Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV zur Auslegung der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271, 16) folgende Fragen vorgelegt:
1. Steht Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2002/65/EG unter den im Streitfall maßgeblichen Umständen einer nationalen Regelung entgegen, nach der der Widerruf des Beitritts zu einer Genossenschaft im Fall ihrer Liquidation ausgeschlossen ist und der Verbraucher den für die Liquidation der Genossenschaft geltenden Regelungen des nationalen Rechts unterworfen wird?
Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird:
2. Steht Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2002/65/EG einer nationalen, auf Richterrecht beruhenden Rechtsfolge entgegen, nach der der Widerruf des Beitritts eines Verbrauchers zu einer Genossenschaft dazu führt, dass der widerrufende Verbraucher einen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs berechneten Anspruch gegen die Genossenschaft auf einen dem Wert seines Genossenschaftsanteils im Zeitpunkt des Ausscheidens entsprechenden Betrag erhält, der wegen der wirtschaftlichen Entwicklung der Genossenschaft unter dem Wert seiner Einlage liegen kann?
Gesetze: Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, Art 7 Abs 4 S 1 EGRL 65/2002, § 65 Abs 4 S 1 GenG, § 357a Abs 1 BGB vom
Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 7 U 198/22 Urteilvorgehend Az: 12 O 37/22
Gründe
1Nach telefonischer Beratung durch den ehemaligen, im Revisionsverfahren nicht mehr beteiligten Beklagten zu 2 und auf dessen Vermittlung unterzeichnete der seinerzeit 74-jährige Kläger am ein ihm mit der Post übersandtes Beitrittsformular mit der Erklärung, der Beklagten zu 1, einer Genossenschaft mit Sitz in P. , beizutreten und sich unter Übernahme eines Eintrittsgeldes von 500 € mit zehn Geschäftsanteilen in Höhe von jeweils 1.000 € zu beteiligten. Das Formular enthielt folgende Widerrufsbelehrung:
"Meine Beteiligungserklärung kann ich innerhalb einer Frist von 2 Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (Brief, Fax, Email) widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt mit der Aushändigung der Durchschrift meiner Beitrittserklärung und der hierauf enthaltenen Widerrufsbelehrung. Zur Wahrnehmung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die A. eG, straße , P. , Telefon: …, Telefax: …, Email: …"
2Der Kläger zahlte 10.500 € an die Beklagte zu 1. Diese bestätigte dem Kläger mit Schreiben vom den Beitritt.
3Als Zweck bestimmt § 2 Abs. 1 der Satzung der Beklagten zu 1 die wirtschaftliche Förderung und Betreuung der Mitglieder durch Altersvorsorgeleistungen. Die Satzung sieht in § 31 Abs. 2 und 3 eine Haftung zur Deckung von Fehlbeträgen nur vor, soweit Einzahlungen auf den Geschäftsanteil noch nicht in voller Höhe erbracht wurden und schließt eine Nachschusspflicht aus. Im Fall der Liquidation erfolgt die Verteilung des Vermögens der Genossenschaft nach § 36 Abs. 2 Satz 2 der Satzung entsprechend den gesetzlichen Regelungen mit der Maßgabe, dass Überschüsse nach dem Verhältnis der Geschäftsguthaben an die Mitglieder verteilt werden.
4Im August 2018 beschloss die Generalversammlung der Beklagten zu 1 deren Liquidation, worüber die Mitglieder informiert wurden.
5Mit Schreiben vom erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 den Widerruf der Beitrittserklärung. Er hat zunächst verlangt, einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 10.904,28 €, hilfsweise in Höhe von 9.904,28 €, dem Grunde nach anzuerkennen und nach Aufstellung einer Auseinandersetzungsbilanz auszuzahlen.
6Das Landgericht (, BeckRS 2022, 59313) hat die auf Feststellung des Auseinandersetzungsguthabens zum Stichtag gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der zuletzt in der Hauptsache gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 10.904,28 € Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung gerichteten Klage gegenüber der Beklagten zu 1 in Höhe von 10.500 € Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten zu 1, mit der sie ihren auf Zurückweisung der Berufung des Klägers gerichteten Antrag weiterverfolgt.
II.
