Teilbeschluss im Verfassungsbeschwerdeverfahren (§ 25 Abs 3 BVerfGG) bzgl des baden-württembergischen Rettungsdienstgesetzes (RIS: RettDG BW 2024) bzw wegen des Fehlens bundeseinheitlicher Vorgaben für die Notfallrettung: teilweise Unzulässigkeit mangels hinreichender Beschwerdebegründung - ua mangelnde Darlegung der Beschwerdebefugnis juristischer Personen bei Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit
Gesetze: Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, Art 74 Abs 1 Nr 12 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 25 Abs 3 BVerfGG, § 92 BVerfGG, RettDG BW 2024, § 60 Abs 1 S 1 SGB 5, § 60 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 5, § 60 Abs 3 Nr 3 SGB 5, § 133 SGB 5
Gründe
I.
1Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Vorschriften des Gesetzes über den Rettungsdienst des Landes Baden-Württemberg (Rettungsdienstgesetz) vom (Gesetzblatt für Baden-Württemberg, Nr. 66) sowie einlegislatives Unterlassen des Deutschen Bundestags und des Bundesrats im Hinblick auf bundeseinheitliche Vorgaben für die Notfallrettung. Die Beschwerdeführer zu 1. bis 5. sind natürliche Personen. Die Beschwerdeführerin zu 6. ist eine gemeinnützige rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, die das Ziel einer Verbesserung der Notfallhilfe und des Rettungswesens verfolgt.
II.
2Der Beschluss ergeht als Teilentscheidung nach § 25 Abs. 3 BVerfGG. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nicht zur Entscheidung an. Insoweit kommt ihr keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Eine Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie zeigt nicht den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügend auf, dass sie - wie sie dies hinsichtlich fehlender bundeseinheitlicher Vorgaben für die Notfallrettunggeltend macht - ein Unterlassen des Bundesgesetzgebers als solches rügen kann (1). Sie legt auch nicht ausreichend dar, inwiefern dem Bundesgesetzgeber eine Gesetzgebungskompetenz für entsprechende bundeseinheitliche Vorgaben zusteht (2). Im Hinblick auf den verbleibenden Beschwerdegegenstand zu 1. ist nicht ausreichend dargetan, inwiefern die Beschwerdeführerin zu 6. von der gerügten Verletzung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst betroffen ist (3).
31. Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend auf, dass sie hinsichtlich fehlender bundeseinheitlicher Vorgaben für die Notfallrettung ein Unterlassen des Bundesgesetzgebers als solches rügen kann.
4a) Ein Unterlassen als solches kann nur bei völliger Untätigkeit des Gesetzgebers zum unmittelbaren Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemacht werden (vgl. BVerfGE 157, 30 <89 f. Rn. 95>). Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen wird durch § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht an eine Frist gebunden (vgl. BVerfGE 77, 170 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1541/09 u.a. -, Rn. 13). Erforderlich ist jedoch, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf einen verfassungsrechtlichen Auftrag, der auch in der Verpflichtung zur Nachbesserung bestehen kann, gänzlich untätig geblieben ist (vgl. BVerfGE 56, 54 <71>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1541/09 u.a. -, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 3250/14 -, Rn. 8).
5Hat der Gesetzgeber hingegen eine Regelung getroffen, muss sich die Verfassungsbeschwerde - soweit sich der Vorwurf gesetzgeberischen Unterlassens in dem Rahmen bewegt, den das verabschiedete Gesetz der Sache nach abdecken soll - regelmäßig gegen diese gesetzliche Vorschrift richten. Das gilt auch, wenn die Beschwerdeführer meinen, der Gesetzgeber sei durch eine gesetzliche Regelung seinen Schutzpflichten nicht gerecht geworden (vgl. BVerfGE 157, 30 <89 f. Rn. 95>). Ist der Gesetzgeber tätig geworden und enthält das Gesetz eine - sei es auch ablehnende - Regelung, hat er eine Entscheidung nicht unterlassen. Vielmehr muss dann diese Regelung als solche bei gegenwärtiger und unmittelbarer Betroffenheit innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG oder ansonsten im Rahmen der Anfechtung eines Vollziehungsakts angegriffen werden (vgl. BVerfGE 56, 54 <71>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1541/09 u.a. -, Rn. 14 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 3250/14 -, Rn. 8; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 607/22 -, Rn. 16).
