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BVerwG Beschluss v. - 20 F 8.22

Instanzenzug: Az: 6 A 9.21 Beschluss

Gründe

I

11. Im bislang unter dem Aktenzeichen 6 A 9.21 anhängigen Hauptsacheverfahren begehrt der beim X Verlag als Journalist tätige Kläger gestützt auf das Grundrecht der Pressefreiheit und das Pressegesetz A Auskunft über dessen Zusammenarbeit mit B und dem C-Verlag. In dem auf das Bundesarchivgesetz gestützten Parallelverfahren hat der Fachsenat mit Beschlüssen von - 20 F 5.22 - sowie - 20 F 3.24 - (20 F 5.22) ablehnend befunden (vgl. dazu 10 A 1.24 -).

22. Mit Beweisbeschluss vom hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts als Hauptsachegericht der Beklagten aufgegeben, von den bei dem Bundesnachrichtendienst vorhandenen Unterlagen

- der Signatur 1522 die Seite 74,

- der Signatur 3283 die Seiten 2 und 16 sowie

- die Signaturen 1559, 401307, 401308, 28149 und 20975

vollständig und ungeschwärzt vorzulegen,

weil er ohne Einsicht in die Unterlagen nicht prüfen könne, ob die von der Beklagten dagegen geltend gemachten Geheimhaltungsgründe vorliegen.

33. Bereits unter dem hatte das als oberste Bundesbehörde beigeladene Bundeskanzleramt eine auch auf das vorliegende Hauptsacheverfahren bezogene Sperrerklärung abgegeben und unter dem bestätigt, sie aufrecht zu erhalten, nachdem das Hauptsachegericht Gelegenheit gegeben hatte, die Sperrerklärung zu bestätigen oder zu ergänzen. Die Bestätigung wurde dem Kläger am übermittelt.

4Der Vorlage der Signatur 1559 stehe eine Geheimhaltungsbedürftigkeit nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO in sämtlichen Alternativen entgegen, wobei hier Informationen zu einer ausländischen nachrichtendienstlichen Verbindung enthalten seien. Dasselbe gelte für die Signaturen 3283, 20975, 28149, 401307 und 401308, bei denen auch wegen der Vielzahl und Fülle personenbezogener Daten zum Teil bereits verstorbener nachrichtendienstlicher Verbindungen deren Schutzbedürftigkeit selbst bei Berücksichtigung des Alters der Unterlagen noch nicht entfallen sei. Der ungeschwärzten Vorlage der Signatur 1522 stehe eine Geheimhaltungsbedürftigkeit nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3 VwGO entgegen. Sie diene dem Schutz mindestens einer nachrichtendienstlichen Verbindung, bei der 30 Jahre seit ihrem Versterben noch nicht vergangen seien. Die Signaturen 401307 und 401308 enthielten detaillierte Angaben zur Rekrutierung nachrichtendienstlicher Verbindungen, Vermerke und Mitteilungen über Kontakte, Auswertungen von gesammelten Informationen und Einschätzungen zum weiteren Vorgehen, die mangels wesentlicher Neuerungen trotz des zurückliegenden Zeitraums geeignet seien, Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und die Vorgehensweise des Bundesnachrichtendienstes zu ermöglichen und ihm auch die künftige Erfüllung seiner Aufgaben zu erschweren. Die Offenlegung kleinerer, unverfänglicher Textpassagen würde zu einem inhaltsleeren Restbestand führen.

5Bei dem Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG handele es sich zudem nicht nur um eine einfachgesetzlich angeordnete Pflicht zur Verschwiegenheit, sondern vielmehr um eine grundsätzliche Geheimhaltungsregelung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 VwGO. Die im Bundesarchivgesetz zum Ausdruck kommende Wertung, besonders sensitive Unterlagen von der archivrechtlichen Nutzung auszunehmen, dürfe nicht durch das Prozessrecht unterlaufen werden.

6Da auch durch Schwärzungen von Aktenteilen den Geheimhaltungsinteressen nicht hinreichend Rechnung getragen werden könne, würden bei einer Interessenabwägung derzeit die Interessen der Allgemeinheit, insbesondere die Gewährleistung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, aber auch der Schutz grundrechtlich geschützter Rechtspositionen Dritter, das journalistische Interesse des Klägers und der Öffentlichkeit an der Wahrheitsfindung überwiegen.

