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BGH Beschluss v. - 3 ZB 2/24

Instanzenzug: LG Mönchengladbach Az: 5 T 177/24vorgehend AG Mönchengladbach Az: 66 XIV(L) 69/24

Gründe

1Das Landgericht hat einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer amtsgerichtlichen Gewahrsamsanordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs teils als unzulässig verworfen, teils zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat keinen Erfolg.

I.

21. Am kam es am Vorabend eines Spiels der Fußball-Bundesliga zwischen B.                                          und dem 1. FC K.     zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Anhängern beider Mannschaften auf dem Gelände des Bo.                 -Stadions. Beamten des verfahrensbeteiligten Polizeipräsidiums gelang es, die Gruppen voneinander zu trennen. Dabei wurden die Beamten mittels Fahnenstangen, eines Bauzauns, Feuerwerkskörpern und Glasflaschen körperlich angegriffen; neun von ihnen erlitten Verletzungen. Beamte schlossen 74 Personen aus der Gruppe der M.                         er Unterstützer gegen 21:15 Uhr ein, darunter auch den Betroffenen. Auf Antrag des Polizeipräsidiums ordnete das Amtsgericht M.                            am Morgen des nach Anhörung des Betroffenen die Fortdauer seiner Unterbringung bis längstens 18:00 Uhr desselben Tages an.

32. Der Betroffene hat noch am Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegt und zudem die nachträgliche Feststellung beantragt, dass sowohl die Freiheitsentziehung „von Anfang an“ als auch die Art und Weise der Durchführung sowie seine Behandlung während der Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen seien. Dies hat er später näher begründet und durch den Antrag ergänzt, explizit festzustellen, dass die Durchsuchung seines nackten Körpers während der Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei.

4Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom nicht abgeholfen und im Rahmen der Beschlussgründe ausgeführt, dass auch die Art und Weise der Freiheitsentziehung den Betroffenen nicht in seinen Rechten verletzt habe. Das Landgericht hat am den Antrag des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit der Gewahrsamsanordnung sowie der Art und Weise der Durchführung festzustellen, teils als unzulässig verworfen, im Übrigen zurückgewiesen. Die Rüge des Betroffenen, er sei erst rund eineinhalb Stunden nach Ablauf der gerichtlich angeordneten Frist aus dem Gewahrsam entlassen worden und daher in seinen Rechten verletzt, sei nicht statthaft, da es sich hierbei um einen von der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht erfassten Streitgegenstand handele. Insoweit sei der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten. Im Übrigen habe das Amtsgericht zu Recht die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme angenommen. Auch die Durchführung des Gewahrsams einschließlich der währenddessen vorgenommenen Durchsuchung sei rechtmäßig gewesen.

5Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts und beantragt, diesen aufzuheben und festzustellen, dass die Gewahrsamsanordnung des Amtsgerichts sowie die Art und Weise ihrer Durchführung und die in diesem Zuge vorgenommene Durchsuchung des nackten Körpers des Betroffenen rechtswidrig gewesen seien und ihn in seinen Rechten verletzt hätten, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

II.

6Die Rechtsbeschwerde ist lediglich statthaft, soweit sie sich gegen die Rechtmäßigkeit der amtsgerichtlichen Gewahrsamsanordnung wendet. Insofern ist sie allerdings unbegründet.

71. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels umfasst allein die Nachprüfung der gerichtlichen Anordnung des Gewahrsams.

8a) Die Rechtsbeschwerde gegen eine behördlich angeordnete Freiheitsentziehung zum Zweck der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam nach den Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist entsprechend § 70 Abs. 4 FamFG grundsätzlich ausgeschlossen (s. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom – StB 24/18, juris Rn. 8 ff.; vom – 3 ZA 1/24, juris Rn. 10 mwN). Damit kann der Betroffene die Freiheitsentziehung „von Anfang an“ bis zur Anordnung durch das Amtsgericht hier nicht überprüfen lassen.

