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BGH Beschluss v. - 3 StR 496/23

Leitsatz

1. Zur Strafbarkeit wegen Beteiligung am Völkermord durch Versklavung.

2. Lebensbedingungen sind nur dann zur teilweisen oder vollständigen körperlichen Zerstörung einer Gruppe geeignet, wenn sie den Tod von Gruppenmitgliedern herbeiführen können.

Gesetze: § 6 Abs 1 Nr 3 VStGB, § 27 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 3 StE 9/22 - 4

Gründe

1Das Oberlandesgericht hat die Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „unerlaubter“ Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Freiheitsentziehung und Verfolgung, Beihilfe zum Völkermord „durch Ausrottung“, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung, Vertreibung und sexuelle Gewalt, Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen durch sexuelle Gewalt und Vertreibung, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung und mit schwerer Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt.

2Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

A.

3I. Der Staatsschutzsenat hat folgende Feststellungen getroffen:

41. Die in den syrischen und irakischen Bürgerkriegsgebieten militärisch aktive terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) verfolgte in ihrem Streben, einen auf ihrer Ideologie gründenden Gottesstaat unter Geltung der Scharia zu errichten, die überwiegend in dem Gebiet um das Sindschar-Gebirge im Norden des Iraks lebende Minderheit der Jesiden. Um die Vernichtung der nach der IS-Ideologie nicht über ein Existenzrecht verfügenden jesidischen Glaubensgemeinschaft zu erreichen, führten zahlreiche Kämpfer des IS in der Nacht vom 2. auf den gegen die in der Sindschar-Region beheimateten Jesiden einen zentral geplanten, organisierten und koordinierten militärischen Angriff mit Waffengewalt durch. Sie umzingelten die Region, nahmen die Bewohner gefangen und töteten oder vertrieben sie.

5Dabei verfuhren sie nach einem vorgegebenen Muster. Diejenigen Bewohner eines Dorfes, die in die Berge geflüchtet waren, blieben eingekesselt und von Wasser, Nahrung und Medikamenten abgeschnitten, wodurch hunderte Jesiden infolge von Dehydrierung, Mangelernährung und fehlender medizinischer Versorgung verstarben. IS-Milizionäre richteten nicht konversionsbereite Männer hin, auch in Form von Massenexekutionen. Waren die Männer bereit, zum Islam überzutreten, verschleppte man sie und verpflichtete sie zur Zwangsarbeit. Flüchteten sie später und wurden aufgegriffen, erwartete auch sie die Hinrichtung. Gefangen genommene Frauen und Kinder wurden von den Männern separiert und verschleppt. Jungen ab etwa sieben Jahren wurden zum Zwecke religiöser Umerziehung von ihren Müttern getrennt und in IS-eigenen Koranschulen unterrichtet. Spätestens ab dem Alter von 14 Jahren verbrachte man sie in militärische Ausbildungslager und setzte sie in der Folgezeit als Kämpfer ein, beteiligte sie an Exekutionen und benutzte sie für Selbstmordanschläge.

6IS-Kämpfer töteten zudem ältere - als „nutzlos“ eingestufte - Frauen unmittelbar nach der Gefangennahme. Jüngere Frauen sowie ältere Mädchen wurden von IS-Mitgliedern als Haushalts- und Sexsklavinnen gehalten und missbraucht. Sie wurden vergewaltigt, geschlagen und in hoher Frequenz an immer neue Besitzer weitergereicht. Für die jesidischen Frauen hatte der außereheliche Geschlechtsverkehr mit einem Nichtjesiden ungeachtet der Unfreiwilligkeit aufgrund des strikten Sexualverbots außerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zur Folge, dass sie aus dieser ausschieden. Von einer dies später für Vergewaltigungen revidierenden Entscheidung des Hohen Rates der Jesiden erhielten die versklavten Jesidinnen keine Kenntnis. Soweit sie Haushaltssklavinnen waren, hatten sie ganztägig zu arbeiten sowie an den muslimischen Gebeten und religiösen Riten teilzunehmen. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Vielzahl von Suiziden.

7Der IS vernichtete zudem die Heiligtümer der Jesiden, enteignete die jesidische Bevölkerung und nahm deren Güter in Besitz. Er verminte die besetzten Gebiete, weshalb die Rückkehr der jesidischen Bevölkerung in ihre Heimatdörfer nur unter Lebensgefahr möglich war.

8Insgesamt wurden bis zu 5.500 Jesidinnen und Jesiden durch den Angriff der IS-Truppen getötet. Andere starben auf der Flucht in den Bergen. Weitere circa 3.800 Angehörige der Religionsgemeinschaft waren jedenfalls bis August 2016 in den Händen des IS oder sind inzwischen zu Tode gekommen.

92. Die Angeklagte ist deutsche Staatsangehörige und mit einem Syrer verheiratet, den sie 2012 in Deutschland kennenlernte. Sie wandte sich dem islamischen Glauben zu und konvertierte 2013 zum Islam. In der Folge radikalisierte sie sich und sah die Ziele des IS als erstrebenswert an.