74. Die Sperrerklärung war erfolgt im Hinblick auf das Schreiben des 6. Senats des mit dem der Bundesnachrichtendienst aufgefordert worden war, entsprechende Dokumente vollständig und ungeschwärzt vorzulegen.

85. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom auf die Vorlage der Signatur N 1/130 verzichtet und vorsorglich die Entscheidung des Fachsenats beantragt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, § 6 BArchG begründe keine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift. Ebenso wenig seien die Unterlagen wesensmäßig geheimhaltungsbedürftig. Die oberste Aufsichtsbehörde berufe sich - zudem widersprüchlich - rechtsirrig auf den nachrichtendienstlichen Quellenschutz, den nachrichtendienstlichen Methodenschutz, den Schutz personenbezogener Daten und das entgegenstehende Wohl des Bundes. Wie sich aus dem letzten Beschluss des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts ergebe, komme allein dem fehlenden Zeitablauf keine entscheidende Bedeutung zu. Die oberste Aufsichtsbehörde habe auch keine hinreichenden Nachforschungen dargelegt. Bei alledem habe sie übersehen, dass ein besonderes Offenlegungsinteresse bestehe, weil sich die begehrte Auskunft auf Quellen der Beklagten beziehe, bei denen eine "NS-Verstrickung" bestehe, womit unabhängig vom Tod der jeweiligen Informationsquelle eine frühere Offenlegung geboten sei. Selbst wenn man annehme, dass die Unterlagen geheimhaltungsbedürftig seien, sei dies dann jedoch nicht vollständig der Fall. In Betracht zu ziehen wäre eine teilweise Schwärzung gewesen, wobei die oberste Aufsichtsbehörde unzutreffend annehme, aus dem Sachverhaltsmosaiken ergebe sich ein thematischer Gesamtkontext. Bei alledem hätten sich die nachrichtendienstliche Methoden bzw. Quellenführung im Medienbereich grundlegend geändert; so dürften seit 2006 Medienvertreter nicht mehr als NDVen angeworben werden.

96. Nach Abgabe der Sache an den Fachsenat am haben der Beklagte unter dem und der Kläger unter dem sowie vom Stellung bezogen. Letzterer trägt unter Bezugnahme auf die Entscheidung des ) vor, aus ihr ergebe sich insbesondere, dass die Nachbesserung von Sperrerklärungen unzulässig sei, womit sich die Rechtsprechung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts dazu erledigt habe.

10Im Übrigen werde daran festgehalten, dass die Sperrerklärung formell und materiell rechtswidrig sei. Die oberste Aufsichtsbehörde arbeite mit pauschalen Begründungen, die gerade bei größeren Aktenbeständen nicht zulässig seien. § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG könne nicht als gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift angesehen werden und eine wesensmäßige Geheimhaltung sei nicht geboten. Dabei sei widersprüchlich, dass die oberste Aufsichtsbehörde zum Teil von zahlreichen nachrichtendienstlichen Verbindungen und sodann von der Schutzwürdigkeit nur einer ausländischen nachrichtendienstlichen Verbindung spreche. Es sei weder nachvollziehbar, dass die nachrichtendienstliche Verbindung kürzlich ihren 90. Geburtstag begangen habe, noch würde etwas darauf hinweisen, dass der Tod der nachrichtendienstlichen Verbindung weniger als 30 Jahre zurückliege.

11Die Ermessensentscheidung sei rechtsfehlerhaft, zumal ein besonderes Offenlegungsinteresse bestehe. Denn die verfahrensgegenständliche Auskunft diene der Aufarbeitung NS-belasteter Personen und Verbindungen des Bundesnachrichtendienstes wie sich dies aus dem (Spiegel-)Artikel vom ergebe. Es bestehe auch eine NS-Verstrickung, die eine vorzeitige Bekanntgabe des Namens der nachrichtendienstlichen Verbindung rechtfertige. Dies folge insbesondere aus der Verbindung B zu D, der als SS-Obersturmbannführer und SS-Richter Todesurteile in der NS-Zeit gefällt habe. Aufgrund dessen leitender Stellung im C-Verlag sei auch dieser belastet. Dabei sei eine Beschränkung des Begriffs des NS-Täters auf Personen, die (unmittelbar) an Verbrechen des NS-Regimes beteiligt gewesen seien, abzulehnen.

