Behördlicher Beurteilungsspielraum bei der Annahme eines Sicherheitsrisikos i. S. v. § 5 SÜG
Leitsatz
Bei der Bewertung der sicherheitsrechtlichen Eignung eines Bewerbers i. S. v. § 5 SÜG steht dem Bundesnachrichtendienst zwar kein behördliches Letztentscheidungsrecht, wohl aber ein Beurteilungsspielraum zu.
Tatbestand
1Gegenstand des Verfahrens ist die Einbeziehung des Klägers in das Auswahlverfahren für eine Ausbildung im mittleren nichttechnischen Dienst im Bundesnachrichtendienst (BND).
2Der im Jahr .... in Russland geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Sommer 2021 bewarb er sich für eine Laufbahnausbildung im Verwaltungsdienst beim BND. Nach Abschluss des Auswahlverfahrens teilte ihm der BND mit, dass er das Verfahren bestanden habe und die Ausbildung entsprechend seiner im Auswahlverfahren erlangten Platzziffer Anfang März 2023 beginne. Zugleich wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass das Bestehen des Auswahlverfahrens noch keine Einstellungszusage darstelle, weil zur Einstellung noch weitere Verfahrensschritte erforderlich seien.
3Dem Kläger wurde am mitgeteilt, weitere Bearbeitungs- und Auswahlschritte hätten dazu geführt, dass er trotz Bestehens des Auswahlverfahrens nicht für die Laufbahnausbildung im BND berücksichtigt werden könne. Die weitere Überprüfung habe ergeben, dass gegen seine Einstellung Sicherheitsbedenken bestünden. Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies der BND mit Widerspruchsbescheid vom zurück.
4Zur Begründung der im Juli 2022 erhobenen Klage trägt der Kläger vor: Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber der Behörde ein Letztentscheidungsrecht unter Ausschluss jeglicher gerichtlichen Kontrolle eingeräumt habe. Tatsächliche Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko in seiner Person seien nicht ersichtlich. Der BND sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Seine Verwandten in Russland habe er nur noch selten besucht. Ab dem 13. Lebensjahr sei er nur noch alle zwei Jahre nach Russland gereist. Letztmals habe er sich im Jahr 2019 mit seiner Verlobten und seinen beiden Kindern in Russland aufgehalten. Er habe sich damit abgefunden, dass er zukünftig nicht mehr nach Russland reisen könne und seinen Kontakt zu seinen Verwandten in Russland einstellen müsse. Er habe seinen Dienst bei der Bundeswehr geleistet und bekenne sich zum Grundgesetz und zu den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland.
5Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Bundesnachrichtendienstes vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Bewerbung des Klägers, ihn unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Regierungssekretäranwärter zu ernennen und in den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst im Bundesnachrichtendienst einzustellen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden,
und
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
6Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7Beim Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung handele es sich um eine Prognoseentscheidung im Bereich der Gefahrenabwehr, hinsichtlich derer der Behörde eine Einschätzungsprärogative eingeräumt sei. In Bezug auf die sicherheitsrechtliche Eignung der Bewerber sei wegen der besonders exponierten Lage des BND ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Beim Kläger sei die notwendige sicherheitsrechtliche Eignung zu verneinen, wobei die konkreten Gründe nicht mitgeteilt werden könnten.
8Den Antrag des Klägers, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig aufzugeben, den Kläger in das weitere Auswahlverfahren für die Ausbildung als Regierungssekretäranwärter im mittleren nichttechnischen Dienst im BND mit Ausbildungsbeginn am einzubeziehen, hat der Senat mit Beschluss vom (- 2 VR 3.22 -) abgelehnt.
9Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom hat der Senat mit Beschluss gleichen Datums (- 2 A 2.22 -) der Beklagten aufgegeben, diejenigen Aktenbestandteile vorzulegen, aus denen sich die von ihr gesehenen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko im Sinne des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes bei einer Tätigkeit des Klägers beim BND ergeben. Eine daraufhin abgegebene erste Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes als zuständige Aufsichtsbehörde des BND nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vom hat der Fachsenat des - 20 F 14.23 -) mit der Begründung für rechtswidrig erklärt, das beigeladene Bundeskanzleramt habe in seiner Sperrerklärung die Gründe der Vorlageverweigerung nicht ordnungsgemäß dargelegt. Daraufhin hat das Bundeskanzleramt unter dem eine zweite Sperrerklärung abgegeben. Mit Beschluss vom (- 20 F 5.24 -) hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts die Sperrerklärung in Bezug auf bestimmte Teile des Verwaltungsvorgangs für rechtswidrig erklärt und den Antrag des Klägers im Übrigen abgelehnt. Im Anschluss hieran hat der BND die offenzulegenden Teile des Verwaltungsvorgangs vorgelegt.
10Die teilweise vorgelegten Akten des behördlichen Verfahrens der Beklagten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.
Gründe
11Die Klage, über die der Senat in erster und letzter Instanz entscheidet (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird, über seine Bewerbung, ihn unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Regierungssekretäranwärter zu ernennen und in den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst im BND einzustellen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Zur Eignung i. S. v. Art. 33 Abs. 2 GG zählt auch die sicherheitsrechtliche Eignung eines Bewerbers. Bei der Bewertung dieses Aspekts steht der Beklagten zwar kein behördliches Letztentscheidungsrecht zu, wohl aber ein Beurteilungsspielraum (1.). Die offengelegten Teile der Begründung des BND für die Annahme eines in der Person des Klägers bestehenden Sicherheitsrisikos lassen nicht erkennen, dass der BND insoweit die Grenzen des Beurteilungsspielraums verletzt hat (2.). In Bezug auf die zulässigerweise nicht offengelegten Erwägungen des BND ist eine Beweislastentscheidung zu treffen, die zum Nachteil des Klägers ausfällt (3.).
