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BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 26/25

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 3/25

Gründe

I.

1Die Klägerin ist seit dem Jahr 2013 im Bezirk der Beklagten als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen.

2Die Klägerin beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

3Der Zulassungsantrag der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO, hat in der Sache aber keinen Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinn von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.

41. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 10/22, juris Rn. 39 mwN). Das Vorbringen der Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

5a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein Vermögensverfall gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen, die sich gegen den Rechtsanwalt richten (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 16 mwN). Leistet der Rechtsanwalt über einen längeren Zeitraum Zahlungen nur unter dem Druck von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, spricht das nicht nur bei Verbindlichkeiten in größerem Ausmaß für einen Vermögensverfall, sondern (gerade) auch dann, wenn der Rechtsanwalt es sogar wegen vergleichsweise geringfügiger Forderungen zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hat kommen lassen (Senat, Beschlüsse vom , aaO mwN und vom - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 20 mwN). Für den Widerruf ist nicht entscheidend, aus welchen Gründen der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist und ob er dies verschuldet hat oder nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 38/20, ZInsO 2021, 1437 Rn. 16 und vom - AnwZ (Brfg) 10/17, juris Rn. 23 mwN).

6Lassen Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Vollstreckungshandlungen den Schluss auf einen Vermögensverfall zu, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 20 mwN und vom - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 24).

7aa) Der Anwaltsgerichtshof hat sich gemäß diesen Grundsätzen darauf gestützt, dass gegen die Klägerin eine offene, rechtskräftig titulierte Forderung besteht, und nicht absehbar ist, dass die Klägerin die seit dem Jahr 2021 in der Vollstreckung befindliche Forderung in absehbarer Zeit zurückführen kann. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat er somit nicht nur auf das Bestehen einer einzelnen Forderung abgestellt, sondern die Umstände des Falles in die Beurteilung miteinbezogen. Dabei hat er zutreffend ausgeführt, dass sich diese von denjenigen unterscheiden, welche der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs ( AGH 2/15, BeckRS 2015, 128965) zugrunde lagen.

8bb) Es ist nicht ersichtlich, warum der Anwaltsgerichtshof bei seiner Beurteilung hätte miteinstellen müssen, dass Gläubiger der Forderung der frühere Ehemann der Klägerin ist und dieser nach den Angaben der Klägerin die Zwangsvollstreckung auch mit der Motivation verfolgen soll, dass der Klägerin die Zulassung entzogen wird. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass sie zu einer Ratenzahlung bereit gewesen sei, der Gläubiger dies aber von vornherein abgelehnt habe, führt sie schon nicht aus, welche Ratenhöhe sie hätte anbieten können und warum der Gläubiger verpflichtet gewesen sein sollte, auf dieses Angebot einzugehen.

9cc) Soweit sie vorbringt, die Schuld werde durch laufende Tilgung im Wege der Pfändung geordnet und das vom Anwaltsgerichtshof angenommene Anwachsen der Forderung erkläre sich durch Zinsen und Kosten und nicht durch einen erfolglosen Vollstreckungszugriff, steht dies in Widerspruch zu dem vom Anwaltsgerichtshof in Bezug genommenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts M.                             vom . In diesem ist die Höhe der Hauptforderung unverändert mit 8.032 € angegeben, dazu kommen Zinsen in Höhe von 1.680,58 € - ebenfalls berechnet aus dem vollen Hauptbetrag - und Kosten in Höhe von 213,33 €. Die Klägerin führt auch nicht aus, in welcher Höhe die Hauptforderung bereits getilgt sein soll.

10dd) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Anwaltsgerichtshof die von ihr vorgebrachten Gegenforderungen nicht unzureichend gewürdigt. Die Klägerin gibt selbst an, dass diese Gegenforderungen in zwei Verfahren beim Amtsgericht I.          rechtshängig seien, die beide derzeit in der Beschwerdeinstanz beim Oberlandesgericht Hamm seien. Die Forderungen sind daher nicht tituliert und dürften auch streitig sein, so dass nicht ersichtlich ist, dass sie der Klägerin als liquider Vermögenswert zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten im Zeitpunkt des Widerrufsbescheids zur Verfügung gestanden haben (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 8 f.).

