BFH Beschluss v. - I B 25/03

Keine wirksame Ausschlussfrist gem. § 79b Abs. 2 FGO durch Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen

Gesetze: FGO § 79b

Instanzenzug:

Gründe

I. Weil die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, für die Streitjahre 1999 und 2000 ihre Steuererklärungen nicht abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die Besteuerungsgrundlagen und erließ über die im Rubrum aufgeführten Steuern entsprechende Bescheide. Die Umsatzsteuern wurden dadurch auf 1 500 DM für 1999 und 11 000 DM für 2000, die Körperschaftsteuern und die Gewerbesteuer-Messbeträge nach einem geschätzten Steuerbilanzgewinn von 6 000 DM für 1999 und von 30 000 DM für 2000 jeweils auf 2 400 DM für 1999 und auf 12 000 DM für 2000 und auf 325 DM für 1999 und auf 720,92 € für 2000 festgesetzt.

Gegen diese Bescheide richteten sich zunächst —und ohne weitere Begründung— die Einsprüche und anschließend die Klage vom . Am reichte die Klägerin beim FA für beide Streitjahre Umsatzsteuererklärungen mit einer verbleibenden Umsatzsteuer von jeweils 0 DM ein, die das FA am an das Finanzgericht (FG) weiterleitete. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am legte sie sodann Steuererklärungen auch für die anderen Steuerarten und die Jahresabschlüsse vor, außerdem berichtigte Erklärungen betreffend die Umsatzsteuer. Die Körperschaftsteuern und Gewerbesteuer-Messbeträge betrugen danach für beide Streitjahre jeweils 0 DM, die erklärten Verluste beliefen sich auf ./. 22 196 DM (1999) und auf ./. 62 019 DM (2000). Die Umsatzsteuern wurden mit ./. 1 095,50 DM (1999) und mit ./. 375,50 DM (2000) berechnet.

Das FG hatte der Klägerin mit Schreiben des Berichterstatters vom , zugestellt am , gemäß § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) —unter Belehrung über die Folgen einer Fristversäumnis— eine Monatsfrist zur Abgabe der Steuererklärungen beim Gericht gesetzt. Ein Fristverlängerungsantrag vom wurde am abgelehnt.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Es hielt die Schätzungen nach Grund und Höhe für beanstandungsfrei. Die abgegebenen Erklärungen brauchten nicht berücksichtigt zu werden, weil sie ohne tragfähige Entschuldigung nicht rechtzeitig vorgelegt worden seien und ihre Berücksichtigung eine Verzögerung nach Maßgabe des sog. absoluten Verzögerungsbegriffs nach sich gezogen hätte. Denn die Prüfung der Erklärungen sei binnen der für die mündliche Verhandlung angesetzten 30 Minuten nicht möglich gewesen. Der Vertreter des FA habe sich zu einer kurzfristigen Prüfung ebenfalls außerstande gesehen und eine solche abgelehnt. Auch die Vorlage der Umsatzsteuererklärungen am sei verspätet gewesen. Abgesehen davon habe die Klägerin diese Erklärungen in der mündlichen Verhandlung ohnehin berichtigt, was eine abermalige Prüfung erforderlich gemacht hätte.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde wendet die Klägerin sich gegen die Nichtberücksichtigung der Steuererklärungen wegen der Fristversäumnis. In der Fristenverfügung des FG sei lediglich davon die Rede gewesen, dass die nachgereichten Erklärungen zurückgewiesen werden „können„, nicht aber „müssen„. Angesichts dessen habe sie auf deren Berücksichtigung vertrauen dürfen. Das Gericht sei gehalten, den vorgelegten Beweismitteln nachzugehen, auch wenn der für die Durchführung der mündlichen Verhandlung veranschlagte Zeitrahmen zu kurz bemessen sei. Im Übrigen wäre es inhaltlich ohne weiteres möglich gewesen, die Erklärungen in der vorgesehenen Zeit zu prüfen. Das FG habe sowohl das rechtliche Gehör verletzt als auch die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung missachtet.

Das FA ist dem mit den Erwägungen des FG entgegengetreten.

Die angefochtenen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 1999 und 2000 sowie die Beschwerde über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 des Körperschaftsteuergesetzes zum und zum wurden am geändert.

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG war nicht berechtigt, die Klage unter Berufung auf § 79b Abs. 3 FGO ohne weitere Sachaufklärung abzuweisen, und hat deshalb den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—) verletzt.

1. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich aufzuklären. Diesem gesetzlichen Auftrag ist das FG im Streitfall nicht erschöpfend nachgekommen. Es hat die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, teilweise auch schon zuvor beim FA, vorgelegten Steuererklärungen nicht geprüft und im Rahmen seiner Entscheidung die erklärten Besteuerungsgrundlagen nicht berücksichtigt. Stattdessen hat es die Berücksichtigung dieser Erklärungen bei der Prüfung der angefochtenen Steuerbescheide unter Hinweis auf § 79b Abs. 3 FGO zurückgewiesen.

2. Diese Zurückweisung war deswegen nicht gerechtfertigt, weil es an der dafür erforderlichen ordnungsmäßigen Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO fehlte.

Denn nach § 79b Abs. 2 FGO kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter einem Beteiligten unter Fristsetzung —nur— aufgeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen sowie Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist. Eine Aufforderung zur Vorlage von Steuererklärungen ist dadurch nicht gedeckt. Eine Steuererklärung ist mehr als bloßer Tatsachenvortrag zu „bestimmten Vorgängen„ (Bundesfinanzhof —BFH—, Urteil vom I R 301/82, BFH/NV 1986, 754; Beschluss vom VI R 182/99, BFH/NV 2000, 1481). Sie ist eine Verfahrenshandlung, die eine Wissenserklärung über die in der Steuererklärung aufgeführten Tatsachen und zugleich rechtliche Schlussfolgerungen des Steuerpflichtigen enthält (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1481, m.w.N.). Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesbegründung bestätigt, nach der die Anforderung von Steuererklärungen nicht Sache des Gerichts ist (BTDrucks 11/2386, S. 17).

Die Anwendung der Präklusionsvorschriften ist wegen der mit ihnen verbundenen Begrenzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) auf die gesetzlich vorgesehenen Fallgestaltungen zu beschränken. Eine darüber hinausgehende Verfügung stellt keine wirksame Fristsetzung i.S. des § 79b Abs. 2 FGO dar und ist deshalb auch dann nicht geeignet, die Präklusionsfolgen des § 79b Abs. 3 FGO zu begründen, wenn die formellen Anforderungen im Übrigen erfüllt sind (, BFHE 177, 233, BStBl II 1995, 545; Beschluss in BFH/NV 2000, 1481).

3. Im Streitfall war danach die Fristsetzung vom , in der der Berichterstatter zur Abgabe der Steuererklärungen und Jahresabschlüsse für die Streitjahre aufforderte, nicht von § 79b Abs. 2 FGO gedeckt. Das FG durfte mithin nicht unter Berufung auf § 79b Abs. 3 FGO von einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts absehen. Mangels wirksamer Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO kann auch dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer Zurückweisung nach § 79b Abs. 3 FGO —insbesondere die Gefahr einer Verzögerung des Rechtsstreits— erfüllt waren. Zumindest im Hinblick auf die dem FG bereits am vorliegenden Umsatzsteuererklärungen bestehen daran allerdings beträchtliche Zweifel.

4. Die Klägerin hat die fehlerhafte Zurückweisung ihres —aus Sicht der gesetzten Frist— verspäteten Vorbringens und damit im Ergebnis auch die Rechtmäßigkeit der Fristsetzung als notwendige Vorfrage gerügt. Denn die Zurückweisung kann nicht verfahrensfehlerfrei sein, wenn die Frist nicht wirksam gesetzt wurde.

5. Die Klägerin hat das Recht, die fehlerhafte Anwendung des § 79b FGO zu rügen, auch nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verloren. Da die Beteiligten auf die Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs verzichten können, setzt eine schlüssige Rüge des Mangels (i.S. von § 119 Nr. 3 FGO) zwar regelmäßig die Darlegung des Beschwerdeführers voraus, dass der Mangel in der Vorinstanz gerügt wurde, oder weshalb ihm eine derartige Rüge nicht möglich war (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 93 f. i.V.m. § 119 Rz. 15, § 120 Rz. 67, m.w.N.). Daran aber fehlt es im Streitfall; die Klägerin hat sich zu diesem Punkt im Rahmen ihrer Beschwerde nicht geäußert. Die Beschwerde war dennoch nicht unzulässig, weil sich aus dem angefochtenen Urteil und dem Sitzungsprotokoll ergibt, dass sie auf Einwände gegen die Zurückweisung ihres Vorbringens nicht verzichtet hat. In Anbetracht dessen erübrigte es sich ausnahmsweise, hierzu besondere Ausführungen zu machen (Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 67, m.w.N.).

Fundstelle(n):
OAAAB-17281