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BGH Urteil v. - VIa ZR 766/22

Instanzenzug: Az: 22 U 89/21vorgehend Az: 16 O 120/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen Mercedes Benz C 250 BlueTec 4Matic. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut.

2Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung der Verpflichtung, Schadensersatz für weitere Schäden zu leisten (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Kläger könne von der Beklagten keinen Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB oder aus §§ 831, 826 BGB verlangen. Unstreitig werde in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine temperaturabhängige Abgasrückführung ("Thermofenster"), eine Kühlmittel-Solltemperatur-Reglung (KSR) und ein SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspeisung verwendet. Es könne dahinstehen, ob "Thermofenster", KSR und der vom Kläger behauptete "schmutzige" Online-Modus im Zusammenhang mit der AdBlue-Einspeisung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtungen seien. Der Kläger habe jedenfalls nicht substantiiert dargelegt, dass die Beklagte in Bezug auf Einbau und Regulierung der vorstehend genannten Funktionen sittenwidrig oder vorsätzlich gehandelt habe.

6Auch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergäben sich keine Ansprüche des Klägers. Die genannten Vorschriften stellten keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar, insbesondere schützten sie nicht die Form des Vermögensschadens, der vom Kläger geltend gemacht werde. Es sei nicht Zweck dieser Vorschriften, den Käufer davor zu schützen, zu einer Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese im Umfang des Urteilsauspruchs nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                        

                                       

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:230925UVIAZR766.22.0

Fundstelle(n):
VAAAK-00884