11b) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 30 mwN). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (Senat, Beschluss vom , aaO mwN). Will der betroffene Rechtsanwalt weiterhin anwaltlich tätig werden, ist es daher von besonderer Bedeutung, dass er rechtlich abgesicherte Maßnahmen trifft, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Hierzu gehört eine wirksame Kontrolle. Denn Maßnahmen, die zwar inhaltlich zum Schutz der Mandanteninteressen geeignet sind, deren Einhaltung aber nicht wirksam kontrolliert werden oder die jederzeit - unkontrolliert - beendet werden können, sind zum Ausschluss der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht tauglich (Senat, Beschluss vom , aaO). Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 12).

12Dies gilt auch für die von einem Rechtsanwalt vorgetragene Absicht, künftig Fremdmandate nicht mehr zu übernehmen. Denn auch in diesem Fall bleibt es dem Rechtsanwalt unbenommen, diesen Entschluss wieder zu ändern, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass ihm künftig Fremdgelder anvertraut werden und in Bezug auf diese Gelder die Interessen ihrer Mandanten durch einen möglichen Zugriff der Gläubiger gefährdet werden (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 61/15, juris Rn. 17).

13c) Die Klägerin führt aus, dass die pauschale Annahme der Interessengefährdung ihrer besonderen Situation nicht gerecht werde. Sie sei schwerbehindert mit mehreren chronischen Erkrankungen (GdB 100) und 66 Jahre alt, beziehe seit April 2021 wegen der Schwerbehinderung Rente, habe seit mindestens August 2018 keine Fremdmandate mehr und ausreichende Rentenbezüge zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts.

14Der Anwaltsgerichtshof hat jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin nicht pauschal eine Interessengefährdung angenommen. Vielmehr hat er darauf abgestellt, dass der Einwand der Klägerin, auf Mandantengelder wegen ihres auskömmlichen Renteneinkommens nicht angewiesen zu sein, in Widerspruch dazu steht, dass es dem Gläubiger nicht gelungen ist, seine Forderung auch nur teilweise zu realisieren. Zudem hat sich der Anwaltsgerichtshof in Einklang mit den Rechtsprechungsgrundsätzen des Senats darauf gestützt, dass die Klägerin die Entscheidung, keine fremden Mandate anzunehmen, jederzeit ändern kann. Selbst wenn die Klägerin über Jahre hinweg keine Fremdmandate angenommen hat, hat sich durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen einer nicht unerheblichen Forderung eine neue Situation ergeben. Dass es der Klägerin schon gesundheitlich nicht möglich wäre, Fremdmandate anzunehmen, ergibt sich aus ihrem Vorbringen nicht. So ist sie ersichtlich in der Lage, längere Schriftsätze zu erstellen. Da sie nach eigenem Vortrag an Verhandlungen im Wege der Videokonferenz teilnehmen könnte, könnte sie auf diesem Weg auch Mandantengespräche führen.

15Soweit die Klägerin darauf verweist, der Anwaltsgerichtshof habe in einem früheren Verfahren festgestellt, dass sie keine Mandate außer solche mit eigener Beteiligung bearbeite, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. In jenem Verfahren ging es darum, ob die Zulassung der Klägerin nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO zu widerrufen ist. Mit Urteil vom (1 AGH 15/19) hat der Anwaltsgerichtshof ausgeführt, den Arztberichten sei nicht zu entnehmen, dass die körperlichen Gebrechen der Klägerin diese ausnahmslos und nachhaltig daran hindern könnten, anwaltstypische Handlungen vorzunehmen. Zudem hat er bemängelt, die Beklagte habe bei der Frage der Gefährdung der Rechtspflege auch außer Acht gelassen, dass die Klägerin nachvollziehbar und glaubhaft vorgetragen habe, sie sei in der Lage, verantwortlich und zutreffend einzuschätzen, ob und welche Mandate sie sachgerecht und mit der erforderlichen Sorgfalt bearbeiten könne, ohne Mandanteninteressen zu gefährden. Darüber hinaus habe die Beklagte unberücksichtigt gelassen, dass die Klägerin "zur Zeit" keine Fremdmandate bearbeite. Dies zeigt, dass sich der Anwaltsgerichtshof damals nur damit beschäftigt hat, ob die gesundheitliche Verfassung der Klägerin und ihr Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft zu einer Gefährdung der Rechtspflege führen können. Die Frage eines Vermögensverfalls stellte sich weder rechtlich noch tatsächlich. Unabhängig davon lässt sich dem Urteil des Anwaltsgerichtshofs in der Sache 1 AGH 15/19 nicht entnehmen, dass die Klägerin über einen erheblichen Zeitraum keine Fremdmandate bearbeitet und dies auch für die Zukunft ausgeschlossen hat.

