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EuGH Urteil v. - C-744/23

Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Mehrwertsteuerpflichtige Umsätze – Art. 2 Abs. 1 Buchst. c – Dienstleistungen gegen Entgelt – Art. 9 Abs. 1 – Steuerpflichtiger – Einer Partei in einem Gerichtsverfahren durch einen Rechtsanwalt kostenlos gewährter rechtlicher Beistand – Zahlung des Honorars dieses Anwalts durch die unterliegende Gegenpartei

Leitsatz

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

die Vertretung einer Partei vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Dienstleistung kostenlos erbracht wird, aber die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die Gegenpartei, wenn sie zur Tragung der Kosten verurteilt wird, auch dazu verurteilt wird, diesem Rechtsanwalt ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe durch diese Rechtsvorschriften geregelt wird.

Gesetze: RL 2006/112/EG Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, RL 2006/112/EG Art. 9 Abs. 1, RL 2006/112/EG Art. 24 Abs. 1, RL 2006/112/EG Art. 26 Abs. 1, RL 2006/112/EG Art. 28, RL 2006/112/EG Art. 75

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b, Art. 28 und Art. 75 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen T. P. T. und der „Financial Bulgaria“ EOOD über einen Antrag des Rechtsanwalts von T. P. T., dass Financial Bulgaria ihm neben seinem Honorar die auf der Grundlage des Betrags dieses Honorars berechnete Mehrwertsteuer zahle.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“, der Mehrwertsteuer unterliegen.

4 Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.“

5 Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“

6 Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt sind folgende Umsätze:

b)

unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.“

7 Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“

8 Art. 75 der Richtlinie lautet:

„Bei Dienstleistungen in Form der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf und unentgeltlich erbrachten Dienstleistungen im Sinne des Artikels 26 ist die Steuerbemessungsgrundlage der Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung.“

Bulgarisches Recht

9 Das Zakon za advokaturata (Gesetz über die Anwaltschaft) in der zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung (im Folgenden: ZA) sieht in Art. 38 vor:

„(1)  Ein Anwalt oder ein Anwalt aus der Europäischen Union kann folgenden Personen kostenlos anwaltliche Hilfe und Beistand leisten:

2.

Personen, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden;

(2)  Werden in den in Abs. 1 genannten Fällen die Kosten in dem betreffenden Verfahren der Gegenpartei auferlegt, so hat der Anwalt oder Anwalt aus der … Union Anspruch auf ein Anwaltshonorar. Das Gericht legt das Honorar auf einen Betrag fest, der nicht niedriger sein darf als in der in Art. 36 Abs. 2 genannten Verordnung vorgesehen, und verurteilt die andere Partei zu dessen Zahlung.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10 T. P. T. erhob eine zivilrechtliche Klage gegen Financial Bulgaria auf Feststellung der Nichtigkeit einer zwischen ihnen im Rahmen eines Verbraucherkreditvertrags vereinbarten Bürgschaft. Zu diesem Zweck ließ sich T. P. T. vor Gericht durch einen Rechtsanwalt, der im Rahmen einer Ein-Personen-Rechtsanwaltsgesellschaft handelt, auf der Grundlage eines mit ihm geschlossenen Vertrags vertreten. Dieser rechtliche Beistand wurde T. P. T. gemäß Art. 38 Abs. 1 Nr. 2 ZA kostenlos gewährt.

11 Da T. P. T. obsiegte, verurteilte der Sofiyski Rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien), das vorlegende Gericht, mit Entscheidung vom Financial Bulgaria gemäß Art. 38 Abs. 2 ZA zur Zahlung eines Betrags von 400 Lewa (BGN) an den Rechtsanwalt von T. P. T., allerdings ohne Mehrwertsteuer.

12 Am beantragte der Rechtsanwalt von T. P. T. beim vorlegenden Gericht, die Entscheidung vom dahin abzuändern, dass ihm zusätzlich zu seinem Honorar die auf den Betrag von 400 BGN berechnete Mehrwertsteuer in Höhe von 80 BGN zuerkannt werde.

13 Financial Bulgaria trat diesem Antrag entgegen und machte geltend, dass keine Mehrwertsteuer auf das Anwaltshonorar zuzuerkennen sei, da T. P. T. der rechtliche Beistand kostenlos gewährt worden sei.

