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BSG Urteil v. - B 5 R 3/24 R

Tatbestand

1Zwischen den Beteiligten ist streitig eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung eines Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (Grundrentenzuschlag).

2Der Kläger bezieht von der Beklagten seit Dezember 2012 eine Regelaltersrente (Bescheid vom ). Die Beklagte berechnete die Rente mit Bescheid vom neu. Dabei berücksichtigte sie - wie bereits zuvor - neben 230 Monaten Pflichtbeitragszeiten 312 Monate mit vom Kläger freiwillig geleisteten Beiträgen.

3Im Juli 2022 beantragte der Kläger die Berücksichtigung eines Grundrentenzuschlags ab Januar 2021. Dies lehnte die Beklagte ab, weil die hierfür erforderlichen 33 Jahre (396 Kalendermonate) mit Grundrentenzeiten nicht vorlägen. Dazu zählten zwar die von ihm zurückgelegten Pflichtbeitragszeiten, nicht aber die Zeiten mit freiwilligen Beiträgen (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

4Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Gegen die Nichtberücksichtigung der freiwilligen Beitragszeiten als Grundrentenzeiten bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Urteil vom ).

5Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Er habe mit seinen freiwilligen Beiträgen ebenso wie Pflichtversicherte über viele Jahre zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen und müsse daher ebenso wie diese über den Grundrentenzuschlag für seine Lebensarbeitsleistung honoriert sowie vor Altersarmut geschützt werden.

6Der Kläger beantragt,das sowie den Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verpflichten, unter Änderung des Bescheids vom ab dem eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung eines Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung festzusetzen und die Beklagte zur Zahlung einer entsprechend höheren Rente zu verurteilen.

7Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Gründe

9A. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Änderung der Höhe der ihm bindend bewilligten Regelaltersrente unter Berücksichtigung eines Grundrentenzuschlags nach § 307e SGB VI idF des Gesetzes zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom (BGBl I 1879).

10I. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist neben der Berufungsentscheidung und dem Gerichtsbescheid des SG der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG), mit dem eine Korrektur der mit Bescheid vom bindend bewilligten Rentenhöhe unter Berücksichtigung eines Grundrentenzuschlags abgelehnt worden ist. Damit verfolgt der Kläger sein Begehren auf eine höhere Regelaltersrente gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl - BSGE 135, 110 = SozR 4-2600 § 253a Nr 1, RdNr 14 mwN).

11II. Als Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Änderung der Rentenhöhe ab dem aufgrund des zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen § 307e SGB VI kommt allein § 48 Abs 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, dieser Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder - unter den in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X näher beschriebenen Voraussetzungen - mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben und entsprechend anzupassen. Abweichend von dem in § 306 Abs 1 SGB VI bestimmten Grundsatz, dass bei bestehendem Rentenanspruch die der Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte aus Anlass einer Rechtsänderung nicht neu bestimmt werden, ist § 48 Abs 1 SGB X einschlägig, wenn eine Gesetzesänderung die zusätzliche Berücksichtigung von (persönlichen) Entgeltpunkten für Bestandsrenten ausdrücklich vorsieht (vgl - SozR 4-1300 § 48 Nr 43 <vorgesehen> - juris RdNr 15; - BSGE 135, 110 = SozR 4-2600 § 253a Nr 1, RdNr 15).

12III. Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Das Inkrafttreten von § 307e SGB VI am hatte für die Höhe der Regelaltersrente des Klägers keine wesentliche (Rechts-)Änderung zur Folge. Wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv bestehenden Verhältnissen den Dauerverwaltungsakt so nicht mehr erlassen dürfte. Dies ist nach den Bestimmungen des für die betroffene Leistung maßgeblichen materiellen Rechts zu beurteilen (vgl - BSGE 135, 110 = SozR 4-2600 § 253a Nr 1, RdNr 19 mwN). Danach sind die Voraussetzungen für einen Grundrentenzuschlag im Fall des Klägers nicht erfüllt.