10Nachdem ihr Ehemann im Sommer/Herbst 2014 nach Syrien ausgereist war, um sich dem IS anzuschließen und ihm seine Dienste als Arzt zur Verfügung zu stellen, entschloss sich die Angeklagte, ihm zu folgen. Sie reiste im Dezember 2014 in die Türkei und von dort aus in das Herrschaftsgebiet des IS nach Syrien. Die Angeklagte und ihr Ehemann gliederten sich nach ihrer Ankunft unter Befürwortung der Ideologie und Vorgehensweise des IS in die Organisation ein, ordneten sich seinem Willen unter und entfalteten Tätigkeiten zur Förderung seiner Ziele. Sie reisten nach kurzer Zeit nach Raqqa, wo der Ehemann der Angeklagten gegen Entlohnung durch den IS im größten und bedeutendsten Krankenhaus der Stadt als Arzt für diesen arbeitete. Die Angeklagte unterstützte ihn, indem sie die vom IS für Ehefrauen vorgesehene Rolle ausfüllte und entsprechende Tätigkeiten verrichtete.

11Nach einem Umzug in eine Villa in Mossul nahmen die Angeklagte und ihr Ehemann jedenfalls im Zeitraum von Sommer 2015 bis Herbst 2016 mit Genehmigung des IS andere der Organisation zugehörige Frauen auf, die nach den Regeln des IS nicht allein leben durften, nachdem ihre Ehemänner gestorben waren oder sich aus sonstigen Gründen nicht an ihrer Seite aufhielten. Sie stellten den Frauen eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung und versorgten sie mit Lebensmitteln sowie Gütern des täglichen Bedarfs, halfen aber auch bei der Regelung formaler Angelegenheiten. Hierfür wurden sie vom IS entlohnt. In organisatorischer Hinsicht übernahm der Ehemann der Angeklagten die Verantwortung für die im Haus lebenden Frauen, wohingegen der Angeklagten deren Versorgung vor Ort oblag. Beiden war daran gelegen, sie weiterhin für eine Heirat von Kämpfern des IS verfügbar zu halten und diesen so zu unterstützen.

123. Während ihres Aufenthaltes in Mossul bewahrte die Angeklagte im Frühjahr 2016 wissentlich und willentlich gemeinsam mit ihrem Ehemann in einem jederzeit zugänglichen Schrank im gemeinschaftlichen Schlafzimmer vier Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow auf. Dies hatte zum Ziel, den mit Waffengewalt aufrechterhaltenen Herrschaftsanspruch des IS zu stärken.

134. Die Nebenklägerin ist Jesidin und wuchs in der Sindschar-Region auf. Als die IS-Truppen im August 2014 ihr Heimatdorf erreichten, flüchtete sie mit ihrer Familie in die nahegelegenen Berge, wurde jedoch aufgehalten und zu einem IS-Stützpunkt gebracht. IS-Angehörige verschleppten sie von dort zunächst in ein nahegelegenes Dorf nach Syrien, dann weiter nach Mossul und später in ein anderes Dorf. In einem Schutzbunker des IS wurde sie einem männlichen IS-Mitglied als Sklavin zugeteilt und in der Folgezeit an weitere IS-Mitglieder weitergereicht, denen sie ebenfalls als Sklavin zur Verfügung stehen musste.

14Der Ehemann der Angeklagten erhielt die Nebenklägerin Ende April 2016 als „Geschenk“ übergeben. Er brachte sie in die gemeinsam mit der Angeklagten bewohnte Villa in Mossul und stellte sie dieser als „seine Sklavin“ vor. In der Folge zwangen die Eheleute die Nebenklägerin bis Februar 2019 zur unentgeltlichen Verrichtung der Hausarbeit und Kinderbetreuung. Die Angeklagte erteilte der Nebenklägerin hierbei Anweisungen und sorgte zudem dafür, dass diese das Haus nicht ohne Begleitung verlassen oder anderweitig fliehen konnte. Der Ehemann vollzog regelmäßig, mindestens drei Mal im Monat, gegen den Willen der Nebenklägerin mit ihr den Vaginalverkehr, was die Angeklagte wusste und wofür sie jeweils das Haus verließ. Ihr war bewusst, dass ihr Beitrag zur Aufrechterhaltung des Herrschaftsverhältnisses über die Nebenklägerin, insbesondere durch Entzug der Fortbewegungsfreiheit, diese sexuellen Handlungen förderte.

15Das Ehepaar versorgte die Nebenklägerin mit Kleidung, Nahrung, Hygieneartikeln und Medikamenten. Auch gewährleistete es notwendige Facharztbesuche. Suizidale Tendenzen der Nebenklägerin im Rahmen ihrer Versklavung hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Gleiches gilt für einen hierauf gerichteten Willen der Angeklagten.

