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BGH Beschluss v. - StB 47/25

Gründe

11. Der Angeschuldigte beanstandet die Gerichtsbesetzung in dem bei dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz anhängigen Strafverfahren. Dem liegt Folgendes zugrunde:

2Der Generalbundesanwalt hat unter dem vor dem Oberlandesgericht Koblenz Anklage gegen den Angeschuldigten und vier Mitangeschuldigte insbesondere wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) sowie Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 VStGB) erhoben. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklageschrift zur Hauptverhandlung hat das Oberlandesgericht bisher nicht entschieden.

3Am hat der Angeschuldigte durch Schriftsatz seines Verteidigers unter anderem „routinemäßig, aber auch vorsorglich“ eingewandt, die Besetzung des Gerichts sei nicht vorschriftsmäßig. Ihm liege keine „tragfähige Begründung vor, wo der Eröffnungsbeschluss erfolgen würde“. Zudem sei die „Besetzung des Senats nebst ehrenamtlicher Richter“ nicht nachvollziehbar.

4Der 1. Strafsenat des die vom Angeschuldigten erhobene Beanstandung als unzulässig verworfen. Die Senatsvorsitzende hat mit Verfügung vom selben Tage angeordnet, die Sache gemäß § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Bundesgerichtshof als Rechtsmittelgericht vorzulegen. Der Angeschuldigte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom gestrigen Tag ergänzend Stellung genommen.

52. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den vom Angeschuldigten erhobenen Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung ist nicht erforderlich, da der Anwendungsbereich des § 222b Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 135 Abs. 2 Nr. 3 GVG nicht eröffnet ist.

6a) Im Zwischenverfahren kann dieser Rechtsbehelf nicht zulässig erhoben werden.

7aa) Die mangelnde Statthaftigkeit ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Gemäß § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO kann der Einwand, das Gericht sei vorschriftswidrig besetzt, nur innerhalb einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung oder, soweit eine Zustellung nicht erfolgt ist, ihrer Bekanntmachung in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden. Der Einwand knüpft demnach an eine bereits bestehende Besetzungsmitteilung nach dieser Norm an (zur Möglichkeit des Besetzungseinwands bei unterbliebener oder fehlerhafter Besetzungsmitteilung vgl. KK-StPO/Gmel, 9. Aufl., § 222b Rn. 2; MüKoStPO/Arnoldi, 2. Aufl., § 222b Rn. 14, jeweils mwN). Eine solche Mitteilung kann jedoch frühestens mit der Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklage ergehen. Denn erst mit dieser Entscheidung tritt vor dem bezeichneten Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden wird, Rechtshängigkeit ein, erlangt es folglich die Eigenschaft als erkennendes Gericht (s. Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 207 Rn. 13). Frühestens zu diesem Zeitpunkt ist eine nach § 222a StPO erforderliche Benennung der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Mitglieder des erkennenden Gerichts und ihrer Funktionsbezeichnung (vgl. KK-StPO/Gmel aaO, Rn. 5; MüKoStPO/Arnoldi aaO, Rn. 13) möglich.

8bb) Darüber hinaus spricht die systematische Stellung der §§ 222a, 222b StPO gegen ihre Anwendung bereits im Zwischenverfahren. Denn die Vorschriften befinden sich im fünften Abschnitt der Strafprozessordnung, dessen Regelungen die Vorbereitung der Hauptverhandlung, mithin das Hauptverfahren betreffen.

9cc) Zudem liefe eine Anwendung der §§ 222a, 222b StPO schon in diesem Verfahrensabschnitt deren Regelungszweck entgegen. Die dort in Verbindung mit § 338 Nr. 1 StPO getroffenen Regelungen dienen dazu, eine Mehrbelastung der Justiz sowie eine Verzögerung des Verfahrens zu vermeiden. Sie sollen verhindern, dass ein möglicherweise mit großem justiziellem Aufwand zustande gekommenes Urteil allein wegen eines Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für die Strafjustiz als auch für den Angeklagten – wiederholt werden muss (vgl. BT-Drucks. 8/976 S. 25 ff.; , NStZ 1984, 370; , BGHSt 53, 268 Rn. 19; LR/Jäger, StPO, 27. Aufl., § 222b Rn. 1). Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom (BGBl. I S. 2121) hat der Gesetzgeber, an diesen Zweck anknüpfend, durch die neu eingeführte Regelung zum Instanzenzug im Besetzungsrügeverfahren eine zeitnahe und revisionsrechtlich bindende Entscheidung über die Richtigkeit der Besetzung des Spruchköpers ermöglicht (s. BT-Drucks. 19/14747 S. 29 ff.; u.a., NStZ-RR 2022, 76; OLG Bamberg, Beschluss vom – 1 Ws 14/20, NStZ 2020, 504 Rn. 3; BeckOK StPO/Ritscher, 56. Ed., § 222b Rn. 1; SSW-StPO/Grube, 6. Aufl., § 222b Rn. 1).