13Bestand am Anspruch auf eine Rente mit einem Rentenbeginn nach dem , wird nach § 307e Abs 1 Satz 1 SGB VI ein Zuschlag an Entgeltpunkten ermittelt, wenn 1. mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten nach § 76g Abs 2 SGB VI vorhanden sind und 2. sich aus den Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten nach § 76g Abs 3 SGB VI ein Durchschnittswert an Entgeltpunkten ergibt, der unter dem nach § 76g Abs 4 SGB VI maßgebenden Höchstwert liegt.

14Die danach erforderlichen mindestens 33 Jahre (396 Kalendermonate) mit Grundrentenzeiten liegen nicht vor. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Kläger nur 230 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Die Kalendermonate mit freiwillig geleisteten Beiträgen werden nicht auf Grundrentenzeiten angerechnet.

151. Dies folgt bereits aus dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut. Der von § 307e Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI in Bezug genommene § 76g Abs 2 SGB VI verweist in Satz 1 Halbsatz 1 auf Kalendermonate mit anrechenbaren Zeiten nach § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI. In der darin enthaltenen Aufzählung von rentenrechtlichen Zeiten, die auf die Wartezeit von 45 Jahren für einen Anspruch auf die Altersrente für besonders langjährig Versicherte angerechnet werden, sind Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen nicht genannt. Diese finden sich in § 51 Abs 3a Satz 1 SGB VI erst in Nr 4, auf die § 76g Abs 2 SGB VI aber nicht Bezug nimmt. Soweit § 76g Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI auf eine entsprechende Geltung von § 55 Abs 2 SGB VI verweist, wonach (auch) freiwillige Beiträge ausnahmsweise als Pflichtbeiträge gelten, sind auch dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Keiner der dort von Nr 1 erfassten Fälle (zB nachgezahlte Beiträge für Zeiten einer zu Unrecht erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme nach § 205 Abs 1 Satz 3 SGB VI oder für verfolgte Versicherte nach § 11 WGSVG) ist hier gegeben.

162. Die Gesetzeshistorie zur Einführung des Grundrentengesetzes belegt, dass Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen nicht als Grundrentenzeiten berücksichtigt werden sollten.

17Bereits in den zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom ergangenen Stellungnahmen war vereinzelt deren Ausschluss diskutiert und teilweise auch eine Anrechnung auf Grundrentenzeiten befürwortet worden (vgl die Stellungnahmen des AWO Bundesverbandes e.V., Stand: Januar 2020, S 4, des Bundesverbandes der Rentenberater e.V. vom , S 2 und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Januar 2020, S 5 f; alle abrufbar unter https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/gesetz-zur-einfuehrung-der-grundrente.html). Gleichwohl wurden Zeiten mit freiwillig geleisteten Beiträgen im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht als Grundrentenzeiten erfasst. Unmissverständlich heißt es dort dazu: "Kalendermonate mit freiwilligen Beiträgen sind keine Grundrentenzeiten" (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 36). Die Grundrentenzeiten sollten sich in Anlehnung an die rentenrechtlichen Zeiten, die auch auf die Wartezeit von 45 Jahren für einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte angerechnet werden, auf Pflichtbeitragszeiten für versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, Pflichtbeitragszeiten aufgrund von Kindererziehung, Pflege und Antragspflichtversicherung, rentenrechtliche Zeiten wegen des Bezugs von Leistungen bei Krankheit und während der Inanspruchnahme von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Ersatzzeiten sowie Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung und Pflege beschränken (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 24). Es sollte nicht die Möglichkeit eröffnet werden, sich "Grundrentenzuschläge zu erkaufen" (so die Antwort der Bundesregierung vom auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Kurth, Anja Hajduk, Sven Lehmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, BT-Drucks 19/17762 S 4). Danach war von der Bundesregierung als Verfasserin des Gesetzentwurfs eine Berücksichtigung von Zeiten mit freiwilligen Beiträgen ausdrücklich nicht gewollt.

