Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 2 S 1904/23 Urteilvorgehend Az: 10 K 2041/22 Urteil
Gründe
1Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg, weil die Beschwerde das Vorliegen dieses Zulassungsgrundes nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt hat.
21. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom - 5 B 75.16 - juris Rn. 4 m. w. N.). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 5 B 64.08 - juris Rn. 5, vom - 3 B 1.19 - NVwZ-RR 2020, 979 Rn. 6 und vom - 5 B 1.23 - juris Rn. 2, jeweils m. w. N.). Gemessen an den vorstehenden Anforderungen kommt eine Revisionszulassung wegen Grundsatzbedeutung hier nicht in Betracht.
3Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:
"Welche Anforderungen sind an die Annahme einer ausreichend[en] Aussicht auf Erfolg bzw. begründeten Aussicht auf Erfolg im Falle der Gewährung von Beihilfe aus Gründen der Fürsorgepflicht für eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode bei einem Beamten [zu stellen], bei dem keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, eine solche etwa auf Grund von Gegenindikationen im konkreten Einzelfall nicht angewendet werden kann oder die anerkannten Behandlungsmethoden ohne Erfolg angewendet wurden?"
4Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil die für ihre Beantwortung bedeutsamen Maßstäbe in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind und die Beschwerde einen weitergehenden Klärungsbedarf nicht - was erforderlich wäre - in Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der Vorinstanz aufzeigt.
5Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat seit Langem anerkannt, dass Aufwendungen für eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode ausnahmsweise aufgrund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (vgl. § 78 BBG) zu erstatten sein können. Diese Verpflichtung zur Erstattung kann dann bestehen, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung der diagnostizierten Krankheit noch nicht herausgebildet hat, wenn im Einzelfall, etwa wegen einer Gegenindikation, das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches Verfahren bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Zusätzlich ist verlangt worden, es müsse die Aussicht bestehen, dass eine nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann (vgl. 2 C 15.94 - Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 15 S. 9 = juris Rn. 20 f. m. w. N.). Der zuletzt genannte Maßstab ist in der Folge dahingehend präzisiert worden, dass nach dem Stand der Wissenschaft die begründete Erwartung auf eine wissenschaftliche Anerkennung der Methode bestehen muss. Für eine solche Annahme ist zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann (vgl. 2 C 24.97 - Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 10 S. 5 = juris Rn. 13). Dieser Präzisierung des Maßstabs hat sich der Senat in seinem Urteil vom angeschlossen ( 5 A 1.21 - Buchholz 270.1 § 6 BBhV Nr. 2 Rn. 23). Die Beschwerde, die das Urteil des Senats wörtlich zitiert, zeigt nicht auf, dass bei der Anwendung des vorgenannten Maßstabs über den Einzelfall hinaus eine weitergehende allgemeingültige Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit "der Voraussetzungen, unter denen auf rechtlicher Ebene von einer Geeignetheit und Wirksamkeit" auszugehen sei, in einem Revisionsverfahren möglich und zu erwarten ist.