9b) Im Übrigen hat das Landgericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Sie ist daher gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 36 Abs. 2 Satz 2 PolG NRW ausschließlich in Freiheitsentziehungssachen eröffnet, also hinsichtlich der amtsgerichtlichen Anordnung. Durch die allgemeine Verweisung in § 36 Abs. 2 Satz 2 PolG NRW auf das 7. Buch des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist implizit auch die entsprechende Geltung der Vorschriften des 1. Buches des FamFG angeordnet (s. , NStZ-RR 2023, 257, 258). Danach ist die Rechtsbeschwerde, von Ausnahmefällen wie Freiheitsentziehungssachen abgesehen, nur nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 70 Abs. 1 FamFG).

10aa) Nach der Legaldefinition in § 415 Abs. 2 FamFG liegt eine Freiheitsentziehung vor, wenn einer Person gegen ihren Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit insbesondere in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, die Freiheit entzogen wird. Diese Begriffsbestimmung ist bei freiheitsentziehenden Maßnahmen auf der Grundlage landesrechtlicher – etwa polizeirechtlicher – Vorschriften ebenfalls anwendbar, sofern das Landesrecht auf die bundesrechtlichen Vorschriften ausdrücklich verweist (, NStZ-RR 2022, 23 f. mwN).

11Erfasst ist danach nur die Freiheitsentziehung dem Grunde nach, nicht aber die Art und Weise ihres Vollzugs (vgl. , juris Rn. 16; zur Differenzierung auch u.a., BVerfGE 149, 293 Rn. 69). Dies entspricht insbesondere der Motivlage im Gesetzgebungsverfahren, in dem zunächst eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde überhaupt nicht vorgesehen war und nachfolgend lediglich eine Überprüfungsinstanz ohne weitere Zulassungsvoraussetzungen zur Verfügung gestellt werden sollte, „wenn durch gerichtliche Entscheidung in höchstpersönliche Rechte der Betroffenen eingegriffen wird und freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet werden“ (BT-Drucks. 16/9733 S. 290). Eine Rechtsbeschwerde sollte ohne Zulassung nur statthaft sein, „wenn sie sich gegen einen Beschluss richtet, der unmittelbar freiheitsentziehende Wirkung für den Beschwerdeführer hat“ (BT-Drucks. 16/12717 S. 60; s. BGH, Beschlüsse vom – 3 ZB 8/19, juris Rn. 9; vom – XIII ZB 11/21, juris Rn. 6). Zudem legt der Ausnahmecharakter des § 70 Abs. 2 FamFG eine eher enge Auslegung nahe. Im Übrigen betrifft die Art und Weise des Vollzugs nicht den in § 415 Abs. 2 StPO genannten, besonders grundrechtssensiblen Freiheitsentzug als solchen.

12bb) Hieran gemessen ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, soweit das Landgericht über die Rechtmäßigkeit der amtsgerichtlichen Gewahrsamsanordnung entschieden hat. Nicht von dieser umfasst ist neben weiteren mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Punkten auch die Frage, ob der Betroffene innerhalb der durch das Amtsgericht gesetzten Frist entlassen wurde (vgl. , juris Rn. 12). Mangels Statthaftigkeit bedarf es mithin keiner Entscheidung über die Ausführungen des Landgerichts zum seiner Ansicht nach insoweit eröffneten Verwaltungsrechtsweg.

13cc) Die einheitliche Entscheidung des Landgerichts über die Rechtmäßigkeit sowohl des vom Amtsgericht angeordneten Gewahrsams als auch des konkreten Vollzugs durch das beteiligte Polizeipräsidium führt nicht zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde insgesamt, weil die unterschiedlichen Gegenstände der Entscheidung differenziert zu betrachten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – XII ZB 39/18, NJW 2018, 2729; vom – StB 23/18, juris Rn. 9 ff.). Rechtsprechung des Senats, dass ein Gleichlauf hinsichtlich der Entscheidung über die Anordnung des behördlichen Gewahrsams und etwaige Rechtsverletzungen während dessen Vollzugs herzustellen ist (s. , juris Rn. 17), betrifft den Rechtsmittelzug als solchen, nicht aber die Frage, ob eine Rechtsbeschwerde ohne Zulassung statthaft ist.