18Anlässlich der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Arbeit und Soziales am erfolgten weitere Stellungnahmen, die zum Teil den Ausschluss von Kalendermonaten mit freiwilligen Beiträgen in Frage stellten (vgl Arbeitnehmerkammer Bremen, Mai 2020, S 3 und 13; AWO Bundesverband e.V., Mai 2020, S 5; Diakonie Deutschland, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. vom , S 5; allgemein mit dem Anliegen, alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten zu den Grundrentenzeiten zu zählen: Deutscher Gewerkschaftsbund vom , S 13; alle abrufbar unter https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2020/kw22-pa-arbeit-soziales-696640). Zudem hatte die Bundestagsfraktion DIE LINKE im Ausschuss für Arbeit und Soziales einen Änderungsantrag eingebracht, wonach in § 76g Abs 2 SGB VI die Wörter "§ 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 1 bis 3" durch die Wörter "§ 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 1 bis 4" ersetzt werden sollten. Dieser Antrag wurde im Ausschuss abgelehnt und der Gesetzentwurf der Bundesregierung ohne Änderung des § 76g Abs 2 SGB VI angenommen (siehe hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom , BT-Drucks 19/20711 S 8 ff, 18 f). Auch ein entsprechender im Bundestag eingebrachter Änderungsantrag (vom , BT-Drucks 19/20737) und ein Entschließungsantrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE (vom , BT-Drucks 19/20744 S 3) mit der Aufforderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen mit dem Ziel, für die Grundrentenzeiten ua auch Zeiten freiwilliger Beiträge anzuerkennen, blieben ohne Erfolg (BT-Plenarprotokoll 19/170 vom , S 21198 B und C).

19IV. Der Ausschluss von Kalendermonaten mit freiwillig geleisteten Beiträgen von der Anrechnung auf die für einen Grundrentenzuschlag erforderlichen Grundrentenzeiten verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Das Verfahren war deshalb nicht nach Art 100 Abs 1 GG auszusetzen und dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.

201. Der Kläger wird nicht in seinem Grundrecht aus Art 14 Abs 1 GG verletzt. Die Regelungen zum Grundrentenzuschlag haben die danach geschützte Rechtsposition des Klägers unverändert gelassen (vgl zu diesem Aspekt auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2076/23 - juris RdNr 10 mwN). Sein Anspruch auf Regelaltersrente bestand nach Einführung des Grundrentenzuschlags zum in der zuvor gewährten Höhe fort. Bei Gewährung eines Grundrentenzuschlags hätte sich der Rentenanspruch allenfalls erhöht und seine Rechtsposition insoweit verbessert.

212. Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.

22a) Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (stRspr; zB - BVerfGE 153, 358 - juris RdNr 94; ua - BVerfGE 145, 304 - juris RdNr 81).

23Art 3 Abs 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind, oder je mehr sie sich denen des Art 3 Abs 3 GG annähern (stRspr; zB - juris RdNr 117; ua - BVerfGE 161, 163 - juris RdNr 279).

24Umgekehrt erweitern sich mit abnehmender Prüfungsstrenge die Gestaltungs- und Bewertungsspielräume des Gesetzgebers bei steigender Typisierungstoleranz. Diese sind im Bereich der leistenden Massenverwaltung wie etwa der gesetzlichen Rentenversicherung besonders groß. Dem Gesetzgeber kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit und daher insbesondere auf dem Gebiet des Sozialrechts für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2076/23 - juris RdNr 17 mwN). Ein besonders großer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht bei aus Bundesmitteln zum sozialen Ausgleich gewährten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (zu Kindererziehungszeiten, die gemäß § 177 SGB VI vom Bund finanziert werden: - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-2600 § 56 Nr 12, RdNr 45; - SozR 4-2600 § 56 Nr 13 <vorgesehen> - juris RdNr 44; - BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 34; - BSGE 129, 192 = SozR 4-2600 § 70 Nr 3, RdNr 38; vgl auch zu Berücksichtigungszeiten BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1687/14 - juris RdNr 12). Eine solche Leistung ist auch der Grundrentenzuschlag.