162. Dem Anwaltsgerichtshof ist entgegen der Ansicht der Klägerin kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

17Der Anwaltsgerichtshof hat mit der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Klägerin den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt.

18a) Mit Verfügung vom , der Klägerin zugestellt am , bestimmte der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den , 11.30 Uhr. Die Parteien wurden in der Ladung darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Ausbleibens im Termin zur mündlichen Verhandlung auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.

19Mit Schreiben vom , bei Gericht eingegangen gegen 13.30 Uhr, beantragte die Klägerin, ihr die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nach § 102a VwGO auch von einem anderen geeigneten Ort aus zu gestatten und dort auch Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Aufgrund mehrerer chronischer Erkrankungen sei ihr ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt worden. Vorliegend sei insbesondere die chronische Migräneerkrankung in Verbindung mit ME/CFS von Bedeutung. Die Migräneattacken träten im Monat mehrfach auf und könnten in einer Vielzahl der Fälle nicht ausreichend oder auch gar nicht mit Medikamenten bekämpft werden. Zudem würden die Migränephasen mindestens 72 Stunden anhalten. Selbst wenn eine medikamentöse Behandlung erfolgreich oder zumindest teilweise erfolgreich gelinge, so dass eine Verhandlungsfähigkeit bestehen würde, sei in diesen Fällen aus obigen Gründen Reisefähigkeit nicht gegeben.

20Die Berichterstatterin teilte der Klägerin mit Schreiben vom mit, dass die Entscheidung über den Antrag dem gesamten Senat als Spruchkörper obliege. Da der Senat in voller Besetzung erst am Sitzungstag über ihren Antrag beraten könne, könne sie vor dem Beginn des anberaumten Termins nicht mit einer positiven Entscheidung über den Antrag rechnen. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Berichterstatterin derzeit keinen Anlass sehe, den anberaumten Termin zu verlegen. Der Antrag vom werde mit einer chronischen Erkrankung begründet, von der die Klägerin seit geraumer Zeit Kenntnis haben dürfte. Sie hätte deshalb den Antrag gemäß § 102a VwGO so rechtzeitig stellen können, dass dem Senat eine Entscheidung vor dem Termin möglich gewesen wäre. Alternativ hätte sie für eine anwaltliche Vertretung im anberaumten Termin sorgen können. Letztere Möglichkeit stehe ihr weiterhin zur Verfügung. Sofern sie dennoch eine Verlegung des Termins beantragen sollte, werde ihr aufgegeben, dem Antrag ein aussagekräftiges ärztliches Attest beizufügen.

21Mit Schreiben vom , bei Gericht eingegangen um 8.26 Uhr, teilte die Klägerin mit, dass eine persönliche Anreise aus den bereits mit Antrag vom vorbenannten Gründen zur mündlichen Verhandlung nicht möglich sei. Für eine Videoverhandlung stehe sie aber zur Verfügung. Für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, werde eine Verlegung des Termins beantragt, weil eine Reisefähigkeit aufgrund eines bestehenden Migräneanfalles und der entsprechenden Medikamenteneinnahme nicht möglich sei. Ein ärztliches Attest könne heute nicht vorgelegt werden, weil ein Termin wegen der Osterferien in Nordrhein-Westfalen und möglicherweise der bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung erst für den um 16 Uhr habe vereinbart werden können.

