BFH Beschluss v. - X B 176/03

Anforderungen an die Darlegung der grds. Bedeutung (hier: Schätzung hinterzogener Steuern)

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat nicht schlüssig dargelegt, dass den von ihr formulierten Rechtsfragen eine grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—; vgl. unten 1.). Ebenso wenig rechtfertigt § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs —BFH— zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) die Zulassung der Revision (vgl. unten 2.). Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist auch nicht willkürlich (vgl. unten 3.).

1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht schlüssig (substantiiert) dargelegt.

a) Eine solche schlüssige Darlegung erfordert ein konkretes und substantiiertes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 117/01, juris-Nr:STRE200251200, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 116 Rz. 32, m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung zur grundsätzlichen Bedeutung nicht.

Die Ausführungen der Klägerin beschränken sich darauf, die aus ihrer Sicht klärungsbedürftigen Fragen aufzuwerfen:

- Darf die Schätzung hinterzogener Steuern auf Wahrscheinlichkeitserwägungen gestützt werden?

- Können Kapitalerträge geschätzt werden, obwohl es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach nicht versteuerte Einnahmen stets verzinslich angelegt werden?

Sie lassen keine über das Interesse der Klägerin am Ausgang dieses Verfahrens hinausreichende, allgemein interessierende, klärungsbedürftige und in diesem Rechtsstreit klärungsfähige Rechtsfrage erkennen. Dies hätte hier außerdem eines besonderen, in der Beschwerdeschrift versäumten Begründungsaufwands (vor allem auch einer eingehenden Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur; s. z.B. , BFH/NV 1999, 804; Gräber, a.a.O., § 116 Rz. 32) deshalb bedurft, weil die von der Klägerin angesprochenen Rechtsfragen, sofern sie nicht überhaupt nur die Rechtsanwendung im Einzelfall betreffen, als grundsätzlich geklärt anzusehen sind: Das gilt ganz allgemein für die Fragen des Verhältnisses von Sachaufklärung und Mitwirkung, des Beweismaßes und der Feststellungslast in (Teil-) Schätzungsfällen (s. Senatsurteil vom X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; Gräber, a.a.O., § 76 Rz. 28 ff., § 96 Rz. 13; vgl. auch , BFH/NV 1999, 741).

c) Auch wenn sich nach der Gesetzesbegründung zu § 115 Abs. 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I 2000, 1757) die Grundsatzrevision nicht auf Fälle der Rechtsfortbildung und -vereinheitlichung beschränkt, sondern alle Tatbestände einbezieht, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht, kommt die Zulassung der Revision im Streitfall nicht in Betracht. Fehler bei der Auslegung revisiblen Rechts können —so die Gesetzesbegründung weiter— über den Einzelfall hinaus nur dann das allgemeine Interesse nachhaltig berühren, wenn sie z.B. von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Nur in diesem Falle kann es geboten sein, der Rechtspraxis auch dann eine höchstrichterliche Orientierungshilfe zu geben, wenn die engen Zulassungsgründe des früheren Rechts nicht vorliegen (BTDrucks 14/4061). Solche Fehler vermag der Senat in der Entscheidung des FG nicht zu erkennen, da sich die Rügen der Klägerin durchweg gegen die Beweiswürdigung des FG richten. Die Beweiswürdigung betrifft indessen nur den entschiedenen Einzelfall und berührt das allgemeine Interesse nicht.

2. Die Klägerin hat auch die Abweichung des finanzgerichtlichen Urteils von einer Entscheidung des BFH nicht schlüssig dargelegt. Dazu müssen ein tragender abstrakter Rechtssatz des Urteils des FG und die ebenfalls tragenden Rechtsausführungen der Divergenz-Entscheidung so herausgearbeitet und gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom VIII B 47/99, BFH/NV 2000, 329; vom VII B 41/01, BFH/NV 2002, 932; vom X B 140/01, BFH/NV 2002, 1046). Als solche reicht weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die fehlerhafte Anwendung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls aus (vgl. BFH in BFH/NV 2002, 1046). Erforderlich ist die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen. Daran fehlt es im Streitfall.

