Aufwendungen eines Biologielaboranten für eine Umschulung zum Steuerfachgehilfen als Erbwerbsaufwendungen abziehbar
Gesetze: EStG § 4 Abs. 4, §§ 9, 10, 12
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
Streitig ist, ob bei der Veranlagung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) zur Einkommensteuer 1991, 1992 und 1995 Umschulungskosten als vorab entstandene Betriebsausgaben/Werbungskosten —auch im Wege des Verlustrück- und -vortrags nach § 10d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)— zu berücksichtigen sind.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 1991 als Biologielaborant Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Jahr 1992 schied er aus dem Beschäftigungsverhältnis aus und begann eine Berufsausbildung zum Steuerfachgehilfen mit dem Ziel, sich als Buchführungshelfer selbständig zu machen. Ab April 1995 war er als Angestellter in einer Steuerberaterpraxis tätig.
Während die Einkommensteuer 1991 erklärungsgemäß festgesetzt wurde, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) u.a. für die Streitjahre 1992 und 1995 die Besteuerungsgrundlagen. Gegen die Steuerfestsetzungen 1992 und 1995 erhob der Kläger jeweils Einspruch und reichte zur Begründung die Steuererklärung ein. Hierin gab er u.a. an, ab Dezember 1992 bis einschließlich März 1995 Unterhaltsgeld vom Arbeitsamt bezogen zu haben. Außerdem machte er Verluste aus der angestrebten Tätigkeit als Buchführungshelfer geltend. Im Einzelnen erklärte er die folgenden Verluste aus Gewerbebetrieb, die sich überwiegend aus Fahrtkosten, Verpflegungsmehraufwendungen und Aufwendungen für Literatur und Büromaterial (abzüglich der vom Arbeitsamt gezahlten Kostenerstattungen) zusammensetzten:
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1992 | 474 DM |
1993 | 6 899 DM |
1994 | 12 348 DM |
1995 | 4 737 DM |
Das FA folgte zunächst den Angaben des Klägers und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen entsprechend. Außerdem wurde —aufgrund des Verlustrücktrages aus 1993 in voller Höhe (6 899 DM)— auch die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1991 reduziert. Nachdem das FA den verbleibenden Verlustabzug zum in Höhe von 12 348 DM gesondert festgestellt hatte, berücksichtigte es bei der Steuerfestsetzung für 1992 einen Verlustrücktrag aus 1994 in Höhe von 3 332 DM und setzte die Einkommensteuer für 1992 auf 0 DM fest. Darüber hinaus gewährte es für das Streitjahr 1995 einen Verlustvortrag aus 1994 in Höhe von 12 348 DM (ungekürzt).
Im Jahr 2000 sah das FA die im Zusammenhang mit der Umschulung geltend gemachten Aufwendungen grundsätzlich als Berufsausbildungskosten i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG an und ließ diese nur begrenzt als Sonderausgaben zum Abzug zu. Ferner stellte das FA fest, dass eine gesonderte Feststellung zum Ende des Veranlagungszeitraumes 1994 nicht durchzuführen sei, weil in diesem Jahr kein verbleibender Verlustabzug mehr bestehe (Änderung nach § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG). Daraufhin wurden auch die Einkommensteuerfestsetzungen für 1991, 1992 und 1995 wiederum geändert und entsprechend erhöht, wobei im Streitjahr 1995 der Verlust aus Gewerbebetrieb allerdings nicht gestrichen wurde (Änderung nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG 1991, 1992, 1995 sowie für 1992 nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung —AO 1977—).
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide u.a. für die Streitjahre (1991, 1992 und 1995) wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage.
Er führte aus, die im Zusammenhang mit der Umschulung zum Steuerfachgehilfen angefallenen Aufwendungen stellten vorab entstandene Betriebsausgaben dar. Er habe schon 1992 den Entschluss gefasst, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen, da er gute Chancen gesehen habe, als selbständiger Buchführungshelfer und später als Steuerberater Gewinne zu tätigen. Bereits ab 1994 habe er seine ersten eigenen Mandanten betreut. Im Rahmen seines Entschlusses, sich als Buchführungshelfer selbständig zu machen, seien die Kurs- und Seminarkosten entstanden. Damit sei ein objektiver wirtschaftlicher Zusammenhang mit der geplanten Tätigkeit feststellbar.