22Im Termin zur mündlichen Verhandlung erschien die Klägerin nicht. Der Anwaltsgerichtshof beschloss, dem Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung nicht stattzugeben. Zum einen sei der Antrag so kurzfristig gestellt worden, dass die Einrichtung einer Videokonferenz im Hinblick darauf, dass der Senat darüber zu entscheiden habe, zeitlich und technisch nicht mehr möglich sei. Zum anderen halte der Senat eine mündliche Verhandlung im Gerichtsgebäude mit persönlicher Anwesenheit der Beteiligten im Hinblick auf die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten geboten. Der Anwaltsgerichtshof beschloss zudem, soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom einen Vertagungsantrag gestellt habe, diesen zurückzuweisen.

23b) Dass der Anwaltsgerichtshof erst in der mündlichen Verhandlung den Antrag der Klägerin auf Teilnahme per Bild- und Tonübertragung gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 102a VwGO abgelehnt hat, begründet vorliegend keinen Gehörsverstoß.

24aa) Eine Gestattung nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 102a VwGO muss zwar grundsätzlich rechtzeitig vor Beginn der mündlichen Verhandlung getroffen und bekannt gegeben werden, weil sie sonst ihren Zweck verfehlt. Im Regelfall gilt das auch für deren Ablehnung, damit sich der Beteiligte darauf einstellen und gegebenenfalls besondere Vorkehrungen treffen kann, um an der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht persönlich teilzunehmen (vgl. , juris Rn. 9 [zu § 110a SGG]).

25Eine Entscheidung über einen Antrag auf Videoübertragung noch vor der mündlichen Verhandlung kann aber von einem Beteiligten nur dann erwartet werden, wenn er auch seinen prozessualen Mitwirkungsobliegenheiten genügt. Dafür hat jedenfalls ein anwaltlich vertretener Beteiligter den Antrag möglichst zeitnah zur Terminsmitteilung zu stellen oder einen - gegebenenfalls erst später entstandenen - Grund anzugeben, der aus seiner Sicht seiner persönlichen Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entgegensteht und eine Videoübertragung erfordert. Denn zum einen benötigt die Gestattung einer Videoübertragung aus technischen und verfahrensrechtlichen Gründen stets einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Zum anderen handelt es sich nicht um eine gebundene Entscheidung, sondern um eine Entscheidung des Gerichts nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. , juris Rn. 10). Beim Anwaltsgerichtshof ist zudem zu berücksichtigen, dass die Senate des Anwaltsgerichtshofs gemäß § 104 i.V.m. § 101 Abs. 3 Satz 1 BRAO in der Besetzung von drei anwaltlichen Mitgliedern und zwei Berufsrichtern entscheiden und dass daher wegen möglicher Terminskollisionen die Anberaumung eines Termins zur Beratung mehr Zeit in Anspruch nehmen kann als zum Beispiel bei einem Senat, der aus drei Berufsrichtern besteht, die alle nur diesem Senat angehören (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 46/24, juris Rn. 24 [zur Verlängerung der Frist des § 116 Abs. 2 VwGO durch den Gesetzgeber wegen der Besetzung des Anwaltsgerichtshofs]).

26bb) Vorliegend hat die Klägerin den Antrag nicht so rechtzeitig gestellt, dass sie noch auf eine Entscheidung vor der mündlichen Verhandlung vertrauen durfte, und hat somit nicht alles Zumutbare getan, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen.

27Aufgrund des von der Klägerin selbst geschilderten chronischen Krankheitsbilds hätte sie spätestens im März 2025 einen Antrag gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 102a VwGO stellen können, da sie damit rechnen musste, jederzeit durch einen Migräneanfall an einer persönlichen Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal verhindert zu sein.

28Hätte der Anwaltsgerichtshof ihrem Antrag stattgegeben, wäre sie nicht verpflichtet gewesen, nur diesen Weg der Teilnahme zu nutzen. Denn die Gestattung gewährt die Erlaubnis, sich während der mündlichen Verhandlung an dem in dem Beschluss des Gerichts genannten (anderen) Ort aufzuhalten und von dort aus an der Verhandlung im Weg der Videokonferenz teilzunehmen, sie verpflichtet aber nicht dazu. Dem jeweiligen Beteiligten, Bevollmächtigten oder Beistand bleibt es unbenommen, trotz der Gestattung persönlich im Sitzungssaal an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (Ulrich in Schoch/Schneider, VwGO, § 102a VwGO Rn. 37 [Stand: Februar 2025]; vgl. BSG, NJW 2022, 1639 Rn. 9) oder auch nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, sofern nicht das persönliche Erscheinen angeordnet ist (vgl. BSG, NZS 2024, 221 Rn. 10 mwN).

