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BGH Beschluss v. - VI ZR 357/24

Leitsatz

1.    Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist verletzt, wenn offenkundig unrichtig überhöhte Anforderungen an die Substantiierungspflicht zum Vorliegen einer die Streupflicht auslösenden allgemeinen Glätte gestellt werden.

2.    Ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen ist dann nicht neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird.

3.    Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der die Räum- und Streupflicht Verletzende und für die Sicherheit eines Verkehrswegs Verantwortliche durch die Pflichtverletzung die maßgebliche Ursache für einen Unfall setzt, der sich infolge der nicht beseitigten Gefahrenlage ereignet. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 254 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1 BGB, § 531 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 11 U 76/23vorgehend LG Gießen Az: 3 O 191/22

Gründe

I.

1Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Verletzung der Streupflicht geltend.

21. Der Beklagte ist Eigentümer eines Grundstücks in H. Am lag die Außentemperatur in H. um 0° C. Die Klägerin, die damals 80 Jahre alt war, hat behauptet, sie sei an diesem Tag gegen 15:15 Uhr auf dem vereisten und deshalb durchweg spiegelglatten Bürgersteig vor dem Grundstück des Beklagten gestürzt. An der Sturzstelle habe sich eine derart dicke, nicht durch Schnee bedeckte Eisschicht gebildet, dass nach Einschätzung ihres Begleiters, des Zeugen S., seit Tagen nicht mehr gestreut worden sei. Die Eisglätte habe sie vor dem Sturz zwar noch bemerkt und unverzüglich die Straßenseite wechseln wollen. In diesem Moment sei sie jedoch schon gestürzt, was zu diversen Verletzungen und Beschwerden geführt habe. Der Zeuge S. sei ebenfalls hingefallen, habe sich jedoch nicht nennenswert verletzt. Der Beklagte hat behauptet, er habe am Morgen des die komplette Gehwegfläche vor seinem Anwesen geräumt und gestreut.

32. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Voraussetzungen ihres Schadensersatzanspruchs nicht schlüssig dargetan. Eine Verletzung der Pflicht zur Bekämpfung der Eisglätte habe die Klägerin schon deshalb nicht dargelegt, weil eine solche nicht schon allein aus einer Temperatur von 0° C folge. Die Klägerin habe nichts dazu vorgetragen, warum von einer allgemeinen Eisglätte auszugehen gewesen sei und warum dem Beklagten insoweit ein Verschulden zur Last fallen solle. Insbesondere habe es an jedwedem Vorbringen zur allgemeinen Wetterlage gefehlt. Das Vorbringen der Klägerin erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht, die Temperaturen hätten "hessenweit unter dem Gefrierpunkt" gelegen, es habe seit Tagen Glatteisbildung geherrscht, was sogar zu Ausfällen des Präsenzunterrichts in Schulen, zum Stillstand des öffentlichen Verkehrs und zu chaotischen Zuständen des Straßenverkehrs geführt habe, habe das Landgericht zu Recht nicht berücksichtigt, § 296a ZPO. Das Vorbringen sei bereits bei Klageerhebung veranlasst gewesen und hätte spätestens im Termin gehalten werden müssen. Auch die Wiederholung dieses Vorbringens in der Berufung führe nicht zur Schlüssigkeit der Klage, weil es gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen sei. Es widerspreche, ebenso wie das weitere Vorbringen zu den Wetterverhältnissen in der Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss, auch dem bisherigen Vortrag der Klägerin, wonach die Temperatur bei 0° C gelegen habe und von Unwetter keine Rede gewesen sei.

