Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/24 KLs 2/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
21. Auch bezüglich des Veranlagungszeitraums 2006 beantragte die M. GmbH zu Unrecht die Erstattung von Kapitalertragsteuer, weil niemand zuvor auf ihre Rechnung entsprechende Beträge einbehalten hatte. Die Einbehalte durch die Emittenten auf die originären Dividenden wirkten bereits deswegen nicht zu ihren Gunsten, weil sie zu keinem Zeitpunkt wirtschaftliches Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den inmitten stehenden Aktien erlangte. Aufgrund der mit der M. S. von vornherein abgesprochenen Verrechnung der gegenläufigen Aktienlieferansprüche wurden die Aktien allein bankintern vom Kunden- auf das Eigenhandelsdepot umgebucht, und zwar ohne Inanspruchnahme des Zentralen Kontrahenten der F. Wertpapierbörse. Nach alledem vereinnahmte die M. GmbH Dividendenkompensationszahlungen, die im Jahr 2006 noch nicht steuerbar waren und auf welche keine Kapitalertragsteuer einbehalten wurde ( Rn. 7).
3Verurteilten S., H. und He. (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 AO) begangenen in den Veranlagungszeiträumen 2006 bis 2009 leistete.
4a) Auch durch berufstypische Handlungen wie Beratungsleistungen können Rechtsanwälte und Steuerberater eine strafbare Beihilfe begehen. Weder Alltagshandlungen noch berufstypische Handlungen sind in jedem Fall neutral; denn nahezu jede Handlung kann in einen strafbaren Kontext gestellt werden ( Rn. 182 und vom – 1 StR 56/17, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 35 Rn. 16; Beschluss vom – 1 StR 112/16 Rn. 29). Nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis tatfördernd auswirkt, kann jedoch als strafbare Beihilfe gewertet werden. Vielmehr bedarf es in Fällen sogenannter berufsneutraler Handlungen einer wertenden Betrachtung im Einzelfall. Zwar sind das Bewusstsein und der Wille eines Rechtsanwalts bei Erteilung eines Rechtsrats in der Regel darauf gerichtet, pflichtgemäß Rat zu erteilen, und nicht darauf, eine Straftat zu fördern (vgl. Rn. 19, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20). Eine Beihilfe kann aber auch durch unrichtige (Gefälligkeits-)Gutachten von Anwälten und Steuerberatern geleistet werden (vgl. MüKo-StGB/Scheinfeld, 5. Aufl., § 27 Rn. 63; TK-StGB/Weißer, 31. Aufl., § 27 Rn. 18; Sommerer, NZWiSt 2022, 261, 267; Krell, wistra 2020, 177, 182; Sartorius/Henckel, DStR 2022, 1022, 1027; Kudlich, NStZ 2017, S. 339 f.; ders., Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 476 ff., 484 ff.). Hierbei begründet aber nicht schon jede Erstellung eines Rechtsgutachtens durch Rechtsanwälte oder Steuerberater, das den Haupttäter in der Begehung der Haupttat bestärkt, tatbestandlich eine strafbare Beihilfe. Rechtsanwälte und Steuerberater sind gemäß § 3 Abs. 1 BRAO, § 3 Satz 1 Nr. 1 StBerG die kraft Gesetzes berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in Rechts- und Steuerangelegenheiten und haben dafür Sorge zu tragen, dass dem Bürger als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips die zur Durchsetzung seiner Rechte notwendige Kenntnis des Rechts verschafft wird (vgl. Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 476 ff., 484 ff.; Mallison, Rechtsauskunft als strafbare Teilnahme, 1979, S. 120 ff.; vgl. auch 2 BvR 747, 748, 749, 750, 751, 752, 753/73, BVerfGE 38, 105, 119). Die in Rechtsgutachten geäußerten Rechtsauffassungen können wegen ihres normativen Charakters grundsätzlich nicht ohne Weiteres nach den Kategorien „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden. Vielmehr steht es einem beratenden Rechtsanwalt frei, in einer streitigen Rechtsfrage zu einer von der überwiegenden oder sogar herrschenden Meinung abweichenden Rechtsauffassung zu gelangen, soweit diese rechtlich vertretbar ist (Krell, wistra 2020, S. 177, 182). Rechtsauskünfte lege artis bewegen sich daher innerhalb des erlaubten Risikos (TK-StGB/Weißer, 31. Aufl., § 27 Rn. 18; HK-GS/Ingelfinger, 5. Aufl., § 27 Rn. 14; Kudlich, NStZ 2017, 339; ders., Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 476 ff.; Wessing, NJW 2003, 2265, 2268 f.).
