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BGH Beschluss v. - 6 StR 420/25

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 21 KLs 13/24

Gründe

1Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Nach den Feststellungen leidet der zur Tatzeit 68 Jahre alte und unter Betreuung stehende Beschuldigte seit Anfang der 1980iger Jahre an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Zuletzt wohnte er allein in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus und fühlte sich durch die Geräusche der Nachbarn gestört. Wahnbedingt nahm er außerdem an, dass seine Nachbarn die Pflanzen in seiner Wohnung vergiften würden. Am Morgen des begab er sich zur Wohnung seiner Nachbarin, schlug mit geballten Fäusten mehrfach gegen ihre Wohnungstür und schimpfte laut vor sich hin. Anschließend entfernte er sich zunächst und kehrte wenig später mit einem Messer in der Hand zurück. Er schlug erneut so kräftig mit seinen Fäusten gegen die Tür, dass ein in der Wohnung anwesender Pflegehelfer fürchtete, diese könne nachgeben und der Beschuldigte in die Wohnung eindringen. Dabei rief er mehrfach lauthals, dass er alle umbringen werde. Der Beschuldigte entfernte sich kurzzeitig, kehrte zurück und schlug erneut mehrere Minuten gegen die Tür; dabei gab er unverständliche Laute von sich und riss ein Schild von der Wohnungstür ab, wodurch es ‒ wie von ihm billigend in Kauf genommen ‒ zerbrach. Von unbekannten Dritten herbeigerufene Polizeibeamte führten den Beschuldigten schließlich aus dem Haus.

3Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Bedrohung (§ 241 Abs. 2 StGB) in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) gewürdigt und angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung aufgehoben gewesen sei. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet und die Maßregel ‒ sachverständig beraten ‒ auf die Prognose gestützt, dass krankheitsbedingt eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Beschuldigte weitere, der Anlasstat vergleichbare oder schwerere Straftaten begehe und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei.

42. Die Maßregelanordnung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Weiterhin muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Beschuldigte infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird und dadurch eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Dabei sind die individuell bedeutsamen Risikofaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen besonders in den Blick zu nehmen. Eine länger dauernde Straffreiheit ist als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Tatbegehung in die Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom ‒ 4 StR 8/24, Rn. 10; vom ‒ 6 StR 247/20, Rn. 17; vom ‒ 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). An die Darlegungen in den schriftlichen Urteilsgründen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. ‒ 6 StR 179/25; Beschlüsse vom ‒ 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; vom – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).

6b) Gemessen hieran hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht tragfähig begründet.

7aa) Zwar hat das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass ein Vergehen der Bedrohung nach § 241 Abs. 2 StGB, das mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bedroht ist, eine Unterbringung nicht ohne Weiteres rechtfertigt (vgl. ‒ 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). Soweit es zur Begründung der „besonderen Umstände“ nach § 63 Satz 2 StGB maßgeblich darauf abgestellt hat, dass gegen den Beschuldigten „wegen einer vergleichbaren Tat“ bereits einmal die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei, lassen die Urteilsgründe Feststellungen zu dieser Tat und zu den näheren Umständen der Tatbegehung vermissen. Auf der Grundlage des knappen Hinweises, der Beschuldigte habe „versucht“, seinen Vater mit einem Messer zu töten, vermag der Senat die Einordnung und Bewertung der Tat durch das Landgericht nicht nachzuvollziehen.

8bb) Darüber hinaus hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Prognose eingestellt, dass dieses Aggressionsdelikt mehr als zwanzig Jahre zurückliegt und die zur Bewährung ausgesetzte Maßregel nach Ablauf der Bewährungszeit Ende des Jahres 2006 erlassen worden ist. Dass der Beschuldigte seither ‒ trotz fortbestehender Erkrankung ‒ wegen Aggressionsdelikten aufgefallen ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

9cc) Schließlich fehlt es an einer Erörterung der Entwicklung des Beschuldigten seit der Tatbegehung im Juni 2023 und an einer Darlegung und Bewertung seines Verhaltens im Rahmen der seit andauernden vorläufigen Unterbringung.

103. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen zur Anlasstat mit auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Entscheidung zu ermöglichen.

Bartel                          Fritsche                          von Schmettau

               Arnoldi                            Dietsch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:121125B6STR420.25.0

Fundstelle(n):
QAAAK-07302