4Unabhängig davon liege ein Mitverschulden der Klägerin vor, das eine Haftung des Beklagten völlig ausschließe. Wer sich sehenden Auges den Gefahren eines nicht oder schlecht gestreuten Weges aussetze, obwohl ihm ein weniger gefährlicher Weg ohne weiteres zur Verfügung stehe, sei für die Folgen eines Sturzes allein verantwortlich. Nach dem Klagevorbringen und der Aussage des Zeugen S. sei der Weg auf der anderen Straßenseite gegen Glätte hinreichend geschützt gewesen. Die Klägerin habe bei der gebotenen Achtsamkeit in eigenen Angelegenheiten bereits vor Betreten der Eisfläche damit rechnen müssen, dass diese sehr glatt gewesen sei. Denn sie habe aufgrund der ortsrechtlichen Regelung davon ausgehen müssen, dass als Streugut kein Salz, sondern nur sichtbar bleibende, abstumpfende Materialien (wie Splitt, Sand, Asche) eingesetzt würden. Damit sei ohne weiteres wahrnehmbar gewesen, dass, wie behauptet, seit mehreren Tagen nicht gestreut worden sei. Das Eis sei, da nicht von Schnee bedeckt, sichtbar gewesen. Der Vortrag der Klägerin, die Gefahrstelle sei im Vorhinein nicht erkennbar gewesen und es habe keine Möglichkeit gegeben, die Stürze zu verhindern, sei nicht durch näheren Tatsachenvortrag untermauert. Die Sichtbarkeit werde auch durch die Angaben des Zeugen S., die andere Straßenseite habe besser ausgesehen, belegt. Sollte die Vereisung einen Umfang gehabt haben, nach dem aufgrund des Ortsrechts der Einsatz von Streusalz zulässig und geboten gewesen wäre, wäre die Gefahrstelle erst recht sichtbar gewesen.

5Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

6Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

71. Die Begründung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe schon eine Verletzung der Pflicht zur Bekämpfung der Eisglätte nicht dargetan, verletzt unter verschiedenen Gesichtspunkten den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

8a) Die winterliche Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen setzt eine konkrete Gefahrenlage voraus, d.h. grundsätzlich das Vorhandensein einer "allgemeinen Glätte" und nicht nur einzelner Glättestellen (vgl. Senatsurteil vom  - VI ZR 254/16, VersR 2017, 563 Rn. 7 mwN). Allgemeine Glätte setzt nicht voraus, dass es im ganzen Gemeindegebiet glatt ist (, VersR 2016, 63 Rn. 25). Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung muss der Verletzte alle Umstände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss deshalb den Sachverhalt dartun und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist (Senatsurteil vom - VI ZR 138/11, VersR 2012, 1050 Rn. 9). Von diesen Grundsätzen ist offenbar auch das Berufungsgericht ausgegangen.

9b) Allerdings hat das Berufungsgericht schon mit seiner Beurteilung, die Klägerin habe bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Voraussetzungen ihres Schadensersatzanspruchs nicht schlüssig dargetan, deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

10aa) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 185/24, juris Rn. 9;vom - VI ZR 1104/20, VersR 2021, 1261 Rn. 7 mwN).

11Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 526/20, WM 2024, 761Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 185/24, MDR 2025, 468 Rn. 10; vom - VI ZR 328/18, VersR 2020, 317 Rn. 10; jeweils mwN).

12bb) Die Klägerin hat schon vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Folgendes vorgetragen: "Soweit der Beklagte vorträgt, dass eine Räum- und Streupflicht bei allgemeiner Glättebildung ausgelöst wird, ist darauf hinzuweisen, dass am streitgegenständlichen Unfalltag am mit einer Temperatur um 0° C Glättebildung vorlag." Zum Beweis hierfür hat sie die Einholung eines meteorologischen Sachverständigengutachtens angeboten. Damit hat sie sich nicht darauf beschränkt, zu den Außentemperaturen vorzutragen, sondern bei verständiger Würdigung ihres Vortrags darüber hinaus eine Glättebildung behauptet, bei der es sich - wie sich aus der Bezugnahme auf den Einwand des Beklagten (Streupflicht nur bei allgemeiner Glättebildung) und aus dem Antrag auf Einholung eines meteorologischen Gutachtens ergibt - um eine allgemeine Glätte gehandelt haben soll. Tatbestandlich festgestellt ist zudem ihre Behauptung, der Bürgersteig vor dem Grundstück des Beklagten sei vereist und durchweg spiegelglatt gewesen. Ferner hat die Klägerin behauptet, der Bürgersteig vor den benachbarten Grundstücken sei gestreut gewesen. Näherer Vortrag der Klägerin dazu, welche Parameter neben den Temperaturen um den Gefrierpunkt zu der behaupteten allgemeinen Glätte führten, war für die Schlüssigkeit der Klage nicht erforderlich.