29Hätte der Anwaltsgerichtshof ihren Antrag abgewiesen, hätte die Klägerin die Möglichkeit gehabt, einen anwaltlichen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen (vgl. , juris Rn. 32 mwN). Dass eine Vertretung - wie von der Klägerin behauptet - aufgrund der "umfangreichen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten" nicht möglich" gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Es gehört zur Aufgabe von Anwälten, in tatsächlich und rechtlich problematischen Fällen tätig zu werden (vgl. Wolf in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 3 BRAO Rn. 2). Hätte die Klägerin rechtzeitig auf die Terminsladung reagiert, hätte ihr auch genügend Zeit zur Verfügung gestanden, einem Anwalt ihre persönliche Situation darzulegen und ihm entsprechende Belege zur Verfügung zu stellen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Anwaltsgerichtshof die Ablehnung einer Videoübertragung unter anderem auch damit begründet hat, dass er eine Verhandlung mit persönlicher Anwesenheit der Beteiligten im Hinblick auf die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten für geboten erachte. Damit bringt er nur zum Ausdruck, dass er angesichts der zu erörternden Fragen eine direkte Kommunikation mit den Beteiligten im Sitzungssaal als erforderlich ansieht und es beispielsweise vermeiden will, durch technische Schwierigkeiten von der Erörterung der Sache abgelenkt zu werden.

30cc) Im Übrigen wusste die Klägerin durch das Schreiben der Berichterstatterin, dass über ihren Antrag erst am Sitzungstag beraten werden würde, und musste damit rechnen, dass der Antrag abgelehnt werden könnte. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, ob sie sich darum bemüht hat, einen Anwalt mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen.

31c) Auch die Ablehnung des Antrags, einen anderen Termin zu bestimmen, stellt keinen Gehörsverstoß dar.

32Nach der Vorschrift des § 227 Abs. 1 ZPO, die gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO auch für das gerichtliche Verfahren in verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen gilt, kann eine mündliche Verhandlung aus "erheblichen Gründen" verlegt oder vertagt werden. Zwar ist bei einer Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten in der Regel davon auszugehen, dass die Verhinderung unverschuldet und damit ein "erheblicher Grund" im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO gegeben ist; eine andere Beurteilung ist aber dann geboten, wenn es sich nicht um eine plötzliche, nicht vorhersehbare, sondern um eine chronische, wiederholt in gleicher Weise auftretende Erkrankung handelt, die den Anwalt außerstande setzt, seinen Berufspflichten ordnungsgemäß nachzukommen. Wenn ein Rechtsanwalt trotz einer bereits seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankung keine Vorsorge für die Wahrnehmung von Gerichtsterminen trifft, stellt dies eine schuldhafte Verletzung seiner prozessualen Mitwirkungspflichten dar (BVerwG, NJW 2001, 2735, 2736 mwN; vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 10/22, juris Rn. 10).

33Insoweit gelten die Ausführungen unter Buchst. b bb entsprechend. Die Klägerin wusste um ihre chronische Erkrankung und um den Umstand, dass sich diese erheblich auf ihre Möglichkeit auswirken kann, persönlich an einem Termin im Sitzungssaal teilzunehmen.

343. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft der Fall nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

35Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 68/19, juris Rn. 11). Diese Voraussetzungen sind vom Antragsteller darzulegen. Insbesondere muss begründet werden, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (Senat, Beschluss vom , aaO).

36Sowohl zur Anordnung der Videoverhandlung als auch zur Frage, wann die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind, gibt es bereits höchstrichterliche Rechtsprechung. Vorliegend geht es nur um die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Einzelfall.

III.

37Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

Guhling                          Liebert                          Ettl

                   Lauer                        Schmittmann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:290925BANWZ.BRFG.26.25.1

Fundstelle(n):
PAAAK-02642