25Für die Gewährung höherer Renten unter Berücksichtigung eines Grundrentenzuschlags wurden zusätzliche Bundesmittel bereit gestellt. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollten die Beitragstragenden (insbesondere Arbeitnehmer und Arbeitgeber) in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mit weiteren Kosten belastet werden. Bereits die im Einführungsjahr 2021 veranschlagten Kosten von rund 1,3 Milliarden Euro sollten "vollständig durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung finanziert" und der Bundeszuschuss dauerhaft um 1,4 Milliarden Euro erhöht werden. Dazu wurde § 213 Abs 2 Satz 4 SGB VI neu gefasst (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 4, 25, 28, 46 und 74; Stellungnahme des Bundesrates vom zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks 85/20 <Beschluss> S 4; siehe ebenso auch die Antwort der Bundesregierung vom auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Kurth, Anja Hajduk, Sven Lehmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, BT-Drucks 19/17762 S 5, wonach der Grundrentenzuschlag "durch die Erhöhung des Bundeszuschusses vollständig aus Steuermitteln finanziert ist" und bestätigend die Antwort der Bundesregierung vom auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten René Springer, Ulrike Schielke-Ziesing und der Fraktion der AfD, BT-Drucks 20/3906 S 5, wonach die Ausgaben für den Grundrentenzuschlag "vollständig aus dem Bundeshaushalt getragen" werden).

26b) Nach diesen Maßstäben bestehen hinreichend gewichtige Sachgründe, die gemessen am Regelungsgegenstand und -ziel den Ausschluss von Kalendermonaten mit freiwillig geleisteten Beiträgen von der Anrechnung auf die für den Grundrentenzuschlag erforderlichen Mindestzeiten (Grundrentenzeiten) rechtfertigen.

27aa) Mit der Einführung des Grundrentenzuschlags wollte der Gesetzgeber das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung insbesondere für langjährig Versicherte mit unterdurchschnittlichen Löhnen stärken. Die Versicherten sollten darauf vertrauen können, dass sie nach einem langen Arbeitsleben - auch bei unterdurchschnittlichem Einkommen - "ordentlich abgesichert" seien und besser dastünden als jemand, der in seinem Erwerbsleben wenig oder gar nicht versicherungspflichtig gearbeitet und somit "wenige oder keine Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung" gezahlt habe. Regelungsbedarf sah der Gesetzgeber hiernach vor allem bei den Versicherten, die "jahrzehntelang verpflichtend Rentenbeiträge aus unterdurchschnittlichem Einkommen gezahlt haben" (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 1 und 21). Der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung sollte sicherstellen, dass aus den während des Erwerbslebens geleisteten Rentenversicherungsbeiträgen ein höheres Leistungsniveau erreicht werde (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 27). Der Grundrentenzuschlag sollte nicht pauschal niedrige Versichertenrenten aufwerten, sondern insbesondere die "Lebensleistung" von Versicherten "mit langjährig verpflichtender Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung aus unterdurchschnittlichem Einkommen" honorieren (so bereits auch die Antwort der Bundesregierung vom auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Kurth, Anja Hajduk, Sven Lehmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, BT-Drucks 19/17762 S 3). Vor allem für diese Personengruppe sollte "der soziale Ausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich gestärkt" werden (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Grundrentengesetz vom , BT-Drucks 19/18473 S 21).

28bb) Zwischen der Pflichtversicherung aufgrund versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit und der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen erhebliche Unterschiede. Die freiwillige Versicherung (§ 7 und § 232 SGB VI) steht grundsätzlich allen nichtversicherungspflichtigen Personen ab Vollendung des 16. Lebensjahres offen und bietet den Versicherten erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten (vgl auch - SozR 4-2600 § 197 Nr 4- juris RdNr 19). Ein freiwillig Versicherter trägt gemäß § 171 SGB VI seine Beiträge selbst und zahlt diese als Beitragsschuldner gemäß § 173 SGB VI direkt an den zuständigen Rentenversicherungsträger. Er kann die Beitragszahlung jederzeit aussetzen oder sogar ganz einstellen. Auch die Höhe der freiwilligen Beiträge ist innerhalb eines vom Gesetz vorgegebenen Rahmens frei wählbar. Nach § 161 Abs 2 SGB VI ist die Beitragsbemessungsgrundlage jeder Betrag zwischen der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage entsprechend der geltenden Geringfügigkeitsgrenze (§ 167 SGB VI) und der durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmten Beitragsbemessungsgrenze (§ 159, § 160 Nr 2 SGB VI). Im Gegensatz dazu steht für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit die Beitragspflicht kraft Gesetzes fest. Zudem sind die Beiträge nicht disponibel, sondern aus einer gesetzlich vorgegebenen Beitragsbemessungsgrundlage - den beitragspflichtigen Einnahmen (§ 162 SGB VI) - zu zahlen (§ 161 Abs 1 SGB VI).