13c) Darüber hinaus war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die nach der mündlichen Verhandlung des Landgerichts im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom aufgestellte, erneut durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellte und in der Berufungsbegründung wiederholte Behauptung der Klägerin zu berücksichtigen, die Temperaturen hätten am "hessenweit unter dem Gefrierpunkt" gelegen, es habe bereits seit Tagen Glatteisbildung geherrscht, was sogar zu Ausfällen des Präsenzunterrichts in Schulen, zum Stillstand des öffentlichen Verkehrs und zu chaotischen Zuständen des Straßenverkehrs geführt habe. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es handle sich dabei um vom Berufungsgericht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigungsfähiges Vorbringen, stellt eine offenkundig fehlerhafte Anwendung einer Präklusionsvorschrift dar und verletzt die Klägerin daher ebenfalls in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Senatsbeschluss vom  - VI ZR 35/23, MDR 2025, 187 Rn. 9 mwN). Die Voraussetzungen für die Zurückweisung des dargestellten Sachvortrags der Klägerin nach § 531 Abs. 2 ZPO lagen offenkundig nicht vor.

14aa) Ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen ist dann nicht neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (Senatsurteil vom  - VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333, juris Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom  - VII ZR 53/13, NJW-RR 2015, 1109 Rn. 11; vom - VII ZR 279/05, NJW 2007,1531 Rn. 7). Vorliegend hat die Klägerin ihr schlüssiges (s.o. bb) Vorbringen aus erster Instanz zur allgemeinen Glättebildung am Unfalltag im Bereich des Unfallorts in H. lediglich um Vorbringen zur hessenweiten Wetterlage am Unfalltag ergänzt. Dieses Vorbringen stand entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht im Widerspruch zum erstinstanzlichen Vorbringen, zumal sich aus den der Berufungsbegründung beigefügten Anlagen eine Differenzierung nach Gebieten in Hessen ergab. In der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss hat die Klägerin die Temperatur- und Niederschlagskurve der "benachbarten Wetterstation G[...]" nachgetragen und ihren Antrag auf Einholung eines meteorologischen Gutachtens wiederholt.

15bb) Selbst wenn, wie das Berufungsgericht meint, der Vortrag der Klägerin zur Pflichtverletzung des Beklagten bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht schlüssig gewesen wäre, es sich also bei dem Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz zur Wetterlage um neues Vorbringen im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO gehandelt hätte, wäre dieses gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO deswegen zuzulassen gewesen, weil es dann infolge eines Verfahrensmangels nicht vor dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht geltend gemacht worden wäre. Denn es hätte dann spätestens in der mündlichen Verhandlung eines Hinweises des Landgerichts bedurft, dass die Klage mangels Vortrags zum Vorliegen einer allgemeinen Glätte nicht schlüssig sei, und der Klägerin hätte zur Ergänzung ihres Vortrags auf Antrag eine Schriftsatzfrist eingeräumt werden müssen (§ 139 Abs. 5 ZPO).

162. Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung steht der Gehörsrüge der Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat im Hinweisbeschluss den erstinstanzlichen Vortrag, den die Klägerin schon vor der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gehalten hat, gesehen, diesen aber nicht für ausreichend und den weiteren Vortrag der Klägerin nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht für nicht berücksichtigungsfähig erachtet. In ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss hat die Klägerin die Ansicht vertreten, das Vorbringen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht dürfe vom Berufungsgericht nicht zurückgewiesen werden. Unabhängig davon, ob die von ihr hierfür angeführte rechtliche Begründung im Einzelnen überzeugt, hat sie damit jedenfalls deutlich zu verstehen gegeben, ihr Vortrag zur allgemeinen Glättebildung sei ausreichend und in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen.

173. Die dargestellte Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat eine schuldhafte Verletzung der Streupflicht seitens des Beklagten bereits an der Darlegung des Vorliegens einer allgemeinen Glätte seitens der Klägerin scheitern lassen und weitere Feststellungen zur Frage der schuldhaften Pflichtverletzung nicht getroffen.