6Der Verwaltungsgerichtshof (UA S. 33 ff.) geht in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass der Erlass einer Erprobungsrichtlinie im Hinblick auf eine neuartige Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 91 SGB V) gemäß § 137e Abs. 1 SGB V und die damit verbundene Zuerkennung eines Potenzials für eine Behandlungsalternative für sich genommen nicht begründen könne, dass die Aufwendungen für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn als erstattungsfähig anzusehen seien. Das Erprobungsverfahren nach § 137e SGB V stelle seinem systematischen Zusammenhang nach ein Verfahren zur Beseitigung einer unzureichenden Evidenzlage dar. Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof entscheidungstragend davon aus, dass dies zwar wissenschaftlich belegbare Hinweise für den Nutzen einer Methode voraussetze, die aber lediglich die Erwartung rechtfertigen müssten, dass die neuartige Behandlungsmethode im Vergleich zu den bisher wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden zu einer Optimierung der Behandlung führen könne. Die Hinweise müssten nur so aussagekräftig sein, dass auf dieser Grundlage eine Studie geplant werden könne. Der Sinn und Zweck des § 137e SGB V, den Fortschritt der medizinischen Entwicklung mit Blick auf den Patientenschutz voranzutreiben, unterscheide sich damit grundlegend von der Konzeption im Beihilferecht, die Beihilfefähigkeit nicht wissenschaftlich anerkannter Behandlungsmethoden mit Blick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in besonderen Einzelfällen ausnahmsweise anzuerkennen (UA S. 35). In Bezug darauf setze die Beurteilung der Wirksamkeit und Eignung einer neuartigen Behandlungsmethode (bereits) eine valide Erkenntnislage zu (möglichen schädlichen) Folgewirkungen voraus, auch und gerade um den Nutzen im Vergleich mit den bisherigen wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden einschätzen zu können (UA S. 31 f.). Hinsichtlich der Voraussetzungen und des Maßstabs zur Feststellung des Potenzials einer neuartigen Behandlungsmethode einerseits und der Voraussetzungen und des Maßstabs für die ausnahmsweise Zuerkennung eines Beihilfeanspruchs unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn andererseits bestünden durchgreifende strukturelle Unterschiede, die einem Automatismus bzw. Gleichlauf zwischen dem auf den Gedanken der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gestützten Beihilfeanspruch und etwa dem Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs bei neuartigen Behandlungsmethoden nach § 137c Abs. 3 SGB V entgegenstünden. Zwar könne in bestimmten Konstellationen auch gleichzeitig ein Beihilfeanspruch gegeben sein, wenn für eine neue Behandlungsmethode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative im Sinne des § 137c Abs. 1 Satz 2 SGB V (§ 137e SGB V) zu bejahen sei. Dies setze jedoch - unabhängig von der Frage, ob die neue Behandlungsmethode möglicherweise zu einer Optimierung der Behandlung führen könne - eine "Mindestevidenzlage" voraus, bei der - anders als im hier zu beurteilenden Fall - nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse für die Eignung und Wirksamkeit der Behandlungsmethode bereits vorhanden sein müssten. Müsse hingegen - wie nach den hier nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher in einem Revisionsverfahren für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs im Fall der Liposuktion - sowohl die langfristige Sicherheit der Behandlungsmethode als auch die Ergebnisvalidität an sich noch im Rahmen einer Erprobungsstudie untersucht bzw. eruiert werden, scheide ein Anspruch im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus, weil es an einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage fehle, um die Erfolgsaussichten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts feststellen zu können (UA S. 36).
7Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie hält dem im Wesentlichen lediglich und in der Sache unzutreffend entgegen, der Verwaltungsgerichtshof habe für einen auf die Fürsorgepflicht gestützten Anspruch auf die Erstattung von Aufwendungen für eine nicht wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode im Fall einer im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung vom Gemeinsamen Bundesausschusses veranlassten Studie zur Bewertung des Nutzens einer Behandlungsmethode nach § 137e SGB V verlangt, dass diese Studie in jedem Fall bereits abgeschlossen sein müsse, was den Anspruch faktisch leerlaufen lasse. Insbesondere geht die Beschwerde nicht auf die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs zur Auslegung des § 137e SGB V im Vergleich zu der auf dem beamtenrechtlichen Fürsorgegrundsatz beruhenden ausnahmsweisen Beihilfefähigkeit wissenschaftlich nicht anerkannter Behandlungsmethoden und der diesbezüglich von ihm verlangten validen Erkenntnislage zu (möglichen schädlichen) Folgewirkungen ein. Insofern legt die Beschwerde nicht ansatzweise dar, dass und warum diese auf den Beurteilungsmaßstab bezogenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs mit den bisherigen Grundsätzen, die in der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellt worden sind, unvereinbar sein sollen. Der Hinweis, dass die beiden Vorinstanzen "unter Anwendung der gleichen höchstrichterlichen Rechtsprechung" zu "diametralen Ergebnissen" gekommen seien, genügt insoweit nicht.
82. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
93. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:150725B5B52.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-98838