Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: Az: S 176 R 656/21 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 2 R 137/23 Urteil
Gründe
1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine Rente wegen Erwerbsminderung.
2Seinen Antrag lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf zwei Abschlussberichte über Rehabilitationsmaßnahmen in den Jahren 2018 und 2021 ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat ein Sachverständigengutachten des Urologen K nebst ergänzender Stellungnahme eingeholt und gestützt hierauf die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Im Berufungsverfahren hat das LSG Befundberichte des behandelnden Facharztes für Urologie H sowie des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. H eingeholt. Auf den Antrag des Klägers, ein Gutachten von Dr. H einzuholen, hat dieser auf Anfrage des LSG mitgeteilt, er sei nicht zur Gutachtenerstattung bereit, jedoch seine Bereitschaft erklärt, als Zeuge auszusagen. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dieser sei nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten des K noch in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Für weitere Ermittlungen habe kein Anlass bestanden (Urteil vom ).
3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt Verfahrensmängel.
4II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
5Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
6a) Der Kläger rügt, das LSG sei seiner tatrichterlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) nicht ausreichend nachgekommen, indem es von der beantragten Anhörung des H als Zeugen abgesehen habe.
7Wird eine solche Sachaufklärungsrüge erhoben, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vglzB - jurisRdNr 5 mwN). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
8Der Kläger zeigt nicht auf, gegenüber dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Das in der Beschwerdebegründung wiedergegebene Begehren, den behandelnden Arzt H als Zeugen zu hören, enthält keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3, § 118 Abs 1 SGG iVm §§ 402 ff ZPO.
9Gemäß § 414 ZPO kommen in Bezug auf sachverständige Zeugen die Vorschriften der §§ 373 ff ZPO über den Zeugenbeweis zur Anwendung. Aufgabe eines sachverständigen Zeugen ist es, sein Wissen über persönliche Wahrnehmungen zu schildern, die zu machen er aufgrund seiner besonderen Sachkunde in der Lage war ( - jurisRdNr 7). Ein Beweisantrag mit dem Ziel der Vernehmung eines sachverständigen Zeugen muss deshalb bei Angabe des Beweisthemas die Art von Tatsachen (§ 373 ZPO) näher bezeichnen, die dieser selbst wahrgenommen haben soll, also zB Feststellungen eines Arztes zu den von ihm erhobenen gesundheitlichen Befunden ( - jurisRdNr 9; - jurisRdNr 7). Entsprechende substantiierte Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Das pauschale Vorbringen, H habe die Erkrankungen und vielfältigen Behandlungserfolge des Klägers "über die Jahre mit verfolgt", diverse Arztberichte von Spezialisten über den Kläger gelesen und könne deswegen als Hausarzt über seinen damaligen Zustand berichten, genügt insoweit auch im Hinblick auf die bereits vorliegenden Befund- und Behandlungsberichte nicht.
10Sofern der Kläger H dazu hören wollte, dass er nicht mehr in Lage sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, wäre eine solche Frage als Beweisthema eines prozessordnungsgerechten Antrags zur Beweiserhebung mit Hilfe eines sachverständigen Zeugen von vornherein nicht geeignet. Die Antwort auf diese Frage unterliegt als solche nicht der unmittelbaren persönlichen (fachkundigen) Wahrnehmung einer bestimmten Person, sondern ist als das Ergebnis einer fachkundigen Einordnung und Bewertung verschiedener (auch nicht selbst wahrgenommener) Einzeltatsachen, aus denen Rückschlüsse auf die berufliche Leistungsfähigkeit einer Person gezogen werden können, dem Sachverständigenbeweis vorbehalten ( - jurisRdNr 7, vgl auch IVb ZR 39/86 - jurisRdNr 7).
11Ungeachtet dessen lässt sich der Beschwerdebegründung aber auch nicht entnehmen, warum sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu einer mündlichen Anhörung des H als sachverständigen Zeugen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl hierzu - jurisRdNr 13). Ausführungen hierzu wären schon deshalb notwendig gewesen, weil das LSG - wie der Kläger selbst vorträgt - bereits einen Befund- und Behandlungsbericht eingeholt hatte. Er zeigt nicht auf, welche Feststellungen H als sachverständiger Zeuge über die von ihm bereits mitgeteilten Befunde hinaus noch hätte bekunden können.
12b) Der Kläger rügt als weitere Verletzung der Amtsermittlungspflicht das LSG habe trotz der uneinheitlichen medizinischen Beurteilung der behandelnden Ärzte einerseits und des Sachverständigen K anderseits kein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt, um insbesondere seine Leistungsfähigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes weiter zu untersuchen. Auch sei der gehörte Sachverständige als Urologe fachlich nicht zur Beurteilung seines Leistungsvermögens geeignet gewesen. Vielmehr hätte das LSG ihn durch einen Arbeitsmediziner oder Arbeitspsychologen begutachten lassen müssen.
