Instanzenzug: Az: 615 KLs 7/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse in 57 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine Revision führt mit der Sachrüge zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils deckt lediglich eine unzutreffende konkurrenzrechtliche Behandlung einzelner Taten auf, aus deren Korrektur eine Änderung des Schuldspruchs und der Wegfall mehrerer Einzelstrafen resultieren. Im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen.
3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte, ein Facharzt für Innere Medizin und Betreiber einer Privatarztpraxis, im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie die gefestigte Ansicht, dass die zur Einschränkung der Ausbreitung des Virus durch Bund und Länder erlassenen Gesetze und Verordnungen falsch seien. Insbesondere war und ist er der Auffassung, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung generell – auch für völlig gesunde Menschen – gesundheitsschädlich ist. Vor diesem Hintergrund stellte der Angeklagte zwischen April 2020 und September 2021 für Personen aus dem gesamten Bundesgebiet in insgesamt 57 Fällen so genannte Maskenbefreiungsatteste aus. Dabei war ihm bewusst, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der Corona-Verordnungen zugrunde gelegt hatte, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die Allgemeinheit grundsätzlich zumutbar ist und eine Befreiung von der Maskenpflicht nur in medizinisch begründbaren Ausnahmefällen in Betracht kam. Gleichwohl verließ er sich beim Ausstellen der Bescheinigungen lediglich auf die Angaben der Interessenten zu ihren Beschwerden, ohne diese durch eine ärztliche Untersuchung zu überprüfen. Als Grundlage genügten ihm vielmehr schon kurze persönliche oder telefonische Gespräche; teils wurde er auch auf bloße Anfrage per E-Mail tätig. Bis auf eine Ausnahme waren die Personen vor Ausstellung des Attests bei dem Angeklagten nicht in Behandlung und ihm folglich nicht bekannt. Mitunter stellte er auf entsprechende Anfrage gleich für mehrere Mitglieder einer Familie Bescheinigungen mit teils gleichlautenden Begründungen aus.
4b) Die Feststellungen tragen in allen abgeurteilten Fällen jeweils den Schuldspruch wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom .
5aa) Insbesondere handelte es sich bei allen verfahrensgegenständlichen Attesten des Angeklagten um Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB. Als solche anzusehen sind schriftliche Erklärungen, in denen der Gesundheitszustand eines Menschen beschrieben wird. Ihr Gegenstand kann auch eine frühere Erkrankung oder eine Prognose über die künftige gesundheitliche Entwicklung sein, ebenso die Bescheinigung therapeutischer Maßnahmen ( Rn. 16, BGHSt 67, 147). Erfasst sind auch Bescheinigungen über das Ergebnis einer Einzeluntersuchung etwa eines bestimmten Körperteils oder -organs sowie die ärztliche Beurteilung des Untersuchungsergebnisses, insbesondere nach seinen Wirkungen auf das Gesamtbefinden des Untersuchten (, BGHSt 10, 157).
6Derartige Erklärungen liegen auch in denjenigen Fällen vor, in denen sich die schriftlichen Angaben des Angeklagten auf die Äußerung beschränkten, dass der Inhaber des Attests „aus gesundheitlichen Gründen keine Gesichtsmaske (Mund-Nasen-Bedeckung) tragen“ könne. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der maßgebliche Inhalt der Schriftstücke durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. zur Relevanz „implizit“ enthaltener Inhalte bei Gesundheitszeugnissen schon Rn. 16, BGHSt 67, 147). Es hat hierbei den Zweck der Atteste, mit denen ersichtlich von den zur Tatzeit bestehenden Regelungen zur Befreiung von der Maskenpflicht (vgl. z.B. § 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom , HmbGVBl. 2020, 365) Gebrauch gemacht werden sollte, ebenso berücksichtigt wie deren Empfängerhorizont. Auf dieser Basis hat es die Schreiben des Angeklagten rechtsfehlerfrei dahin ausgelegt, dass ihr Inhalt für außenstehende Dritte nur so verstanden werden konnte, dass bei der jeweiligen Person individuelle medizinische Gründe vorlagen, aufgrund derer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes kontraindiziert war. Als derartige medizinische Gründe, die zu einer Befreiung von der Maskenpflicht führen könnten, hat das Landgericht gestützt auf die Angaben medizinischer Sachverständiger etwa schwere Herz- und Lungenerkrankungen, Taubstummheit, fortgeschrittene Demenz oder schwere Angst- und Panikstörungen angesehen. Damit treffen auch diejenigen Bescheinigungen des Angeklagten, die lediglich nicht näher benannte „gesundheitliche Gründe“ anführen, inhaltlich gleichwohl Aussagen über den Gesundheitszustand eines Menschen – hier über das Vorliegen einer den genannten Störungen vergleichbaren Beeinträchtigung – und über die Wirkungen dieses Zustands auf dessen Gesamtbefinden.
