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BGH Beschluss v. - I ZB 29/25

Instanzenzug: Az: 5 U 61/24vorgehend LG Berlin II Az: 101 O 17/24

Gründe

1I. Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale, nimmt die Beklagte zu 1, die im Internet Modeartikel anbietet, im Zusammenhang mit dem Angebot und dem Einsatz von Geschenkgutscheinen beim Erwerb von Waren und die Beklagte zu 2 im Hinblick auf die Geltendmachung von Mahngebühren auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage auf Unterlassung in Anspruch.

2Das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Dagegen haben die Beklagten am Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragt, "die Frist zur Berufungsbegründung um 4 Wochen zu verlängern".

3Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hat daraufhin Folgendes mitgeteilt:

Auf Antrag der Berufungsklägerin(nen) ... wird die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß verlängert um 4 Wochen.

Eine über einen Monat hinausgehende Verlängerung kann nur mit Einwilligung des Gegners bewilligt werden (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

4Die Beklagten haben die Berufung mit am beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

5Nachdem das Berufungsgericht mit den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestelltem Schreiben darauf hingewiesen hatte, dass die um vier Wochen verlängerte Berufungsbegründungsfrist am abgelaufen sei, haben die Beklagten mit am beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz beantragt, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren.

6Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags haben die Beklagten ausgeführt, die bei ihren Prozessbevollmächtigten tätige sachbearbeitende Rechtsanwältin habe den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den und eine Vorfrist auf den notiert. An diesem Tag habe sie im Hinblick auf die beiden in der Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist genannten Zeiträume - "4 Wochen" und "einen Monat" - bei der Geschäftsstelle des Berufungssenats angerufen, um sich darüber zu vergewissern, wann die Frist zur Begründung der Berufung ablaufe. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle habe ihr die Auskunft erteilt, die Berufungsbegründungsfrist sei bis zum verlängert; da dies ein Samstag sei, laufe die Frist am Montag, dem , ab. Entsprechend dieser Auskunft habe die Rechtsanwältin die Frist im Fristenkalender der Prozessbevollmächtigten der Beklagten abgeändert.

7Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

8II. Das Berufungsgericht hat die von den Beklagten begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung abgelehnt, die am eingegangene Berufungsbegründung wahre die Berufungsbegründungsfrist nicht. Die Frist sei antragsgemäß und eindeutig lediglich bis zum verlängert worden. Vor diesem Hintergrund habe es für einen die übliche Sorgfalt anwendenden Prozessbevollmächtigten keinerlei Anlass gegeben, sie nicht zu beachten. Die von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorgetragene Notierung einer Berufungsbegründungsfrist bis zum stelle sich als fahrlässig und damit schuldhaft dar. Hieran änderten die unterstellte Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts und die daraufhin erteilte Antwort nichts; es habe keine gerichtsinternen Vorgänge oder von der Geschäftsstelle in eigener Verantwortung veranlasste Handlung gegeben, die einer Aufklärung bedurft hätten.

9III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss die Beklagten nicht in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Recht als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten die Berufungsbegründungsfrist versäumt haben und ihnen die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 Satz 1 ZPO) zu versagen ist.

101. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagten die Frist zur Berufungsbegründung versäumt haben. Die vom Berufungsgericht bis zum verlängerte Berufungsbegründungsfrist war im Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsbegründung am abgelaufen.

11a) Nachdem das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden war, lief die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO ursprünglich am Freitag, dem ab. Da das Ende der Berufungsbegründungsfrist auf den und damit auf einen staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag fiel, trat an seine Stelle gemäß § 193 BGB der nächste Werktag.

12b) Die Berufungsbegründungsfrist ist auf Antrag der Beklagten nur bis Freitag, den , verlängert worden.

13aa) Mit der Berufungsschrift vom haben die Beklagten beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung "um 4 Wochen" zu verlängern.

14bb) Mit der Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom ist die "Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß ... um vier Wochen" verlängert worden. Diese Verfügung ist nach ihrem maßgeblichen objektiven Inhalt (vgl. , NJW-RR 2008, 1162 [juris Rn. 2]; Beschluss vom - VI ZB 6/13, NJW 2013, 2821 [juris Rn. 7]; Beschluss vom - VIII ZA 4/19, NJW-RR 2020, 313 [juris Rn. 19]; Urteil vom - VIa ZR 318/22, juris Rn. 7) dahin zu verstehen, dass die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum erfolgen sollte. Mit der "antragsgemäßen" Verlängerung und mit der Bezugnahme auf den im Antrag genannten Verlängerungszeitraum von "vier Wochen" hat der Vorsitzende den Inhalt des Antrags der Beklagten zum Inhalt der Fristverlängerung gemacht (vgl. , MDR 2022, 907 [juris Rn. 8]).

15cc) Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der unter Bezugnahme auf die entsprechende gesetzliche Vorschrift des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO der Verlängerungsverfügung angefügte Hinweis, dass eine über einen Monat hinausgehende Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners bewilligt werden kann, die eindeutige Angabe zum Verlängerungszeitraum nicht in Frage stellt. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, die Verlängerungsverfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts sei nicht eindeutig gewesen, deshalb hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten Anlass gehabt, den Umfang der gewährten Fristverlängerung aufzuklären. Das Berufungsgericht hat die Verlängerungsverfügung rechtsfehlerfrei dahingehend ausgelegt, dass der darin enthaltene Hinweis auf den Inhalt der Vorschrift des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht dahingehend missverstanden werden kann, dass die Frist nicht lediglich um vier Wochen, sondern um einen Monat verlängert worden ist.