5Hiervon sind unrichtige deskriptive Aussagen über das Recht zu unterscheiden. Verschweigt ein Rechtsanwalt in seinem Rechtsgutachten etwa bewusst, dass es zu der von ihm begutachteten Rechtsfrage eine (beachtliche) Gegenauffassung oder gute Gegenargumente gibt, so kann er eine „falsche“ Rechtsauskunft geben (vgl. Krell, wistra 2020, 177, 182). Daneben kann eine Rechtsauskunft auch dann unrichtig sein, wenn der Begutachtung bewusst ein falscher oder unvollständiger Sachverhalt zugrunde gelegt wird, um zu dem gewünschten rechtlichen Ergebnis zu gelangen. Im Zusammenhang mit Rechtsgutachten zur steuerrechtlichen Unbedenklichkeit von Cum/Ex-Gestaltungen kann dies etwa der Fall sein, wenn die Begutachtung wichtige Sachverhaltselemente wie bestehende Absprachen zwischen Leerverkäufer und Leerkäufer ausblendet oder die Funktionsweise der Wertpapiergeschäfte irreführend darstellt (vgl. Sommerer, NZWiSt 2022, 261, 267).
6b) Nach diesen Grundsätzen leistete der Angeklagte durch das Erstellen von verschiedenen Rechtsgutachten zur steuerrechtlichen Unbedenklichkeit von Cum/Ex-Gestaltungen für die M. GmbH Beihilfe zur Steuerhinterziehung.
7Den vom Angeklagten für die M. GmbH erstellten Rechtsgutachten legte er durchweg einen unzutreffenden bzw. unvollständigen Sachverhalt zugrunde, um den wahren Hintergrund der Geschäfte zu verschleiern und zu dem erwünschten rechtlichen Ergebnis einer steuerrechtlichen Unbedenklichkeit der Cum/Ex-Gestaltungen zu gelangen (UA S. 258 f.). Das Gutachten vom ging davon aus, dass die Leerverkäufe der und die Kauforders der M. GmbH „nicht aufeinander abgestimmt“ seien und dass die durch die Geschäfte erzielten Erträge „nicht zwischen M. S. und M. aufgeteilt“ würden (UA S. 62). Diese Auskunft war unvollständig und irreführend, weil die M. GmbH und die M. S. jedenfalls die Gesamtmenge der an einem Handelstag zu handelnden Aktien nach Aktiengattung, Handelsvolumina und Handelspreis abgesprochen hatten, mögen auch die einzelnen gehandelten Tranchen zu unterschiedlichen Zeiten und Preisen ausgeführt worden sein. Der Gewinn aus den German-Pair-Geschäften in Form der Kapitalertragsteuer wurde in Wahrheit durch nicht marktgerecht bepreiste OTC-Call-Optionen mit der Zweigstelle der M. in Ma. (im Folgenden: M. Ma.) zwischen der M. GmbH, der und M. Ma. aufgeteilt. Das Gutachten vom ging der Wahrheit zuwider davon aus, dass sämtliche Transaktionen, insbesondere auch die Optionsgeschäfte mit M. Ma., „fremdüblich bepreist“ seien und der Gewinn aus den Cum/Ex-Transaktionen „nicht zwischen M. und M. S. geteilt“ würden (UA S. 91). In den Gutachten für die Jahre 2008 und 2009 war der Sachverhalt wie im Jahr 2007 beschrieben (UA S. 118, 128 f.). In den aufgrund des (BStBl. 2009 I S. 631) überarbeiteten Rechtsgutachten für die Jahre 2007 bis 2009 fanden Leerverkäufe anders als in den ursprünglichen Gutachten keine Erwähnung mehr.
8Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte auch den erforderlichen Vorsatz. So wusste er, dass sich die German-Pair-Geschäfte durch Leerverkäufe rund um den Dividendenstichtag auszeichneten und die M. GmbH daher nicht die Originaldividende, sondern nur eine Dividendenkompensationszahlung vereinnahmte, die M. GmbH sich jeweils selbst eine Steuerbescheinigung über eine tatsächlich zuvor nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer ausstellte und der Gewinn aus den Geschäften in Form der Kapitalertragsteuer unter den Beteiligten über nicht marktgerecht bepreiste Derivate aufgeteilt wurde. Er wusste auch, dass die M. GmbH das Finanzamt weder im Rahmen der Körperschaftsteuererklärung noch auf sonstige Weise darüber benachrichtigen würde, dass auf die von ihr vereinnahmten Dividendenkompensationszahlungen an keiner Stelle ein entsprechender Steuerabzug vorangegangen war. Er hielt es für „sehr wahrscheinlich“, dass das Finanzamt bei vollständiger Kenntnis vom Hintergrund und der Funktionsweise der German-Pair-Geschäfte eine Steueranrechnung versagen würde (UA S. 76, 108, 126, 138), und fand sich damit ab. Ab der Kenntnis des Entwurfs eines BMF-Schreibens am , welches schließlich am erlassen wurde, verstärkte sich der Argwohn des Angeklagten, dass eine Anrechnungsberechtigung für Kapitalertragsteuer aus den German-Pair-Geschäften nicht bestand und das Finanzamt die Anrechnung bei vollständiger Sachverhaltskenntnis daher verweigern würde (UA S. 139).
Jäger Fischer Bär
Leplow Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070725B1STR484.24.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-99684