16Spätestens im Oktober 2016 verließen die Angeklagte und ihre Familie Mossul und zogen nach Syrien, wo sie an verschiedenen Orten lebten, zuletzt in Baghouz. Die Nebenklägerin nahmen sie jeweils mit. Ende Februar/Anfang März 2019 entschied sich der Ehemann der Angeklagten, mit seiner Familie und der Nebenklägerin in die Türkei zu fliehen. Als ein Kontrollposten des IS ihm verweigerte, eine Sklavin des IS aus dessen Herrschaftsgebiet zu verbringen, gab er sie frei.

17Im Rahmen eines anschließenden Aufenthaltes in einem syrischen Lager vertraute sich die Nebenklägerin einem britischen Journalisten an, mit dessen Hilfe es ihr gelang, zu ihrer Familie zurückzukehren. Der Partner der Nebenklägerin hatte während der Jahre ihrer Gefangenschaft auf sie gewartet. Das Paar heiratete im Oktober 2021. Die Nebenklägerin litt nach der Tat unter Albträumen, Ängsten und Rückenschmerzen. Inzwischen plant sie eine Rückkehr in ihren Beruf und sieht sich hierzu körperlich und psychisch in der Lage.

18II. Das Oberlandesgericht hat die Tathandlungen der Angeklagten gewertet als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „unerlaubter“ Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Freiheitsentziehung und Verfolgung, Beihilfe zum Völkermord „durch Ausrottung“, Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung, Vertreibung und sexuelle Gewalt, Beihilfe zu Kriegsverbrechen gegen Personen durch sexuelle Gewalt und Vertreibung, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung und mit schwerer Freiheitsberaubung, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 233a Abs. 1 Nr. 2, § 239 Abs. 1 und 3 Nr. 1, § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB in der bis zum geltenden Fassung, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB, § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4, 6, 9 und 10 und § 8 Abs. 1 Nr. 4 und 6 VStGB in der jeweils bis zum geltenden Fassung, § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a und b KrWaffG.

B.

19I. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen nicht durch.

20II. Die Revision der Angeklagten führt auf die Sachrüge infolge des Wegfalls einzelner abgeurteilter Straftatbestände (dazu nachfolgend 1.) sowie aufgrund einer abweichenden konkurrenzrechtlichen Beurteilung (hierzu unten 2.) zu einer Änderung des Schuldspruchs (hierzu unten 3.). In der Folge unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung (hierzu unten 4.).

211. Die materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat betreffend die Verurteilung der Angeklagten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Freiheitsentziehung und Verfolgung in Tateinheit mit Beihilfe zu dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt und zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch sexuelle Gewalt, mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung und schwerer Freiheitsberaubung keinen Rechtsfehler zu ihren Lasten ergeben. Der Schuldspruch hat hingegen keinen Bestand, soweit sie wegen Beihilfe zum Völkermord, Beihilfe zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung und Vertreibung sowie wegen Beihilfe zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung verurteilt worden ist.

22Hierzu im Einzelnen:

23a) Die vom Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts nicht die Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zum Völkermord gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB. Zwar liegt eine taugliche Haupttat vor (hierzu aa]). Es fehlt jedoch an einer sie fördernden Beihilfehandlung der Angeklagten (hierzu bb]).

24aa) Ausweislich der Urteilsgründe wurden der Nebenklägerin im Rahmen der Versklavung keine schweren körperlichen oder seelischen Schäden im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB zugefügt, so dass eine Strafbarkeit nach dieser - der Angeklagten in der Anklageschrift allein vorgeworfenen - Tatmodalität ausscheidet. Die vom Oberlandesgericht angenommene Haupttat nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB setzt voraus, dass der Täter in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.

25(1) Die den objektiven Tatmodalitäten des § 6 Abs. 1 VStGB ihren besonderen Unrechtsgehalt verleihende Völkermordabsicht (s. hierzu , BGHSt 67, 180 Rn. 14; Urteile vom - 3 StR 575/14, BGHR VStGB § 6 Absicht 1 Rn. 13; vom - 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 295; vom - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 86, jeweils mwN) der auf Führungsebene des IS für das Vorgehen gegen die Jesiden Verantwortlichen liegt vor. Den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Urteilsfeststellungen zufolge handelte die IS-Führungsriege der Ideologie der Vereinigung entsprechend mit dem Ziel, die religiöse Glaubensgemeinschaft der Jesiden zu vernichten.

26(2) Auch in objektiver Hinsicht ist eine Haupttat im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB gegeben.

27(a) Für diese Tatmodalität gilt:

28(aa) Die genannte Vorschrift des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs dient der Umsetzung von Art. 6 Buchst. c IStGH-Statut (zu dem intendierten Gleichlauf der deutschen Rechtslage mit dem IStGH-Statut unter Berücksichtigung internationaler Rechtsprechung s. , BGHSt 67, 180 Rn. 23; Urteil vom - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 19). Leitbild für Art. 6 Buchst. c IStGH-Statut waren die in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus herrschenden Verhältnisse in den jüdischen Ghettos, die Deportationen der Juden, Sinti und Roma in Konzentrations- und Vernichtungslager, die Lebensumstände in diesen Lagern sowie die Bedingungen, unter denen die Zwangsarbeiter zu leiden hatten. Die Vorschrift sollte Situationen erfassen, in denen es über einen längeren Zeitraum hinweg zu wiederholten schweren Verletzungen von Menschenrechten kommt, die nicht unmittelbar, aber nach einer gewissen Dauer und in ihrem Zusammenwirken schließlich zum Tod der betroffenen Personen führen (s. hierzu Lüders, Die Strafbarkeit von Völkermord nach dem Römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, 2004, S. 187).

