingereichter Steuererklärung geschätzt. Die geschuldeten Umsatzsteuern nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen wurden nicht entrichtet. Mit Haftungsbescheid vom…nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger als Haftungsschuldner für die nicht entrichteten Steuern nebst Zuschlägen in Anspruch. Das FA begründete die alleinige Inanspruchnahme des Klägers damit, dass der weitere Geschäftsführer O abberufen und der Ingenieur S nicht als Geschäftsführer tätig geworden sei. Auch dessen Eintragung in das Handelsregister sei unterblieben. Der Einspruch des Klägers gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos. Dagegen hatte die Klage teilweise Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die vom FA festgesetzte Haftungsquote in Höhe von 100 % rechtswidrig sei. Ausweislich der Unterlagen des Gesamtvollstreckungsverwalters, die auch dem FA vorgelegen hätten, seien die finanziellen Möglichkeiten der GmbH zumindest seit März 1995 erheblich eingeschränkt gewesen. Der Geschäftsbetrieb sei Anfang September 1995 vollständig eingestellt worden. Bereits seit April 1995 sei die GmbH mit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge an die Krankenkasse in erheblichem Umfang in Rückstand geraten. Spätestens seit März 1995 seien darüber hinaus erhebliche Steuerrückstände aufgetreten. Da zuverlässige Angaben zur Liquiditätslage der GmbH im Jahre 1995 nicht mehr zu erlangen seien, sehe sich das FG veranlasst, die Haftungsquote im Schätzwege zu ermitteln. Da außer den bei der Krankenkasse aufgelaufenen Rückständen keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der GmbH vorhanden seien, werde die Tilgungsquote griffsweise mit 50 % geschätzt. Die ab dem…fällig gewordenen Steuerschulden könnten keine Berücksichtigung finden, denn evtl. erfolgte Zahlungen an das FA hätte der Gesamtvollstreckungsverwalter nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) anfechten müssen.
Gegen die erstinstanzliche Erkenntnis wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht geltend, dass im Streitfall von einer Haftungsquote von weniger als 50 % auszugehen sei. Wie das FG von einer Haftungsquote von 50 % ausgehen könne, sei in Anbetracht der Urteilsbegründung nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Haftungsbeschränkung infolge der Anfechtbarkeit nach der GesO verkenne das FG, dass nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO nicht der Zeitpunkt des Antrages auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, sondern der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung maßgebend sei. Das FG habe festgestellte Tatsachen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung unterzogen. Darüber hinaus habe der Kläger schriftsätzlich einen Zeugenbeweis angeboten, den das FG jedoch nicht berücksichtigt habe.
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Der Kläger hat keine Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO entsprechend den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Mit dem bloßen Hinweis, dass das angegriffene Urteil Mängel aufweise, und mit der Behauptung, die Ermittlung der Tilgungsquote sei nicht nachvollziehbar, wird kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO in der erforderlichen Weise dargelegt. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung wird aus dem Vortrag auch nicht ansatzweise erkennbar.
Sollte das Vorbringen dahin gehend verstanden werden können, dass der Kläger die Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) begehrt, so ist auch dieser Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wäre eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, wenn das erstinstanzliche Urteil von Entscheidungen anderer Gerichte abweicht oder willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. , BFH/NV 2004, 166, m.w.N.). Mit diesem Zulassungsgrund soll eine Zulassung der Revision ermöglicht werden, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts schwerwiegende Fehler unterlaufen sind, die von so erheblichem Gewicht sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Verfahrensgrundrechte oder das aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Recht eines Beteiligten auf willkürfreie gerichtliche Entscheidung durch das Urteil des FG verletzt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798, und vom IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25).
Nach Auffassung des Senats leidet das erstinstanzliche Urteil nicht an so schwerwiegenden Fehlern, dass sein Fortbestand mit grundrechtlich geschützten Positionen nicht vereinbar wäre. Der Kläger hat solche schwerwiegenden Fehler auch nicht explizit vorgetragen. Seine Ausführungen erschöpfen sich in einer Wiedergabe des Urteilstextes und in der nicht näher begründeten Behauptung, das Schätzungsergebnis sei nicht nachvollziehbar. Das FG hat jedoch begründet, warum im Streitfall eine exakte Ermittlung der Haftungsquote nicht möglich gewesen sei und zumindest einige Anhaltspunkte für die von ihm vorgenommene Schätzung gegeben (Annahme der eingeschränkten Zahlungsunfähigkeit seit April 1995; keine Steuerentrichtung für die Umsatzsteuervoranmeldungszeiträume November 1994 bis April 1995 sowie für Juli 1995). Einen Akt der Willkür vermag der Senat in der Entscheidung des FG nicht zu erkennen.
Soweit der Kläger die unzutreffende rechtliche Würdigung der festgestellten Tatsachen und eine seiner Ansicht nach fehlerhafte Anwendung der GesO durch Missachtung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 1. Alternative GesO rügt, kann auch dieses Vorbringen nicht zu einer Zulassung der Revision führen. Denn Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 24 und § 116 Rz. 34, jeweils m.w.N.).
Schließlich wird auch ein Verfahrensmangel von der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt. Zur Darlegung des Verfahrensmangels eines übergangenen Beweisantrages i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört u.a. der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 214/03, BFH/NV 2004, 378, m.w.N.). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter —ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge— verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust, so z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrages kann nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung seines Beweisantrages erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). Den aufgezeigten Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er in der mündlichen Verhandlung das Übergehen des von ihm schriftsätzlich angebotenen Zeugenbeweises gerügt habe oder weshalb ihm dies nicht möglich war. Auch aus dem Sitzungsprotokoll des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte auf eine solche Rüge.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAB-22089