16c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat auch nicht durch eine telefonische Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts erfolgt. Da der Vorsitzende des Berufungsgerichts die Berufungsbegründungsfrist lediglich um vier Wochen und nicht um einen Monat verlängert hat, liegt in der von den Beklagten behaupteten telefonischen Mitteilung der Geschäftsstelle, die Frist sei bis Samstag, dem , verlängert worden, so dass die Frist am Montag, dem , ablaufe, keine wirksame Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Diese Mitteilung ersetzt die Fristverlängerung durch den hierfür zuständigen Vorsitzenden des Berufungsgerichts (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nicht (vgl. , juris Rn. 2).

172. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt. Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass sie ohne ihr Verschulden gehindert waren, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

18a) Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Frage, ob einen Prozessbevollmächtigten ein entsprechendes Verschulden trifft, ist nach einem objektiv-typisierten Maßstab zu beantworten, wobei auf die Person des Bevollmächtigten abzustellen ist. Verschuldensmaßstab ist die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts dürfen dabei nicht überspannt werden; ihre Beachtung muss im Einzelfall auch zumutbar sein, da andernfalls das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und zumutbaren Zugang zu den Gerichten verletzt wird (vgl. , NJW-RR 2012, 122 [juris Rn. 12] mwN).

19b) Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat sie auf den Streitfall auch nicht in einer Weise angewandt, bei der die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts überspannt werden. Es hat mit Recht angenommen, vor dem Hintergrund, dass der vom Vorsitzenden des Berufungsgerichts ersichtlich vorsorglich erteilte Hinweis auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht dahingehend habe missverstanden werden können, dass die Frist um einen Monat verlängert worden sei, habe es für einen die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts anwendenden Prozessbevollmächtigten keinerlei Anlass gegeben, die ausgesprochene antragsgemäße Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist "um 4 Wochen" nicht zu beachten. Die Einreichung einer Berufungsbegründung erst am stelle sich deshalb als schuldhaft dar.

20c) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des - vom Berufungsgericht als zutreffend unterstellten - Vortrags der Beklagten, die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts habe der sachbearbeitenden Rechtsanwältin der Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Auskunft erteilt, die Berufungsbegründungsfrist sei bis zum , und da dies ein Samstag sei, bis zum verlängert worden.

21aa) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, ein Rechtsanwalt sei im Rahmen seiner berufsmäßigen Sorgfalt nicht verpflichtet, eine ihm von der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts erteilte Auskunft kritisch zu hinterfragen. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten sich auf den Inhalt der von ihnen vorgetragenen Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts verlassen dürfen. Damit kann die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg haben.

22bb) Nach dem Vortrag der Beklagten ist die verspätete Begründung der Berufung darauf zurückzuführen, dass die für sie tätige Rechtsanwältin aufgrund der Mitteilung der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts irrtümlich angenommen hat, die Berufungsbegründungsfrist sei bis zum verlängert worden. Ein solcher Irrtum entlastet den Rechtsanwalt noch nicht ohne Weiteres. Denn auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts darf er sich nicht ohne Weiteres verlassen, sondern ist verpflichtet, die sich bei der Verfahrensführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (vgl. , FamRZ 2011, 362 [juris Rn. 30] mwN; Beschluss vom - XII ZB 493/22, FamRZ 2024, 1557 [juris Rn. 10]). Anderes gilt indessen, wenn dem Rechtsanwalt vom Gericht gegebene Informationen sich auf gerichtsinterne Vorgänge beziehen und die Unrichtigkeit der Informationen mithin nicht ohne Weiteres zu erkennen ist (BGH, FamRZ 2024, 1557 [juris Rn. 11]).

23cc) Die Rechtsbeschwerde kann sich auf diese Grundsätze und ein durch eine Auskunft der Geschäftsstelle begründetes Vertrauen bereits deshalb nicht berufen, weil die Geschäftsstelle für die Erteilung der von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehrte Auskunft nicht zuständig war. Nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch war sich die sachbearbeitende Rechtsanwältin der Beklagten nicht darüber im Klaren, wie die Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts auszulegen ist, mit dem dieser die Berufungsbegründungsfrist verlängert hatte. Wegen etwaiger Zweifel hätte sie sich deshalb an den Vorsitzenden des Berufungsgerichts und nicht an die Geschäftsstelle wenden müssen.

24dd) Darüber hinaus war der Inhalt der von den Beklagten vorgetragenen Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts offenkundig unrichtig, so dass sich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch aus diesem Grund hierauf nicht verlassen durften.

25Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hatte die Berufungsbegründungsfrist mit seiner Verfügung vom nach ihrem eindeutigen Wortlaut um vier Wochen bis zum und nicht bis zum verlängert. Auch nach der von der für die Beklagten tätigen Rechtsanwältin für möglich gehaltenen Auslegung der Verlängerungsverfügung dahingehend, dass die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat verlängert werden sollte, wäre eine Verlängerung  da die Berufungsbegründungsfrist ursprünglich am ablief - bis zum ausgeschlossen gewesen, denkbar war danach allein eine Verlängerung bis zum .

26ee) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts auch nicht Auskunft über einen gerichtsinternen Vorgang erteilt, den die Prozessbevollmächtigten der Beklagten von sich aus nicht hätten aufklären müssen. Anlass für die Nachfrage der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts war vielmehr die ihnen bereits vorliegende, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist betreffende Verfügung des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom , die den gerichtsinternen Bereich bereits verlassen hatte und deren Inhalt den Prozessbevollmächtigten der Beklagten bekannt war.

27IV. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Koch                         Schwonke                         Feddersen

            Schmaltz                            Wille

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:110925BIZB29.25.0

Fundstelle(n):
MAAAK-01068