13Die Beschwerde zeigt aber auch insoweit schon nicht auf, dass der Kläger einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten oder das Gericht ihn in seinem Urteil wiedergegeben habe.
14Dessen unbesehen legt der Kläger abermals nicht dar, inwiefern sich das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen. Liegt wie hier bereits ein Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten (stRspr; vglzB - jurisRdNr 14; - jurisRdNr 13). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit den vorliegenden Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht ein Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen (vglstRspr; zB - jurisRdNr 12 mwN). Zu weiteren Beweiserhebungen ist das Tatsachengericht von Amts wegen nur verpflichtet, wenn das vorhandene Gutachten ungenügend ist (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO), weil es grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthält, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters gibt (stRspr; zB - jurisRdNr 7; - jurisRdNr 16; B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 9). Dass das Gutachten des Sachverständigen K einen solchen Mangel aufweisen könnte, legt die Beschwerde nicht hinreichend dar. Die fehlerhafte Wiedergabe des Vornamens und des Geburtsdatums des Klägers sowie des Untersuchungsdatums in den Anlagen zum Gutachten reichen hierfür nicht aus. Dass der Schwerpunkt seiner Gesundheitsstörungen auf urologischem Fachgebiet liegt, stellt der Kläger nicht in Abrede. Soweit er ausführt, der Sachverständige sei bei seiner Begutachtung zu einem unzutreffenden Ergebnis gekommen, indem er sein Leistungsvermögen anders eingeschätzt habe als die behandelnden Ärzte, vermag dieser Umstand die vermeintliche Mangelhaftigkeit des Gutachtens des Sachverständigen K nicht zu begründen. Allein durch das Abweichen von der Einschätzung anderer Gutachter oder der behandelnden Ärzte ist ein Sachverständigengutachten noch nicht ungenügend iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO. Vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Denn die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst und damit zu den Kernaufgaben der Tatsacheninstanz (vgl - jurisRdNr 8; - jurisRdNr 12; - jurisRdNr 13).
15Dass der Kläger im Kern seines Vorbringens mit der Auswertung und Würdigung der aktenkundigen Arztberichte und des Sachverständigengutachtens durch das LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht gestützt werden. Mit seiner Forderung nach einem sog Obergutachten verkennt der Kläger zudem, dass es solcherart unterschiedliche Wertigkeiten von Gutachten nicht gibt, mit denen von vornherein ein Gutachten über ein anderes gestellt werden könnte. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Gerichts, jedes Gutachten in Bezug auf seine Überzeugungskraft bei der Beurteilung tatbestandlicher Voraussetzungen einer gesetzlichen Regelung selbst zu bewerten (vgl - jurisRdNr 8 mwN).
16c) Sofern der Kläger seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) dadurch verletzt sieht, dass das LSG Dr. Hoppe nicht als sachverständigen Zeugen gehört habe, ist diese Gehörsrüge im Kern auf eine Verletzung der Amtsermittlung durch das LSG gerichtet. Jedoch können die für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG geltenden Einschränkungen nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör umgangen werden (vglstRspr; zB - jurisRdNr 10 mwN).
17d) Der Kläger bezeichnet auch keinen Verfahrensmangel anforderungsgemäß, indem er geltend macht, das LSG habe gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens (Art 19 Abs 4 und Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG; vgl auch Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention; Art 47 Abs 2 Satz 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union) verstoßen und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt, weil es von einer Befragung des H als Zeugen abgesehen, und ihm, dem Kläger, dadurch die Möglichkeit genommen habe, den Schlussfolgerungen des LSG und des Sachverständigen K entgegenzutreten. Dass das LSG grundlegende Rechtsschutzstandards bei seiner Verfahrens- und Verhandlungsführung verletzt haben könnte, erschließt sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt selbst vor, das LSG habe einen Befund- und Behandlungsbericht des H eingeholt. Auch stellt er nicht in Abrede, dass er hierzu und zu dem Gutachten des K Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Dass das LSG seiner Rechtsansicht nicht gefolgt ist, verletzt nicht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (vglstRspr; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 2222/21 - jurisRdNr 27; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 613/21 - jurisRdNr 4). Unerheblich für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist, dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält (stRspr; vglzB BH - jurisRdNr 11).
18Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
192. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm mit einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:260625BB5R3425B0
Fundstelle(n):
EAAAJ-99524