Das FG hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschluss vom VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749, m.w.N.) erkannt, dass der Grundsatz „in dubio pro reo„ auch im Steuerfestsetzungsverfahren zu beachten sei und dass es dieser Grundsatz ausschließe, die Schätzung hinterzogener Steuern —entsprechend den allgemeinen Grundsätzen im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten— auf Wahrscheinlichkeitserwägungen, also auf ein reduziertes Beweismaß zu stützen und an der oberen Grenze des für den Einzelfall zu beachtenden Schätzungsrahmens auszurichten. Das FG ging ferner in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass Finanzamt (FA) und FG auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens von der Höhe der Steuerhinterziehung überzeugt sein müssen. Nicht behebbare tatsächliche Zweifel dürften selbst dann nicht im Rahmen der grundsätzlich zulässigen Schätzung des Hinterziehungsbetrages zu Lasten des Steuerpflichtigen gewürdigt werden, wenn die Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten auf der unterbliebenen Mitwirkung des Steuerpflichtigen beruhe.

Sofern die Klägerin rügt, das FG habe den auch im Festsetzungsverfahren zu beachtenden Grundsatz „in dubio pro reo„ missachtet und die Schätzung ihrer gewerblichen Einkünfte auf Wahrscheinlichkeitserwägungen, d.h. auf ein reduziertes Beweismaß gestützt, wendet sie sich gegen die fehlerhafte Anwendung anerkannter Schätzungsgrundsätze und das ihrer Ansicht nach unzutreffende Schätzungsergebnis sowie die nur unzureichende Umsetzung der BFH-Rechtsprechung (zu Schätzungsfällen) durch das FG. Damit macht sie eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung geltend, nicht jedoch eine Abweichung im Grundsätzlichen. Insofern rügt die Klägerin materiell-rechtliche Fehler, also die inhaltliche Richtigkeit des FG-Urteils, womit jedoch nach dem abschließenden Katalog des § 115 Abs. 2 FGO die Zulassung der Revision (weder wegen Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung noch als Verfahrensmangel) nicht erreicht werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 188/95, BFH/NV 1996, 747; in BFH/NV 1999, 741; vom V B 107/00, BFH/NV 2002, 931).

3. Auch die weitere Rüge der Klägerin, das FG habe für die Jahre 1995 bis 1998 Einkünfte aus Kapitalvermögen geschätzt, obwohl —auch nach Auffassung des FG— einen Steuerpflichtigen keine Verpflichtung treffe, für seine Privataufwendungen eine Buchführung einzurichten bzw. Nachweise aufzuheben und es auch keinen Erfahrungssatz dahin gehend gebe, dass nicht versteuerte Einnahmen stets verzinslich angelegt werden, führt nicht zur Zulassung der Revision. Insbesondere beruht die finanzgerichtliche Entscheidung insoweit nicht auf Willkür (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Zum einen ist weder dargelegt noch anderweitig erkennbar, dass das FG die Kapitalerträge bewusst zum Nachteil der Klägerin geschätzt hätte. Darüber hinaus war es bemüht, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln. Mit Berichterstatterschreiben vom wurde die Klägerin ohne Erfolg gemäß § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, bis zum u.a. Bankbescheinigungen über sämtliche Bankkonten mit Verfügungsberechtigung ihres Ehemannes für den Zeitraum 1988 bis 1998, Verwendungsnachweise über Barentnahmen im Prüfungszeitraum und Nachweise über die Mittelherkunft verbuchter Privateinlagen einzureichen. Auch das weitere Schreiben vom , mit dem das FG die Klägerin aufforderte nachzuweisen, auf welchem Konto der Verrechnungsscheck einer Versicherungsgesellschaft eingelöst worden war, führte nicht zum Erfolg.

Zwar hat das FG für die Jahre, für die bereits zu Beginn der Betriebsprüfung die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) abgelaufen war, die Schätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen mit der Begründung abgelehnt, es gebe keinen Erfahrungssatz, dass nicht versteuerte Einnahmen stets verzinslich angelegt werden. Diese Entscheidung hat das FG jedoch auf den Grundsatz „in dubio pro reo„ gestützt, der in den Streitjahren 1995 bis 1998 —da innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 FGO— nicht heranzuziehen ist.

4. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2006 S. 411
LAAAB-22067