7Für die Entscheidung über die Revision sind Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzesbuches in der bis zum gültigen Fassung des Gesetzes vom , BGBl. I S. 3642 (BGB aF) und des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (GenG) maßgeblich, die folgenden Inhalt haben:
§ 357a BGB aF – Rechtsfolgen des Widerrufs von Verträgen über Finanzdienstleistungen
(…)
§ 65 GenG – Kündigung des Mitglieds
(…)
(…)
§ 75 GenG – Fortdauer der Mitgliedschaft bei Auflösung der Genossenschaft
Wird die Genossenschaft binnen sechs Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft eines Mitglieds aufgelöst, gilt die Beendigung der Mitgliedschaft als nicht erfolgt. (…)
§ 90 GenG – Voraussetzungen für die Vermögensverteilung
(…)
§ 91 GenG – Verteilung des Vermögens
8Das Berufungsgericht (OLG Brandenburg, MDR 2025, 230) hat ausgeführt, der Kläger habe aufgrund seines Widerrufs einen Anspruch auf Zahlung von 10.500 € Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung. Ihm habe nach § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zugestanden, weil es sich um einen per Brief zu Stande gekommenen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c Abs. 1 BGB handele. Der Widerruf sei rechtzeitig erfolgt. Die Widerrufsbelehrung, deren Wortlaut von der Muster-Widerrufsbelehrung des Gesetzgebers abweiche, enthalte keine Belehrung zu den Widerrufsfolgen, obwohl diese nach den Gestaltungshinweisen in der Musterwiderrufsbelehrung erforderlich gewesen sei.
9Begrenzung des Widerrufsrechts durch § 356 Abs. 3 Satz 3 BGB ausgeschlossen sei. Bei der Beteiligung handele es sich um eine Finanzdienstleistung gemäß § 312 Abs. 5 BGB, die eine Geldanlage zum Gegenstand habe und der Altersversorgung von Privatpersonen diene. Der Widerruf sei auch nicht gemäß § 75 GenG ausgeschlossen. Das Interesse an einer reibungslosen Liquidation rechtfertige nicht die Anwendung von § 75 GenG, der eine Kündigung in der Liquidation ausschließe, weil damit eine Schwächung der in der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271, S. 16 - Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie) vorgesehenen Verbraucherrechte verbunden sei.
10Die noch für die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31 - Haustürwiderrufs-Richtlinie) geltende Sicht, nach der die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch im Fall des Widerrufs anwendbar seien, lasse sich auf die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie nicht übertragen. In § 355 Abs. 3 BGB würden die Widerrufsfolgen eigenständig bestimmt und abschließend geregelt.
11Die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft sei damit nicht zu vereinbaren, weil sie dazu führen könne, dass ein zu berechnendes Auseinandersetzungsguthaben eine im Vergleich zur Einlage geringere oder höhere Geldzahlung an den Verbraucher begründe. Der Einwand, die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie habe das Rechtsfolgenregime der Haustürwiderrufs-Richtlinie nicht ändern wollen, greife nicht, weil Art. 7 Abs. 4 Satz 1 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie anders Art. 7 der Haustürwiderrufs-Richtlinie keinen nationalen Umsetzungsspielraum vorsehe. Das Verbot abweichender nationaler Rechtsfolgeregelungen ergebe sich im Übrigen aus dem Erwägungsgrund 13 Satz 2 der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie, wonach andere als in der Richtlinie vorgesehene mitgliedstaatliche Bestimmungen ohne ausdrückliche Zulassung unzulässig seien.
12Die Ausübung des Widerrufsrechts sei auch nicht treuwidrig (§ 242 BGB).
IV.
13Die Voraussetzungen für eine Vorlage durch den Senat gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV sind gegeben (vgl. , ECLI:EU:C:2021:799 Rn. 32 ff. = NJW 2021, 539 Rn. 32 ff. - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi mwN). Im vorliegenden Verfahren stellen sich Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts. Diese Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.
141. Die Vorlagefragen zielen darauf ab zu klären, ob und ggf. inwieweit die in Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie vorgesehenen Rechtsfolgen im Fall der Ausübung eines Widerrufsrechts gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie durch besondere, für den Bereich des nationalen Gesellschaftsrechts geltende Bestimmungen und Grundsätze begrenzt werden können.
15a) Der Ausschluss des Kündigungsrechts in der Liquidation nach § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG dient dem Schutz der Genossenschaftsgläubiger und soll zugleich im Interesse sämtlicher Genossen unter Vermeidung der Bevorzugung einzelner eine gleichmäßige Verteilung des Vermögens der Genossenschaft sichern (Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, 4. Aufl., § 65 Rn. 20; Geibel in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 65 GenG Rn. 4). Sie ist Teil einer Gesamtregelung des Verhältnisses von Kündigung und Auflösung im Genossenschaftsrecht (Gehrlein, WM 2022, 2201, 2217). Nach der vom Berufungsgericht herangezogenen Regelung des § 75 GenG bleibt die Mitgliedschaft eines kündigenden Genossen zum Zweck der Abwicklung sogar dann bestehen, wenn erst nach dem (vorläufigen) Ausscheiden eines Mitglieds innerhalb von sechs Monaten die Auflösung beschlossen wird. Da die Liquidation der Beklagten zu 1 hier bereits im Jahr 2018, also vor dem Widerruf des Beitritts durch den Kläger beschlossen wurde, ist vorliegend nicht § 75 GenG einschlägig, sondern § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nach den im deutschen Recht geltenden Grundsätzen vor.
