Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl des Umfangs der Gewährung von PKH in einer sozialrechtlichen Sache - verfassungsrechtliche Zweifel an fachgerichtlichem Verweis auf familienrechtlichen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss (§ 1360a Abs 4 BGB) bei mangelnder unterhaltsrechtlicher Leistungsfähigkeit des Verpflichteten - Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit allerdings nicht substantiiert dargelegt
Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 1360a Abs 4 S 1 BGB
Instanzenzug: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 19 AS 1607/24 B Beschlussvorgehend SG Detmold Az: S 9 AS 747/23 Beschluss
Gründe
I.
1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine sozialgerichtliche Entscheidung, mit der der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe nur unter Ratenzahlung bewilligt wurde.
2 1. Die Beschwerdeführerin hat für eine von ihr und ihren beiden Kindern aus erster Ehe geführte Klage gegen ein kommunales Jobcenter Prozesskostenhilfe beantragt. Diese Klage richtet sich gegen einen Bescheid und einen Widerspruchsbescheid, mit dem das Jobcenter die Bewilligung von Bürgergeld mit Wirkung zum geändert und dieses nur noch unter Berücksichtigung des Einkommens ihres im selben Haushalt wohnenden zweiten Ehegatten bewilligt hat.
3 Das Sozialgericht hat mit angegriffenem Beschluss vom der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe nur unter Zahlung monatlicher Raten in Höhe von 150,00 Euro bewilligt und sie aufgrund des von ihrem jetzigen Ehegatten erzielten Monatsnettoeinkommens in Höhe von 2.161,30 Euro im Übrigen auf einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss nach § 1360a Abs. 4 BGB verwiesen. Eine dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landessozialgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom als unzulässig verworfen.
4 2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
5 Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II.
6 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil keine zwingenden Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG vorliegen und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und hat deswegen keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie genügt insbesondere nicht den Darlegungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und § 92 BVerfGG, auch wenn das Sozialgericht bei seiner Entscheidung möglicherweise Bedeutung und Tragweite des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG im Hinblick auf gleichen Zugang zum Rechtsschutz verkannt hat, indem es die Beschwerdeführerin auf einen jedenfalls wohl nicht in dieser Höhe bestehenden Prozesskostenvorschussanspruch verwiesen hat.
7 1. a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG besonderen Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 81, 347 <356>), die weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <356 f.>; 117, 163 <187>; stRspr), wobei die Gleichstellung nur mit einem Bemittelten, der seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt, erfolgen muss (vgl. BVerfGE 51, 295 <302>; 81, 347 <357>; 122, 39 <49>; stRspr).
8 Auslegung und Anwendung des § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO obliegen in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfassungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht prüft diese Entscheidungen nur daraufhin, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beruhen (vgl. BVerfGE 67, 251 <255>; 81, 347 <357 f.>; BVerfGK 7, 135 <138>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>). Gleiches gilt für die Feststellung der Bedürftigkeit derjenigen, die Prozesskostenhilfe beantragen, was gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO weitere Voraussetzung für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe ist. Dementsprechend prüft das Bundesverfassungsgericht auch, ob die Fachgerichte die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit überspannt haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1671/13 -, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1975/18 -, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1514/21 -, Rn. 58).
