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BGH Urteil v. - 4 StR 298/24

Instanzenzug: LG Essen Az: 65 KLs 20/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte und die Nebenklägerin führten seit mehreren Monaten eine Beziehung, in der im beiderseitigen Einvernehmen noch kein Geschlechtsverkehr stattfand. Am übernachtete der Angeklagte gemeinsam mit der Nebenklägerin in deren Bett. Während sie auf der linken Seite liegend schlief, zog der darum wissende Angeklagte ihr die Jogginghose aus, schob ihre Unterhose zur Seite und führte seinen Penis in ihre Vagina ein. Die Nebenklägerin erwachte von den Schmerzen, die ihr die Penetration verursachte, sagte „nein“ und äußerte „mhmh“. Zudem drehte sie sich „in Richtung einer Bauchlage, wobei der Angeklagte dieser Bewegung folgte“. Die Nebenklägerin trat mit ihrem rechten Bein nach dem Angeklagten, der trotzdem noch für kurze Zeit den ungeschützten Geschlechtsverkehr vollzog und erst dann von ihr abließ.

42. Dieses Geschehen hat das Landgericht als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Zur subjektiven Tatseite hat die Jugendkammer ausgeführt, der Angeklagte habe den Schlaf der Nebenklägerin ausgenutzt. Aufgrund ihrer ablehnenden Äußerungen, ihres Wegdrehens und „Wegtretens“ sei ihm auch klar gewesen, dass die Nebenklägerin nach dem Erwachen mit seinen Handlungen nicht einverstanden gewesen sei.

II.

5Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

61. Die Verfahrensbeanstandungen bleiben ohne Erfolg.

7a) Die Rüge, die Jugendkammer habe § 253 Abs. 1 StPO verletzt, ist unbegründet. Ihr liegt das Vorbringen zugrunde, der Vorsitzende der Jugendkammer habe in Anwesenheit des als Zeugen vernommenen Vernehmungsbeamten das über die polizeiliche Aussage der Nebenklägerin vom aufgenommene Protokoll „gemäß § 253 Abs. 1 StPO“ verlesen.

8Die Revision macht mit ihrer zulässigen Verfahrensrüge danach zu Recht geltend, dass das Landgericht gegen § 253 Abs. 1 StPO verstoßen habe. Denn es hat die Protokollverlesung zur Gedächtnisunterstützung nicht bei der originären Beweisperson, sondern rechtsfehlerhaft bei der Verhörsperson herangezogen (vgl. , juris Rn. 9; Mosbacher in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 253 Rn. 21; SK-StPO/Velten, 6. Aufl., § 253 Rn. 13). Die Rüge bleibt jedoch erfolglos, weil das Urteil hierauf nicht beruht (vgl. § 337 Abs. 1 StPO). Die Jugendkammer hat ihre Überzeugung, welche Angaben die Nebenklägerin bei dieser polizeilichen Vernehmung gemacht hat, ausweislich der Ausführungen im Urteil auf die Zeugenaussage des Vernehmungsbeamten gestützt, der den Inhalt der verlesenen Urkunde auf Vorhalt bestätigt hat. Darüber hinaus hätte das Vernehmungsprotokoll ohne Weiteres rechtmäßig in Ergänzung der erfolgten Vernehmung der Nebenklägerin nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden können (vgl. Rn. 9 mwN; Beschluss vom – 1 StR 566/03, BGHSt 49, 68, 70). Auch dies unterbricht den Beruhenszusammenhang (vgl. dazu Kudlich/Schuhr in SSW-StPO, 6. Aufl., § 253 Rn. 7).

9b) Ferner versagt die erhobene Inbegriffsrüge (§ 261 StPO). Die Revision macht insoweit weiter geltend, der in der Hauptverhandlung als Zeuge gehörte Vernehmungsbeamte habe sogleich zu Beginn seiner Aussage erklärt, er könne sich an den Inhalt der von ihm durchgeführten Vernehmung der Nebenklägerin trotz Vorbereitung auf den Termin nicht erinnern. Im Anschluss an die sodann erfolgte Verlesung des Vernehmungsprotokolls vom gemäß § 253 Abs. 1 StPO (vgl. dazu soeben a) sei der Zeuge entlassen worden; nach der Verlesung habe er nicht mehr zur Sache ausgesagt.

10Einem Erfolg dieser Verfahrensrüge steht bereits das Rekonstruktionsverbot entgegen. Nach den Urteilsgründen bestätigte der Zeuge wie erwähnt auf Vorhalt die damaligen Angaben der Nebenklägerin. Ein solcher Vorhalt ist formlos möglich und bedarf ebenso wenig wie seine Beantwortung durch die Beweisperson der Protokollierung (vgl. mwN; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 273 Rn. 16). Die im Anschluss an die Urkundenverlesung protokollierte Entlassung des Zeugen schließt es daher nicht aus, dass er die in den Urteilsgründen dargelegten Angaben auf Vorhalt gemacht hat. Dem steht auch eine anfänglich fehlende Erinnerung nicht entgegen. Der Vortrag der Revision ist damit aufgrund des vom Revisionsgericht zu beachtenden Verbots der Rekonstruktion der tatgerichtlichen Beweisaufnahme nicht bewiesen (vgl. Rn. 11; Beschluss vom – 5 StR 40/09; Beschluss vom – 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, 213 f.).