12Im Übrigen sei mangels anderweitiger Angaben davon auszugehen, dass die oberste Aufsichtsbehörde das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung nicht in ihre Ermessensentscheidung mit einbezogen habe. Es sei auch davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Signaturen jedenfalls Informationen zur Tätigkeit einiger hochrangiger Beschäftigter des NS-Apparats im Bundesnachrichtendienst und im C-Verlag enthielten, sodass die Informationen Erkenntnisse über die NS-Zeit vermittelten, welche aufzuarbeiten sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet habe. Die Vorenthaltung der Informationen sei auch nicht durch den nachrichtendienstlichen Methodenschutz gerechtfertigt. Es sei unglaubhaft, dass die Methoden der Anwerbung seit den 1960er Jahren wesensgleich geblieben seien. Ebenso dürfe die Bezahlung und auch deren Höhe sich grundlegend geändert haben. Teilschwärzungen seien zu Unrecht nicht in Betracht gezogen worden.

II

13Der zulässige Antrag ist unbegründet.

141. Der am nur "vorsorglich" für den Fall eines entsprechenden Beschlusses des Hauptsachegerichts gestellte Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist statthaft. Dies widerspricht jedoch nicht dem Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesserklärungen. Es liegt eine zulässige innerprozessuale Bedingung vor ( 4 BN 12.02 - NVwZ 2002, 990 <991>). Die vom Antragsteller bezeichnete Bedingung ist auch eingetreten. Denn das Gericht der Hauptsache hat mit Beschluss vom die Entscheidungserheblichkeit der Akteneinsicht für die Prüfung des Auskunftsanspruchs bejaht. Es konnte daher ohne weitere Rückfrage den Antrag dem Fachsenat vorlegen (vgl. 20 F 7.21 - juris Rn. 12).

152. Auch die für die sonstige Zulässigkeit des Antrags erforderliche Feststellung der Entscheidungserheblichkeit der begehrten Unterlagen für das Hauptsacheverfahren liegt vor (vgl. 20 F 5.22 - juris Rn. 11 f.). Hat das Gericht der Hauptsache - wie hier - die Entscheidungserheblichkeit in einem Beweisbeschluss bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist oder wenn es seiner Verpflichtung nicht genügt hat, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. 20 F 18.22 - juris Rn. 8). Dies ist nicht der Fall, auch wenn die Beweiserhebung wohl primär auf das parallele archivrechtliche Akteneinsichtsverfahren zugeschnitten und für den vorliegenden presserechtlichen Auskunftsprozess weniger zwingend ist.

163. Die Sperrerklärung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

17a) Bei umfangreicheren Akten muss die Sperrerklärung grundsätzlich eine differenzierende Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen Aktenbestandteilen enthalten. Sie muss hinreichend deutlich erkennen lassen, auf welche Weigerungsgründe sie gestützt wird. Eine konkrete Zuordnung von Geheimhaltungsgründen durch die oberste Aufsichtsbehörde ist von zentraler Bedeutung, weil der Fachsenat in Wahrung des Gewaltenteilungsgrundsatzes ausschließlich prüft, ob die von ihr in der Sperrerklärung behaupteten Gründe tatsächlich vorliegen; erst durch die Darlegung der konkreten Gründe wird somit effektiver Rechtsschutz ermöglicht ( 20 F 5.23 - Rn. 20 m. w. N.). Wegen dieser Zwecksetzung reicht es grundsätzlich nicht aus, dass die oberste Aufsichtsbehörde generell einen gesetzlichen Verweigerungsgrund behauptet und mehrere Umstände dafür aufführt, ohne zu bezeichnen, bei welchem konkreten Dokument welcher konkrete Umstand einen Verweigerungsgrund tatbestandlich erfüllen soll. Dass der Fachsenat Zuordnungen lediglich innerhalb eines gesetzlichen Verweigerungsgrundes vornehmen müsste, ändert daran nichts. Denn ein Verweigerungsgrund - wie etwa vorliegend zuvörderst die Staatswohlgefährdung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO - kann durch unterschiedliche Umstände - wie etwa Informantenschutz, Schutz von Mitarbeitern einer Sicherheitsbehörde oder Schutz des exekutiven Kernbereichs (zu Letzterem: 20 F 9.23 - NVwZ 2025, 1189 Rn. 16) - begründet werden und es obliegt der obersten Aufsichtsbehörde, innerhalb des breiten Spektrums eines Verweigerungsgrundes eine Zuordnung von verweigerungsbegründenden Umständen vorzunehmen und auf sie bezogen darzulegen, dass der Nachteil von erheblichem Gewicht ist und nicht die bloße Möglichkeit eines Nachteils besteht, sondern eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafürspricht. Eine differenzierende Aufbereitung der Unterlagen - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines Dokuments - erweist sich nur ausnahmsweise dann als entbehrlich, wenn der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei Durchsicht der Akte die Zuordnung der Geheimhaltungsgründe ohne Weiteres erschließt ( 20 F 11.22 - NVwZ 2024, 429 Rn. 15 f. m. w. N.).

