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BGH Beschluss v. - AK 95/25

Gründe

I.

1Der bis dahin flüchtige Angeklagte ist am aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Hinsichtlich eines weiteren, andere mutmaßliche prozessuale Taten des Angeklagten betreffenden und in einem ursprünglich gesondert geführten Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts ergangenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ) ist Überhaft notiert gewesen. Die beiden Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sind am durch einen erweiterten Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden ersetzt worden, der dem Angeklagten an diesem Tag verkündet worden ist.

2Gegenstand sowohl des ursprünglichen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des als auch des neuen Haftbefehls des Oberlandesgerichts Dresden vom ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in der Zeit von Anfang 2018 bis jedenfalls am – dabei bis zum als Heranwachsender – in L.         und anderenorts in Deutschland in mehreren Fällen als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, und dabei in einem Fall – in der Nacht vom 13. auf den – durch dieselbe Handlung mittels gefährlicher Werkzeuge und gemeinschaftlich mit anderen Beteiligten vier andere Personen an der Gesundheit geschädigt sowie gemeinschaftlich mit anderen rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt, in einem anderen Fall – gleichfalls in der Nacht vom 13. auf den – durch dieselbe Handlung zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde gebraucht sowie in der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, versucht, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Bereitung eines Hindernisses zu beeinträchtigen, beziehungsweise anderen zu diesem Versuch Beihilfe geleistet.

3Sowohl der Haftbefehl vom als auch der neue Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden nehmen insofern eine mutmaßliche Strafbarkeit des Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in mehreren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und (Beihilfe zum) versuchtem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 267 Abs. 1, § 303 Abs. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB an. Der neue – erweiterte – Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden erstreckt sich zudem auf weitere mutmaßliche Taten des Angeklagten, darunter diejenige aus dem Haftbefehl vom .

4Der Senat hat mit Beschluss vom (AK 56/25) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.

5Der Generalbundesanwalt hat mit Anklageschrift vom unter anderem wegen der dem Haftbefehl vom zugrundeliegenden Tatvorwürfe gegen den Angeklagten – und sechs Mitangeklagte – Anklage zum Oberlandesgericht Dresden erhoben. Der mit der Sache befasste 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden (4 St 2/25) hat die Anklage mit Beschluss vom – hinsichtlich des Angeklagten ohne Änderung – zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

6Mit Beschluss vom hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten dem Bundesgerichtshof zur erneuten besonderen Haftprüfung vorgelegt. Das Haftprüfungsverfahren ist seit dem beim Bundesgerichtshof anhängig. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus anzuordnen.

II.

71. Der Haftbefehl vom , für den lediglich Überhaft angeordnet worden ist, hat bei der Prüfung der Haftfortdauer von vornherein außer Betracht zu bleiben. Denn Grundlage eines Haftprüfungsverfahrens gemäß §§ 121, 122 StPO ist lediglich der in der Sache vollzogene Haftbefehl, nicht aber zugleich ein weiterer gegen den betreffenden Beschuldigten ergangener Haftbefehl, für den allein Überhaft notiert ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – AK 35/23 u. StB 34/23, BGHSt 68, 1 Rn. 17; vom – AK 47/21, juris Rn. 8; vom – AK 41/16, juris Rn. 8; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 12).

