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BGH Urteil v. - VIa ZR 1528/22

Instanzenzug: Az: 9 U 2001/21vorgehend Az: 15 O 287/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im September 2017 von einem Dritten einen gebrauchten VW Golf, in dem ein Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut ist. Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger das Fahrzeug weiterveräußert.

2Der Kläger hat zuletzt im Wesentlichen beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen zu verurteilen. Er hat ferner die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierende Schäden begehrt und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch des Klägers nach §§ 826, 31 BGB im Hinblick auf die Fahrkurvenerkennung bestehe nicht. Selbst wenn man hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung eine unzulässige Abschalteinrichtung annähme, wäre der Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht gerechtfertigt. Die Beklagte habe vor dem Fahrzeugkauf gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung offengelegt und dieses sei nach eigenen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine unzulässige Manipulation des Emissionsverhaltens der untersuchten EA 288-Modelle nicht festzustellen sei. Auch im Hinblick auf das Thermofenster stehe dem Kläger kein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 beziehungsweise mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass es sich hierbei nicht um Schutzgesetze handele. Der Feststellungsantrag des Klägers sei bereits unzulässig, weil ihm die erforderliche Bestimmtheit fehle. Auch unter Heranziehung der Klage und der Berufungsbegründung lasse sich nicht ausreichend bestimmt ermitteln, welche konkrete Manipulation von dem Feststellungsantrag umfasst sein solle.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Der Feststellungsantrag ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zulässig. Der Antrag genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil sich das Feststellungsbegehren anhand des Klage- und Berufungsvorbringens dahin deuten lässt, von der Ersatzpflicht der Beklagten sollten Schäden erfasst sein, die daraus resultierten, dass die Beklagte in das Fahrzeug die vom Kläger angeführten, als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehenen technischen Einrichtungen - eine Fahrkurvenerkennung und ein Thermofenster - eingebaut und das so ausgestattete Fahrzeug in den Verkehr gebracht habe (vgl.  VIa ZR 764/22, juris Rn. 13; Urteil vom - VIa ZR 710/21, juris Rn. 9).

82. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte gegenüber dem KBA die Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung offengelegt und ist dieses nach eigenen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine unzulässige Manipulation des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Motortyps nicht festzustellen ist. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl.  VIa ZR 506/21, juris Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 282/22, DAR 2025, 317 Rn. 8 mwN).

93. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). entscheidenie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, ) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

                                                  

                                             

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240925UVIAZR1528.22.0

Fundstelle(n):
BAAAK-00788