Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Urologen bzgl der Versagung einer Vergütung für dermato-chirurgische Eingriffe wegen fehlender Bilddokumentation - Unzulässigkeit mangels Darlegung einer Grundrechtsverletzung - Regelungen der EBM-Ä (einheitlicher Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistunen) als wirksame, insb verhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit
Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Abschn 31.2.2 EBM-Ä, § 87 Abs 1 S 1 SGB 5, § 87b Abs 1 S 2 SGB 5
Instanzenzug: Az: B 6 KA 11/23 B Beschlussvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 7 KA 12/18 Urteilvorgehend Az: S 1 KA 83/15 Urteil
Gründe
I.
1Der Beschwerdeführer ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt für Urologie. Die für ihn zuständige Kassenärztliche Vereinigung versagte ihm im Wege sachlich-rechnerischer Richtigstellung im Quartal II/2012 in vier Behandlungsfällen die Vergütung von gewebeerhaltenden Eingriffen bei einer festgestellten Phimose, die er als Präputium- bzw. Frenulumplastiken ausgeführt hatte, aufgrund fehlender Bilddokumentation. Fachgerichtlicher Rechtsschutz ist insoweit ohne Erfolg geblieben.
2Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Das im einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) für eine Abrechnung eines dermato-chirurgischen Eingriffs - wozu die durchgeführten Eingriffe zählen - vorausgesetzte Erfordernis einer Bilddokumentation (vgl. Vorbemerkung 1 zu Abschnitt 31.2.2 EBM-Ä) greife in nicht zu rechtfertigender Weise in die Intimsphäre seiner Patienten ein.
II.
3Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil kein zwingender Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG dargelegt und auch sonst kein Grund für ihre Annahme ersichtlich ist. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und hat damit keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>), insbesondere da sie nicht in einer den § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise (1) darlegt, dass einer der angegriffenen Beschwerdegegenstände den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt (2, 3, 4).
41. Bei der Begründung der Verfassungsbeschwerde muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9>; 158, 210 <230 f. Rn. 51> - Einheitliches Patentgericht II - eA; stRspr). Bei einer Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung und deren konkreter Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht durch die angegriffene Entscheidung verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 149, 346 <359 Rn. 24>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>; stRspr). Soweit das Bundesverfassungsgericht für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt hat, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit Grundrechte durch die angegriffene Maßnahme verletzt werden (vgl. BVerfGE 163, 165 <210 Rn. 75> - ESM-ÄndÜG; 165, 1 <30 Rn. 39> - Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV; 168, 372 <408 Rn. 82> - Direktwahlakt 2018 - Zwei-Prozent-Sperrklausel; stRspr).
52. Diesem Maßstab genügt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den die Nichtzulassungsbeschwerde verwerfenden Beschluss des Bundessozialgerichts richtet, bereits deshalb nicht, weil sie sich nicht mit dessen rein prozessualer Natur auseinandersetzt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 103, 172 <181 f.>; 128, 90 <99>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2491/21 -, Rn. 2). Der Beschluss enthält keine Sachentscheidung.
63. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil des Landessozialgerichts und gegen dessen normative Grundlagen wendet, ist sie insbesondere unzulässig, weil sie eine Verletzung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht substantiiert aufzeigt. Bezogen auf die Vorgaben zur Leistungsbewertung und zu den Dokumentationspflichten, die das Landessozialgericht in der Begründung seiner Entscheidung heranzieht, ist zwar - die deutsche Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers angenommen - ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit substantiiert darlegt (1), nicht aber dessen Verfassungswidrigkeit (2).