18b) Trotz der umfangreichen Aktenbestandteile und der zusammenfassenden Darstellung der Geheimhaltungsgründe wird die Sperrerklärung diesen Anforderungen angesichts der Eigenart der Dokumente noch gerecht ( 20 F 15.12 - Rn. 12 m. w. N.); deshalb erübrigen sich auch in diesem Verfahren Erwägungen dazu, ob die Entscheidung des Anlass gibt, die Senatsrechtsprechung zur Ergänzung von Weigerungsgründen (zuletzt einschränkend 20 F 1.21 - NVwZ 2022, 90 Rn. 9 f.) zu korrigieren.

19Zwar hat die oberste Aufsichtsbehörde nicht für jede Seite der fraglichen Signaturen eine konkrete Zuordnung der behaupteten Geheimhaltungsgründe vorgenommen; sie hat jedoch jeweils signaturbezogen dargelegt, dass bis auf Signatur 1522 alle Varianten der Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vorliegen sollen und sie auch in ihren einzelnen Erscheinungsformen - nachrichtendienstlicher Informanten-, Quellen-, Methodenschutz sowie personenbezogene Daten - konkretisiert. Darüber hinaus hat sie mit der Behauptung, großflächig notwendige Schwärzungen würden zu einem inhaltsleeren und nichtssagenden Aktenbestand führen, plausibel geltend gemacht, wegen der Fülle und Vielzahl der Seiten, in denen geheimhaltungsbedürftige Umstände nicht nur sachlich und persönlich, sondern auch dokumententextlich eng verwoben seien, sei eine weitere kleinteiligere Aufschlüsselung unergiebig. Die Sichtung der Signaturen hat bestätigt, dass eine Verflechtung dieser Art in großem Umfang vorliegt, so dass es angesichts des bei Geheimhaltungsgründen aus der Natur der Sache folgenden "Darlegungs- und Beweisnotstandes" der obersten Aufsichtsbehörde keiner weiteren Darlegungen bedurfte, um dem Senat den für ihn maßgeblichen Prüfungsmaßstab (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 6.19 - juris Rn. 15 und vom - 20 F 11.22 - NVwZ 2024, 429 Rn. 15) plausibel zu vermitteln ( 10 C 3.21 - BVerwGE 176, 1 Rn. 54 und Beschlüsse vom - 20 F 20.22 - Rn. 15, vom - 20 F 10.15 - juris Rn. 10 m. w. N. und vom - 20 F 9.20 - juris Rn. 27 f.). Die vom Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom gerügte Pauschalisierung der Geheimhaltungsgründe ist damit weiterhin nicht zu beanstanden.

204. Die Sperrerklärung begegnet auch im Ergebnis materiell-rechtlich keinen Bedenken.

21Nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO sind Behörden nicht zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde (Alt. 1) oder die Vorgänge nach einem Gesetz (Alt. 2) oder ihrem Wesen nach (Alt. 3) geheim gehalten werden müssen.