Die Klage blieb im Wesentlichen ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Klage gegen den Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1995 begründet sei, soweit ein Verlustvortrag aus 1994 in Höhe von 2 700 DM betroffen sei. Insoweit seien Aufwendungen durch die Tätigkeit als Buchführungshelfer veranlasst. Darüber hinaus sei die Klage aber unbegründet, weil die restlichen Aufwendungen weder als vorab entstandene Betriebsausgaben im Hinblick auf die Tätigkeit als Buchführungshelfer noch als vorab entstandene Werbungskosten im Hinblick auf die nach Abschluss der Umschulung ab April 1995 ausgeübte nichtselbständige Tätigkeit zu qualifizieren seien. Wegen des Berufswechsels handele es sich vielmehr um Berufsausbildungskosten, die im Streitjahr 1992 nur begrenzt als Sonderausgaben abziehbar seien. Aus diesem Grund ergebe sich bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1993 ebenfalls kein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte, so dass mangels eines Verlustrücktrags aus 1993 auch die Einkommensteuerfestsetzung für 1991 entsprechend zu ändern sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 973 veröffentlichten Gründe Bezug genommen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das angefochtene Urteil widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach vorab entstandene Betriebsausgaben oder Werbungskosten anzuerkennen seien, sofern ein hinreichend klarer Zusammenhang der Aufwendungen mit einer späteren betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit bestehe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1991, 1992 und 1995 dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer für 1991 auf 1 763,58 € (3 439 DM), für 1992 auf 0 € (DM) und für 1995 auf 426,15 € (831 DM) festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1991 (nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG in der damals geltenden Fassung) ist dem Grunde nach zu Unrecht erfolgt. Ein rücktragsfähiger Verlust kann im Jahr 1993 entstanden sein. Dabei bedarf es bei einem Verlustrücktrag in voller Höhe keiner vorrangig zu beachtenden gesonderten Verlustfeststellung, so dass ein Steuerpflichtiger den Bescheid des Verlustrücktragsjahres anfechten kann (vgl. , BFHE 186, 379; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 69 FGO Tz. 34).
Aufwendungen für eine Bildungsmaßnahme können, sofern sie beruflich veranlasst sind, Werbungskosten oder Betriebsausgaben sein. Liegt ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang vor, kommt es für die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen nicht darauf an, ob ein neuer, ein erstmaliger oder —wie hier— ein anderer Beruf ausgeübt werden soll. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die Urteile vom VI R 120/01 (BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403, zur Umschulung), vom VI R 137/01 (BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407, zum berufsbegleitenden Erststudium) und vom VI R 33/01 (BFHE 202, 314, BFH/NV 2003, 1119, zur erstmaligen Berufsausbildung) verwiesen. Hiernach können Umschulungskosten auch dann als Erwerbsaufwendungen anzuerkennen sein, wenn die Umschulungsmaßnahme einen Berufswechsel vorbereitet. Entscheidend ist, ob die Bildungsaufwendungen durch die Erzielung von steuerpflichtigen Einnahmen veranlasst sind.
Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen; sein Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist aber nicht spruchreif und an das FG zurückzuverweisen, weil dieses zu den einzelnen vom Kläger für 1993 geltend gemachten Aufwendungen keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat. Im zweiten Rechtszug wird es die erforderlichen Feststellungen u.a. zur beruflichen Veranlassung der Aufwendungen einschließlich der Zuordnung zu einer Einkunftsart nachzuholen haben. Außerdem wird es die Grundsätze der Urteile vom VI R 86/99 (BFHE 202, 299, BStBl II 2003, 749) und vom VI R 137/99 (BFHE 202, 561, BFH/NV 2003, 1380) zu beachten haben. Insbesondere wird zu klären sein, ob die Ausbildungsstätte als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen ist. Das FG wird ebenfalls zu prüfen haben, ob die Fahrtkosten —wie vom Kläger auch so geltend gemacht— um die Kostenerstattungen des Arbeitsamts i.S. des § 45 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zu kürzen sind. Das Unterhaltsgeld i.S. des § 44 AFG ist dabei nicht zusätzlich anzurechnen (, BFH/NV 2004, 134; Bestätigung der Rechtsprechung im , BFHE 122, 265, BStBl II 1977, 507).
2. Soweit die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1992 betroffen ist, hat nur die Rückgängigmachung eines Verlustrücktrags aus 1994 in diesem Jahr steuerliche Auswirkungen. Der Verlust aus der Tätigkeit als Buchführungshelfer in Höhe von 474 DM wurde nunmehr in voller Höhe im Rahmen des Sonderausgabenabzugs berücksichtigt. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den Umständen dieses Verlustrücktrags, u.a. zur Ausübung des Wahlrechts des Klägers, war auch insoweit das Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das angefochtene Urteil beruht insoweit auf einem materiell-rechtlichen Fehler, der von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Tz. 40, m.w.N.).
3. Soweit die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 1995 betroffen ist, liegt ein —von Amts wegen zu berücksichtigender— Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor. Da der Kläger sowohl den Verlustfeststellungsbescheid zur Einkommensteuer zum (Grundlagenbescheid für den nächsten Einkommensteuerbescheid; vgl. Schmidt/ Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 10d Rz. 56; Az. BFH VI R 3/02) als auch den Einkommensteuerbescheid für 1995 (Folgebescheid) wegen der geänderten Höhe des verbleibenden Verlustabzugs angefochten hat, hätte das FG das Verfahren wegen Einkommensteuer 1995 bis zum rechtskräftigen Abschluss des in § 10d Abs. 3 EStG (jetzt Abs. 4) vorgesehenen Feststellungsverfahrens nach § 74 FGO aussetzen müssen. Verstößt ein Urteil gegen die Grundordnung des Verfahrens, so ist eine Prüfung der Erheblichkeit des Verfahrensmangels nicht erforderlich (, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731; vom VIII B 117/87, BFH/NV 1989, 446; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 351 AO 1977 Rz. 148).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 774 Nr. 6
CAAAB-20035