9 b) Nach diesem Maßstab ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, Antragsteller im Rahmen der Prozesskostenhilfe vorrangig auf andere durchsetzbare Ansprüche (vgl. zur Anrechnung fiktiven Arbeitseinkommens bei vorwerfbar unterlassener Arbeitsaufnahme BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1828/03 -, Rn. 11) - insbesondere Unterhaltsansprüche - zu verweisen, da dies den verfassungsgebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe wahrt. Dabei ist es Sache der Fachgerichte, die Gesetze, aus denen sich solche vorrangigen Ansprüche ergeben, auszulegen und auf den Einzelfall anzuwenden (vgl. zur Auslegung von § 1360a BGB und § 115 Abs. 2 ZPO a.F. - heute § 115 Abs. 3 ZPO - beispielsweise 9/9a RVg 4/92 -, Rn. 2 ff.). Die Beschwerdeführerin wendet insoweit einzig ein, dass eine teilweise Verweisung auf den Prozesskostenvorschussanspruch zwischen Ehegatten schon dann ausscheide, wenn dem Ehegatten selbst nur Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung zu bewilligen wäre. Weshalb diese fachrechtlich umstrittene Rechtsansicht (vgl. nur den von der Beschwerdeführerin herangezogenen -, Rn. 6 und den dort als abweichende Ansicht zitierten Beschluss des Schleswig-Holsteinischen RA PKH -, Rn. 9 f.; vgl. zum Streitstand Voppel, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2024, § 1360a Rn. 77 m.w.N.) verfassungsrechtlich zwingend wäre, wird von ihr nicht dargelegt. Damit zeigt sie keine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. zum Prüfungsmaßstab BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 106, 28 <45>; 128, 193 <209>; stRspr) auf.
10 c) Es liefe aber dem verfassungsrechtlich gebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe zuwider, wenn das Sozialgericht die Beschwerdeführerin auf einen gar nicht bestehenden Anspruch verwiesen hätte. Der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Berechnungsbogen des Sozialgerichts lässt in der Zusammenschau mit den Akten des Ausgangsverfahrens besorgen, dass das Sozialgericht im Rahmen des § 1360a Abs. 4 BGB das gesamte Monatsnettoeinkommen ihres Ehegatten zugrunde gelegt und dabei die notwendige Prüfung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit aus dem Blick verloren hat.
11 aa) Der zur Unterhaltsleistung Verpflichtete wird durch die Unterhaltsleistung in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt. Zwar gehört auch das Unterhaltsrecht, soweit es mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang steht, zur Art. 2 Abs. 1 GG beschränkenden verfassungsgemäßen Ordnung (vgl. BVerfGE 57, 361 <378>; 128, 193 <206 f.>; BVerfGK 19, 453 <456>). Eine Unterhaltspflicht darf aber nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung führen (vgl. BVerfGE 57, 361 <388>; BVerfGK 19, 453 <456>). Wird die Grenze des Zumutbaren eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (vgl. BVerfGE 57, 361 <381>; BVerfGK 9, 437 <440>; 10, 84 <87>; 19, 453 <456>; stRspr).
12 Die Grenzen verhältnismäßiger Unterhaltspflichten können in verschiedenen Konstellationen unterschiedlich zu bestimmen sein (vgl. für den Unterhalt gegenüber minderjährigen Kindern BVerfGE 68, 256 <270>; zum Trennungs- und nachehelichen Unterhalt BVerfGE 57, 361 <380 f.>; 128, 193 <211 f.>; zur ehelichen Unterhaltspflicht in häuslicher Gemeinschaft lebender Partner unabhängig vom Güterstand BVerfGE 12, 180 <190>; 66, 84 <99>). Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs bleibt aber die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten (vgl. BVerfGK 19, 453 <457>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1530/11 -, Rn. 13; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2867/11 -, Rn. 11).
13 bb) (1) Diese Begrenzung findet für den Prozesskostenvorschuss der in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten in § 1360a Abs. 4 BGB seinen einfachgesetzlichen Bezugspunkt im Merkmal der Billigkeit (vgl. nur -, Rn. 14; -, Rn. 5; I-9 W 11/21 -, Rn. 8). Er ist dem unterhaltsrechtlichen Anspruch auf Deckung des Elementarbedarfs (§ 1360a Abs. 1 BGB) gegenüber nachrangig. Erst wenn der Elementarbedarf gedeckt ist und dem Unterhaltspflichtigen dann noch finanzielle Mittel verbleiben, kommt ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss in Betracht (vgl. -, Rn. 14; -, Rn. 20; Weber-Monecke, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1360a Rn. 24; Voppel, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2024, § 1360a Rn. 76).