16aa) Beim Widerruf der Erklärung zum Beitritt einer Genossenschaft handelt es sich zwar nicht um eine Kündigung im strengen Wortsinn der Norm. Nach den Grundsätzen über den fehlerhaften Genossenschaftsbeitritt wird der Widerruf der Beitrittserklärung aber als außerordentliche Kündigung behandelt (, ZIP 2009, 1318 Rn. 10).
17bb) Die Rechtsfolge des als außerordentliche Kündigung zu behandelnden Widerrufs mit der Abwicklung des Beitritts nur für die Zukunft anstelle einer vollständigen Rückabwicklung trägt der Besonderheit des Verbandsrechts Rechnung, dass - nachdem die Organisationseinheit bzw. der Beitritt hierzu erst einmal, wenn auch auf fehlerhafter Grundlage, in Vollzug gesetzt worden ist - die Ergebnisse dieses Vorgangs, der regelmäßig mit dem Entstehen von Verbindlichkeiten verbunden ist, nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden können. In der Rechtsfolge der Auflösung für die Zukunft ist grundsätzlich ein gerechter Ausgleich zu sehen zwischen einerseits den Interessen der anderen Mitglieder am Bestand des Verbandes und der Gläubiger an der Erhaltung der Haftungsmasse, andererseits den Interessen ausscheidenswilliger Gesellschafter oder Genossen, die sich auf die Fehlerhaftigkeit des Beitritts berufen wollen. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesellschafter oder Genosse aufgrund einer arglistigen Täuschung zum Beitritt veranlasst worden ist. Angesichts dessen ist die Anwendung der für die Kündigung geltenden Bestimmungen fraglos dann gerechtfertigt, wenn der Beitritt "nur" deshalb nichtig ist, weil eine im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Beitretenden liegende Regelung unwirksam ist und die Nichtigkeit des Genossenschaftsbeitritts nach sich zieht (vgl. , ZIP 2009, 1318 Rn. 14).
18cc) Ist zu dem Zeitpunkt, in dem die als außerordentliche Kündigung zu behandelnde Widerrufserklärung wirksam wird, die Genossenschaft bereits aufgelöst, gelangen nach § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG ungeachtet des Widerrufs die für die Abwicklung der Genossenschaft geltenden Regeln zur Anwendung (Gehrlein, WM 2022, 2201, 2217; vgl. Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 16. Auflage, § 65 Rn. 15). Dies führt dazu, dass die widerrufsbedingte Rückgewähr der Einlage nach § 357a Abs. 1 BGB aF zu Gunsten der Bestimmungen über die Liquidation der Genossenschaft ausscheiden muss. Nach der gläubigerschützenden Vorschrift des § 90 Abs. 1 GenG darf mit der Verteilung des Vermögens an den widerrufenden Gesellschafter nicht vor Tilgung oder Deckung der Schulden der Genossenschaft und nicht vor Ablauf einer Sperrfrist von einem Jahr nach Aufforderung an die Gläubiger, ihre Forderungen anzumelden, begonnen werden (vgl. , BGHZ 43, 51, 60). Die Verteilung des (verbleibenden) Vermögens unter den Mitgliedern richtet sich nach § 91 GenG, wobei die Satzung im vorliegenden Fall abweichend von § 91 Abs. 2 GenG eine Verteilung von Überschüssen nach dem Verhältnis der Geschäftsguthaben vorsieht.
19 (Im Hinblick auf diese Zielsetzung hat der Gerichtshof die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft unionsrechtlich akzeptiert, insbesondere weil die Haustürwiderrufs-Richtlinie nicht ausschließe, dass der Verbraucher in bestimmten Fällen Verpflichtungen gegenüber dem Gewerbetreibenden haben könne und gegebenenfalls gewisse Folgen tragen müsse, die sich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergäben, obwohl der Gerichtshof anerkannt habe, dass die Anzeige des Widerrufs sowohl für den Verbraucher als auch für den Gewerbetreibenden eine Wiederherstellung der ursprünglichen Situation bewirke (, ZIP 2010, 772 Rn. 45 - Friz, vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom - C-215/08, ECLI:EU:C:2009:522, Rn. 97 ff.). Dabei hat der Gerichtshof die mit den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft angestrebte gerechte Risikoverteilung zwischen den Gesellschaftern als legitimen Grund für deren Anwendung gebilligt, weil sie es dem widerrufenden Verbraucher ermögliche seine Anteile zurückzugeben und gleichzeitig einen Teil der Risiken zu übernehmen, die untrennbar mit der Kapitalanlage verbunden seien (, ECLI:EU:C:2010:186, ZIP 2010, 772 Rn. 48 f. - Friz).
