Gründe
1I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses.
2In den Quartalen 1/2006 bis 4/2006 verordnete der Kläger einer Vielzahl von Patienten zur Behandlung entzündlicher Gelenkerkrankungen (rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis, ankylosierende Spondylitis) TNF-Alpha-Inhibitoren (ua die Präparate Humira® und Enbrel®). Auf Antrag der zu 1. beigeladenen AOK setzte die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen (KK) in Schleswig-Holstein wegen dieser Verordnungen einen Arzneimittelregress iHv insgesamt 195 673,22 Euro fest. Die hiergegen eingelegten Widersprüche wies der beklagte Beschwerdeausschuss - soweit hier von Interesse - zurück. Das SG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das Urteil des SG sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Auf die Revision des Beklagten hat der erkennende Senat das Urteil des LSG geändert ( - juris). Soweit der Regress die Kosten der Verordnung von Humira® zum Gegenstand hatte, hat der erkennende Senat den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Im Übrigen (Regress wegen der Verordnung von Enbrel®) hat der Senat die Berufung des Klägers gegen das SG-Urteil zurückgewiesen. Im (teilweise) wieder eröffneten Berufungsverfahren hat das LSG entschieden, dass der Regress allein wegen der Verordnung von Humira® gegenüber den Patientinnen R2, W, G und L zu Unrecht erfolgt sei. Bezogen auf die übrigen Verordnungen von Humira® sei der Regress - ebenso wie bezogen auf alle Verordnungen des Arzneimittels Enbrel® - zu Recht erfolgt.
3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, zu deren Begründung er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht.
4II. 1. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg; sie ist nicht begründet. Die von dem Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung liegt nicht vor.
5Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13; - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder sich ohne Weiteres auf der Grundlage der Rechtsvorschriften oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt ( - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist ( - juris RdNr 7 mwN).
7Die formulierte Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich. Die Frage bezieht sich auf den Fall, dass Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt unzutreffende Angaben zu einer Vorbehandlung machen, die in Wahrheit nicht stattgefunden hat. Es geht also um die Frage, ob dem Behandler das Fehlen einer Vorbehandlung entgegengehalten werden kann, die Voraussetzung für die rechtmäßige Verordnung war, wenn er von seinem Patienten getäuscht worden ist. Dazu macht der Kläger in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass er keine Möglichkeit gehabt habe, den Wahrheitsgehalt der Angaben von Patienten zu prüfen, weil auch der vorbehandelnde Arzt der strafbewährten ärztlichen Schweigepflicht unterliege. Der Patient sei auch nicht verpflichtet, diesen von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden.
8Der Senat weist zunächst darauf hin, dass Behandelnder und Patient nach § 630c BGB zusammenwirken sollen und dass die ua nach § 630f BGB von dem Arzt zu führende Dokumentation der Behandlung gerade auch die Weiterbehandlung durch einen anderen Arzt ermöglichen soll (vgl zB Wenzel in Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 4. Aufl 2020, Kap 4 RdNr 314). Ferner trägt der Beklagte zutreffend vor, dass allein die Befragung der Patienten zu bereits durchgeführten komplexen Vorbehandlungen vielfach nicht zielführend oder jedenfalls nicht ausreichend sein dürfte. Dass Patienten die Weitergabe von Behandlungsdaten des vorbehandelnden Arztes aus Gründen des Datenschutzes ablehnen, dürfte die Ausnahme sein. Vor allem legt der Kläger aber nicht konkret dar, dass hier in einzelnen oder gar allen Behandlungsfällen eine solche Konstellation vorgelegen hätte.
