BFH Beschluss v. - III S 19/03

Anforderungen an die Darlegung der hinreichenden Erfolgsaussichten bei Antrag auf PKH (hier: Steuerfestsetzung trotz Sozialhilfeanspruchs; kein voller Abzug der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung)

Gesetze: FGO § 142; EStG § 10 Abs. 3, §§ 31, 32

Instanzenzug:

Gründe

I. Im Revisionsverfahren III R ... ist streitig, ob gegen die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Antragstellerin) Einkommensteuer für 1996 und 1997 festgesetzt werden durfte, obwohl ihr ein Sozialhilfeanspruch in diesen Jahren zustand.

Die Antragstellerin ist ledig und hat zwei minderjährige —1982 und 1989 geborene— Söhne. In den Streitjahren 1996 und 1997 erzielte sie im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, daneben geringfügige —negative— Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte entsprechend den eingereichten Erklärungen die Einkommensteuer im Jahr 1996 auf 1 802 DM und im Jahr 1997 auf 1 846 DM fest. Im Rahmen der Günstigerprüfung ergab sich, dass die gebotene steuerliche Freistellung der Existenzminima für beide Kinder durch das ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 4 800 DM für 1996 und von 5 280 DM für 1997 bewirkt worden ist, so dass bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens keine Kinderfreibeträge angesetzt worden sind.

Mit ihren Einsprüchen gegen die Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 brachte die Antragstellerin vor, die Besteuerung verstoße gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Danach dürfe nur das über das Existenzminimum hinausgehende Einkommen der Besteuerung unterworfen werden. Ihr nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anzurechnendes Einkommen betrage 24 078 DM (1996) und 24 364 DM (1997). Hiervon müsse sie noch die Belastung durch die Einkommensteuer tragen, obwohl der Sozialhilfebedarf für sie und ihre beiden Kinder nach den Richtlinien der Sozialhilfe mit 28 759 DM (1996) und 30 728 DM (1997) jeweils darüber liege.

Im Klageverfahren machte die Antragstellerin nach erfolglosen Einspruchsverfahren geltend, diese „Schieflage„ (vgl. die Berechnung in der Klageschrift vom und des Bezirksamtes) sei bereits dadurch entstanden, dass sie nicht einmal die Sozialversicherungsbeiträge in vollem Umfang habe geltend machen können. Der neben dem beschränkten Abzug der Sonderausgaben gewährte Haushaltsfreibetrag und der Kinderfreibetrag reichten nicht aus, um das Einkommen von der Einkommensteuer freizustellen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und ließ die Revision zu im Hinblick auf das damals beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Verfahren wegen der eingeschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen.

Die Antragstellerin hat mit Einreichung der Revisionsbegründung durch ihren Prozessvertreter für die Durchführung des Revisionsverfahrens beantragt, ihr Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und den Prozessvertreter beizuordnen. Zugleich hat sie eine zeitnahe Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt.

Zur Begründung der hinreichenden Erfolgsaussichten verweist sie vollinhaltlich auf die Revisionsbegründung.

Das FA ist der Gewährung von PKH entgegengetreten.

II. Der Antrag auf Gewährung von PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Revisionsverfahren ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet, weil die Revision bereits bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. § 114 der ZivilprozessordnungZPO—).

1. Der Senat sieht bei summarischer Prüfung der Vorentscheidung auch unter Berücksichtigung des Vorbringens mit der vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin eingereichten Revision keine hinreichenden Erfolgsaussichten für das Revisionsverfahren.

Nach § 142 FGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO erhält ein Prozessbeteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

a) Eine hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich nicht schon daraus, dass das FG die Revision im Hinblick auf ein beim BFH seinerzeit anhängiges Revisionsverfahren wegen der Verfassungsmäßigkeit des nur beschränkten steuerlichen Abzugs von Vorsorgeaufwendungen zugelassen hat. Denn die Zulassung bedeutet nur, dass die Frage, ob der eingeschränkte Abzug der Vorsorgeaufwendungen der Verfassung entspricht, zum Zeitpunkt des FG-Urteils von grundsätzlicher Bedeutung und klärungsbedürftig war. Über die Erfolgsaussichten der Revision sagt die Zulassung nichts aus (vgl. , BFH/NV 2002, 692).

b) Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Revision ist nur gegeben, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin zum Erfolg führen kann. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers nach dessen Sachdarstellung und den vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder mindestens für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für den Eintritt des angestrebten Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (, BFH/NV 2001, 1598, m.w.N.).

Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss berücksichtigt werden, dass der Zweck der PKH darin besteht, eine möglichst weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu gewährleisten, um damit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG Rechnung zu tragen. Deshalb dürfen bei der Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels keine zu großen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere dürfen im PKH-Verfahren keine schwierigen, bislang noch nicht hinreichend geklärten Rechts- oder Tatsachenfragen entschieden werden, deren Entscheidung grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 692, m.w.N. der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung).

Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens treten zu lassen (, BFH/NV 2002, 484; , Deutsches Verwaltungsblatt —DVBl— 2001, 1748).

Wenn auch die Bewilligung von PKH regelmäßig auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkt, so sind gleichwohl für die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag maßgebend (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 1598, m.w.N.). Ist, wie im Streitfall, das Ziel der Rechtsverfolgung die Durchführung des Revisionsverfahrens und ist dieses Rechtsmittel bereits durch eine vor dem BFH zur Vertretung berechtigten Person als Bevollmächtigten fristgerecht eingelegt und begründet worden, so erstreckt sich die gebotene summarische Prüfung der Erfolgsaussichten durch den BFH auch auf die Revisionsbegründung ( (PKH), BFH/NV 2003, 1077).