20Der Senat hat entsprechend außerhalb einer Liquidation die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch für den Widerruf der Erklärung zum Beitritt zu einer Genossenschaft zur Anwendung gebracht, die auf den nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133, S. 66 - Verbraucherkreditrichtlinie) beruhen (, ZIP 2009, 1318 Rn. 21). Ist, wie im vorliegenden Fall, die Genossenschaft zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs bereits aufgelöst, sieht das nationale Gesellschaftsrecht vor, dass Verbraucher, wie oben unter bb) im Einzelnen beschrieben, am Liquidationsverfahren teilnehmen muss.
21c) Der Senat hält es für klärungsbedürftig, ob jener Vorrang des Gesellschaftsrechts auch im Anwendungsbereich der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie und mit den im vorliegenden Fall im Fall der Liquidation vorgesehenen Rechtsfolgen gilt, weil die Mitgliedstaaten nach Erwägungsgrund 13 Satz 2 der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie in den durch sie harmonisierten Bereichen keine anderen als die in ihr festgelegten Bestimmungen vorsehen dürfen, es sei denn die Richtlinie lässt dies ausdrücklich zu. Dies ist hinsichtlich der in Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie geregelten Rechtsfolgen des Widerrufs nicht der Fall.
22ist davon ausgegangen, dass für eine Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft vorliegend kein Raum sei und der Kläger einen Anspruch auf Rückgewähr seiner Einlage habe, § 357a Abs. 1 BGB aF. nach denen die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 304, S. 64 - Verbraucherrechte-Richtlinie) in ihrem Anwendungsbereich der Fortgeltung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft entgegenstehe (Heymann/Emmerich, HGB, 3. Aufl., § 105 Rn. 89 Schirrmacher in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 91. Lfg 1/2025, I Rn. 2825;Tröger in Westermann/ Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, 91. Lfg 1/2025, I Rn. 217m).
23Die Verbraucherrechte-Richtlinie ist wegen des Geltungsausschlusses für Finanzdienstleistungen hier zwar nicht anwendbar (vgl. Art. 3 Abs. 3 Buchst. d). Sie enthält zur Harmonisierung in Art. 4 und der Rechtsfolgen des Widerrufs in Art. 13 Abs. 1 aber vergleichbare Regelungen.
24bb) Demgegenüber geht der überwiegende Teil des deutschen Schrifttums davon aus, dass die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch im Rahmen des vollharmonisierten Verbraucherschutzrechts uneingeschränkt anwendbar seien (BeckOGK BGB/Busch, Stand , § 312 Rn. 26.1; MünchKommBGB/Fritsche, 10. Aufl., § 355 Rn. 64; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 355 Rn. 14; Erman/Koch, BGB, 17. Aufl., § 312 Rn. 12; BeckOGK BGB/Mörsdorf, Stand , § 355 Rn. 104; PWW/Stürner, BGB, 20. Aufl., § 361 Rn. 7; MünchKommBGB/Wendehorst, 10. Aufl., § 312 Rn. 37; Koch, Personengesellschaftsrecht, 2023, § 705 Rn. 27; Koch, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl., § 5 Rn. 30;Henssler in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 105 HGB Rn. 144, 156; BeckOGK HGB/Sanders, Stand , § 105 Rn. 678; Staub/Schäfer, HGB, 6. Aufl., § 105 Rn. 369; BeckOK HGB/Klimke, Stand , § 105 Rn. 327.1; Förderer, Der Anspruchsausschluss nach § 361 Abs. 1 BGB im Lichte des unionsrechtlichen Verbots des Rechtsmissbrauchs, 2021, S. 65; Stürner, Europäisches Vertragsrecht, 2021, § 14 Rn. 85;Schwab, JZ 2015, 644, 652 f.).
25Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen darauf, dass sich die europäischen Regelungen zu den Verbraucherrechten nicht zum Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Verbrauchschutzrecht verhielten. Daher liege eine Regelungslücke vor, die durch die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft interessengerecht zu schließen sei. Hinzu komme, dass der Richtliniengeber, nachdem der Gerichtshof die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft gegenüber der Haustürgeschäfte-Richtlinie gebilligt habe, eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage in den Erwägungsgründen hätte entsprechend kenntlich machen und begründen müssen. Da dies in der Verbraucherrechte-Richtlinie nicht geschehen sei, gölten die Rechtsprechungsgrundsätze aus der Entscheidung des Gerichtshofs vom fort.
26d) Aus der Perspektive des deutschen Gesellschaftsrechts erscheint die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft und die daran anknüpfende Anwendung von § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG auf den vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie geboten.
27der Beitritt zu einer Anlagezwecke verfolgenden Gesellschaft in ihren Anwendungsbereich fallen kann. Dies ergibt sich schon aus dem Umkehrschluss aus Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, 4. Spiegelstrich dieser Richtlinie, nach dem u.a. Dienstleistungen im Zusammenhang mit Anteilen an Anlagegesellschaften vom Widerrufsrecht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie ausgeschlossen werden. Weder aus der
28bb) Die Ursache für den Konflikt zwischen Verbraucherschutz- und Gesellschaftsrecht liegt in den unterschiedlichen Ausrichtungen beider Rechtsgebiete. Das Widerrufsrecht für Fernabsatzfinanzdienstleistungsgeschäfte orientiert seine Regelungen an auf Gegenseitigkeit beruhenden Rechtsverhältnissen, d.h. an klassischen Austauschverträgen in Form von Dienstverträgen, die der Verbraucher als Konsument abschließt.ie Anwendung des Widerrufsrechts bei einem Gesellschaftsbeitritt hat dagegen Ausnahmecharakter. Er erfüllt dessen Tatbestandsmerkmale nämlich nur dann, wenn nicht der Wille des Beitretenden, Gesellschafter bzw. Mitglied des Verbands zu werden, sondern ein Kapitalanlagezweck im Vordergrund steht (vgl. BeckOGK BGB/Busch, Stand , § 312 Rn. 26; Hölldampf in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Aufl., § 4 Rn. 11). Die Anwendung des verbraucherschutzrechtlichen Regelungsregimes führt im Fall des Beitritts zu einer Genossenschaft zu einem Konflikt zwischen den Interessen des Anlegers und der Mitgesellschafter bzw. der Drittgläubiger, für den die gesetzlichen Regelungen zum Widerruf und seinen Rechtsfolgen keine Lösung bereithalten, auf den das Genossenschaftsrecht, wie unter a) näher dargestellt wurde, aber zugeschnitten ist.
29cc) Ausprägungen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft finden sich zudem mit den Bestandsschutzregeln in Art. 11 und Art. 12 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rats vom über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. L 169, S. 46 - Gesellschaftsrechts-Richtlinie) auch im Unionsrecht (hierzu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 5 Rn. 48; Kindler/Libbertz, DStR 2008, 1335, 1339; Oechsler, NJW 2008, 2471, 2474 f.). Nach diesen Richtlinienbestimmungen hat die auf besonders gravierende Fehler begrenzte Nichtigkeit der (Kapital-)Gesellschaft lediglich ihre Abwicklung ex nunc zur Folge, nicht aber die rückwirkende Vernichtung des Verbands (Art. 12 Abs. 2 Gesellschaftsrechts-Richtlinie). Von der Nichtigkeit wird dabei weder die Wirksamkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten (Art. 12 Abs. 3 Gesellschaftsrechts-Richtlinie) noch die Pflicht ihrer Gesellschafter, die übernommenen Einlage zu leisten, soweit die Gläubigerinteressen dies erfordern (Art. 12 Abs. 5 Gesellschaftsrechts-Richtlinie), berührt. Das unionsrechtliche Regelungsanliegen zielt, wie Erwägungsgrund 6 der Gesellschaftsrechts-Richtlinie herausstellt, darauf, Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen der Gesellschaft und Dritten sowie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander zu gewährleisten (vgl. auch , ECLI:EU:C:1990:395 Rn. 11 f., DB 1991, 157, 158 [zu Art. 11 der Richtlinie 68/151/EWG]).
30Zwar erstreckt sich der Anwendungsbereich der Gesellschaftsrechts-Richtlinie nicht auf die Genossenschaft. Allerdings verdeutlichen die Richtlinienregelungen, dass auch das Unionsgesellschaftsrecht die Rückabwicklung von Verbänden nicht schrankenlos zulassen möchte (Kindler/Libbertz, DStR 2008, 1335, 1339) und ein angemessener Ausgleich mit den Belangen des Verbraucherschutzes gefunden werden muss.