29Die Lebensbedingungen der Gruppe müssen nach der deutschen Sprachfassung objektiv zerstörungsgeeignet sein (MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 54; LK/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 6 VStGB Rn. 68, jeweils in Abgrenzung zu der insoweit interpretationsoffenen Formulierung der Völkermordkonvention in der Originalfassung: „conditions of life calculated to bring about its [the groups] physical destruction“; s. hierzu auch Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 135; Gropengießer in Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. I, 2003, S. 102 f. auch unter Verweis auf § 220a StGB aF, der ebenfalls das Erfordernis der objektiven Zerstörungseignung enthielt). Nach der inzwischen konsolidierten internationalen Rechtsprechung ist der Begriff der „körperlichen Zerstörung“ mit dem Tod von Gruppenmitgliedern gleichzusetzen (ICTY, Urteil vom - IT-05-88/2-A [Prosecutor v. Tolimir] Rn. 226; ICJ, Urteil vom [Croatia v. Serbia] Rn. 161: “Deliberate infliction of the group of conditions of life calculated to bring about its physical destruction in whole or in part, within the meaning of Article II (c) of the Convention, covers methods of physical destruction, other than killing, whereby the perpetrator ultimately seeks the death of the members of the group”; s. hierzu auch MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 55). Während im Hinblick auf die Lebensbedingungen die Gruppe insgesamt angesprochen wird, kann Bezugspunkt für die Zerstörungseignung auch eine Teilgruppe sein (s. hierzu , BGHSt 45, 64, 85; Beschluss vom - 3 StR 244/00, BGHR StGB § 220a Absicht 1; ebenso MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 53; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 900; vgl. auch LK/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 6 VStGB Rn. 69).

30(bb) Diese Maßgaben gelten auch für § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB. Für ein der internationalen Judikatur entsprechendes Verständnis der Vorschrift streiten neben dem klaren Wortlaut der Norm sowohl historische als auch systematische Erwägungen.

31Der Wortlaut entspricht dem der durch Gesetz vom (BGBl II S. 729) eingeführten Vorgängervorschrift des § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, die wiederum bewusst an Artikel II der Völkermordkonvention angelehnt war (s. hierzu , BGHSt 45, 64, 79; Campbell, § 220a StGB - der richtige Weg zur Verhütung und Bestrafung von Genozid?, 1986, S. 160 ff., 168). Bereits der Gesetzentwurf über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes fußte auf einem Verständnis des entsprechenden Passus der Völkermordkonvention als „Lebensgefährdung durch Verschlechterung der Lebensbedingungen“ (BT-Drucks. 162 S. 3). Im Rahmen der zweiten und dritten Beratung dieses Entwurfs im Bundestag, die zur Änderung der bis dahin für § 220a StGB aF vorgesehenen Formulierung „Vernichtung“ in „körperliche Zerstörung“ führte, wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Zusatz der körperlichen Zerstörung in Buchstabe c des Artikels II der Völkermordkonvention in Abgrenzung zu dessen Einleitung verwendet wurde, um deutlich zu machen, dass hiervon nur die biologische, nicht jedoch die kulturelle Zerstörung von Gruppen erfasst werde (2. Dt. BT, 37. Sitzung vom , S. 1765; s. zur völkerrechtlichen Entwicklung des Völkermordtatbestandes ohne Aufnahme einer kulturellen Völkermordkomponente MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 22 ff.; Tams/Berster/Schiffbauer, The Genocide Convention, 2. Ed., Art. II Rn. 93 ff., jeweils mwN). Diese Differenzierung hat der Gesetzgeber in § 6 VStGB als Nachfolgevorschrift des § 220a StGB aF bewusst beibehalten. Während sich die einleitend in § 6 VStGB geregelte Völkermordabsicht ohne weitere Einschränkung auf die Zerstörung der genannten Gruppen bezieht und damit die intendierte Vernichtung der Gruppe in ihrer sozialen Existenz umfasst (s. , BGHSt 67, 180 Rn. 14 mwN), setzt § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB in objektiver Hinsicht die Eignung der Lebensbedingungen gerade zur körperlichen Zerstörung voraus.

32Für eine Gleichsetzung des letztgenannten Begriffs mit dem Tod von Gruppenmitgliedern spricht auch die Regelungssystematik des § 6 Abs. 1 VStGB. Nimmt man § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB in den Blick, der die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden zum Nachteil von Mitgliedern der Gruppe als Begehungsweise des Völkermordes zum Gegenstand hat, stünde eine Überschneidung und damit eine Konturlosigkeit der Tatmodalitäten im Raum, sollten unter den Begriff der körperlichen Zerstörung auch Fälle gefasst werden, in denen die Lebensbedingungen allein zur Hervorrufung schwerer körperlicher Schäden, nicht jedoch zur Tötung der Gruppenmitglieder geeignet sind.

