Instanzenzug: Az: 23 U 1009/21vorgehend Az: 22 O 135/20
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im August 2011 einen von der Beklagten hergestellten Mercedes-Benz C 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
2Der Kläger hat zuletzt Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Mit der beabsichtigten Revision möchte er seine Berufungsanträge weiterverfolgen.
3Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
41. Es hat - soweit hier von Interesse - seine am auf der Grundlage der am durchgeführten Berufungsverhandlung ergangene Entscheidung wie folgt begründet:
5Der Kläger habe mangels vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe ihm nicht zu. Der Bundesgerichtshof nehme in seinem Urteil vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung nun zwar an, das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege im Aufgabenbereich dieser Vorschriften. Doch gehe er unverändert davon aus, diese Vorschriften gewährten nicht die Zuerkennung "großen" Schadensersatzes, wie ihn der Kläger begehre. Dementsprechend stehe diesem kein Anspruch zu.
62. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt im Ergebnis mit Erfolg, dass das Berufungsgericht ohne dem Kläger Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden auf der Grundlage des erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergangenen Urteils vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) im Sinne des Differenzschadens zu berechnen und gegebenenfalls seine Antragstellung anzupassen. Indem das Berufungsgericht davon ohne vorherigen Hinweis an den Kläger mit der Begründung absah, er begehre (lediglich) "großen" Schadensersatz, hat es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
7a) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt bei einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte (st. Rspr.; vgl. nur das Rechtsschutzbegehren des Klägers in einer Art und Weise, auf diese Interpretation hinweisen und dem Kläger Gelegenheit zur Äußerung und gegebenenfalls zur Anpassung oder Ergänzung einräumen
8b) Dem ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat die Berufung zurückgewiesen und davon abgesehen, dem Kläger Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen (vgl. statt aller VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 45) und für diesen Fall die Klageanträge anzupassen. Dabei hat es angenommen, das Rechtsschutzbegehren des Klägers sei allein auf die Zuerkennung "großen" Schadensersatzes gerichtet, den der Kläger weder aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verlangen könne.
9Das Rechtsschutzbegehren des Klägers in dieser Art zu verstehen, lag indes fern, so dass der Kläger damit . Dies gilt bereits vor dem Hintergrund, dass den Ansprüchen auf "großen" Schadensersatz einerseits und auf Ersatz des Differenzschadens andererseits lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde liegen, (vgl. VIa ZR 1132/22, WM 2024, 1143 Rn. 14 mwN). Vor allem aber zeigt dies der konkrete Ablauf des Geschehens. Das Berufungsgericht entschied auf der Grundlage der Berufungsverhandlung, die am stattgefunden hatte. Zu diesem Zeitpunkt aber konnte der Kläger die Weichenstellungen, die sich aus dem erst kurz darauf verkündeten (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) ergaben, bei seiner Antragstellung noch nicht berücksichtigen. Allein der Umstand, dass der Kläger bis zur Verkündung des Berufungsurteils am untätig blieb, namentlich die von ihm gestellten Berufungsanträge unverändert ließ, rechtfertigte es nicht, ihm zu unterstellen, es gehe ihm unter allen Umständen nur um die Gewährung "großen" Schadensersatzes, wohingegen die Zuerkennung eines etwaigen Differenzschadens von vornherein nicht von seinem Rechtsschutzbegehren umfasst sei. Dem Berufungsgericht hätte es vielmehr oblegen, im Wege der Wiedereröffnung der Verhandlung (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; vgl. , NJW-RR 2012, 622 Rn. 30) auf seine Interpretation der Antragstellung hinzuweisen und dem Kläger Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ob er tatsächlich ausschließlich "großen" Schadensersatz verlangen oder nicht - zumindest hilfsweise - seine Klage (auch) auf Ersatz des Differenzschadens richten und die Antragstellung dahin anpassen wolle.
10c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auf einen solchen Hinweis seine Klage umgestellt und das Berufungsgericht nach Umstellung der Klage einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für gegeben erachtet hätte.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:131025BVIAZR909.23.0
Fundstelle(n):
OAAAK-02638