31Oechsler, NJW 2008, 2471, 2474 f.; Siebert, Festschrift Hedemann, 1938, S. 266, 271 ff., sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 151).
32dd) Dass die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie eine vollständige Harmonisierung der durch sie geregelten Aspekte bewirkt, weshalb ihr Wortlaut in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden muss (, ECLI:EU:C:2020:477, ZIP 2020, 1296 Rn. 23 - Sparkasse Südholstein; Urteil vom - C-38/21, C-47/21, C-232/21, ECLI:EU:C:2023:1014, WM 2024, 249 Rn. 138), schließt es nach Ansicht des Senats nicht aus, die Lehre der fehlerhaften Gesellschaft und daran anschließend § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG anzuwenden.
33(1) Art. 7 Abs. 4 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie sollte, wie sich aus dem Erwägungsgrund 6 der Richtlinie ergibt, im Einklang mit dem Vertrag und daher unter Berücksichtigung des Verbots aller Beschränkungen des Kapitalverkehrs (Art. 63 Abs. 1 AEUV) angewendet werden.
34 u.a., ECLI:EU:C:2006:608, ZIP 2007, 221 Rn.
35 Der Entzug der Liquiditäts- und der Kapitalbasis der Gesellschaft wirkte sich negativ auf deren Investitionen aus. Insoweit wäre eine die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft außer Acht lassende Anwendung von Art. 7 Abs. 4 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie geeignet, den Erwerb von Beteiligungen an Anlagegesellschaften unattraktiv zu machen (vgl. Oechsler, NJW 2008, 2471, 2474 f.). Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen dem fehlerhaften Beitritt und der Ausübung des Widerrufsrechts, wie im Streitfall, ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist.
36Ob die zu besorgende Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit auf zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses, wozu der Verbraucherschutz zählt, beruht und gleichzeitig den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. , ECLI:EU:C:1979:42, NJW 1979, 1766 - Cassis de Dijon), erscheint zweifelhaft. Dem könnte entgegengehalten werden, die volle Rückerstattung der Einlage an einzelne (Verbraucher-)Gesellschafter ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft lasse nicht den notwendigen Raum, um die Interessen anderer (Verbraucher-)Gesellschafter und des Rechtsverkehrs angemessen zu berücksichtigen (Koch, Gesellschaftsrecht, 13. Aufl., § 5 Rn. 30; vgl. auch Oechsler, NJW 2008, 2471, 2474 f.).
37(2) Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie nicht auf der primärrechtlichen Grundlage zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts (Art. 44 Abs. 2 Buchst. g EGV, nunmehr Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV) erlassen wurde und deswegen bezweifelt werden könnte, dass den Mitgliedstaaten mit ihr Vorgaben im Bereich des Gesellschaftsrechts gemacht werden sollten. Zwar wird der Vorbehalt zugunsten des mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts in der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie, anders als in der Verbraucherrechte-Richtlinie, nach deren Erwägungsgrund 8 Satz 2 innerstaatliche Vorschriften über Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts unberührt bleiben, nicht explizit ausgesprochen. In der Begrenzung der Vollharmonisierung auf die durch die Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie geregelten Bereiche (vgl. Erwägungsgrund 13 Satz 2 der Richtlinie), wozu das Gesellschaftsrecht unbeschadet der Bestimmung in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, 4. Spiegelstrich dieser Richtlinie nicht zählt, könnte allerdings eine implizite Öffnung zugunsten des nationalen Gesellschaftsrechts gesehen werden. Im Übrigen wurden mit der Richtlinie (EU) 2023/2673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom die Richtlinienbestimmungen in Bezug auf im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge unter Aufhebung der Richtlinie 2002/65/EG in die Richtlinie 2011/83/EU integriert.
38b) Für den Fall, dass der Gerichtshof die Vorlagefrage 1 bejahen sollte, stellt sich die weitergehende Frage, ob die beschriebenen Grundsätze über den fehlerhaften Beitritt zu einer Genossenschaft unter Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2002/65/EG insoweit Anwendung finden können, dass der Verbraucher durch den Widerruf nur mit Wirkung für die Zukunft aus der Genossenschaft ausscheidet und einen dem Wert seines Genossenschaftsanteils im Zeitpunkt des Ausscheidens entsprechenden Betrag erhält. Hinsichtlich der Erwägungen, die für eine solche Auslegung sprechen könnten, wird auf die Ausführungen unter a) Bezug genommen.