22a) Ein Nachteil für das Wohl des Bundes oder eines Landes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 VwGO ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden - einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden - erschweren würde. Bei seit Langem abgeschlossenen Vorgängen muss erkennbar sein, dass die vollständige Offenlegung noch Rückschlüsse auf die gegenwärtige Arbeitsweise oder Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörde zulässt. Dies kann der Fall sein, wenn sich aus einer Offenlegung von Unterlagen - auch aus einer Zusammenschau - Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen. Zu solchen Rückschlüssen geeignet sind z. B. Vorgangsblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen ( 20 F 5.21 - ZGI 2023, 126 Rn. 14 ff. m. w. N.).

23Darüber hinaus kann auch nach dem Tod eines Informanten, dem ausdrücklich oder stillschweigend eine über den Tod hinausgehende Vertraulichkeitszusage erteilt worden ist, das Wohl des Bundes eine weitere Geheimhaltung seiner Daten rechtfertigen, wenn deren Bekanntgabe die künftige effektive Erfüllung der Aufgaben einer Sicherheitsbehörde - wie des Bundesnachrichtendienstes - erschweren würde. Denn die Herausgabe der persönlichen Daten auch von verstorbenen Informanten schwächt das generelle Vertrauen in die Wirksamkeit von Geheimhaltungszusagen, erschwert in der Regel die Anwerbung neuer Informanten und belastet die Zusammenarbeit mit vorhandenen Quellen ( 30 GS 1.20 - BVerwGE 172, 159 Rn. 28). Dabei ist die Frage, ob die Offenlegung der Namen verstorbener Informanten dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten würde, aufgrund einer strukturierten Einzelfallprüfung zu entscheiden, wobei einem Zeitablauf von etwa 30 Jahren nach dem Tod des Informanten eine bedeutsame, aber nicht allein entscheidende Rolle zukommt. Ein besonderes Offenbarungsinteresse kann eine frühere Offenlegung rechtfertigen, ein besonderes Geheimhaltungsinteresse eine längere Geheimhaltung gebieten (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 5.21 - ZGI 2023, 126 Rn. 24 und vom - 30 GS 1.20 - BVerwGE 172, 159 Rn. 22). Ein besonderes Offenlegungsinteresse wird umso eher eine Verkürzung der Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren rechtfertigen, je länger der nachrichtendienstliche Vorgang, an dem der Informant beteiligt war, zurück liegt und je weniger Anlass für die Annahme besteht, dass sich die Bekanntgabe persönlicher Daten des Informanten weniger als 30 Jahre nach dessen Tod auf die Anwerbung anderer Informanten und damit auf die Arbeitsfähigkeit der Geheimdienste auszuwirken vermag ( 30 GS 1.20 - BVerwGE 172, 159 Rn. 31).

24b) Dabei sind personenbezogene Daten auch ihrem Wesen nach im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig. Sie werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst, welches die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen. Auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn sie Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden. Daran ändert nichts, dass diese in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden, weil sie auch insoweit Träger von Grundrechten bleiben. Das grundrechtlich abgesicherte Interesse betroffener Dritter an einer Geheimhaltung erfasst allerdings zum einen regelmäßig nur die Daten als solche und nicht die gesamten Vorgänge, in denen sie erwähnt werden. Zum anderen greift der Schutz persönlicher Daten nur soweit, als diese Daten noch schutzwürdig sind.

25Auch der Schutz von Grundrechten bereits verstorbener Personen begründet einen Weigerungsgrund nach § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 3 VwGO in den Fällen, in denen der postmortale Ehrenschutz dies gebietet. Der aus der Menschenwürde fließende allgemeine Achtungsanspruch schützt Verstorbene vor grober Herabwürdigung und Erniedrigung sowie den sittlichen, personalen und sozialen Geltungswert, den der Verstorbene durch seine Lebensleistung erworben hat. Die Veröffentlichung wahrer Tatsachenangaben über einen Verstorbenen verletzt seine Menschenwürde hingegen grundsätzlich nicht. Bei bereits verstobenen Personen, die einer Behörde Informationen zugeführt haben, können sich darüber hinaus aus dem Schutz der Grundrechte - insbesondere von Leib und Leben - ihrer Angehörigen Weigerungsgründe ergeben, wenn eine Gefährdung nicht nur theoretisch möglich ist und schematisch behauptet wird, sondern aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar dargelegt werden kann ( 20 F 5.21 - ZGI 2023, 126 Rn. 18 ff. m. w. N.).