10Eine Verlagerung der Vorabentscheidung in das Zwischenverfahren führte demgegenüber zu einer Verzögerung ohne die Möglichkeit endgültiger Entscheidung. Denn eine abschließende Klärung der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ist vor der Eröffnung des Hauptverfahrens aus den oben dargelegten Gründen nicht möglich.

11dd) Schließlich sind die Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren regelmäßig nicht in der Lage, einen den Zulässigkeitsanforderungen der Besetzungsrüge genügenden Einwand zu erheben. Die an den Besetzungseinwand zu stellenden Begründungsanforderungen entsprechen den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. , BGHSt 44, 161, 162; Beschluss vom – StB 13/21 u.a., juris Rn. 10). Dabei ist insbesondere darzulegen, unter welchem rechtlichen Aspekt der Zuständigkeitsmangel beanstandet werden soll und welche Tatsachen dem zugrunde liegen (s. KK-StPO/Gmel, 9. Aufl., § 222b Rn. 8; ferner , NStZ-RR 2023, 327 f.). Da sich das erkennende Gericht erst mit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt und eine Benennung der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Mitglieder des Spruchkörpers frühestens zu diesem Zeitpunkt möglich ist, kann auch der Angeschuldigte erst zu diesem Zeitpunkt die zu einer Vorschriftswidrigkeit der Besetzung führenden Umstände darlegen.

12b) Vor diesem Hintergrund geht das Vorbringen des Angeschuldigten, die „Besetzung des Senats nebst ehrenamtlicher Richter“ sei für ihn nicht nachvollziehbar, zum gegenwärtigen Zeitpunkt ins Leere; die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter sieht das Gesetz in den Verfahren vor den Oberlandesgerichten ohnehin nicht vor (§ 122 GVG). Soweit der Angeschuldigte vorgebracht hat, ihm liege keine „tragfähige Begründung vor, wo der Eröffnungsbeschluss erfolgen würde“, ist die Zuständigkeit des mit der Eröffnungsentscheidung befassten Gerichts betroffen. Diese Prüfung obliegt im Zwischenverfahren dem infolge der Erhebung der Anklage angerufenen Gericht (vgl. MüKoStPO/Wenske, 2. Aufl., § 199 Rn. 7).

13c) Nach alledem ist der Anwendungsbereich der §§ 222a, 222b StPO nicht vor dem Beginn des Hauptverfahrens eröffnet, so dass das Oberlandesgericht den vom Angeschuldigten im Zwischenverfahren erhobenen Besetzungseinwand in eigener Zuständigkeit als unzulässig hat verwerfen können.

14Der Angeschuldigte ist mit seiner letzten Stellungnahme dem vom Oberlandesgericht über den Einwand gefassten Beschluss in der Sache beigetreten. Auch deshalb ist hier das Absehen von einer Entscheidung durch den Senat möglich, ohne dass, was der Angeschuldigte nunmehr angeregt hat, seinem Verteidiger die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom nochmals übermittelt wird. Nach Aktenlage ist sie dem Verteidiger als Anlage zu dem Beschluss des Oberlandesgerichts ohnehin mitgeteilt worden.

153. Keiner Entscheidung bedarf infolgedessen, ob § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dahin auszulegen ist, dass über den Wortlaut der Norm hinaus der Einwand vorschriftswidriger Besetzung dem Rechtsmittelgericht auch dann vorzulegen ist, wenn das erkennende Gericht ihn aus anderen Gründen – insbesondere in Fällen der Fristversäumnis oder einer nicht den Darlegungsanforderungen des entsprechend geltenden § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Begründung – für nicht zulässig hält (so mit guten Gründen OLG Bamberg, Beschluss vom – 1 Ws 14/20, NStZ 2020, 504; zustimmend BeckOK StPO/Ritscher, 56. Ed., § 222b Rn. 16; Kissel/Mayer, GVG, 11. Aufl., § 121 Rn. 9a; Radtke/Hohmann/Dehne-Niemann, StPO, 2. Aufl., § 222b Rn. 23; aA MüKoStPO/Arnoldi, 2. Aufl., § 222b Rn. 33; SSW-StPO/Grube, 6. Aufl., § 222b Rn. 23).

Berg                    Hohoff                    Erbguth

             Voigt                       Munk

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180925BSTB47.25.0

Fundstelle(n):
VAAAK-01253