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BGH Beschluss v. - XIII ZB 84/22

Leitsatz

Das Recht auf ein faires Verfahren vermittelt einem bedürftigen Betroffenen, der sich gegen eine gerichtlich angeordnete Überstellungshaft wenden will, keinen unbedingten Anspruch auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe, um ihn von Gerichtsgebühren zu entlasten, die für die Übersendung der Gerichtsakten an seinen Verfahrensbevollmächtigten anfallen.

Gesetze: § 76 Abs 1 FamFG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Hof Az: 22 T 78/22vorgehend AG Hof Az: 25 XIV 180/22 (B)

Gründe

1I.    Die Betroffene, eine eritreische Staatsangehörige, reiste am aus Österreich kommend nach Deutschland ein und wurde am gleichen Tag am Bahnhof F ohne Aufenthaltstitel oder Ausweispapiere aufgegriffen. Nach wiederholter Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom die Haft bis zum verlängert. Mit Schriftsatz vom hat Rechtsanwalt F seine Bevollmächtigung gegenüber dem Amtsgericht angezeigt, Aktenübersendung unter Verwahrung gegen die dafür anfallenden Kosten sowie die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und angekündigt, nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und anschließend gewährter Akteneinsicht die Beschwerde zu begründen. Das Beschwerdegericht hat mit Beschluss vom den Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt und mit weiterem Beschluss vom die - nach Rücküberstellung der Betroffenen - auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete und nicht weiter begründete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

2II.    Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Betroffene ist nicht deshalb in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 2653/93, StV 1994, 552 [juris Rn. 8]; vom - 2 BvR 1731/18, juris Rn. 22 mwN; vom - 2 BvR 1616/18, NJW 2021, 455 Rn. 32; , InfAuslR 2014, 442 Rn. 8) verletzt, weil das Beschwerdegericht ihr Verfahrenskostenhilfe weder für das Beschwerde- noch für das Verfahrenskostenhilfeverfahren gewährt hat.

31.    Das Recht auf ein faires Verfahren vermittelt einem bedürftigen Betroffenen, der sich gegen eine gerichtlich angeordnete Überstellungshaft wenden will, keinen unbedingten Anspruch auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe. Die Vorschriften über die Verfahrenskosten- und die Beratungshilfe eröffnen ihm - vor Geltung des § 62d AufenthG (vgl. dazu , InfAuslR 2025, 136 Rn. 11) - hinreichende Möglichkeiten, von Gerichtsgebühren, die für die Übersendung der Gerichtsakten an seinen Bevollmächtigten anfallen, nach den danach geltenden Voraussetzungen entlastet zu werden.

4a)    Gemäß § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 GNotKG iVm KV 31003 fallen für die Übersendung von Akten zum Zweck der Akteneinsicht Gebühren in Höhe von 12 € an. Für diese Gebühr haftet nach § 26 Abs. 2 GNotKG der Verfahrensbevollmächtigte, der - wie hier - die Aktenübersendung beantragt hat. Sie ist nach § 11 Abs. 2 GNotKG sofort nach ihrer Entstehung fällig, wobei die Aktenübersendung gemäß § 14 Abs. 2 GNotKG nicht zwingend von der Einzahlung eines Vorschusses abhängig zu machen ist. Diese Regelung ist verfassungsgemäß, insbesondere verstößt sie nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. , NJW 1996, 2222 [juris Rn. 11 ff.]).

5b)    Die Gebühr, die der Verfahrensbevollmächtigte nach § 670 Abs. 1 BGB von seinem Auftraggeber ersetzt verlangen kann, muss der Betroffene auch in Freiheitsentziehungssachen jedoch nicht stets selbst tragen. Hat eine beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie hier die Beschwerde gegen die Anordnung von Überstellungshaft - Aussicht auf Erfolg und ist dem Betroffenen auf seinen Antrag daher Verfahrenskostenhilfe zu gewähren (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), werden die Kosten der Aktenübersendung von der Staatskasse getragen (§ 76 FamFG, § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3, § 55 RVG). Ein solcher Ersatzanspruch ist auch im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens aber nicht voraussetzungslos zu gewähren. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht hat, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 2256/99, NJW 2003, 576 [juris Rn. 15 f.]; vom - 2 BvR 2377/10, NJW 2012, 3293 Rn. 11). Mit den Regelungen über die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe sind die nach Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG notwendigen Vorkehrungen getroffen, um auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen; eine vollständige Gleichstellung mit Bemittelten ist hingegen nicht geboten. Insbesondere muss der Unbemittelte - auch in Abschiebungs- oder Überstellungshaftsachen - nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (ebd.).

6c)    Will der Betroffene darüber hinaus das Risiko vermeiden, für den Fall mangelnder Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung die Kosten zu tragen, die mit der Prüfung der Erfolgsaussicht durch einen rechtlichen Beistand im Hinblick auf einen möglichen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden sind, so steht es ihm gegebenenfalls frei, für diese Prüfung Beratungshilfe gemäß § 1 Abs. 1 BerHG zu beantragen (vgl. , NJW 1984, 2106 [juris Rn. 4]). Die Gewährung dieser staatlichen Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens setzt lediglich voraus, dass andere Möglichkeiten für eine Hilfe nicht zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Betroffenen zuzumuten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG), die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheint (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG) und ihm Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe ohne einen eigenen Beitrag zu gewähren wäre (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BerHG). Wird Beratungshilfe gewährt, kann der Rechtsanwalt die für die Aktenübersendung angefallenen Kosten nach § 44 Abs. 1, § 46 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3, § 55 RVG ebenfalls von der Staatskasse ersetzt verlangen. Verfahrenskostenhilfe für das Verfahrenskostenhilfeverfahren gibt es demgegenüber nicht (vgl. , BGHZ 91, 311 [juris Rn. 3]; Beschluss vom - VI ZB 49/03, BGHZ 159, 263 [juris Rn. 6]). Dies gilt umso mehr, als es einem Verfahrensbevollmächtigten jederzeit freisteht, die Akten auf der Geschäftsstelle des Gerichts einzusehen, und die Aktenübersendung vor allem seiner Arbeitserleichterung dient.

72.    Nach diesen Maßstäben war das Beschwerdegericht nicht gehalten, der mittellosen Betroffenen trotz fehlender Erfolgsaussichten Verfahrenskostenhilfe zu gewähren. Dass sie im Streitfall nicht in der Lage war, Beratungshilfe zu beantragen, bevor sie durch den von ihr bereits beauftragten Bevollmächtigten Beschwerde einlegen und Verfahrenskostenhilfe beantragen ließ, lässt die Rechtsbeschwerde nicht erkennen. Das Beschwerdegericht war im Übrigen auch nicht verpflichtet, dem Verfahrensbevollmächtigten die Akten unter Verzicht auf die Auslagenpauschale gemäß KV 31002 zu übersenden. Zum einen hatte dieser den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht ausdrücklich von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig gemacht, zum anderen hatte er sich geweigert, die für die Akteneinsicht anfallenden Gebühren zu übernehmen, für die er nach § 26 Abs. 2 GNotKG haftet.

83.    Weitergehende Verfahrens- oder Rechtsfehler rügt die Rechtsbeschwerde nicht. Von Amts wegen zu berücksichtigende Umstände, die einen Rechtsfehler des Beschwerdegerichts begründen, sind nicht ersichtlich (§ 74 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

94.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Roloff                        Tolkmitt                        Holzinger

           Kochendörfer                     Pastohr

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:201025BXIIIZB84.22.0

Fundstelle(n):
QAAAK-03524