26Steht auch unter Nutzung von allgemein zugänglichen Datenbanken und Suchmaschinen und ggfs. der durch die Amtshilfe eröffneten Erkenntnisse der Tod des Informanten nicht verlässlich fest, was bei Unterlagen, die sich auf weit zurückliegende Vorgänge beziehen und bei lange abgebrochenem Kontakt nicht selten der Fall ist, ist zu vermuten, dass derselbe nach 90 Jahren verstorben ist und dessen persönliche Daten deshalb nicht mehr schutzwürdig sind (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 10.15 - juris Rn. 13 und vom - 20 F 5.21 - ZGI 2023, 126 Rn. 24). Die entsprechenden Ermittlungsunterlagen sind dann ebenfalls geheimhaltungsbedürftig (vgl. 20 F 23.10 - juris Rn. 11).

27c) Nach Maßgabe dessen liegen die von der obersten Aufsichtsbehörde geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3, Alt. 1 und 3 VwGO vor.

28Die Signaturen enthalten zahlreiche Informationen, die auch gegenwärtig noch Aufschluss über die nachrichtendienstliche Arbeitsweise geben, namentlich zur Anwerbung von (auch ausländischen) Informanten, zu kaschierten Unterstützungsleistungen (auch im Ausland), ihrer Betreuung durch Bedienstete des Bundesnachrichtendienstes und zu Decknamen und Ziffern, aus denen sich im Zusammenspiel mit weiteren Dokumenten auch deren Klarname ableiten lässt. Hinzu tritt eine Fülle personenbezogener Daten, die über das unmittelbar nachrichtendienstlich Relevante hinaus auch Einblick in die private Lebensgestaltung der in nachrichtendienstliche Aktivitäten involvierten Personen geben, auch wenn sie selbst nicht Informanten waren, sondern ihre persönlichen wie beruflichen Lebensumstände über Informanten aktenkundig erfasst wurden. Dazu gehören Informationen über deren Lebenslauf, politische Ausrichtungen und deren Kinder und Ehepartnern/Lebensgefährten, bei denen teilweise feststeht und angesichts der bekannten Geburtsjahre jedenfalls bei Nachkommen teilweise zu vermuten ist, dass sie noch leben. Soweit es unmittelbar angeworbene Informanten betrifft, ist zudem teilweise durch ausdrückliche Ehrenerklärungen schützenswertes Vertrauen geschaffen worden, dass ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit nicht in die Öffentlichkeit getragen wird. Dabei schließt deren Existenz das Vorliegen auch schlüssig erklärter Vertraulichkeitszusagen nicht aus (dazu 20 F 3.24 - juris Rn. 20).