112. Das angefochtene Urteil weist zudem in sachlich-rechtlicher Hinsicht keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

12a) Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte ungeachtet der nacheinander verwirklichten Tatvarianten des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB und des § 177 Abs. 1 StGB nur einer Gesetzesverletzung der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) schuldig ist (vgl. näher dazu Rn. 31 f. mwN).

13b) Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung ebenfalls stand (vgl. zum Prüfungsmaßstab Rn. 19 mwN).

14Das Landgericht hat erkannt, dass es sich im vorliegenden Fall um eine „Aussage gegen Aussage“-Konstellation handelt, und hat die besonderen Anforderungen erfüllt, die in solchen Fällen für die Darstellung der Beweiswürdigung gelten. Denn die Urteilsgründe lassen erkennen, dass die Jugendkammer alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, in ihre Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (vgl. Rn. 9; Beschluss vom – 4 StR 197/23 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 428/23 Rn. 13). Sie hat die erforderliche gründliche Inhaltsanalyse, die Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, die Bewertung des Aussagemotivs sowie die Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben vorgenommen. Hierzu ist näher auszuführen nur das Folgende:

15aa) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin bejaht. Dabei hat es erörtert, dass die Nebenklägerin nach ihren Angaben vor dem Tatgeschehen geschlafen habe. Eine Beeinträchtigung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit nach dem geschilderten Erwachen hat das Landgericht mit der nicht zu beanstandenden Erwägung ausgeschlossen, sie sei durch die mit der Penetration verbundenen Schmerzen plötzlich erwacht. Hierzu ist es weder ein Widerspruch noch drängte sich die Erörterung auf (vgl.  Rn. 14), dass die Nebenklägerin auch angegeben hat, im Schlaf mit geöffneten Augen zu reden und in Situationen, in denen ihr Vater sie dann wecke, sie mit diesem rede, ohne hieran am nächsten Tag eine Erinnerung zu haben. Denn die Nebenklägerin hat eine anders gelagerte Konstellation, die nicht durch ein plötzliches schmerzbedingtes Erwachen geprägt ist, mit diesen weiteren Ausführungen beschrieben.

16Soweit der Generalbundesanwalt hieran anknüpfend die Erörterung vermisst, ob es in der Zeit vor dem Erwachen der Nebenklägerin infolge der von ihr empfundenen Schmerzen zu Äußerungen gekommen sein könnte, die der Angeklagte als Zustimmung zum Geschlechtsverkehr interpretieren konnte und an die sich die Nebenklägerin nicht mehr erinnert, ist dem nicht zu folgen. Der Jugendkammer musste sich auch eine solche Erörterung nicht aufdrängen. Dagegen spricht schon die Verschiedenheit der Situationen. Darüber hinaus will sich der Angeklagte zwar vor dem vollzogenen Geschlechtsverkehr wiederholt der Zustimmung der Nebenklägerin versichert haben. Dies soll aber selbst nach seiner – vom Landgericht rechtsfehlerfrei als der Validität ihrer Zeugenaussage nicht entgegenstehend bewerteten – Einlassung zu einem früheren Zeitpunkt geschehen sein. Denn die bei seinem Aufwachen wach gewesene Nebenklägerin soll nach wechselseitigen Liebesbekundungen und Küssen seine Frage und Nachfrage, ob sie für Geschlechtsverkehr bereit sei, bejaht haben.

17bb) Das Landgericht hat zudem die Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, ihrer polizeilichen Anzeige und ihren polizeilichen Vernehmungen jeweils in einer geschlossenen Darstellung wiedergegeben und eine eingehende Konstanzanalyse ihrer Angaben vorgenommen. Dabei ist es rechtsfehlerfrei zu der – überprüfbaren – Überzeugung gelangt, dass die Nebenklägerin das gesamte Tatgeschehen in allen Vernehmungssituationen gleichbleibend geschildert hat, namentlich ihr Einschlafen, das schmerzbedingte Erwachen aufgrund der Penetration, ihre eigene Körperposition (auf der Seite liegend) und ihre Reaktion in Form von ablehnenden Äußerungen und Abwehrhandlungen. Der von der Revision herangezogene Umstand, die Nebenklägerin habe nur in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung und in ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung bekundet, gleich mehrfach „nein“ gesagt zu haben, stellt die Würdigung der Jugendkammer nicht in Frage. Denn die Bewertung des Landgerichts, es liege eine hohe Aussagekonstanz vor, trägt schon mit Blick auf die jeweils von der Nebenklägerin bekundete Verbalablehnung. Darüber hinaus musste es sich mit der genauen Anzahl des „Nein-Sagens“, die hier im Gesamtgeschehen ersichtlich von untergeordneter Bedeutung ist, nicht ausdrücklich befassen.

18c) Ferner weist der Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Auch die begonnene Ausbildung zum Physiotherapeuten hat die Jugendkammer bei der Bemessung der beanstandungsfrei auf die Schwere der Schuld gestützten Jugendstrafe bedacht.

III.

19Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 74 JGG (vgl. zur Belastung des Angeklagten mit den notwendigen Auslagen der Nebenklägerin mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:170725U4STR298.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-99180