7(1) Sowohl die Regelungen zur Honorarverteilung der Vertragsärzte und insbesondere die Ermächtigungen in § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Vereinbarung des EBM-Ä durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit dem Spitzenverband der Krankenkassen sowie in § 87b Abs. 1 Satz 2 SGB V zum Erlass der Honorarverteilungsmaßstäbe durch die Kassenärztlichen Vereinigungen als auch die hier zugrunde liegende Regelung des EBM-Ä greifen sachlich in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit ein (vgl. zum Schutz freipraktizierender Ärzte durch die Berufsfreiheit BVerfGE 11, 30 <41>; 16, 286 <296>; 33, 125 <161>; vgl. zuletzt BVerfGE 153, 182 <300 Rn. 310> - Suizidhilfe). Sie regeln, welche Vergütungen Ärzte unter welchen zusätzlichen Bedingungen im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Behandlung von Kassenpatienten erlangen können. Es ist den Ärzten in diesem Bereich verwehrt, Entgelte für ihre Leistungen frei auszuhandeln (vgl. zum Schutz der Preissetzungsfreiheit BVerfGE 117, 163 <181>; 134, 204 <222 Rn. 66>; 142, 268 <281 Rn. 49>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1507/23 u.a. -, Rn. 70 - GKV-FinanzstabilisierungsG; speziell zur Honorarverteilung und -kürzung der Vertragsärzte BVerfGE 33, 171 <183>). Soweit die angegriffenen Regelungen sowohl den Wert der in Rede stehenden Behandlung festlegen und zusätzlich eine Bilddokumentation oder histologische Untersuchung voraussetzen, wird der hierin liegende Eingriff in die Berufsfreiheit durch die Regelungen selbst und durch das diese heranziehende Urteil des Landessozialgericht substantiiert dargelegt.
8(2) Soweit ein Eingriff dargelegt ist, ist nicht substantiiert aufgezeigt, weshalb der Eingriff in die Berufsfreiheit nicht gerechtfertigt sein sollte. Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dienen, zur Verwirklichung dieser Zwecke geeignet und erforderlich sind und Berufstätige nicht übermäßig treffen, also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. BVerfGE 7, 377 <405 f.>; 33, 171 <183>; 77, 308 <332>; 111, 10 <32>; 117, 163 <182>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1507/23 u.a. -, Rn. 74; stRspr). Weder ist dargelegt, dass es an einer gesetzlichen Grundlage fehle (a), noch, dass die Beschränkung kein legitimes Ziel (b) in geeigneter und erforderlicher Weise (c) verfolge oder die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (d) nicht gewahrt sei.
9(a) Die Regelung des EBM-Ä beruht auf der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 87 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2d Satz 1 SGB V. Soweit der Beschwerdeführer die Rechtsgrundlage wegen eines Verstoßes gegen die Grundrechte der Patienten für verfassungswidrig und nichtig hält, hätte es einer Darlegung bedurft, inwieweit der subjektiv-rechtliche Charakter der Verfassungsbeschwerde einer solchen Berufung auf Grundrechte Dritter nicht entgegensteht (s. dazu BVerfGE 77, 84 <101>; 85, 191 <205 f.>; 96, 375 <398>, s. dazu Kube, JuS 2014, S. 726 <731 f.>).
10(b) Diese verfolgt mit der Vermeidung der Abrechnung nicht medizinisch indizierter Leistungen zu Lasten der Krankenkasse ein der Finanzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 103, 172 <184 f.>; 114, 196 <248>; 123, 186 <264>) dienendes legitimes Ziel. Auch wenn die Voraussetzung einer Bilddokumentation selbst nicht für die Behandlung an sich erforderlich ist, sondern nur dem Nachweis eines medizinisch und nicht religiös oder ästhetisch motivierten Eingriffs dient, soll sie sicherstellen, dass nur Leistungen vom System der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden, die innerhalb des in § 27 Abs. 1 SGB V normierten Leistungskatalogs bleiben.
11(c) Die Verfassungsbeschwerde zeigt weiter mangels genügender Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils und den verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht substantiiert auf, dass die Regelung ungeeignet oder nicht erforderlich wäre.
12(d) Auch ein Verstoß gegen die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird nicht unter der gebotenen Auswertung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung substantiiert aufgezeigt (aa), insbesondere nicht unter Berücksichtigung der mit der durch die Dokumentation verursachten Belastung für den Patienten (bb).
