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BGH Beschluss v. - XIII ZB 7/23

Instanzenzug: LG Bamberg Az: 43 T 105/22vorgehend AG Forchheim Az: 1 XIV 10/22 (B)

Gründe

1I.    Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste im August 2021 ohne Ausweispapiere nach Deutschland ein. Am wurde er bei einer Kontrolle in einer Wohnung in F angetroffen. Daraufhin stellte die beteiligte Behörde am die Ausreisepflicht des Betroffenen fest, forderte ihn zur Ausreise innerhalb von zwei Wochen auf und drohte ihm die Abschiebung an. Bei einer Durchsuchung des Hauptzollamts S wurde der Betroffene am erneut in einer Wohnung in F aufgegriffen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde vom hat das Amtsgericht mit Beschluss vom selben Tag gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung für längstens sechs Monate angeordnet. Der Betroffene hat dagegen Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens stellte er am einen Asylantrag und wurde am vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) dazu angehört. Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene nach Ablauf des angeordneten Haftzeitraums die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat.

3II.    Die zulässige Rechtsbeschwerde ist für den Haftzeitraum ab dem begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

41.    Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe Abschiebungshaft zu Recht angeordnet. Der Haftantrag sei zulässig. Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sei gegeben. Einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht habe es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht bedurft.

52.    Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

6a)    Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Haftantrag zulässig war. Er enthält nach den dafür geltenden Maßstäben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom - XIII ZB 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7) hinreichende Angaben zu der erforderlichen Haftdauer, insbesondere ausreichende Ausführungen zu den Schritten, die nach dem einschlägigen Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam vom (BGBl. II 743 mit Protokoll vom gleichen Tag, BGBl. II 746) durchzuführen sind (vgl. dazu , juris Rn. 9 f.). Ob die Angaben inhaltlich tragfähig sind, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (, juris Rn. 15 mwN). Angesichts der ausweislich des Haftantrags nur beschränkten Kenntnisse der zuständigen Behörden über die Dauer des von den vietnamesischen Stellen betriebenen Verfahrens zur Ausstellung eines Passersatzpapiers war die beteiligte Behörde nicht gehalten, genauere Angaben zu der erwartbaren Verfahrensdauer zu machen. Zudem musste die beteiligte Behörde angesichts der aus der Sphäre der ausländischen Behörden stammenden unklaren, zwischen drei und sechs Monaten veranschlagten Dauer auch nicht näher darlegen, welcher Zeitraum für die Organisation der Rückführung nach Ausstellung der Passersatzpapiere benötigt werden würde. Insofern genügte die Angabe, dass regelmäßig Abschiebungen sowohl im Wege der Einzelbuchung als auch mit Sammelchartern durchgeführt werden und der Betroffene wegen im Übrigen fehlender Abschiebungshindernisse dafür vorgesehen werden könne, sobald ein Passersatzpapier erteilt worden sei (vgl. , juris Rn. 9 f.).

7b)    Die Prognose des Beschwerdegerichts im Hinblick auf die Durchführbarkeit der Abschiebung erweist sich ebenfalls nicht als fehlerhaft. Weil der Betroffene seinen Pass nach eigenen Angaben an die Schleuserorganisation übergeben hat und daher Passersatzpapiere beschafft werden mussten, hat er die Gründe, aus denen die Abschiebung nicht innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden konnte, gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG in der bis zum geltenden Fassung selbst zu vertreten (, NVwZ 2017, 732 Rn. 6). Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass feststand, die Abschiebung könne nicht innerhalb der Höchstfrist von sechs Monaten nach § 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG durchgeführt werden (dazu , juris Rn. 8), legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Solche sind angesichts des Umstandes, dass nach den vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Ausführungen der beteiligten Behörde der Betroffene zwischenzeitlich eine Kopie seiner Geburtsurkunde vorlegt habe und es daher einer Sammelanhörung bei der vietnamesischen Vertretung nicht mehr bedürfe, auch nicht ersichtlich. Insoweit verbleibende Unsicherheiten gehen zu Lasten des Betroffenen (ebd.).

8c)    Soweit das Beschwerdegericht die Haftanordnung auf den Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gestützt hat, ist die Entscheidung allerdings verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das Beschwerdegericht hätte nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen dürfen.

9aa)    Eine erneute Anhörung des Betroffenen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß § 68 Abs. 3 FamFG insbesondere dann durchzuführen, wenn die bisherige Haftanordnung auf einen neuen Haftgrund gestützt werden soll oder im Rahmen eines einheitlichen Haftgrundes ein neuer Sachverhalt eingeführt wird, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte (vgl. , juris Rn. 10 mwN).

10bb)    So liegt der Fall hier. Das Beschwerdegericht hat mit Verfügung vom darauf hingewiesen, dass es den Haftgrund der unerlaubten Einreise, auf den sich das Amtsgericht gestützt hatte, aufgrund des zwischenzeitlich gestellten Asylantrags nicht mehr als gegeben erachtete. Daraufhin hat die beteiligte Behörde den Haftantrag ergänzt und geltend gemacht, es bestehe auch Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3b Nr. 2 AufenthG, weil der Betroffene in seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben habe, 15.000 USD für seine Ausreise gezahlt zu haben und dabei abwechselnd von Reiseorganisation und Schleusern gesprochen habe. Darauf hat das Beschwerdegericht die Haftanordnung gestützt, ohne den Betroffenen dazu anzuhören.