14 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Rechtsanwalt von T. P. T. nach dem bulgarischen Mehrwertsteuergesetz registriert sei und dass das Anwaltshonorar, wenn dieser Rechtsanwalt seine Dienstleistungen auf der Grundlage eines Vertrags erbringe, der eine von seinem Mandanten zu zahlende Vergütung vorsehe, daher der Mehrwertsteuer unterliegen müsse.

15 Es sei zu klären, ob dies auch dann der Fall ist, wenn die Vertretung des Mandanten vor Gericht durch seinen Rechtsanwalt kostenlos erfolge und das zuständige Gericht die unterliegende Gegenpartei verpflichte, unmittelbar an diesen Rechtsanwalt den Gegenwert dessen zu zahlen, was dieser erhalten hätte, wenn diese Leistung gegen ein Honorar erbracht worden wäre. Insbesondere fragt sich das vorlegende Gericht, ob der Rechtsanwalt unter solchen Umständen als Steuerpflichtiger anzusehen ist und ob die Gewährung von Rechtsbeistand eine Dienstleistung gegen Entgelt bzw. eine unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen, die einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichzustellen ist, darstellt.

16 Daher hat der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b und Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der dort erwähnte Begriff „Dienstleistungen“ Folgendes umfasst:

a)

die Erbringung unentgeltlicher Rechtsdienstleistungen (pro bono) durch einen Rechtsanwalt einer Partei im Gerichtsverfahren;

b)

die Erbringung unentgeltlicher Rechtsdienstleistungen (pro bono) durch einen Rechtsanwalt einer Partei, die im Rechtsstreit obsiegt hat, wobei dem Rechtsanwalt das Honorar gerichtlich zuerkannt wird, das er erhalten würde, wäre ein Honorar im Rahmen eines Vertrags über Rechtsschutz und Unterstützung in Rechtssachen vereinbart worden?

2.

Ist Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass unter „unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen“ Folgendes fällt:

a)

die Erbringung unentgeltlicher Rechtsdienstleistungen (pro bono) durch einen Rechtsanwalt einer Partei im Gerichtsverfahren;

b)

die Erbringung unentgeltlicher Rechtsdienstleistungen (pro bono) durch einen Rechtsanwalt einer Partei, die im Rechtsstreit obsiegt hat, wobei dem Rechtsanwalt das Honorar gerichtlich zuerkannt wird, das er erhalten würde, wäre ein Honorar im Rahmen eines Vertrags über Rechtsschutz und Unterstützung in Rechtssachen vereinbart worden?

3.

Sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 26 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Begriff „Dienstleistung gegen Entgelt“ die Erbringung einer unentgeltlichen Rechtsdienstleistung (pro bono) durch einen Rechtsanwalt einer Partei erfasst, die im Rechtsstreit obsiegt hat, wobei dem Rechtsanwalt das Honorar gerichtlich zuerkannt wird, das er erhalten würde, wäre ein Honorar im Rahmen eines Vertrags über den Rechtsschutz und Unterstützung in Rechtssachen vereinbart worden?

4.

Sind die Art. 28 und 75 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Begriff „Steuerpflichtiger“ Folgendes erfasst:

a)

ein Rechtsanwalt (eine Ein-Personen-Rechtsanwaltsgesellschaft), der für eine Partei in einem Gerichtsverfahren unentgeltliche Rechtsdienstleistungen (pro bono) erbracht hat;

b)

ein Rechtsanwalt (eine Ein-Personen-Rechtsanwaltsgesellschaft), der für eine Partei unentgeltliche Rechtsdienstleistungen (pro bono) erbracht hat, die im Rechtsstreit obsiegt hat, wobei dem Rechtsanwalt (der Ein-Personen-Rechtsanwaltsgesellschaft) das Honorar gerichtlich zuerkannt wird, das er erhalten würde, wäre ein Honorar in einem Vertrag über Rechtsschutz und Unterstützung in Rechtssachen vereinbart worden?

Zu den Vorlagefragen

17 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Er hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Haug-Adrion, 251/83, EU:C:1984:397, Rn. 9, und vom , M. N. [EncroChat], C‑670/22, EU:C:2024:372, Rn. 78).