14Aus dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergibt sich nichts anderes. Dieses begründet insbesondere keinen Anspruch auf eine weitere Instanz. Zwar darf der Zugang zu einem durch die Prozessordnung vorgesehenen Rechtsmittel nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. etwa , FamRZ 2016, 1139 Rn. 12). Allerdings hat der Gesetzgeber aus den bereits dargelegten Gründen eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde grundsätzlich gerade nicht, sondern lediglich in konkret begrenzten Ausnahmefällen vorgesehen.

152. Soweit die Rechtsbeschwerde danach statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, ist sie unbegründet.

16a) Die Verfahrensbeanstandung, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht gemäß § 26 Abs. 1, § 37 Abs. 1 FamFG verletzt, bleibt ohne Erfolg. Weder aus der Rechtsbeschwerdebegründung noch sonst ergibt sich, welche erforderlichen Ermittlungen das Landgericht unterlassen hat. Insofern richtet sich die Rechtsbeschwerde im Kern letztlich nicht gegen die unterbliebene Heranziehung anderweitig bestehender, sondern gegen eine unzureichende Würdigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen.

17b) Die Nachprüfung der Entscheidung des Landgerichts in der Sache hat, soweit die Rechtsbeschwerde statthaft ist, ebenfalls keinen Rechtsfehler erbracht. Das Landgericht hat seine Schlussfolgerung tragfähig begründet, dass das Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW zu Recht angenommen habe (zum Prüfungsmaßstab und -gegenstand im Rechtsbeschwerdeverfahren vgl. , FGPrax 2022, 141 Rn. 8 f. mwN).

18aa) Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Dies setzt voraus, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen einen sofort oder in allernächster Zeit eintretenden straftat- oder ordnungswidrigkeitsbedingten Schaden indizieren. Ausreichend ist die tatsachengestützte Überzeugung von der hohen Wahrscheinlichkeit einer künftigen Tatbegehung (s. , NStZ-RR 2020, 230, 231 zu § 13 HmbSOG).

19Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass aus ex-ante-Sicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung wegen der bevorstehenden Begehung weiterer Straftaten gefährdet und der Betroffene ungeachtet des tatsächlichen Ausmaßes seiner Beteiligung als Störer zu qualifizieren gewesen sei; denn die Gruppierungen hätten keinen anderen Zweck verfolgt, als sich gegenseitig anzugreifen.

20bb) Die dem zugrunde liegende Überzeugungsbildung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Es hat dazu insbesondere herangezogen, dass aufgrund von Videoaufzeichnungen einzelne unbeteiligte Personen hätten identifiziert werden können und im Übrigen auszuschließen sei, dass es zu Vermischungen zwischen den Lagern und Unbeteiligten gekommen sei. Ferner habe der vom Amtsgericht persönlich angehörte Betroffene keinen vernünftigen Grund dargetan, sich am Vorabend eines Fußballspiels in einem Bereich aufgehalten zu haben, in dem Anhänger zweier verfeindeter Fan-Lager körperlich aufeinander losgegangen seien.