121. Aufgrund von Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Bewerber einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag auf Zugang zu einem öffentlichen Amt nur nach den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung entschieden wird. Zur Eignung zählt auch die sicherheitsrechtliche Eignung eines Bewerbers ( 2 A 2.16 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 31 Rn. 1 m. w. N.).
13Nach dem Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom (BGBl. 2023 I Nr. 413), dürfen mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit beim BND nur solche Personen betraut werden, die sich erfolgreich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 und § 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG), d. h. bei denen kein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 Abs. 1 SÜG festgestellt worden ist ( 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <260 ff.>, vom - 2 A 3.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 24 Rn. 24 ff. und vom - 2 A 2.16 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 31 Rn. 12). Bei Personen, die beim BND tätig werden sollen, ist nach § 10 Nr. 3 SÜG grundsätzlich eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen durchzuführen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SÜG liegt ein Sicherheitsrisiko im Sinne des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes u. a. dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte eine besondere Gefährdung der betroffenen Person, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, bei möglichen Anbahnungs- oder Werbungsversuchen ausländischer Nachrichtendienste begründen.
14Bei der der Beklagten obliegenden Entscheidung, ob im Hinblick auf eine zukünftige Tätigkeit des Klägers beim BND ein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 SÜG besteht, steht dem BND kein behördliches Letztentscheidungsrecht zu ( 2 A 2.22 - NVwZ-RR 2024, 517). Allerdings ist dem BND bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt ( 2 A 2.16 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 31 Rn. 15 und Beschluss vom - 2 A 9.14 - BVerwGE 153, 36 Rn. 21 ff.).
15Bei Annahme eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung ist das Gericht auf die Prüfung beschränkt, ob die zuständige Stelle von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. - BVerfGE 141, 56 Rn. 56; 2 C 21.23 - BVerwGE 183, 229 Rn. 19 m. w. N.).
162. Hinsichtlich der Erwägungen, die der BND entsprechend dem Beschluss des Fachsenats des offengelegt hat, kann eine Verletzung der Grenzen des Beurteilungsspielraums nicht festgestellt werden.
17Der BND hat seine Annahme eines in der Person des Klägers bestehenden Sicherheitsrisikos mit der Besorgnis der Erpressbarkeit des Klägers begründet. Der Kläger könne durch die Androhung von Repressalien gegen Verwandte, die in Russland leben und zu denen der Kläger nach seiner Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1997 eine recht intensive familiäre und persönliche Bindung aufrechterhalten habe, zu einer Zusammenarbeit mit einem ausländischen Nachrichtendienst gedrängt werden.
18Bei dieser Begründung kann insbesondere nicht angenommen werden, der BND habe allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt. Russland ist vom Bundesministerium des Innern nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG als Staat mit besonderen Sicherheitsrisiken benannt worden. Der BND hat zur Begründung nicht pauschal auf den Geburtsort des Klägers abgestellt, sondern auf die Umstände des konkreten Einzelfalls, hier die umfangreich aufrechterhaltenen Beziehungen zu in Russland lebenden Verwandten. Das Bestehen von verwandtschaftlichen Beziehungen in Staaten, in denen besondere Sicherheitsrisiken für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit befassten Personen zu besorgen sind, ist ein typisches Beispiel für die Annahme eines Sicherheitsrisikos i. S. v. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b SÜG, weil Mitarbeiter im Hinblick auf diese Beziehungen unter Druck gesetzt und zur nachrichtendienstlichen Mitarbeit mit dem ausländischen Dienst gezwungen werden können (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4891 S. 21 zu § 5).
19Tatsächliche Grundlage der Überlegungen des BND sind die eigenen Angaben des Klägers zu Art, Gegenstand und Intensität seines Kontakts zu verschiedenen in Russland verbliebenen Verwandten. Die Erwägung, staatliche russische Stellen könnten diese unverändert recht intensiven persönlichen Bindungen des Klägers zu Verwandten in Russland als Druckmittel nutzen, um den Kläger zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit für diese russischen Stellen zu bewegen, ist gerade im Hinblick auf die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens plausibel und lässt eine Überschreitung des dem BND zugesprochenen Einschätzungsspielraums nicht erkennen. Eine weitergehende Überprüfung der Entscheidung ist dem Gericht wegen des dem BND zustehenden Beurteilungsspielraums verwehrt.
203. Soweit der BND die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung des Klägers geschwärzt hat, ist die Verweigerung des BND, im konkreten Fall zu offenbaren, worin er die tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme eines Sicherheitsrisikos sieht, nach der Entscheidung des Fachsenats vom rechtmäßig. Da andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, ist insoweit nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast zu entscheiden. Für den Umstand, dass er für eine Tätigkeit beim BND sicherheitsrechtlich geeignet ist, trägt der Kläger die materielle Beweislast. Daher gehen die Folgen der Nichterweislichkeit der Tatsachen, die für die Bewertung der sicherheitsrechtlichen Eignung relevant sind, zu seinen Lasten ( 2 A 2.16 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 31 Rn. 29 ff.).
214. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:260625U2A5.25.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-99699