18 Im vorliegenden Fall sind die Vorlagefragen unter Berücksichtigung des Sachverhalts, wie er in der Vorlageentscheidung dargestellt wird, dahin zu verstehen, dass mit ihnen der Gerichtshof ersucht wird, zu beurteilen, ob die Bestimmungen von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 Buchst. b, Art. 28 und Art. 75 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass die Vertretung einer Partei vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung gegen Entgelt oder eine unentgeltliche Dienstleistung darstellt, die einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichzustellen ist, wenn diese Dienstleistung kostenlos erbracht wird, aber die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die Gegenpartei, wenn sie zur Tragung der Kosten verurteilt wird, auch dazu verurteilt wird, diesem Rechtsanwalt ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe durch diese Rechtsvorschriften geregelt wird.

19 Zur Beantwortung der so umformulierten Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegen.

20 Insoweit sieht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor, dass als „Steuerpflichtiger“ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Zudem gilt nach Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie als „Dienstleistung“ jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

21 Im vorliegenden Fall ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 33 und 34 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, der Rechtsanwalt von T. P. T., der nach dem bulgarischen Mehrwertsteuergesetz registriert ist, als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen, ohne dass es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, dass ihm ein Anwaltshonorar für eine Person zuerkannt wird, der er kostenlos rechtlichen Beistand gewährt hat und die im Rechtsstreit obsiegt hat.

22 Ferner ist festzustellen, dass die Vertretung eines Mandanten vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt.

23 Was die Frage betrifft, ob eine Leistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine „gegen Entgelt“ erbrachte Dienstleistung darstellt, so setzt nach ständiger Rechtsprechung die Einstufung einer Dienstleistung als Umsatz „gegen Entgelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie nur das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dieser Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraus. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (Urteil vom , Administration de l’enregistrement, des domaines et de la TVA [Mehrwertsteuer – Mitglied eines Verwaltungsrats], C‑288/22, EU:C:2023:1024, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24 Hingegen wird der unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung dann aufgehoben, wenn die Vergütung aus völlig freien Stücken erfolgt und vom Zufall abhängig ist, so dass sich ihre Höhe praktisch nicht bestimmen lässt, oder wenn sie angesichts der Umstände ihrer Bestimmung schwierig zu beziffern und ungewiss ist (Urteil vom , Administration de l’enregistrement, des domaines et de la TVA [Mehrwertsteuer – Mitglied eines Verwaltungsrats], C‑288/22, EU:C:2023:1024, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25 Im vorliegenden Fall geht zum einen aus der Vorlageentscheidung hervor, dass zwischen T. P. T. und seinem Rechtsanwalt ein Vertrag über kostenlosen rechtlichen Beistand gemäß Art. 38 Abs. 1 Nr. 2 ZA besteht. Zum anderen wurde die Gegenpartei, da T. P. T. in dem betreffenden Gerichtsverfahren obsiegte, gemäß Art. 38 Abs. 2 ZA verurteilt, diesem Rechtsanwalt ein Anwaltshonorar zu zahlen, dessen Höhe gemäß den gesetzlich vorgesehenen Angaben unter Bezugnahme auf die Mindestbeträge für Anwaltshonorare festgelegt wurde.

26 Dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem seitens des Rechtsanwalts von T. P. T. gewährten rechtlichen Beistand und dem dem Anwalt gezahlten Anwaltshonorar besteht, kommt somit sowohl in einem Vertrag als auch im Gesetz zum Ausdruck.

27 In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass das Anwaltshonorar nicht von der Partei, der der rechtliche Beistand gewährt wurde, sondern von der Gegenpartei und damit von einem Dritten erbracht wird. Für die Ausführung einer Dienstleistung „gegen Entgelt“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist es nämlich nicht erforderlich, dass die Gegenleistung für die Dienstleistung unmittelbar vom Empfänger der Dienstleistung erbracht wird (Urteil vom , Administration de l’enregistrement, des domaines et de la TVA [Mehrwertsteuer – Mitglied eines Verwaltungsrats], C‑288/22, EU:C:2023:1024, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Zudem wird die oben in Rn. 26 angestellte Erwägung nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Zahlung der Anwaltshonorare in Anbetracht dessen im Ungewissen bleibt, dass keine Garantie für das Obsiegen im Gerichtsverfahren und folglich für die Verurteilung der Gegenpartei zur Zahlung dieses Honorars besteht.