392. Die Vorlagefragen sind für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es nur dann, wenn die Antwort auf die Frage, wie auch immer sie ausfällt, keinerlei Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben kann (, ECLI:EU:C:2021:799 Rn. 34 = NJW 2021, 539 Rn. 34 - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi mwN). Dies ist hier nicht der Fall, weil dem Kläger ein Widerrufsrecht zusteht, dieses rechtzeitig ausgeübt wurde und der Ausübung § 242 BGB nicht entgegensteht. Im Hinblick darauf kommt es darauf an zu entscheiden, ob der Kläger nach § 357a Abs. 1 BGB aF die Rückzahlung seiner Einlage verlangen kann, nach § 65 Abs. 4 Satz 1 GenG die Vorschriften über die Liquidation der Genossenschaft zur Anwendung gelangen oder die Rechtsfolgen des Widerrufs nach den Grundsätzen des fehlerhaften Genossenschaftsbeitritts einzuschränken sind.
40a) Für die nachfolgenden Ausführungen sind folgende Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis zum gültigen Fassung des Gesetzes vom , BGBl. I S. 3642 (nachstehend EGBGB aF) von Bedeutung:
§ 242 BGB – Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
§ 310 BGB – Anwendungsbereich
(…)
(3) Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbraucherverträge) finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit folgenden Maßgaben Anwendung:
(…)
§ 312 BGB– Anwendungsbereich
(1) Die Vorschriften der Kapitel 1 und 2 dieses Untertitels sind nur auf Verbraucherverträge im Sinne des § 310 Absatz 3 anzuwenden, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben.
(…)
(5) Bei Vertragsverhältnissen über Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung (Finanzdienstleistungen), die eine erstmalige Vereinbarung mit daran anschließenden aufeinanderfolgenden Vorgängen oder eine daran anschließende Reihe getrennter, in einem zeitlichen Zusammenhang stehender Vorgänge gleicher Art umfassen, sind die Vorschriften der Kapitel 1 und 2 dieses Untertitels nur auf die erste Vereinbarung anzuwenden.(…)
(…)
§ 312c BGB - Fernabsatzverträge
(1) Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.
(…)
§ 312g BGB – Widerrufsrecht
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.
(2) Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
(…)
8. Verträge zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, mit Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Absatz 4 des Kapitalanlagegesetzbuchs und mit anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten,
(…)
§ 355 BGB – Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(…)
§ 356 BGB – Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen
(…)
(3) Die Widerrufsfrist beginnt nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Artikels 246b § 2 Absatz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche unterrichtet hat. Das Widerrufsrecht erlischt spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in Absatz 2 oder § 355 Absatz 2 Satz 2 genannten Zeitpunkt. Satz 2 ist auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht anwendbar.
(…)
Art. 246b § 1 EGBGB aF – Informationspflichten bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen
(1) Der Unternehmer ist nach § 312d Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verpflichtet, dem Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung klar und verständlich und unter Angabe des geschäftlichen Zwecks, bei Fernabsatzverträgen in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise, folgende Informationen zur Verfügung zu stellen:
(…)
12. das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Bedingungen, Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Name und Anschrift desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und die Rechtsfolgen des Widerrufs einschließlich Informationen über den Betrag, den der Verbraucher im Falle des Widerrufs nach § 357a des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die erbrachte Leistung zu zahlen hat,
(…)
41b) Das Recht zum Widerruf folgt hier aus § 312 Abs. 1 aF BGB, § 312 Abs. 5 Satz 1, § 310 Abs. 3, § 312c Abs. 1, § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB.Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Vertrag über den Beitritt zu einer Personengesellschaft einem Vertrag über eine entgeltliche Leistung zumindest gleichzustellen, wenn die Begründung der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft, wie hier, vorrangig Kapitalanlage- und/oder Steuerzwecke verfolgt. Gleiches gilt für einen solchen Zwecken dienenden Beitritt zu einer Genossenschaft (, ZIP 2011, 859 Rn. 12 ff.; Urteil vom - II ZR 93/09, juris Rn. 11 ff.). Der Widerruf ist nicht nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB ausgeschlossen.
42aa) Nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB, mit dem Art. 6 Abs. 2 Buchs. a der Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-Richtlinie umgesetzt worden ist, besteht das Widerrufsrecht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei Verträgen über die Erbringung von Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, wobei insbesondere auch Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien und Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Abs. 4 KAGB unter diese Regelung fallen sollen. Der Sinn und Zweck dieser Regelung besteht darin, das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogenen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien zu verteilen (, NJW 2013, 1223 Rn. 15; Urteil vom - VIII ZR 226/22, ZIP 2024, 2392 Rn. 54). Erforderlich für die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung ist, dass für die Finanzdienstleistung ein Marktpreis existiert, also ein unmittelbar auf dem Finanzmarkt gebildeter Börsenpreis oder zumindest ein den Marktpreis mittelbar beeinflussender Basiswert, der seinerseits Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt (, NZG 2013, 426 Rn. 13). Die auf Dauer angelegte Beteiligung an einer Publikumsgesellschaft wird von dem Ausschlussgrund daher nicht erfasst (Armbrüster, ZIP 2006, 406, 412; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 84. Aufl., § 312g Rn. 11).
