Instanzenzug: Az: 4 U 626/23vorgehend LG Regensburg Az: 33 O 540/21
Gründe
I.
1 Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, die Stelle eines "Vorstandsmitglieds Finanzen / Finanzvorstand" mit einer anderen Person als der Klägerin zu besetzen.
21. Die Klägerin hat in der ersten Instanz wörtlich folgenden Hauptantrag gestellt:
"Die Beklagte wird verurteilt, über die Auswahl der Bewerber der ausgeschriebenen Stelle eines Vorstandsmitglieds Finanzen / Finanzvorstand (m/w/d) neu zu entscheiden."
3 Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin erstinstanzlich ausgeführt:
"Hinsichtlich des Klageantrags begehrt die Klägerin aufgrund des fehlerhaften Verfahrens die Neuausschreibung des Verfahrens."
4 Mit Verfügung vom hat das Landgericht der Klägerin folgenden Hinweis erteilt:
"Nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage dürfte hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs gegen die Beklagte, über die Auswahl der Bewerber neu zu entscheiden, zwischenzeitlich Erledigung eingetreten sein. Die Beklagte hat das Auswahlverfahren wiederholt und auch entsprechend dokumentiert. Eine Neuausschreibung der Stelle war aus Sicht des Gerichts nicht erforderlich. …"
5 Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin zu diesem Hinweis des Landgerichts unter anderem vorgetragen, dies entspreche nicht Art. 33 Abs. 2 GG und der herrschenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Habe der Dienstherr im Rahmen der Stellenausschreibung zwingende Vorgaben gemacht, sei er daran gebunden. Ein Mangel des Verfahrens könne nachträglich nicht geheilt werden; das Auswahlverfahren müsse abgebrochen und die Stellenvergabe mit einer zulässigen Ausschreibung neu in Gang gesetzt werden.
6 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Seite 19 hat es seine Entscheidung unter anderem wie folgt begründet:
"Soweit die Klägerin nun vorträgt, es hätte hier eine neue Ausschreibung der Stelle erfolgen müssen, ist das Gericht der Auffassung, dass eine neue Ausschreibung der Stelle zum einen nicht vom Klageantrag umfasst ist, zum anderen aber auch zu einer (für die Klägerin möglicherweise nachteiligen) Änderung der Bewerbersituation geführt hätte."
72. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz hat sie den Antrag gestellt,
"das Urteil des Landgerichts … aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Stelle 'Vorstand Finanzen' der B. S. neu auszuschreiben und über die Vergabe der Stelle neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden."
8 Zu diesem Klageantrag hat sie in ihrer form- und fristgerecht vorgelegten Berufungsbegründung unter anderem vorgetragen: Der Klageantrag sei klarstellend neu gefasst worden, da das Gericht erster Instanz auf Seite 19 des Urteils behauptet habe, dass sich der Hauptsacheantrag der Klägerin durch die Wiederholung des Auswahlverfahrens und Nachholung der Dokumentationspflichten durch die Beklagte im Mai 2022 erledigt habe und es dadurch zum Untergang des geltend gemachten Anspruchs gekommen sei. Diese Auslegung des Klageantrags sei überraschend gewesen, weil seitens der Klägerin in ihren Schriftsätzen immer wieder darauf hingewiesen worden sei, dass es ihrer Ansicht nach gerade nicht genüge, das Auswahlverfahren und die Erfüllung der bestehenden Dokumentationspflichten nachzuholen, sondern dass die Klägerin sich vorstelle, dass das Bewerbungsverfahren insgesamt durch Neuausschreibung und ein dann daraufhin durchzuführendes neues Auswahlverfahren neu aufgerollt werde. Das Gericht erster Instanz habe deshalb in Kenntnis dieser Aussagen den Antrag der Klägerin nicht, wie geschehen, einschränkend auslegen dürfen, erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass es, wie auf Seite 19 der Urteilsbegründung ersichtlich, gesehen habe, dass es der Klägerin mit ihrem Antrag nicht darum gegangen sei, dass Teile des Verfahrens wiederholt würden, sondern dass insgesamt eine Neuausschreibung der Stelle erfolge und das Verfahren zur Besetzung der Stelle komplett neu durchgeführt werde.
9 Jedenfalls hätte das Gericht, wäre es der Ansicht gewesen, dass nur die von ihm vorgenommene einschränkende Auslegung des Antrags möglich gewesen wäre, die Klägerin hierauf hinweisen und auffordern müssen, dass sie ihren Antrag - so wie nun geschehen - entsprechend konkreter fasse, § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Ein solcher Hinweis sei aber nicht erfolgt. Wäre er erfolgt, hätte die Klägerin schon in erster Instanz explizit beantragt, die Stelle "Vorstand Finanzen" der B. S. neu auszuschreiben und über die Vergabe der Stelle neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
103. Das Oberlandesgericht hat darauf hingewiesen, dass es die Berufung für unzulässig halte, und dazu ausgeführt:
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Berufung nur dann zulässig, wenn der Berufungskläger mit ihr die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebe. Eine Berufung sei daher unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolge, also im Falle einer erstinstanzlichen Klageabweisung deren Richtigkeit gar nicht in Frage stelle, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stelle.