9Auch den weiteren Ausführungen des Klägers zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit der formulierten Rechtsfrage liegt ein Sachverhalt zugrunde, der so vom LSG nicht festgestellt worden ist. Nach dem Inhalt des Urteils des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom geltend gemacht, dass Vorbehandlungen - entweder durch den Kläger selbst oder durch frühere Behandler der Patienten - durchgeführt worden seien. Das treffe jedoch - so das LSG - nicht zu. Den Umstand, dass Vorbehandlungen durch ihn selbst nicht durch entsprechende Verordnungen belegt werden können, hat der Kläger unter Hinweis auf die Verwendung von Mustern bzw Probepackungen begründet. Dem stand nach Auffassung des LSG entgegen, dass der Kläger weder die nach § 47 Abs 4 AMG erforderlichen Anforderungen für diese Muster vorlegen noch erklären konnte, wie er unter Beachtung der gesetzlich geregelten Mengenvorgaben (maximal zwei Muster pro Jahr in der kleinsten Packungsgröße je Fertigarzneimittel) die - in einer Vielzahl von Behandlungen behauptete - Vorbehandlung habe durchführen können (vgl dazu auch das ebenfalls den Kläger betreffende Urteil des Senats vom - B 6 KA 23/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 61 RdNr 22). Vor diesem Hintergrund musste sich das LSG nicht mit der von dem Kläger zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde formulierten Rechtsfrage befassen, die davon ausgeht, dass eine Vorbehandlung tatsächlich nicht stattgefunden hat, dass er darüber jedoch von den Patienten getäuscht worden sei.
10An die von dem Kläger nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG wäre der Senat auch in dem angestrebten Revisionsverfahren gebunden (§ 163 SGG). Dass der Kläger durch unwahre Angaben der Patienten über angeblich durchgeführte Vorbehandlungen getäuscht worden ist, hat das LSG nicht festgestellt. Unter Zugrundelegung des vom LSG bindend festgestellten Sachverhalts stellt sich die von dem Kläger formulierte Rechtsfrage nicht. Sie ist deshalb nicht entscheidungserheblich (vgl auch - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 8; - juris RdNr 15).
11Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Arzt nach stRspr ( - SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 40 f, mwN) in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gehalten ist, die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen, vor allem, wenn er sich auf für ihn günstige Tatsachen berufen will, die allein ihm bekannt sind oder die nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können. Einwände, die der Arzt erst im gerichtlichen Verfahren vorbringt, obwohl es ihm oblegen hätte, diese schon den Prüfgremien gegenüber zu erheben, können unberücksichtigt bleiben, weil der Arzt nicht berechtigt ist, das Prüfverfahren zu unterlaufen und die den Prüfgremien vorbehaltene Prüfung in das gerichtliche Verfahren zu verlagern. Der Kläger hat in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde nicht dargelegt, dass er bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht habe, die unrechtmäßige Verordnung von Humira® sei aufgrund unwahrer Angaben der Patienten zur Vorbehandlung erfolgt. Der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht einmal zu entnehmen, dass er dies bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz konkret geltend gemacht hätte. Nach dem Inhalt des Urteils des LSG hat der Kläger geltend gemacht, dass entsprechende Vorbehandlungen tatsächlich stattgefunden hätten und jedenfalls teilweise auch selbst durchgeführt worden seien, nicht jedoch, dass sie von den Patienten zu Unrecht behauptet worden seien.
122. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).
133. Der Anregung der Beigeladenen zu 1., der Senat möge die Kostenentscheidung im Urteil des LSG ändern, konnte der Senat nicht entsprechen. Der Nichtzulassungsbeschwerde kommt nur ein begrenzter Devolutiveffekt zu in Bezug auf die Entscheidung des LSG, die Revision nicht zuzulassen; eine (abändernde) Entscheidung über die Kosten des Klage- oder Berufungsverfahrens scheidet daher aus (vgl zB - juris, eine Kostenentscheidung nach § 193 SGG betreffend)
144. Die Festsetzung des Streitwerts auf 100 454,60 Euro berücksichtigt, dass in dem fortgesetzten Berufungsverfahren nach der (Teil-)Zurückverweisung durch das BSG nur noch der Regress für eines der beiden Arzneimittel (Humira®-Verordnungen für die Patienten F, G, K1, K2, L, M, N1, N2, R1, R2, S1, S2, S3 und W) iHv insgesamt 138 076,86 Euro streitig war. Von dem im fortgesetzten Berufungsverfahren noch streitigen Betrag sind die Kosten für die Verordnungen von Humira® für die Patientinnen R2, W, G und L iHv 37 622,26 Euro in Abzug zu bringen, die nach der Entscheidung des rechtmäßig erfolgt sind. Auch insoweit ist die ursprüngliche Regressforderung nicht Gegenstand der allein von dem Kläger eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde. Nur bezogen auf den danach verbleibenden Teil der Regressforderung, die ursprünglich 195 673,22 Euro betrug, begehrt der Kläger vorliegend die Zulassung der Revision.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:180625BB6KA825B0
Fundstelle(n):
QAAAK-05948