113.    Die Entscheidung erweist sich indes für den Zeitraum bis zum aus anderen Gründen als richtig (§ 74 Abs. 2 FamFG).

12a)    Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in der maßgeblichen, bis zum geltenden Fassung ist ein Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Gleichwohl darf Sicherungshaft aber grundsätzlich nicht angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Ausländer bei oder nach seiner Einreise erstmals um Asyl nachsucht, weil ihm dann der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG). Etwas anderes gilt jedoch - was das Beschwerdegericht aufgrund seiner in der Hinweisverfügung verlautbarten Auffassung nicht hinreichend beachtet hat - nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG, wenn der Asylantrag aus der Haft heraus gestellt wird. Die Aufenthaltsgestattung steht dann der Aufrechterhaltung der Haft während der Prüfung des Asylantrags grundsätzlich nicht entgegen. Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber verhindern, dass Betroffene nach Anordnung von Haft zur Sicherung ihrer Abschiebung aus rein taktischen Erwägungen und damit rechtsmissbräuchlich einen Asylantrag stellen, so die sachlich nicht gerechtfertigte Aufhebung der Haft erreichen und sich dann dem Zugriff der Behörden entziehen. Er hat sich daher entschlossen, die Gestattungswirkung eines aus der (Abschiebungs-)Haft gestellten Asylantrags generell hinauszuschieben und in den in § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 AsylG genannten Fallgruppen nicht eintreten zu lassen (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 115/19, InfAuslR 2021, 119 Rn. 14 f.; vom - XIII ZB 65/21, juris Rn. 15, jeweils mwN).

13b)    Danach war der Haftgrund der unerlaubten Einreise zunächst gegeben. Der Betroffene war nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts seit dem kraft Gesetzes wegen unerlaubter Einreise gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Dem Betroffenen wurde auch die Abschiebung im Bescheid vom selben Tag unter Fristsetzung gemäß § 59 Abs. 1 angedroht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 39/15, juris Rn. 5; vom - XIII ZB 3/21, juris Rn. 19). Der Asylantrag stand der Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 AsylG in der bis zum geltenden Fassung (nachfolgend: aF) bis zur Zustellung der Entscheidung des Bundesamts, längstens jedoch bis vier Wochen nach seinem Eingang beim Bundesamt nicht entgegen. Da der Betroffene nach den Feststellungen des Landgerichts am vom Bundesamt angehört worden ist, mithin bis zu diesem Zeitpunkt über den Asylantrag jedenfalls noch nicht entschieden war, war die Haft bis zum rechtmäßig.

144.    Für den Haftzeitraum ab dem ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG. Ob die Haft ab der Anhörung des Betroffenen durch das Bundesamt gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG aufrechterhalten werden durfte, hat das Beschwerdegericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft.

15a)    Haft, die - wie hier - trotz eines aus der Haft gestellten Asylantrags gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG aF angeordnet werden kann, endet grundsätzlich mit Zustellung des Bescheids, wenn das Bundesamt den Asylantrag als "einfach" unzulässig oder unbegründet ablehnt oder ihm zumindest teilweise stattgibt. Sie endet unabhängig davon spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AsylG). Denn der Umstand, dass die Bearbeitung des Asylantrags längere Zeit in Anspruch nimmt, soll dem Betroffenen nicht angelastet werden (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom , BT-Drucks. 13/4948, S. 11). Eine (Rück-)Ausnahme gilt unter anderem jedoch dann, wenn der Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG oder als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 2. Alt. AsylG aF). Dann kann die Haft über den Vier-Wochen-Zeitraum hinaus fortgesetzt werden (, juris Rn. 16).

16b)    Insoweit hat das Beschwerdegericht nicht aufgeklärt, wann und mit welchem Inhalt das Bundesamt über den Asylantrag des Betroffenen entschieden hat. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 2. Alt. AslyG aF vorgelegen haben. Aus der vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Stellungnahme der Behörde ergibt sich, dass das Bundesamt am eine Prognose gegenüber der beteiligten Behörde abgegeben hatte, wonach es den Asylantrag des Betroffenen wahrscheinlich als offensichtlich unbegründet ablehnen werde. Nachdem der Betroffene im Hinblick auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise bereits vom Amtsgericht persönlich angehört worden ist, bedarf es nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG keiner weiteren persönlichen Anhörung zur etwaigen Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag vom . Die Rechte des Betroffenen können insoweit durch seinen Verfahrensbevollmächtigten hinreichend gewahrt werden (vgl. auch , juris Rn. 12).

Roloff                               Tolkmitt                               Holzinger

               Kochendörfer                             Pastohr

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:201025BXIIIZB7.23.0

Fundstelle(n):
WAAAK-03185