33(b) Eingedenk des dargelegten Bedeutungsgehalts des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB ist hier hinsichtlich der Haupttat zu differenzieren:

34(aa) Die Voraussetzungen der Norm sind erfüllt durch das zentral geplante und organisierte Vorgehen der IS-Führungsriege gegen die Jesiden, soweit dieses auch das Einkesseln hunderter Gruppenmitglieder ohne Versorgung mit Wasser, Nahrung und Medikamenten, das geeignet war, zu ihrem Tod zu führen, mithin eine Variante des „slow death“, beinhaltete (s. hierzu LK/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 6 VStGB Rn. 71; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 898; s. zur Annahme eines Völkermordes an den Jesiden durch den IS außerdem , BGHSt 67, 180 [zu § 6 Abs.1 Nr. 2 VStGB]).

35(bb) Versklavungen, Vergewaltigungen und Vertreibungen erfüllen die objektiven Voraussetzungen der Norm demgegenüber nicht ohne Weiteres (s. hierzu MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 56 f.; LK/Gerson, StGB, 13. Aufl., § 6 VStGB Rn. 71 ff.; Werle/Jeßberger aaO, Rn. 900; zu der Frage der Einordnung sexueller Gewalt als Tathandlung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB Schwarz, Das völkerrechtliche Sexualstrafrecht, 2019, S. 151 ff.; zu § 220a Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. s. auch , BGHSt 45, 64, 84 ff. zu systematischen Vertreibungen, wobei die dortigen Opfer vielfach in Gefangenenlager mit lebensfeindlichen Bedingungen verbracht oder getötet wurden). Denn sie haben nicht zwangsläufig die körperliche Zerstörung der Gruppenmitglieder zur Folge.

36Ob vorliegend wegen der zahlreichen Suizide, die versklavte Jesidinnen ausweislich der Urteilsfeststellungen aufgrund der perspektivlosen Zwangsarbeit verbunden mit wiederholten Vergewaltigungen begingen, ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte und diese Selbsttötungen als Ausfluss der psychisch und physisch belastenden Lebensumstände der Versklavung unter die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB zu fassen sein könnten, bedarf hier - mangels Gehilfenbeitrags der Angeklagten (dazu sogleich unter bb]) - keiner Entscheidung. Den Urteilsgründen lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Suizide Teil der von der IS-Führungsriege intendierten Vernichtung der religiösen Glaubensgemeinschaft der Jesiden und von dem erforderlichen Vorsatz in Bezug auf die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB umfasst waren (zur Differenzierung zwischen einer auf die soziale Zerstörung der Gruppe abzielenden Vernichtungsabsicht und dem Vorsatz bezüglich der körperlichen Zerstörungseignung der Lebensbedingungen s. auch Lüders, aaO, S. 192 f.). Gegen Letzteres könnte etwa sprechen, dass es den Urteilsfeststellungen zufolge der Strategie des IS entsprach, die versklavten Jesidinnen als Haushalts- und Sexsklavinnen zu missbrauchen, mithin ihre physische Existenz für die Zwecke der Vereinigung auszunutzen.

37bb) Die Handlungen der Angeklagten stellen keine Beihilfe gemäß § 27 Abs. 1 StGB zu einer nach den vorstehenden Grundsätzen zu bestimmenden Haupttat dar. Dies gilt selbst dann, wenn man die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen dahin verstehen wollte, dass die im Kontext der Versklavungen begangenen Suizide jesidischer Mädchen und Frauen von dem Plan der IS-Verantwortlichen zur Vernichtung der Gruppe durch Schaffung körperlich zerstörungsgeeigneter Lebensbedingungen umfasst waren.

38Das Oberlandesgericht hat einen Gehilfenbeitrag der Angeklagten - eine mittäterschaftliche Begehungsweise schied bereits aufgrund der fehlenden Völkermordabsicht der Angeklagten aus - darin gesehen, dass sie durch die dem Vorgehen des IS entsprechende Versklavung der Nebenklägerin die Handlungen des IS in ihrer Gesamtheit gefördert habe, die unter anderem auf die physische Vernichtung jedenfalls eines Teils der jesidischen Glaubensgemeinschaft gerichtet gewesen seien. Die Haupttat habe im Zeitpunkt der Beihilfehandlung von April 2016 bis Februar 2019 noch angedauert, da auch nach dem Angriff im Sindschar-Gebirge eine große Anzahl von Jesidinnen und Jesiden der Gefangenhaltung, Zwangsarbeit, körperlichen Züchtigung und regelmäßigen Vergewaltigungen ausgesetzt gewesen sei. Die Angeklagte habe ein Mitglied der jesidischen Glaubensgemeinschaft genau unter diejenigen Lebensbedingungen gestellt, die der Völkermordplan des IS vorgesehen habe, und damit den Plan konkret gefördert. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

39(1) Bezugspunkt für die Beihilfe ist die Haupttat nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Ergebnis zutreffend hingewiesen hat. Dieser unterfallen nur solche Handlungen, die ihrerseits - im Rahmen der Gesamttat des § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB (s. hierzu MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 102) - die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen. Wie bereits unter II. 1. a) aa) (2) dargelegt, zählen hierzu allein solche Handlungen, durch die die Gruppe unter Lebensbedingungen gestellt wird, die zu ihrer körperlichen Zerstörung, mithin zur Herbeiführung des Todes jedenfalls eines Teils der Gruppenmitglieder, geeignet sind.