6b) Ausgehend hiervon ist nicht ausreichend dargetan, dass der Bundesgesetzgeber im Hinblick auf das begehrte Tätigwerden gänzlich untätig geblieben ist.
7Die Verfassungsbeschwerde stützt ihren Standpunkt, der Bundesgesetzgeber sei aufgrund von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, Regelungen über die Leistungen und die Qualität des Rettungsdienstes zu treffen, maßgeblich darauf, dass das Rettungsdienstwesen ganz wesentlich durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werde. Gesetzliche Grundlage für die Übernahme von Kosten für die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes durch die gesetzliche Krankenversicherung sind § 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 133 SGB V.Der Bundesgesetzgeber hat sich insbesondere mit § 133 Abs. 1 SGB V allerdings auf Vergütungsregelungen beschränkt. Nach dem Bundessozialgericht hat er damit die Sicherstellung eines funktionsfähigen Rettungsdienstwesens den Ländern überlassen, weil sich die Einzelheiten über die Versorgung bereits aus den Landesgesetzen über die Rettungsdienste ergeben(vgl. BSGE 77, 119 <124 f.>).
8Die Verfassungsbeschwerde zeigt nicht auf, inwiefern sie sich nicht unter Beachtung der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG gegen § 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 133 SGB V hätte wenden müssen. Sie legt nicht dar, inwiefern trotz der dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht davon auszugehen sein sollte, dass es der Bundesgesetzgeber mit § 133 Abs. 1 SGB V abgelehnt hat, angesichts der Kostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung zugleich Regelungen über die Leistungen und die Qualität des Rettungsdienstes zu treffen.
92. Die Verfassungsbeschwerde legt zudem nicht ausreichend dar, inwiefern dem Bundesgesetzgeber eine Gesetzgebungskompetenz für bundeseinheitliche Vorgaben für die Notfallrettung insbesondere auf Grundlage der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zusteht.Soweit sie sich auf die Kostentragung durch die gesetzliche Krankenversicherung beruft, zeigt sie nicht im Einzelnen auf, inwiefern der Rettungsdienst in vergleichbarer Weise wie etwa die von dem Kompetenztitel erfasste vertragsärztliche Versorgung (vgl. BVerfGE 98, 265 <303>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2507/97 -, Rn. 21) in deren Leistungserbringung eingebunden ist.
103. Im Hinblick auf den Beschwerdegegenstand zu 1. ist nicht ausreichend dargetan, dass die Beschwerdeführerin zu 6. von der gerügten Verletzung von Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst betroffen ist. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass die eigene, unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt ist (vgl. BVerfGE 162, 1 <51 f. Rn. 93> m.w.N.). Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG knüpft an die körperliche Integrität des Menschen an und setzt daher gemäß Art. 19 Abs. 3 GG zwingend voraus, dass der Beschwerdeführer eine natürliche Person ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2492/08 -, Rn. 13). Inwiefern sich etwas anderes daraus ergeben soll, dass die Beschwerdeführerin zu 6. als altruistische Sachwalterin für die Allgemeinheit auftrete und die Individualinteressen von Bürgern bündele, zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend auf. Ebenso wenig ist dargetan, dass die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Prozessstandschaft erfüllt sind (vgl. BVerfGE 149, 293 <314 Rn. 53> m.w.N.). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde darauf beruft, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Vereinigungen unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis zugestanden habe, sich auf den Schutz menschlichen Lebens und der Gesundheit Einzelner zu berufen (vgl. EGMR (GK), Verein Klimaseniorinnen Schweiz and others v. Switzerland, , 53600/20), legt sie nicht dar, dass das Grundgesetz und das Verfassungsprozessrecht eine entsprechende Beschwerdebefugnis für die Verfassungsbeschwerde vorsehen (vgl. BVerfGE 157, 30 <107 Rn. 136>).
III.
11Im Übrigen ergeht eine gesonderte Entscheidung.
12Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
13Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250820.1bvr065625
Fundstelle(n):
DAAAK-00222