7bb) Die Gesundheitszeugnisse des Angeklagten waren auch unrichtig, weil sie ohne die ihrem Aussagegehalt nach erforderlichen ärztlichen Untersuchungen ausgestellt wurden (vgl. , NStZ-RR 2007, 343; Beschluss vom – 2 ARs 85/24, NStZ-RR 2024, 317; speziell zu Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht mwN, Medstra 2024, 45). Besondere Umstände, die dies im Einzelfall hätten erlauben können, lagen nicht vor. Entgegen der Revision hat das Landgericht das Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der in der einschlägigen Berufsordnung enthaltenen Regelungen zur ärztlichen Behandlung unter Nutzung von Kommunikationsmedien (vgl. § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte vom ) ebenso zutreffend verneint wie diejenigen der durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gemäß § 91 SGB V in der Richtlinie über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie) während der Coronapandemie geschaffenen Sondervorschriften zur telefonischen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit. Einen Hinweis darauf, dass der dort getroffenen Aussage keine ärztliche Untersuchung zugrunde lag, enthielten die Atteste des Angeklagten ebenfalls nicht.
8cc) Das Landgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte seine Atteste jeweils „zum Gebrauch bei einer Behörde“ im Sinne des § 278 StGB aF ausstellte, da er billigend in Kauf nahm, dass diese auch gegenüber Polizeibeamten oder in Schulen vorgelegt werden würden. Soweit die Revision hiergegen einwendet, dass die Regelung des § 278 StGB aF nur solche Stellen schützt, welche die vorgelegten Zeugnisse zur Beurteilung des Gesundheitszustandes eines bestimmten Menschen verwenden (vgl. , BGHSt 43, 346; Urteil vom – 5 StR 283/22 Rn. 32, BGHSt 67, 147), verkennt sie den Sinn dieser einschränkenden Auslegung. Hierdurch sollten lediglich solche Stellen aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden, die zwar mit Gesundheitszeugnissen in Berührung kommen, für deren Aufgabenerfüllung der Gesundheitszustand einzelner Personen aber gleichwohl ohne Bedeutung ist (z.B. weil die Stelle lediglich mit der technischen Qualitätssicherung bestimmter medizinischer Untersuchungen befasst ist wie im Fall von , BGHSt 43, 346). Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie kam es für die Polizei genauso wie für Verantwortliche von Schulen aber gerade auf den individuellen Gesundheitszustand an, wenn eine Person unter Vorlage eines Attests geltend machte, von der Maskenpflicht befreit zu sein.
9c) Das Landgericht ist allerdings – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat – bei einzelnen Tatgruppen von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung ausgegangen.
10Nach den Feststellungen des Landgerichts stellte der Angeklagte im Rahmen der Taten 4 bis 6, 10 und 11, 34 und 35 sowie 43 und 44 der Urteilsgründe jeweils am gleichen Tag für drei (Taten 4 bis 6) oder für zwei (Taten 10 und 11, 34 und 35, 43 und 44) Angehörige je der gleichen Familie inhaltsgleiche Atteste aus. Bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise ist angesichts der Vorgehensweise des Angeklagten in diesen Fallpaaren rechtlich jeweils nur von einer Tat auszugehen. Denn aufgrund des unmittelbaren räumlichen, zeitlichen und motivationalen Zusammenhangs erweist sich das Verhalten des Angeklagten dort als einheitliches Tun und verbindet die einzelnen Tathandlungen zu einer natürlichen Handlungseinheit, so dass die Straftaten zueinander im Verhältnis der Tateinheit stehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 144/20 mwN; vom – 5 StR 85/22).
11d) Der Senat hat deshalb den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich geändert. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
12e) Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für die Taten 5, 6, 11, 35 und 44 verhängten Einzelgeldstrafen von jeweils 100 Tagessätzen zu 120 Euro. Der Senat setzt für das Geschehen der Taten 4 bis 6 in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die für Tat 4 verhängte Strafe, für das Geschehen der Taten 10 und 11 die für Tat 10 verhängte Strafe, für das Geschehen der Taten 34 und 35 die für Tat 34 verhängte Strafe sowie für das Geschehen der Taten 43 und 44 die für Tat 43 verhängte Strafe als neue Einzelstrafe fest; alle genannten Strafen hat das Landgericht ebenfalls mit 100 Tagessätzen zu 120 Euro bemessen.
13Der Gesamtstrafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Angesichts der unveränderten zwölf Einsatzstrafen von je fünf Monaten Freiheitsstrafe und den verbleibenden 40 Einzelgeldstrafen von jeweils 100 Tagessätzen zu 120 Euro ist auszuschließen, dass das Landgericht allein aufgrund des Wegfalls der genannten fünf Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine unterschiedliche konkurrenzrechtliche Beurteilung bei – wie hier – unverändertem Schuldumfang regelmäßig kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (st. Rspr.; vgl. Rn. 9 mwN).
14Im Übrigen liegt entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts kein Rechtsfehler darin, dass das Landgericht eine Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB nicht erwogen hat. Soweit in den Urteilsgründen ein vermeidbarer Verbotsirrtum thematisiert wird, geschieht dies allein im Rahmen einer auf die Einlassung des Angeklagten bezogenen Hilfserwägung. Dieser Einlassung ist die Strafkammer aber gerade nicht gefolgt. Sie hat sich vielmehr rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte keineswegs bloße ärztliche „Empfehlungen“, sondern – wie er gegenüber Dritten äußerte – „wirksame Atteste“ zu Papier bringen wollte in dem Bewusstsein, dass es auf diese bei Entscheidungen über Ausnahmen von der Maskenpflicht „ankam“. Auf dieser Basis ist das Landgericht ersichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte es mindestens für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, rechtswidrig zu handeln (vgl. zu den damit nicht gegebenen Voraussetzungen eines Verbotsirrtums nur Rn. 36 mwN).
152. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100925B5STR335.25.0
Fundstelle(n):
VAAAK-02640