40Eine Abkoppelung des Begriffs der Haupttat von den einzelnen objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Völkermordes nach § 6 VStGB hin zu einer Erfassung des Gesamtgeschehens des Vorgehens gegen die Jesiden ist mit den allgemeinen Grundsätzen von Täterschaft und Teilnahme, die gemäß § 2 VStGB Anwendung finden, nicht vereinbar. Sie würde zu einer Konturlosigkeit des Anwendungsbereichs der Teilnahme führen, die der deutschen Strafrechtsdogmatik (zum Begriff der Beihilfe zu Völkerstraftaten in der internationalen Rechtsprechung s. Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 41 ff.; Schabas, Genozid im Völkerrecht, 2003, S. 378 ff.) und dem hierin verankerten Prinzip der limitierten Akzessorietät der Teilnahme widerspräche (zur Begrenzung einer uferlosen Zurechnung s. auch , BGHSt 64, 89 Rn. 79).

41(2) Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist - bei Erfolgsdelikten - grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 61, 252 Rn. 17; Urteil vom - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410, jeweils mwN). Sie ist noch nach Vollendung der Tat bis zu deren Beendigung möglich (vgl. , BGHSt 3, 40, 43 f.; Beschluss vom - 1 StR 424/15, NStZ 2016, 400, 401, jeweils mwN) und kommt auch in der Form sog. psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird (vgl. etwa , NJW 2024, 3246 Rn. 28, Beschlüsse vom - 4 StR 208/02, NStZ 2003, 32, 33; vom - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637).

42Wird die Tat aus einem Personenzusammenschluss - etwa einer Bande oder einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung - heraus begangen, so kann sie dem einzelnen Banden- oder Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede oder seiner Zugehörigkeit zu der Vereinigung als eigene zugerechnet werden; es ist vielmehr hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, ob sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) beteiligt bzw. gegebenenfalls insoweit überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat (st. Rspr.; s. etwa , BGHSt 61, 252 Rn. 17 mwN).

43Diese Maßstäbe gelten auch bei der strafrechtlichen Bewertung von Handlungen, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit organisierten Massenverbrechen vorgenommen werden, wenngleich bei ihrer Anwendung die deliktsspezifischen Besonderheiten nicht außer Betracht bleiben dürfen (s. , BGHSt 61, 252 Rn.19; Urteil vom - 5 StR 326/23, NJW 2024, 3246 Rn. 29).

44(3) Eine unmittelbare Förderung der § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB unterfallenden Tathandlungen im Sindschar-Gebirge im Jahr 2014 scheidet schon mit Blick darauf aus, dass die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt keinen Gehilfenbeitrag leistete.

45(4) Es liegt auch keine Beihilfe durch spätere Vornahme einer eigenen, § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB potentiell unterfallenden Tathandlung der Angeklagten - ohne bei ihr selbst gegebener Völkermordabsicht - vor.

46Die Angeklagte trug nicht dazu bei, die Gruppe der Jesiden unter Lebensbedingungen zu stellen, die geeignet waren, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Für die Nebenklägerin sind derartige Bedingungen trotz der in hohem Maße unangemessenen, fundamentale Persönlichkeitsrechte der Nebenklägerin missachtenden und mehrere andere Straftatbestände verwirklichenden Handlungen nicht festgestellt. Insoweit ist etwa von Bedeutung, dass die Nebenklägerin Kleidung, Nahrung, Hygieneartikel und Medikamente erhielt. Außerdem wurde im Bedarfsfall immerhin medizinische Versorgung gewährleistet.

47Auch scheidet die Herbeiführung einer konkreten Suizidalität als Anknüpfungspunkt für das Schaffen zur körperlichen Zerstörung geeigneter Lebensbedingungen aus. Eine solche hat der Staatsschutzsenat in Bezug auf die Nebenklägerin nicht festgestellt. Ebenso wenig ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass ein Suizid der Nebenklägerin als Resultat der psychisch und physisch extrem belastenden Lebensumstände der Versklavung von dem Vorsatz der Angeklagten umfasst war. Derartige Feststellungen sind auch in einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten.

48(5) Schließlich ist die vom Generalbundesanwalt mit Blick insbesondere auf die Rechtsprechung zu während der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Straftaten aufgeworfene Frage des Vorliegens einer psychischen Beihilfe der Angeklagten zu der gegenständlichen Haupttat zu verneinen.