21Hierbei handelt es sich um mögliche, gemäß § 37 Abs. 1 FamFG dem Gericht vorbehaltene Schlüsse. Einer näheren Auseinandersetzung in den Entscheidungsgründen damit, wie der Betroffene bekleidet war, hat es nicht bedurft. Zum einen ändert die Art der Bekleidung nichts an der Anwesenheit in einer bestimmten Menschengruppe; zum anderen waren ausweislich der Darlegungen des Landgerichts die Gruppenangehörigen nicht allesamt einheitlich gekleidet, wenngleich die Mehrzahl der Anhänger von B.                                            weiße T-Shirts und zudem eine Vielzahl von ihnen noch Mundschutz, Handschuhe sowie Bandagen trug. Entscheidend ist für das Landgericht gewesen, dass der Betroffene zu einer von zwei Gruppen gehörte, aus der heraus Gewalttätigkeiten verübt wurden und für deren Zusammenkommen kein anderer Zweck ersichtlich ist. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf abstellt, dass auf dem Stadiongelände auch eine Choreographie für den Folgetag vorbereitet worden sei, kann dies einen Grund für die Anwesenheit vor Ort, nicht aber für das Zusammenfinden in einer konkreten gewalttätigen Gruppe vor dem Stadion darstellen. Daher ist es entbehrlich gewesen, dass sich das Landgericht ausdrücklich hiermit befasst. Insoweit ist nicht pauschal auf die bloße Anwesenheit des Betroffenen vor Ort, sondern auf seine durch die polizeiliche Auswertung von Videoaufnahmen belegte Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen abgestellt worden.

22Bei dem Hinweis darauf, dass der Betroffene seine Anwesenheit nicht anderweitig zu erklären vermocht habe, handelt es sich entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen nicht um eine „Verdrehung der Feststellungslast“. Vielmehr ergibt sich aus der entsprechenden gerichtlichen Würdigung, dass die sich nach dem äußeren Bild ergebende Gefahrenlage durch Angaben des Betroffenen nicht entkräftet worden ist und diese keinen Anlass zu weiterer Erörterung gegeben haben.

23cc) Auf dieser Grundlage hat das Landgericht die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Gewahrsam nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW zutreffend als gegeben erachtet. Dieser war zur Verhinderung von Straftaten unerlässlich. Als unerlässlich erweist sich eine Freiheitsentziehung, wenn sie das äußerste bzw. letzte Mittel zur Verhinderung von Schäden ist. Die Unerlässlichkeit verlangt, dass die Gefahrenabwehr nur auf diese Weise möglich und nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar ist (, NStZ-RR 2020, 230, 232).

24Dies hat das Landgericht, auch durch Verweisung auf die Gründe des amtsgerichtlichen Nichtabhilfebeschlusses, rechtsfehlerfrei angenommen. Dazu hat es namentlich herangezogen, dass die zielgerichtete, auf gewaltsame Ausschreitungen ausgerichtete Begegnung der beiden Fanlager die Prognose erlaubte, eine Identitätsfeststellung, eine Gefährderansprache und eine Platzverweisung würden nicht zielführend sein. Es sei davon auszugehen gewesen, dass die Fan-Lager eine Konfrontation unabhängig von der Örtlichkeit suchen würden, zumal bis zum Spiel am nächsten Nachmittag noch Anlass und Gelegenheit zu Auseinandersetzungen bestanden hätten. Ergänzend sind die in Bezug genommenen Erwägungen des Amtsgerichts zu berücksichtigen, dass angesichts der Gewaltanwendungen aus beiden Lagern auch zum Nachteil von Polizeibeamten nicht zu erwarten gewesen sei, der Betroffene werde sich von den in Rede stehenden milderen Maßnahmen beeindrucken lassen. Darauf, ob der Betroffene eigene Gewalthandlungen oder sonstige Straftaten begangen hatte, kommt es wegen seiner Zugehörigkeit zu einem der gewalttätigen Lager nicht an (vgl. , juris Rn. 15 mwN).

III.

25Die Festsetzung des Gegenstandswerts des Verfahrens in der Rechtsbeschwerdeinstanz folgt aus § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 2 und 3, § 62 analog GNotKG und ergibt sich aus einer Addition der Werte für die gerichtliche Gewahrsamsanordnung (5.000 €) sowie für die Art und Weise der Durchführung (5.000 €).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030925B3ZB2.24.0

Fundstelle(n):
CAAAK-01067