29cc) Vor diesem Hintergrund ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung unterschiedlich zu behandeln, um die Solidarität innerhalb der Versichertengemeinschaft der abhängig Beschäftigten zu stärken, auf deren Schutz die Sozialversicherung (nach wie vor) in erster Linie ausgerichtet ist (vgl § 2 Abs 2 Nr 1 SGB IV). Pflichtversicherte tragen in der gesetzlichen Rentenversicherung in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in wesentlich stärkerem Maße durch die Zahlung von Pflichtbeiträgen zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei und können sich anders als freiwillig Versicherte ihrer Beitragspflicht nicht entziehen (vgl ua- BVerfGE 122, 151 - SozR 4-2600 § 237 Nr 16 - juris RdNr 72; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 615/97 - SozR 4-2200 § 1248 Nr 1 - juris RdNr 11; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1361/93 - SozR 3-2200 § 1255a Nr 6 - juris RdNr 24; ua - BVerfGE 75, 78 - juris RdNr 71 und 78; ua - BVerfGE 36, 102 - juris RdNr 38; siehe hierzu auch den Überblick in - BSGE 104, 108 = SozR 4-2600 § 93 Nr 13, RdNr 25 f). Pflichtversicherte sind mit ihrer dauerhaften und berechenbaren Beitragsleistung eine tragende Säule der Finanzierung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung. Wegen ihres besonders nachhaltigen und kalkulierbaren Beitrags zur Rentenfinanzierung hat das BVerfG auch die Privilegierung von Versicherten mit 45 Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit für den Bezug einer höheren Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit (§ 237 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes 1999 <RRG 1999> vom <BGBl I 2998> und ab § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI) als verfassungsgemäß erachtet (vgl ua - BVerfGE 122, 151 - SozR 4-2600 § 237 Nr 16 - juris RdNr 72; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 1631/04 - juris RdNr 28; zur inhaltsgleichen Vertrauensschutzregelung in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 SGB VI idF des RRG 1999 für die Altersrente für langjährig Versicherte: - SozR 4-2600 § 236 Nr 1 RdNr 36).

30Die unverändert große Bedeutung der Pflichtversicherten für die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung belegen auch statistische Zahlen aus jüngerer Zeit. Der weitaus überwiegende Teil des Beitragsaufkommens in der gesetzlichen Rentenversicherung stammt aus Pflichtbeiträgen. Unmittelbar vor Einführung des Grundrentenzuschlags zum verzeichnete die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 2020 Beitragseinnahmen iHv 252,2 Milliarden Euro. Davon stammten rund 223,9 Milliarden Euro aus Pflichtbeiträgen insbesondere über die Einzugsstellen (§§ 28h ff SGB IV), was etwa 89 Prozent des Gesamtbeitragsaufkommens in diesem Jahr entsprach (siehe die Tabelle "Entwicklung der Beitragseinnahmen der allgemeinen Rentenversicherung im Jahr 2020" des Bundesamts für Soziale Sicherung, abrufbar unter https://www.bundesamtsozialesicherung.de/de/suche/?tx_solr%5Bq%5D=Beitragseinnahmen+2020). Hinzu kommt, dass die überwiegende Mehrheit der freiwillig Versicherten (72,7 Prozent) im Jahr 2020 nur den Mindestbeitrag von seinerzeit monatlich 83,70 Euro zahlten. Nur 5,6 Prozent der freiwillig Versicherten entrichteten den Höchstbeitrag von damals 1283,40 Euro im Monat (vgl Deutsche Rentenversicherung, Versichertenbericht 2022, Statistische Analysen zu den Versicherten der Deutschen Rentenversicherung, S 64 f, abrufbar unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistiken-und-Berichte/Berichte/versichertenbericht_2022.html).