29Soweit der Tod von Informanten noch nicht dreißig Jahre zurückliegt, liegen auch keine Umstände vor, die - wie etwa bei NS-Tätern oder Schwerkriminellen - für ein besonderes Offenlegungsinteresse streiten und eine Verkürzung der regelmäßigen Geheimhaltungsfrist von 30 Jahren gebieten (vgl. 30 GS 1.20 - BVerwGE 172, 159 Rn. 30). Dabei hat der Senat bereits mit Beschluss vom (- 20 F 3.24 - juris Rn. 19) darauf hingewiesen, dass ein öffentliches Interesse an einer früheren Offenbarung der Identität einer Person nicht bereits dann besteht, wenn sie nach ihrem Lebensalter in einer NS-Organisation oder im NS-Staat tätig gewesen sein kann oder sein könnte, sondern nur, wenn sie in Verbrechen des NS-Regimes verstrickt gewesen ist. Eine Ausweitung des Personenkreises gebietet auch nicht die Erwägung des Klägers, die Verbrechen des NS-Regimes seien nur durch ein aktives Zutun der Mehrheitsgesellschaft und insbesondere durch eine Vielzahl von Personen, die während der NS-Herrschaft in NS-Organisationen tätig gewesen seien, ermöglicht worden. Die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung nationalsozialistischer Unrechtsherrschaft ist als Zielvorgabe gesellschaftspolitischen Ursprungs nicht geeignet, rechtliche Maßstäbe zu verschieben. Allein eine "NS-Vergangenheit" einer Person begründet deshalb kein besonderes Offenlegungsinteresse. Schließlich führen auch die Ausführungen des Klägers zur mangelnden Schutzbedürftigkeit früherer Vorgehensweise des Bundesnachrichtendienstes zu keiner teilweisen Offenlegung der gesperrten Unterlagen. Soweit der Kläger die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Art und Höhe der gewährten Leistungen infrage stellt, verkennt er, dass auch die Offenlegung von vor längerer Zeit gewährten finanziellen Unterstützungen nachteilige Auswirkungen auf die gegenwärtige Anwerbungspraxis des Bundesnachrichtendienstes haben kann. Denn das Bekanntwerden konkreter Summen, die auf die aktuelle Zeit hochgerechnet werden können, kann einerseits Fehlanreize für die Kontaktaufnahme mit einer Sicherheitsbehörde setzen und andererseits die Fortführung nachrichtendienstlicher Verbindungen durch materielle Diskussionen erschweren ( 20 F 3.24 - juris Rn. 22). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in anderem Zusammenhang einzelne Details über frühere Leistungen oder Zahlungswege bekannt geworden sind. Ebenso wenig ist aus der Digitalisierung zahlreicher Lebensbereiche, insbesondere im Bereich des Zahlungsverkehrs, zu folgern, analoge Vorgänge könnten nicht mehr Gegenstand nachrichtendienstlichen Methodenschutzes sein. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 10 Halbs. 2 VwGO).

30d) Die Ermessensentscheidung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, obgleich die oberste Aufsichtsbehörde in der Sperrerklärung ausgeführt hat, die in § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG zum Ausdruck kommende Wertung dürfe nicht durch das Prozessrecht "unterlaufen" (Seite 4 der Sperrerklärung) werden. Prima facie mag dies zwar den Anschein erwecken, die oberste Aufsichtsbehörde habe den Charakter des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO als im Verhältnis zu fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen prozessrechtliche Spezialnorm verkannt (vgl. 20 F 9.20 - juris Rn. 25) und übersehen, dass ihr ein Ermessen zur Informationsfreigabe jenseits fachgesetzlicher Verweigerungsgründe eröffnet ist ( 20 F 23.22 - juris Rn. 16 m. w. N.); jedoch folgt aus den Ausführungen auf Seite 12 deutlich, dass unabhängig davon eine eigenständige Ermessensausübung erfolgt ist. Dabei war der obersten Aufsichtsbehörde auch der Umstand bekannt, dass der Kläger die Informationen in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie unter Inanspruchnahme des Rechts auf Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG) begehrt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 9.23 - BVerwGE 181, 262 Rn. 33 und vom - 20 F 21.22 - juris Rn. 15). Dadurch wird deutlich, dass sie § 6 Abs. 1 Satz 2 BArchG lediglich als Konkretisierung der Geheimhaltungsgründe im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO angesehen, bei der Ermessensausübung nicht ausschließlich auf fachgesetzliche Regelungen abgestellt (vgl. 20 F 9.17 - juris Rn. 14) und auch den für die zunehmende Abschwächung der Geheimhaltungsbedürftigkeit sprechenden Zeitfaktor ("derzeit noch" - Seite 12) eingestellt hat.

31Die Ermessensentscheidung ist auch nicht etwa unverhältnismäßig und deshalb fehlerhaft, weil die oberste Aufsichtsbehörde (Teil-)Schwärzungen der Signaturen nahezu durchgehend abgelehnt hat. Angesichts der Fülle von Einzeldokumenten, in denen sowohl personen- als auch nachrichtenbezogene Informationen textlich und thematisch eng miteinander verflochten sind, hätte es derart engmaschiger Textschwärzungen bedurft, dass es zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen gekommen wäre ( 20 F 5.22 - juris Rn. 28 m. w. N.).

325. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Fachsenat nicht, weil es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbstständigen Zwischenstreit handelt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:060825B20F8.22.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-99698