29 Zwar geht nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus den Urteilen vom , Tolsma (C‑16/93, EU:C:1994:80, Rn. 19), und vom , Baštová (C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 29), hervor, dass die die Zahlung selbst betreffende Ungewissheit den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der dem Leistungsempfänger erbrachten Dienstleistung und der gegebenenfalls erhaltenen Zahlung aufzuheben vermag; allerdings sind der Sachverhalt des vorliegenden Ausgangsverfahrens und die Sachverhalte der Rechtssachen, in denen diese Urteile ergangen sind, nicht vergleichbar.

30 So betraf das Urteil vom , Tolsma (C‑16/93, EU:C:1994:80), einen Straßenmusikanten, der von Passanten geringe Geldbeträge erhielt. Hierzu hat der Gerichtshof in den Rn. 16 und 17 dieses Urteils ausgeführt, dass diese Einnahmen nicht die Gegenleistung für eine den Passanten erbrachte Dienstleistung darstellten, weil zum einen zwischen den Beteiligten keine Vereinbarung bestand, da die Passanten freiwillig ihre Zahlung erbrachten, deren Höhe sie selbst bestimmten, und weil zum anderen zwischen der musikalischen Darbietung und den dadurch veranlassten Zahlungen kein notwendiger Zusammenhang bestand.

31 Das Urteil vom , Baštová (C‑432/15, EU:C:2016:855), betraf u.a. die Frage, ob die Überlassung eines Pferdes durch einen Steuerpflichtigen an den Veranstalter eines Pferderennens zwecks Teilnahme dieses Pferdes an diesem Rennen eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung war.

32 Hierzu hat der Gerichtshof in den Rn. 35 und 37 dieses Urteils entschieden, dass die tatsächliche Gegenleistung einer solchen Überlassung grundsätzlich nicht in der vom Rennveranstalter erbrachten Dienstleistung liegen kann, die darin besteht, dem Eigentümer die Teilnahme seines Pferdes an dem Rennen zu gewähren, da diese Dienstleistung vom Eigentümer des Pferdes mit der Zahlung der Anmeldegebühr und des Startgelds vergütet wird, die den tatsächlichen Gegenwert der Teilnahme am Rennen widerspiegeln, und da jeder Vorteil, den der Eigentümer des Pferdes möglicherweise aufgrund der Wertsteigerung des Pferdes oder der mit dieser Teilnahme einhergehenden Werbung aus dieser Teilnahme ziehen kann, schwierig zu beziffern und ungewiss ist. Ferner kann auch das gegebenenfalls gewonnene Preisgeld für die Platzierung des Pferdes im Rennen keine tatsächliche Gegenleistung für die Überlassung des Pferdes darstellen, weil nicht gerade dafür, dass der Eigentümer sein Pferd an den Rennveranstalter überlässt, das Preisgeld gezahlt wird, sondern für die Erzielung eines bestimmten Wettbewerbsergebnisses.

33 Im Ausgangsverfahren ist zwar die Zahlung des Anwaltshonorars, abhängig vom Ergebnis des Prozesses, ungewiss, doch stellt dieses Honorar die tatsächliche Gegenleistung für die Leistung dar, die in der Vertretung des Mandanten vor Gericht liegt.

34 Soweit sich das vorlegende Gericht im Übrigen auf Art. 26 Abs. 1 Buchst. b, Art. 28 und Art. 75 der Mehrwertsteuerrichtlinie bezieht, so genügt der Hinweis, dass keine dieser Bestimmungen auf eine Leistung wie die in Rede stehende anwendbar ist.

35 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Vertretung einer Partei vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Dienstleistung kostenlos erbracht wird, aber die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die Gegenpartei, wenn sie zur Tragung der Kosten verurteilt wird, auch dazu verurteilt wird, diesem Rechtsanwalt ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe durch diese Rechtsvorschriften geregelt wird.

Kosten

36 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

die Vertretung einer Partei vor Gericht durch einen Rechtsanwalt eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn diese Dienstleistung kostenlos erbracht wird, aber die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats vorsehen, dass die Gegenpartei, wenn sie zur Tragung der Kosten verurteilt wird, auch dazu verurteilt wird, diesem Rechtsanwalt ein Honorar zu zahlen, dessen Höhe durch diese Rechtsvorschriften geregelt wird.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:816

Fundstelle(n):
WAAAK-02939