31c) Die Begünstigung von Versicherten mit Pflichtbeiträgen für ihre versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gegenüber freiwillig Versicherten verbleibt schließlich auch innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, der für bevorzugende typisierende Regelungen ebenfalls besonders weit ist (vgl stRspr; zB - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-2600 § 56 Nr 12, RdNr 45; - BSGE 133, 64 = SozR 4-2600 § 56 Nr 11, RdNr 34; - BSGE 126, 128 = SozR 4-2600 § 51 Nr 2, RdNr 91; ebenso bereits - BVerfGE 103, 310 - juris RdNr 42; ua - BVerfGE 17, 1 - juris RdNr 60).

32Gemessen an der Gesamtzahl der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung macht die Gruppe der freiwillig Versicherten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen aus. Unmittelbar vor Einführung des Grundrentenzuschlags zum waren am Jahresende 2020 etwa 210 000 Personen in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig versichert. Hingegen belief sich die Zahl der aktiv Versicherten auf rund 39,038 Millionen, darunter rund 32,013 Millionen versicherungspflichtig Beschäftigte. Am Jahresende 2020 entsprach dies einem Anteil der freiwillig Versicherten an den aktiv Versicherten von 0,53 Prozent (vgl Deutsche Rentenversicherung, Versichertenbericht 2022, Statistische Analysen zu den Versicherten der Deutschen Rentenversicherung, S 6 und 64, abrufbar unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistiken-und-Berichte/Berichte/versichertenbericht _2022.html).

33Die Ungleichbehandlung der freiwillig Versicherten gegenüber Pflichtversicherten wiegt zudem nicht besonders intensiv, wenn sie (nur) in Bezug auf die freiwillig geleisteten Beiträge von der Begünstigung durch eine aufgrund des Grundrentenzuschlags erhöhte Rentenzahlung ausgeschlossen sind. Freiwillig geleistete Beiträge gewährleisten grundsätzlich den Fortbestand des Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl zur Ausnahme bei der Rente wegen Erwerbsminderung § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI sowie auch § 241 Abs 2 SGB VI). Sie tragen zum Auf- und Ausbau von Rentenanwartschaften und Rentenansprüchen bei und werden bei der Berechnung der Höhe der Rente wie Pflichtbeiträge berücksichtigt. Für eine bessere Absicherung im Alterssicherungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung steht es den freiwillig Versicherten entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit frei, innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens - wie oben bereits ausgeführt - über die Höhe ihrer Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu bestimmen und die Beitragszahlung ihrem individuellen Versorgungsbedarf im Alter anzupassen.

34Zwar kann auch bei freiwillig Versicherten trotz langjähriger, aber geringer Beitragsleistung keine auskömmliche Altersversorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung vorhanden sein, sodass sie bei bestehender Hilfebedürftigkeit gegebenenfalls ergänzend Sozialhilfe nach dem SGB XII in Anspruch nehmen müssen. Dies ist aber zumutbar. Denn die soziale Absicherung in diesen Fällen ist die originäre Aufgabe dieses Grundsicherungssystems (vgl § 41 Abs 1 und 2 SGB XII; zu diesem Aspekt siehe auch Ruland, VSSAR 2025, 87, 98 und 105). Dass der Gesetzgeber hingegen in Abkehr des Grundsatzes der "Äquivalenz von Beitrag und Leistung" in seiner rentenversicherungsrechtlichen Ausprägung der sogenannten "Teilhabeäquivalenz" (vgl hierzu ua- BVerfGE 128, 138 - juris RdNr 30; ua - BVerfGE 122, 151 - SozR 4-2600 § 237 Nr 16 - juris RdNr 77 und kritisch zum "Bruch mit dem Äquivalenzprinzip" Ruland, NZS 2019, 881, 884) durch den (steuerfinanzierten) Grundrentenzuschlag insbesondere Versicherte mit unterdurchschnittlichen Arbeitsverdiensten nach Jahrzehnten verpflichtender Beitragszahlung als Anerkennung ihrer versicherten Lebensarbeitsleistung innerhalb des im Kern auf Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht beruhenden Systems der gesetzlichen Rentenversicherung honorieren wollte, ist aufgrund seines insoweit weiten Spielraums bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu beanstanden.

35B. Die Kostenentscheidung folgt dem Ausgang der Hauptsache und beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:050625UB5R324R0

Fundstelle(n):
EAAAK-02731