82. Es kann dahingestellt bleiben, ob Gegenstand des besonderen Haftprüfungsverfahrens nach den §§ 121, 122 StPO hier der ursprüngliche Haftbefehl des Ermittlungsrichters des oder der neue, an die Anklagevorwürfe angepasste und erweiterte Haftbefehl des Oberlandesgerichts Dresden vom ist. Zwar ist grundsätzlich der aktuelle, dem Beschuldigten verkündete und vollzogene Haftbefehl der Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren zu Grunde zu legen. Vorliegend besteht indes die Besonderheit, dass dieser erlassen und verkündet worden ist, nachdem das Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO bereits beim Bundesgerichtshof und damit beim Haftprüfungsgericht anhängig geworden war. Ob beziehungsweise in welchem Umfang während der Anhängigkeit des Haftprüfungsverfahrens beim Haftprüfungsgericht das nach § 126 StPO zuständige Haftgericht befugt ist, eigene Haftentscheidungen zu treffen, ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach vorherrschender Auffassung ist dem nach § 126 StPO zuständigen Haftgericht zwar während eines beim Haftprüfungsgericht anhängigen Haftprüfungsverfahrens eine eigene Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft versagt, um divergierende Entscheidungen zu verhindern (so , juris Rn. 12 ff.; MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 122 Rn. 9; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 122 Rn. 2, 4; BeckOK StPO/Krauß, 57. Ed., § 122 Rn. 2; aA wohl Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 6). Überwiegend wird aber angenommen, es behalte auch während eines laufenden Haftprüfungsverfahrens die Kompetenz, den Haftbefehl – bei Aufrechterhaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft – zu ändern und insbesondere um neue Taten oder Haftgründe zu erweitern, namentlich ihn an die Anklageschrift anzupassen; das könne auch dadurch geschehen, dass der ursprüngliche Haftbefehl durch einen neuen ersetzt werde (so , juris Rn. 15; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 122 Rn. 2, 4; BeckOK StPO/Krauß, 57. Ed., § 122 Rn. 2; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 122 Rn. 6; aA MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 122 Rn. 7). Der Senat braucht die Rechtsfrage hier nicht zu entscheiden und über die rechtliche Wirksamkeit des Haftbefehls des Oberlandesgerichts nicht zu befinden, weil der neue Haftbefehl auch auf die Tatvorwürfe gestützt ist, die Gegenstand des alten Haftbefehls des Ermittlungsrichters des sind, und schon diese die Untersuchungshaft und ihre Fortdauer tragen.

III.

9Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen vor.

101. Der Angeklagte ist jedenfalls der ihm mit dem Haftbefehl vom zur Last gelegten Taten weiterhin dringend verdächtig. Bereits dieser Tatverdacht trägt die Haftfortdauer über neun Monate hinaus. Auf die weiteren Tatvorwürfe des neuen Haftbefehls kommt es für die vorliegende Haftfortdauerentscheidung daher nicht an.

11Hinsichtlich der Einzelheiten der insofern erhobenen Tatvorwürfe und der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände nimmt der Senat Bezug auf seine Haftfortdauerentscheidung vom , deren Gründe unverändert fortgelten, und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom . Neue Erkenntnisse, die den dringenden Tatverdacht entkräften könnten, haben sich seither nicht ergeben.

122. In rechtlicher Hinsicht ist aus den in der Senatsentscheidung vom dargelegten Gründen weiterhin die Annahme begründet, dass sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen – vollendeten und nicht nur versuchten – schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und mit Urkundenfälschung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, § 267 Abs. 1, § 303 Abs. 1, § 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB, § 1 Abs. 1 und 2, § 105 Abs. 1 JGG strafbar gemacht hat.

133. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG. Der Fall hat aus den in der Haftfortdauerentscheidung vom dargelegten Gründen eine die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit des Bundes legitimierende besondere Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 2 GVG.

144. Es ist nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Aus den fortgeltenden Erwägungen zum Haftgrund im Haftfortdauerbeschluss vom ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeklagte – sollte er auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

15Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen weiterhin nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO – die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind – erreicht werden.

165. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) sind gegeben. Der Umfang des Verfahrens und seine besonderen Schwierigkeiten haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

17Insofern nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen im Haftfortdauerbeschluss vom .

18Auch danach ist das besonders umfangreiche Verfahren – der Aktenbestand beläuft sich gegenwärtig auf 400 Ordner – durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden: Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts hat, nachdem er zunächst am mit Anordnung der Zustellung der Anklageschrift eine Stellungnahmefrist von zunächst vier Wochen verfügt hatte, diese auf Verteidigeranträge hin zunächst bis zum und dann erneut bis zum verlängert. Mit Beschluss vom hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden sodann die Anklage – wie bereits erwähnt – zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung soll – mit den Verteidigern der insgesamt sieben Angeklagten abgesprochen – am beginnen; Hauptverhandlungstermine sind angesetzt und mit den Verfahrensbeteiligten abgestimmt bis zunächst Ende April 2026.

19Angesichts des damit in Aussicht genommenen Beginns einer Hauptverhandlung innerhalb von drei Monaten nach Eröffnungsreife“; vgl. insofern BVerfG, Beschlüsse vom – 2 BvR 2128/20, juris Rn. 38; vom – 2 BvR 1853/20, NStZ-RR 2021, 50, 51; , juris Rn. 11) ist zu erwarten, dass das Verfahren ungeachtet der deutlichen Zeitspanne zwischen der Anklageerhebung und dem vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung weiterhin in einem dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen genügenden Umfang gefördert wird.

206. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:141125BAK95.25.0

Fundstelle(n):
KAAAK-05843