49(a) Zwar ist in Bedacht zu nehmen, dass bei organisierten Massenverbrechen Adressaten psychisch vermittelter Einwirkung Führungskräfte sein können, welche die Deliktsbegehung anweisen oder dirigieren (s. , BGHSt 64, 10 Rn. 107). Dies kommt namentlich in Betracht, wenn die Führungspersonen in der Lage sind, für ein von ihnen erwogenes verbrecherisches Unternehmen auf eine feste Struktur aus willigen, gehorsamen und zuverlässigen Befehlsempfängern zurückzugreifen. Deren erkennbare Bereitschaft zu einem bestimmten deliktischen Handeln kann die Entscheidungsträger im Willen zur Anordnung der entsprechenden Straftaten bestärken (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 230/22, NJW 2023, 1138 Rn. 54; vom - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 78; vom - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 23 ff.).

50(b) Die hierbei geltenden Maßstäbe führen in der hiesigen Fallkonstellation jedoch nicht zu einer Strafbarkeit der Angeklagten.

51Die in Rede stehende Tathandlung der Angeklagten unterscheidet sich in wesentlichen Punkten etwa von dem der Entscheidung des Senats vom (3 StR 49/16, BGHSt 61, 252) zugrundeliegenden Sachverhalt. Dieser hatte die Tätigkeit des Angeklagten im Konzentrationslager Auschwitz im Zeitpunkt des Befehls zur „Ungarn-Aktion“ zum Gegenstand, bezog sich mithin auf dessen Tätigwerden in einer Tötungsmaschinerie, mit welcher er aus Sicht der Verantwortlichen als gehorsamer und zuverlässiger Untergebener eine reibungslose Umsetzung der beschlossenen Vernichtungsaktion im Sinne einer alternativlosen Tötung der Deportierten garantierte.

52Den Urteilsfeststellungen zufolge bekämpfte der IS demgegenüber die Glaubensgemeinschaft der Jesiden mit unterschiedlichen Mitteln. Neben den Massenexekutionen, den „slow death measures“ in Bezug auf die in das Sindschar-Gebirge geflüchteten Jesiden sowie den Hinrichtungen als „nutzlos“ eingestufter älterer Frauen und nicht konversionsbereiter oder flüchtender Männer wurden konversionsbereite Jesiden verschleppt und zur Zwangsarbeit verpflichtet, Jungen zu Kämpfern ausgebildet und ältere Mädchen sowie jüngere Frauen als Haushalts- und Sexsklavinnen gehalten. Es finden sich damit sowohl Elemente des Angriffs auf die Mitglieder der Religionsgemeinschaft durch physische Zerstörung als auch solche der „Umerziehung“ und Unterwerfung unter das eigene Terrorregime, die den Tod der Opfer zumindest in der Regel nicht vorsahen.

53Das Verhalten der Angeklagten bezog sich dabei allein auf den letztgenannten Teil. Weder gliederte sie sich in ein Gesamtgefüge ein, das auf die physische Vernichtung der versklavten Personen ausgerichtet war, noch stellte sie die Nebenklägerin selbst unter lebensfeindliche Bedingungen oder beteiligte sich an einer derartigen Maßnahme.

54Damit fehlt es - anders als bei dem Handeln des Angeklagten in der genannten Entscheidung des Senats, das sich auf einen fest umgrenzten Komplex der im Rahmen der „Ungarn-Aktion“ durchgeführten Mordtaten bezog - an einem unmittelbaren Bezug der Handlungen der Angeklagten zu auf die körperliche Zerstörung der Gruppe ausgelegten Betätigungen der IS-Führungsriege. Eine Einbindung der Angeklagten in die Organisation von Maßnahmen des IS, welche die physische Vernichtung der Opfer betrafen, ist nicht festgestellt.

55b) Es liegt ebenfalls keine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 VStGB, § 27 StGB vor.

56Auch für diesen Straftatbestand, der auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b IStGH-Statut und dem dortigen Begriff der Ausrottung beruht und in engem sachlichen Zusammenhang mit dem Tatbestand des Völkermordes steht (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 20), ist es erforderlich, dass der (Haupt-)Täter einen Bevölkerungsteil unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, dessen Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen. Hierunter ist gleichfalls die physische Zerstörung zu verstehen (vgl. hierzu MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 49 ff.; LK/Esser, StGB, 13. Aufl., § 7 VStGB Rn. 83 ff.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1012 ff.). Aus den vorstehend dargelegten Gründen fehlt es an einer hierauf bezogenen tauglichen Beihilfehandlung.

57c) Zudem hat die Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zu dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Vertreibung und zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 StGB zu entfallen; denn die Angeklagte leistete keine sukzessive Beihilfe zu diesen Völkerstraftaten, welche IS-Mitglieder zum Nachteil der Nebenklägerin begingen.

