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BGH Beschluss v. - 6 StR 176/25

Instanzenzug: LG Ansbach Az: Ks 1020 Js 7423/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Der aus Eritrea stammende Angeklagte war als Bedienung auf einem Volksfest tätig. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt beleidigte ihn sein Vorgesetzter, der Geschädigte C.     , als „scheiß Schwarzer, scheiß Affe“. Am späten Abend des wies C.      den Angeklagten zurecht, weil er Bier aus einem von ihm angetrunkenen Maßkrug auf zum Verkauf bereitgestellte Maßkrüge gegossen hatte. Daraufhin bezeichnete der Angeklagte ihn als „Motherfucker“ und entfernte sich in den Raucherbereich des Festzeltes. C.     folgte ihm und versetzte ihm zur Vergeltung mit der flachen Hand einen Schlag ins Gesicht, wodurch der Angeklagte kurz zu Boden ging. Unmittelbar danach schlug der Angeklagte dem Geschädigten C.      mit „voller Wucht“ und in Tötungsabsicht einen Maßkrug ins Gesicht. C.      stürzte bewusstlos zu Boden und erlitt unter anderem ein subdurales Hämatom und eine Fraktur des Nasenbeins. Nachdem der Angeklagte erkannt hatte, dass ihm weitere Tathandlungen wegen hinzutretender Personen sowie wegen des zersplitterten Maßkrugs nicht mehr möglich waren, rannte er davon.

4b) Das Landgericht hat die Tat als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewürdigt (§ 212 Abs. 1, §§ 22, 224 Abs. 1, § 52 StGB). Einen minder schweren Fall des Totschlags im Sinne des § 213 StGB hat es verneint; insbesondere sei der Schlag des Geschädigten in das Gesicht des Angeklagten auf dessen vorangegangenes „unangemessenes Verhalten“ zurückzuführen und eine etwaige Provokation des Angeklagten daher nicht ohne eigene Schuld im Sinne der ersten Alternative von § 213 StGB gewesen.

52. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

63. Hingegen hält der Strafausspruch revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Die Ablehnung eines minder schweren Falls gemäß § 213 StGB begegnet – auch eingedenk des insoweit begrenzten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2015, 582; vom – 1 StR 663/16, jeweils mwN) – rechtlichen Bedenken, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass der Angeklagte das tatauslösende Verhalten des Geschädigten im Sinne von § 213 Alternative 1 StGB vorwerfbar veranlasst hat.

7a) Eigene Schuld des Täters schließt die Annahme einer strafmildernden Provokation nur aus, wenn sie sich gerade auf die ihm vom Opfer zugefügte tatauslösende Misshandlung oder schwere Beleidigung bezieht (vgl. , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Beleidigung 10 mwN) und der Täter dem Opfer genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat (vgl. , BGHR StGB § 213 Alt. 1 Verschulden 2). Das Vorverhalten muss dem Täter vorwerfbar und in qualitativer Hinsicht geeignet sein, die darauf fußende Provokation des Opfers als verständliche Reaktion erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 254/81; vom – 2 StR 181/85, StV 1985, 367; vom – 4 StR 221/88, BGHR § 213 Alt. 1 Verschulden 1). Zu prüfen ist daher, ob die dem Täter zugefügte Misshandlung ihrerseits Ausfluss einer angemessenen Reaktion des Opfers auf die ihm zuvor durch den Täter zuteil gewordene Behandlung war. Fehlt es an der Proportionalität zwischen vorangegangenem Fehlverhalten des Täters und der nachfolgenden Opferreaktion, ist eine schuldhafte Provokation mangels genügender Veranlassung zu verneinen (vgl. LK/Rissing-van Saan/Zimmermann, StGB, 13. Aufl., § 213 Rn. 18; MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 213 Rn. 39, jeweils mwN). Insoweit ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (vgl. MüKoStGB/Schneider, aaO, Rn. 18 mwN).

8b) Hiervon ausgehend ist die Begründung des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht ohne eigene Schuld im Sinne des § 213 Alternative 1 StGB gehandelt, lückenhaft. Die Urteilsgründe lassen die notwendige Gesamtbetrachtung vermissen. Über die Feststellung hinaus, dass sich die Beleidigung des Geschädigten als „Motherfucker“ durch den Angeklagten als „unangemessenes Verhalten“ darstellt, fehlt es an jeder weiteren Erörterung des beiderseitigen Verhaltens. Eine solche war hier indes schon deshalb geboten, da der ins Gesicht geführte Schlag des Geschädigten, der den Angeklagten niederstreckte, jedenfalls nicht ohne weiteres als verständliche oder als angemessene Reaktion auf eine vorangegangene verbale Auseinandersetzung angesehen werden kann. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund des übrigen festgestellten Vorverhaltens des Geschädigten. Dieser hatte den Angeklagten zuvor fremdenfeindlich und rassistisch beleidigt.

9Von der Berücksichtigung dessen war die Strafkammer auch nicht deshalb entbunden, weil sie nicht festzustellen vermocht hat, ob die rassistische Beleidigung durch den Geschädigten am Tattag unmittelbar vor dem Tatgeschehen oder – möglicherweise auch einige Tage – früher ausgesprochen worden war. Insoweit wäre zu erwägen gewesen, ob unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ eine Provokation durch das Opfer unterstellt werden kann (, StV 1985, 146; MüKoStGB/Schneider, aaO, Rn. 44; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 213 Rn. 8 jeweils mwN). Im Ausgangspunkt hat das Landgericht dies nicht verkannt und bei der Frage, ob der Angeklagte überhaupt durch den Geschädigten vor der Tat rassistisch beleidigt worden war, den Zweifelssatz angewendet. Entsprechendes wäre auch für den Zeitpunkt der beleidigenden Äußerung zu erwägen und eine entsprechende Feststellung gegebenenfalls in die gebotene Gesamtbewertung einzustellen gewesen.

104. Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch (§ 337 Abs. 2 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne den Rechtsfehler eine mildere Strafe verhängt hätte.

115. Der Senat hebt neben dem Strafausspruch auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine insgesamt stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen. In diesem Umfang bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Bartel                            Tiemann                            Wenske

             von Schmettau                       Dietsch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100625B6STR176.25.0

Fundstelle(n):
AAAAK-00210