2. Nach diesen Maßstäben erscheint das Revisionsbegehren der Antragstellerin von vornherein als offensichtlich unbegründet, so dass für die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht besteht.

a) Soweit die Antragstellerin beanstandet, dass der nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) nur eingeschränkte Abzug ihrer Vorsorgeaufwendungen in verfassungswidriger Weise zu gering bemessen sei, hat sie weder die hierzu ergangene verfassungsgerichtliche noch die Rechtsprechung des BFH hinreichend berücksichtigt.

Für die Streitjahre 1996 und 1997 bestand noch keine Pflicht von Verfassungs wegen, den Abzug von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung von der Bemessungsgrundlage in voller Höhe zuzulassen (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1998, 397, 398). Vielmehr ist diese Frage erst im Zuge der Neuordnung der Besteuerung von Alterseinkünften mitzuregeln. Das BVerfG hat den Gesetzgeber auch nicht von Verfassungs wegen als verpflichtet erachtet, die Rechtslage rückwirkend (dort bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996) zu bereinigen (, BStBl II 2002, 618; ferner im Einzelnen , BFHE 200, 529, BStBl II 2003, 179, und vom XI R 17/00, BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650).

b) Soweit die Antragstellerin die Ursache für die „Schieflage„ —einerseits Festsetzung von Einkommensteuer, andererseits Anspruch auf Sozialhilfe— auf eine unzureichende Berücksichtigung des Familienexistenzminimums zurückführt, hat sie offensichtlich unberücksichtigt gelassen, dass das ihr in den Jahren 1996 und 1997 jeweils in voller Höhe für ihre beiden Kinder gewährte Kindergeld im wirtschaftlichen Ergebnis eine vollständige steuerliche Entlastung bewirkt.

Dem Gesetzgeber steht es von Verfassungs wegen frei, ob er die existenzsichernden Aufwendungen für Kinder durch Kindergeld oder durch einen Kinderfreibetrag berücksichtigt (, BFH/NV 2003, 1303, m.umf.N.).

Die existenzsichernden Aufwendungen müssen nach dem tatsächlichen Bedarf —realitätsgerecht— bemessen werden. Untergrenze ist der sozialhilferechtlich anerkannte existenznotwendige Mindestbedarf (vgl. , BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, unter C. I. der Gründe mit Berechnungsbeispielen und weiteren Nachweisen).

Gewährt der Gesetzgeber ein Kindergeld, so ist dieses für die Prüfung, ob es in seiner steuerlichen Entlastungsfunktion den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen gerecht wird, in einen fiktiven Kinderfreibetrag umzurechnen. Hieran hat sich auch durch die Umstellung des bis 1995 geltenden dualen Systems von Kinderfreibeträgen und Kindergeld auf eine alternative Lösung von entweder Kindergeld oder Kinderfreibetrag durch § 31 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 1996 vom (BGBl I 1995, 1250) nichts geändert (vgl. im Einzelnen zu den Auswirkungen , BFH/NV 2002, 908, m.w.N.; die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das , nicht veröffentlicht, nicht zur Entscheidung angenommen).

Nach § 31 Sätze 1 bis 4 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld bewirkt. Soweit es dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie. Im laufenden Kalenderjahr wird das Kindergeld als Steuervergütung monatlich ausgezahlt. Wird die gebotene steuerliche Freistellung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang erreicht, so ist bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag abzuziehen.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 GG kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und in einem bestimmten Umfang zu gewähren und jegliche die Familie betreffenden Belastungen auszugleichen. Vielmehr ist der Gesetzgeber lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen. Dementsprechend besteht auch kein Recht auf Kindergeld als staatliche Hilfe in einer bestimmten Höhe (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 1303, m.w.N.; vom VIII R 65/99, BFHE 201, 195, BStBl II 2003, 593).

Abgesehen davon, dass der BFH die Höhe der Kinderfreibeträge für 1996 bereits mehrfach als verfassungskonform beurteilt hat (vgl. , BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vom VIII R 92/98, BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596; BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 908), hat die Antragstellerin das ihr in den Streitjahren für 1996 in Höhe von insgesamt 4 800 DM und für 1997 in Höhe von 5 280 DM als Steuervergütung monatlich ausbezahlte Kindergeld nicht ihrer Steuerbelastung in Höhe von 1 802 DM im Jahr 1996 und in Höhe von 1 846 DM in 1997 gegenübergestellt.

Ohne dass es für das PKH-Verfahren einer konkreten Umrechnung des Kindergeldes in fiktive Kinderfreibeträge bedürfte, die umso höher ausfallen, je niedriger die individuellen Grenzsteuersätze liegen (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 908, m.w.N.), ist offensichtlich, dass bereits das gewährte Kindergeld die Steuerbelastung der Antragstellerin in den Streitjahren vollständig kompensiert und die Antragstellerin damit im wirtschaftlichen Ergebnis in den Streitjahren gar keine Einkommensteuer zu tragen hatte.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 1 Abs. 1 Buchst. c des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis).

Fundstelle(n):
XAAAB-17479