58Zwar liegt nach den Urteilsfeststellungen eine von IS-Angehörigen begangene Haupttat gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB vor (s. hierzu eingehend , NJW 2023, 1138 Rn. 44 ff.). Es fehlt jedoch auch hier an einem tauglichen Gehilfenbeitrag der Angeklagten. Denn die Vertreibung der Nebenklägerin war abgeschlossen, nachdem IS-Mitglieder sie aus der Sindschar-Region in ein syrisches Dorf und nach Mossul verschleppt hatten. Die anschließende Versklavung durch die Eheleute konnte diese bereits beendete Vertreibung nicht mehr fördern. Eine Vertiefung der Tathandlung oder des Taterfolgs bewirkten die durch die Angeklagte und ihren Ehemann veranlassten Ortsveränderungen der Nebenklägerin nicht (vgl. , NJW 2023, 1138 Rn. 51 f.).

59Auch leistete die Angeklagte unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze zu organisierten Massenverbrechen nicht im Wege psychischer Beihilfe einen Förderungsbeitrag zu der vom IS im Allgemeinen geübten Vertreibungs- und Überführungspraxis. Eine hierfür erforderliche Einbindung der Angeklagten in die systematische Umsetzung der durch die IS-Führungsriege zentral angeordneten zwangsweisen Verbringung jesidischer Zivilisten ist nicht festgestellt (vgl. hierzu , NJW 2023, 1138 Rn. 53 f.).

602. Der Schuldspruch hält in konkurrenzrechtlicher Hinsicht revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

61Nach der neueren Rechtsprechung verbindet der Tatbestand der mitgliedschaftlichen Beteiligung gemäß § 129a Abs. 1 Alternative 2 StGB (oder § 129 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB) alle Betätigungen des Mitglieds für die terroristische (oder kriminelle) Vereinigung grundsätzlich zu einer einzigen Tat im sachlichrechtlichen Sinne. Diese tatbestandliche Handlungseinheit umfasst nicht nur Beteiligungsakte, die im Übrigen straflos wären, sondern auch solche, die noch ein weiteres Strafgesetz verletzen. Die anderen Delikte werden durch die mitgliedschaftliche Beteiligung zu Tateinheit verklammert. Nur wenn mindestens zwei weitere, durch verschiedene Einzelakte begangene Gesetzesverstöße ein - mehr als unwesentlich - höheres Gewicht als das Vereinigungsdelikt haben, stehen sie, obwohl sie mit diesem jeweils tateinheitlich zusammenfallen, in Tatmehrheit zueinander (, NJW 2025, 456 Rn. 11; s. auch , juris Rn. 65 ff.; zur vorherigen abweichenden Rechtsprechung, an der sich das Oberlandesgericht orientiert, die der Senat allerdings nach der Urteilsverkündung in dieser Sache aufgegeben hat, vgl. , BGHSt 60, 308).

62Vorliegend haben allein die festgestellten Gesetzesverstöße der Angeklagten im Zusammenhang mit der Versklavung der Nebenklägerin und die hierdurch verwirklichten Straftatbestände nach dem Völkerstrafgesetzbuch mit Blick auf den Unrechtsgehalt der Tat und den hierfür vorgesehenen Strafrahmen wesentlich höheres Gewicht als das Vereinigungsdelikt. Für den Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gilt dies nicht. Der Strafrahmen des § 22a Abs. 1 KrWaffG bleibt hinter demjenigen des § 129a Abs. 1 StGB im Höchstmaß deutlich zurück. Dies führt zu der Verklammerung aller festgestellten Gesetzesverletzungen zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinne.

633. Der Schuldspruch ist nach alledem in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. Der Bezeichnung des Delikts nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz als „unerlaubt“ bedarf es hierbei nicht (s. hierzu , BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 5 Rn. 16); der Zusatz hat deshalb zu entfallen. Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich die Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

644. Die Schuldspruchänderung entzieht dem Strafausspruch die Grundlage. Während die abweichende Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) den Unrechts- und Schuldgehalt regelmäßig - so auch hier - nicht berührt (s. , NJW 2025, 456 Rn. 73; Beschlüsse vom - 3 StR 397/22, juris Rn. 14 f.; vom - 3 StR 120/23, juris Rn. 19), kann die vom Oberlandesgericht festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe mit Blick auf den Wegfall der angenommenen Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum Völkermord nicht in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO als Einzelstrafe bestehen bleiben.

65Es ist nicht auszuschließen, dass der Staatsschutzsenat unter Berücksichtigung der fehlenden Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum Völkermord (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, § 27 StGB) insgesamt auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Während das Oberlandesgericht die angenommene tateinheitliche Verwirklichung der Beihilfe zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Ausrottung und Vertreibung (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 und 4 VStGB, § 27 StGB) und zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 StGB) ausdrücklich nicht strafschärfend berücksichtigt hat, hat es die Beihilfe zum Völkermord - wenngleich unter Berücksichtigung der untergeordneten Bedeutung des Tatbeitrags der Angeklagten - explizit als Verwirklichung eines schweren Verbrechenstatbestandes straferschwerend in die Abwägung eingestellt.

66Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen sind von den Wertungsfehlern nicht betroffen; sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

675. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100725B3STR496.23.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-99398