12 Der erstinstanzliche Hauptantrag sei auf Neuentscheidung über die Auswahl der Bewerber der bereits im Jahr 2020 ausgeschriebenen Stelle gerichtet gewesen, während mit dem Berufungsantrag eine in der Zukunft liegende Neuausschreibung der Stelle, gegebenenfalls mit einem völlig anderen Bewerberfeld, erstrebt werde. Dies stelle einen anderen Streitgegenstand dar. Der ursprüngliche Streitgegenstand werde in der Berufung nicht mehr aufgegriffen. Es handele sich auch nicht um eine klarstellende Neufassung des Klageantrags, wie es die Ausführungen in der Berufungsbegründung darstellen wollten. Vielmehr sei der erstinstanzliche Klageantrag eindeutig formuliert und vom Landgericht auch richtig verstanden worden, was sich aus der Verfügung des ergebe. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe das Landgericht auch keine einschränkende Auslegung des Antrags vorgenommen. Der Antrag sei aufgrund seines eindeutigen Wortlauts auch nicht auslegungsfähig. Dass die Klägerin der Auffassung sei, der Mangel des Verfahrens könne nachträglich nicht geheilt werden, das Auswahlverfahren müsse abgebrochen und mit einer Ausschreibung neu in Gang gesetzt werden, ändere nichts daran, dass erstinstanzlich ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei und dieser nunmehr im Berufungsverfahren nicht mehr gestellt werden könne.
134. Nachdem die Klägerin dem unter Hinweis auf ihre Rechtsausführungen in der Berufungsbegründung entgegengetreten war, hat das Oberlandesgericht das Rechtsmittel als unzulässig verworfen. Die von ihm gegebene Begründung deckt sich mit den - vorstehend unter Nummer 3 referierten - Ausführungen in der (Hinweis-)Verfügung. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
14Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
151. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
162. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Die Ausführungen des Berufungsgerichts widersprechen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Durch das Übergehen dieser Rechtsprechung ist der Klägerin der Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt worden.
17 a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Berufung nur dann zulässig ist, wenn der Berufungskläger mit ihr die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, also - im Falle einer erstinstanzlichen Klageabweisung - deren Richtigkeit gar nicht in Frage stellt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die Änderung oder bloße Erweiterung der Klage in zweiter Instanz (§ 555 Abs. 1 in Verbindung mit § 264 Nr. 2, § 263 ZPO) kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein; vielmehr setzt ein derartiges Prozessziel eine zulässige Berufung voraus (st. Rspr., zB Senat, Urteile vom - III ZR 240/94, NJW 1996, 527 und vom - III ZR 40/96, NJW-RR 1996, 1276; , NJW 1993, 597, 598; Versäumnisurteil vom - I ZR 179/98, NJW 2001, 2548, 2549; Beschluss vom - V ZB 35/22, Das Grundeigentum 2023, 507, 508; jew. mwN).
18 Das hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zwar zutreffend gesehen.
19 b) Es kann auf sich beruhen, ob aber, wie die Rechtsbeschwerde in erster Linie geltend macht, entgegen der Ansicht der Vorinstanz der beim Landgericht gestellte Klageantrag insbesondere im Lichte des Schriftsatzes vom bereits dahin auszulegen war, dass die Klägerin auch die Neuausschreibung der strittigen Stelle begehrte. Jedenfalls beanstandet die Rechtsbeschwerde mit Recht überdies, das Oberlandesgericht habe verkannt, dass die Klägerin mit ihrer Berufung auch gerügt habe, das Landgericht hätte bei seiner Auslegung des Klageantrags mit einem Hinweis darauf hinwirken müssen, dass dieser im Hinblick auf die verlangte Neuausschreibung korrigiert werden müsse. Zumindest diese Rüge führt zur Zulässigkeit der Berufung. Denn macht ein Berufungskläger vor dem Berufungsgericht geltend, das Gericht erster Instanz habe seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt und bei Erfüllung der Hinweispflicht hätte er seine Klage schon in erster Instanz entsprechend geändert, liegt keine unzulässige Berufung vor (vgl. aaO; Versäumnisurteil vom aaO; OLG Köln MDR 2008, 587 f; aA OLG Düsseldorf, BauR 2004, 1813, 1814; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl., Vor § 511 Rn. 27; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., Vorbemerkung zu §§ 511 bis 541 Rn. 49; MüKoZPO/Rimmelspacher, 7. Aufl., Vor § 511 Rn. 35; Mössner in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 17. Aufl., § 28 Rn. 32). Die erhobene Verfahrensrüge bedeutet, dass die Berufung nicht ausschließlich den neuen Anspruch zum Gegenstand hat (vgl. BGH, jew. aaO).
20 c) Hiernach hat das Oberlandesgericht die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen; es hätte vielmehr prüfen müssen, ob die erhobene Verfahrensrüge - Verletzung der Pflicht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Landgericht, durch einen Hinweis auf die Stellung eines sachdienlichen Klageantrags hinzuwirken - durchgreift. Wenn dies der Fall ist, ist die weitere Folge, dass an die Sachdienlichkeit einer Klageänderung in der Berufungsinstanz keine strengeren Anforderungen gestellt werden können als diejenigen, die für eine solche in erster Instanz gelten (vgl. aaO). Im Hinblick auf die erhobene Verfahrensrüge ist zu berücksichtigen, dass das Landgericht in seiner (Hinweis-)Verfügung vom eine (vorläufige) sachliche Prüfung des Begehrens der Klägerin vorgenommen hat ("Eine Neuausschreibung der Stelle war aus Sicht des Gerichts nicht erforderlich"), so dass die Klägerin nicht mit der - dann ohne vorherigen (weiteren) Hinweis im Urteil des Landgerichts zutage getretenen - Rechtsauffassung zu rechnen brauchte, ihr Begehren sei von dem von ihr gestellten Klageantrag nicht umfasst (vgl. BVerfG, NJW 2021, 2581 Rn. 13; , MDR 2020, 364 Rn. 8; jew. mwN).
213. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Da auch im Übrigen gegen die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin keine Bedenken bestehen, ist er aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es über die Begründetheit des Rechtsmittels entscheidet, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht hat.
Herrmann Ostwaldt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:310725BIIIZB85.23.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-99565