Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 9 U 6/21vorgehend LG Magdeburg Az: 10 O 666/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im September 2016 von einem Autohaus einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI SCR, in dem ein von der Beklagten hergestellter Motor des Typs EA 288 verbaut ist.
2Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie ihrer Schadensersatzpflicht für aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierende Schäden begehrt und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Der Kläger habe keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB. Hinsichtlich des Einsatzes des Thermofensters könne ein arglistiges Verhalten der Beklagten nicht angenommen werden. Für seine Behauptung, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Fahrkurven- bzw. Prüfzykluserkennung verbaut, habe er keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt. Unzulässig sei eine solche Einrichtung nur dann, wenn beim Erkennen des Prüfstands die Abgasreinigung grenzwertrelevant optimiert werde, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe den streitgegenständlichen Motor EA 288 umfassenden Untersuchungen unterzogen und in Kenntnis der Verwendung eines Thermofensters und einer Fahrkurvenerkennung ausdrücklich bestätigt, dass die Motoren keine unzulässige Abschalteinrichtung aufwiesen. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Kläger einen Schaden erlitten habe. Es sei nicht erkennbar, dass der Vertragsschluss für den Kläger nachteilig gewesen sei, denn es habe zu keinem Zeitpunkt die konkrete Gefahr einer Entziehung der Zulassung oder einer Betriebsuntersagung bestanden. Weitere Anspruchsgrundlagen für einen Schadensersatzanspruch des Klägers seien nicht ersichtlich.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt.
8Ein solcher Anspruch kann zwar nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden, weil zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Gefahr einer Entziehung der Zulassung oder einer Betriebsuntersagung bestanden habe. Mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der - hier zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellenden - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gegeben ist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 f. mwN).
9Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und in Kenntnis der Verwendung eines Thermofensters und einer Fahrkurvenerkennung ausdrücklich bestätigt, dass die Motoren dieses Typs keine unzulässigen Abschalteinrichtungen aufweisen würden. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. VIa ZR 506/21, juris Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 282/22, DAR 2025, 317 Rn. 8 mwN).
10Die Verfahrensrügen der Revision hat der Senat im Übrigen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
112. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht näher erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
12Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
13Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). ie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
14die erforderlichen
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:240925UVIAZR232.22.0
Fundstelle(n):
IAAAK-00777