13(aa) Das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen dürfen. Es ist ein angemessener Ausgleich zwischen dem Eingriffsgewicht der Regelung und dem verfolgten gesetzgeberischen Ziel herzustellen (vgl. BVerfGE 161, 63 <122 Rn. 134>; 163, 107 <151 f. Rn. 119> - Tierarztvorbehalt; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1507/23 u.a. -, Rn. 84; stRspr). Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt werden (vgl. BVerfGE 141, 82 <100 f. Rn. 53>; 152, 68 <137 Rn. 183> - Sanktionen im Sozialrecht; 163, 107 <151 f. Rn. 119>; stRspr). In Bezug auf die Berufsfreiheit der Vertragsärzte sind nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Besonderheiten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu beachten, welches in weiten Bereichen nicht durch Marktkräfte gesteuert wird. Die Leistungserbringer sind hier in erhöhtem Maße den Einwirkungen sozialstaatlicher Gesetzgebung ausgesetzt (vgl. BVerfGE 68, 193 <220 f.>; 70, 1 <31>; 103, 172 <185 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom - 1 BvR 1507/23 u.a. -, Rn. 97, 99). Wieso es danach im Hinblick auf die Berufsausübung der Vertragsärzte unangemessen wäre, diese zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung und -abrechnung in begrenztem Umfang zu weitergehender Dokumentation einer bestehenden medizinischen Indikation heranzuziehen, ist nicht dargelegt.
14(bb) Soweit der Beschwerdeführer die Unverhältnismäßigkeit unter Verweis auf die durch die Dokumentation verursachte Belastung beim Patienten begründet, setzt er sich nicht ausreichend damit auseinander, inwiefern Grundrechte Dritter nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Prüfung einer Grundrechtsverletzung zu berücksichtigen sind (vgl. zur Berufung auf die Meinungsfreiheit Dritter durch ein Presseunternehmen BVerfGE 102, 347 <359>; zum Verbot von Grundrechte Dritter verletzender Gebote BVerfGE 152, 216 <258 Rn. 107>). Soweit der Beschwerdeführer die Dokumentationspflichten für unverhältnismäßig hält, weil sie ihn zu einer Verletzung der Grundrechte seiner Patienten zwängen, bleiben die Ausführungen zudem zu unsubstantiiert. Zunächst hätte es einer näheren Aufarbeitung der fachrechtlichen Rechtslage, insbesondere zum Arzt-Patienten-Verhältnis, bedurft. Weiter ist nicht dargelegt, ob aus der Sicht der Verfassungsbeschwerde die vermeintliche Unzumutbarkeit der Dokumentation für den Patienten, die ihrerseits nur behauptet, aber nicht im gebotenen Maße erläutert wird, vom Arzt angesichts der zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehung (§§ 630a ff. BGB; siehe auch § 76 Abs. 4 SGB V) über die Lehre der mittelbaren Drittwirkung zu beachten sein soll, oder ob der Vertragsarzt aufgrund § 95 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 76 Abs. 4 SGB V in die Grundrechtsbindung der Krankenkasse im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses zum Patienten eingebunden sein soll. Schließlich bleibt auch offen, weshalb sich im Fall der Unzumutbarkeit der Dokumentationsanforderung eine Behandlungspflicht des Arztes ohne Dokumentation und ohne Honoraranspruch ergeben soll (vgl. zu der grundsätzlichen Behandlungspflicht gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur nach Maßgabe der Bestimmung der gesetzlichen Krankenversicherung Rademacker, in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, Beck-OGK, § 95 SGB V Rn. 179 (Aug. 2019)).
154. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde das sozialgerichtliche Urteil und der Ausgangs- und Widerspruchsbescheid angegriffen werden, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis. Das Urteil des Sozialgerichts ist durch die nachfolgende erneute Sachentscheidung des Landessozialgerichts, das als Berufungsgericht nach § 157 SGG die Sache in vollem Umfang geprüft und in seinem Urteil eine eigene Sachentscheidung getroffen hat, prozessual überholt (vgl. BVerfGK 7, 312 <316>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2134/19 -, Rn. 1). Es ist nicht aufgezeigt, dass durch das Urteil des Sozialgerichts oder die angegriffenen Bescheide eine isolierte Grundrechtsverletzung verblieben wäre.
16Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
17Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20251001.1bvr098524
Fundstelle(n):
WAAAK-03723