14 (2) An einer Leistungsfähigkeit fehlt es insbesondere auch, wenn das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des Unterhaltspflichtigen den für das betreffende Unterhaltsrechtsverhältnis maßgeblichen Selbstbehalt unterschreitet (vgl. nur -, Rn. 14; Preisner, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, § 1360a BGB Rn. 270 <Mai 2025>). Soweit es die Bestimmung des Einkommens des Unterhaltspflichtigen betrifft, sind neben den gesetzlichen Abzügen für Lohnsteuer und Sozialversicherung, angemessene Vorsorgeaufwendungen, Kreditverbindlichkeiten und Ähnliches auch vorrangige Unterhaltspflichten abzusetzen. Erst wenn das verbleibende Einkommen den Selbstbehalt dann noch überschreitet, besteht eine Leistungsfähigkeit für den Vorschussanspruch. Lebt der Unterhaltspflichtige mit weiteren unterhaltsberechtigten Personen in häuslicher Gemeinschaft zusammen und wird kein Barunterhalt geleistet, müssen die in Natura gewährten Leistungen betragsmäßig bemessen werden (vgl. -, Rn. 21; Preisner, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, § 1360a Rn. 271 <Mai 2025>).
15 (3) Nach dem Inhalt der beigezogenen Akten des Sozialgerichts liegt es nahe, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin ausgehend von einem vollständig der Halbteilung (vgl. zu diesem Grundsatz nur -, Rn. 28 unter Bezugnahme auf BVerfGE 63, 88; 105, 1; 128, 193) unterliegenden Monatsnettoeinkommen in Höhe von 2.161,30 Euro und einer Unterhaltspflicht sowohl für die Beschwerdeführerin als auch für ein gemeinsames Kind darüber hinaus nicht auch noch unter Wahrung seines Selbstbehaltes leistungsfähig für den vom Sozialgericht angenommenen Prozesskostenvorschuss ist.
16 2. Gleichwohl zeigt die Verfassungsbeschwerde weder eine - ausdrücklich gerügte - Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als objektives Willkürverbot noch der - allenfalls im Sinnzusammenhang als verletzt gerügten - Rechtschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in einer den Darlegungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und § 92 BVerfGG genügenden Weise auf.
17 a) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde soll dem Bundesverfassungsgericht eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Verfahrens verschaffen (vgl. BVerfGE 15, 288 <292>). Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Es ist alles darzutun, was dem Gericht eine Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen ermöglicht (BVerfGE 131, 66 <82>). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 163, 165 <210 Rn. 75> - ESM-ÄndÜG; 165, 1 <30 Rn. 39> - Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV; 168, 372 <408 Rn. 82> - Direktwahlakt 2018 - Zwei-Prozent-Sperrklausel; stRspr).
18 b) Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde insbesondere deshalb nicht gerecht, weil die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu dem für das Unterhaltsrecht bedeutsamen Gewährleistungsgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG und dessen Begrenzung durch Art. 2 Abs. 1 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht dargelegt werden. Zudem hätte eine schlüssige Sachverhaltsdarstellung es insbesondere erfordert, zu den wirtschaftlichen Verhältnissen vorzutragen. Die Beschwerdeführerin hat ihrer Verfassungsbeschwerde aber lediglich den vom Sozialgericht aufgestellten und ihr übersandten Berechnungsbogen beigelegt; weder hat sie die von ihr abgegebene Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, noch substantiiert zum Einkommen und der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit ihres Ehegatten vorgetragen. Dass der vom Sozialgericht angenommene Monatsbetrag in Höhe von 2.161,30 Euro dem Monatsnettoeinkommen des Ehegatten entspricht und nicht bereits Ergebnis einer fachrechtlichen Beurteilung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist, hat sich erst aus den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens ergeben. Ebenfalls hat sie die Familienverhältnisse nicht dargelegt.
19 3. Auch in Bezug auf den Beschluss des Landessozialgerichts wird eine Verletzung rügefähiger Rechte nicht substantiiert aufgezeigt.
20 4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
21 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20251022.1bvr046825
Fundstelle(n):
VAAAK-06123