43bb) Ein Vertrag über die Erbringung von Finanzdienstleistungen nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 BGB wurde hier nicht abgeschlossen. Die Mitgliedschaft an einer Genossenschaft kommt als Spekulationsobjekt nicht in Betracht, weil der rechtsgeschäftliche Zweiterwerb einer Mitgliedschaft durch das GenG nicht eröffnet ist (Geibel in Henssler/Strohn, GesR, 6. Aufl., § 15 GenG Rn. 1). Übertragbar ist nach § 76 Abs. 1 GenG das Geschäftsguthaben, wobei die Übertragung hier nach § 7 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Zustimmung des Vorstands bedurfte. Im Übrigen setzt der Erwerb des Geschäftsguthabens stets den Beitritt des Erwerbers zur Genossenschaft voraus (§ 76 Abs. 1 Satz 1 GenG, § 7 Abs. 2 der Satzung). Ein spekulativer Handel scheidet im Hinblick auf diese Beschränkungen aus.
44c) Der Widerruf ist nicht verfristet.
45aa) Die Widerrufsfrist von 14 Tagen (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB) beginnt nach § 356 Abs. 3 BGB nicht vor der gebotenen Unterrichtung des Verbrauchers durch den Unternehmer. Angesichts der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fehlenden Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs fehlt es an der nach Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 12 EGBGB aF gebotenen Information. Gegenteiliges macht die Revision nicht geltend. Die Begrenzung des Widerrufsrechts nach § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB auf 12 Monate und 14 Tage ist nach Satz 3 dieser Bestimmung auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht anwendbar.
46bb) Die Revision beruft sich ohne Erfolg auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB, nach der die Widerrufsfrist (nur) zu laufen beginnt, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei einer ordnungsgemäßen Belehrung auszuüben (, ZIP 2025, 647 Rn. 17). Vorliegend fehlt es an der Belehrung zu den Widerrufsfolgen, so dass der Kläger nicht die Möglichkeit hatte, sein Widerrufsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen auszuüben, wie bei vollständiger und zutreffender Belehrung (vgl. auch , BGHZ 242, 70 Rn. 33 ff.).
47d) Das Widerrufsrecht ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB ausgeschlossen.
48aa) Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind. Diese Bewertung vorzunehmen ist Sache des Tatrichters und demgemäß in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (, BGHZ 211, 105 Rn. 18 mwN). Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (, BGHZ 211, 105 Rn. 20).
49bb) Das Berufungsgericht hat eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts danach ohne Rechtsfehler verneint.
50(1) Soweit die Revision den Rechtsmissbrauch damit begründet, die fehlerhafte Belehrung habe sich nicht in relevanter Weise auf die Wahrnehmung des Widerrufsrechts ausgewirkt, verfängt dies aus den oben unter 2. c) bb) angeführten Gründen nicht.
51(2) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon auch ausgegangen, dass der Widerruf nicht unter dem Gesichtspunkt eines widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig ist. Soweit die Revision geltend macht, der Kläger habe den Beschluss zur Liquidation der Beklagten zu 1 mitgetragen und wolle nunmehr die Folgen des von ihm unterstützten Beschlusses nicht mehr gegen sich gelten lassen, so hat das Berufungsgericht das "Mittragen" des Liquidationsbeschlusses schon nicht festgestellt. Eine zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Die Rüge kann aber auch ungeachtet der fehlenden Feststellungen keinen Erfolg haben. Zwar trifft es zu, dass die Annahme, ein widersprüchliches Verhalten liege bereits dann vor, wenn das Motiv für den Widerruf nichts mit dem Schutzzweck des Widerrufsrechts zu tun habe (, BGHZ 211, 105 Rn. 20), rechtsfehlerhaft ist. Davon ist das Berufungsgericht aber nicht ausgegangen. Vielmehr hat es diesen Gesichtspunkt in zulässiger Weise als abwägungsrelevanten Umstand herangezogen (vgl. , BGHZ 204, 145 Rn. 25). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Born Wöstmann Bernau
Sander Adams
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:211025BIIZR119.24.0
Fundstelle(n):
SAAAK-05943