18Die Entscheidung wird auch nicht von der weiteren Begründung getragen, die Klage könne jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben, weil ein Mitverschulden vorliege, das eine Haftung des Beklagten völlig ausschließe. Denn diese Begründung beruht auf einer grundlegenden Verkennung der höchstrichterlich entwickelten Grundsätze zum haftungsausschließenden Mitverschulden.

19a) Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der die Räum- und Streupflicht Verletzende und für die Sicherheit eines Verkehrswegs Verantwortliche durch die Pflichtverletzung die maßgebliche Ursache für einen Unfall setzt, der sich infolge der nicht beseitigten Gefahrenlage ereignet. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (, VersR 2013, 1322 Rn. 27). So ist der Senat etwa in dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil vom (VI ZR 169/83 - NJW 1985, 482, 483, juris Rn. 15) davon ausgegangen, dass ein Geschädigter, der "bewusst und ohne Not" einen spiegelglatten Parkplatz betritt, nur um sein Auto zu holen, in hohem Maße die Sorgfalt verletzt, die ein vernünftig Handelnder zum Schutze der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens anzuwenden hat. Selbst in diesem Fall hat der Senat allerdings ein Mitverschulden, das eine Haftung des Streupflichtigen völlig beseitigt, verneint, weil auch dieser in hohem Maße sorglos gewesen sei (aaO juris Rn. 16).

20Mindest-, aber nicht alleinige Voraussetzung für die Annahme einer schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit des Geschädigten bei "Glätteunfällen" wegen Verletzung der Streupflicht ist demnach, dass sich dieser einer von ihm erkannten erheblichen Gefahr bewusst ausgesetzt hat (vgl. auch , VersR 2013, 1322 Rn. 23-25). Für ein die Haftung minderndes oder gar ausschließendes Mitverschulden des Geschädigten ist dabei nach allgemeinen Beweislastregeln und ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig der Schädiger darlegungs- und beweispflichtig (Senatsurteil vom  - VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn. 22; , NJW 1994, 3102, 3105, juris Rn. 39; vom - III ZR 18/83, BGHZ 91, 243, 260, juris Rn. 63).

21b) Dies hat das Berufungsgericht grundlegend verkannt. Es hat zwar zunächst als Voraussetzung für die Annahme einer Alleinverantwortung des Geschädigten für einen glättebedingten Sturz im Ansatz zutreffend ausgeführt, dass der Geschädigte sich jedenfalls "sehenden Auges" den Gefahren eines nicht oder schlecht gestreuten Weges ausgesetzt haben muss. Wie die folgende Begründung im Rahmen der Subsumtion zeigt, hat es seiner Entscheidung dann aber einen anderen, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichenden Obersatz zugrunde gelegt. Denn es hat ausgeführt, die Klägerin habe "bei der gebotenen Achtsamkeit in eigenen Angelegenheiten" bereits vor Betreten der Eisfläche "damit rechnen müssen", dass diese sehr glatt gewesen sei. Damit ist es rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die bloße Erkennbarkeit der Eisglätte genüge, den Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers gegenüber dem Verursachungsbeitrag des Geschädigten vollständig zurücktreten zu lassen. Dieser Fehler ist entscheidungserheblich, weil die Klägerin nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts vorgetragen hat, dass sie in dem Moment, als sie bemerkt habe, dass die Fläche glatt gewesen sei und deshalb unverzüglich die Straßenseite habe wechseln wollen, schon ausgerutscht sei. Ihrem Vortrag zufolge hat sie die Glätte also nicht schon vor dem Betreten der Eisfläche erkannt, sondern erst, als sie sich auf dieser befand.

22Darüber hinaus hat das Berufungsgericht der Klägerin für ihr Vorbringen, die Gefahrstelle sei für sie im Vorhinein nicht erkennbar gewesen und es habe keine Möglichkeit gegeben, den Sturz zu verhindern, näheren Tatsachenvortrag abverlangt. Damit hat es die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers für das Mitverschulden verkannt. Schließlich hat es mit seinen Ausführungen dazu, welche Schlüsse die Klägerin aus der örtlichen Satzung zum zu verwendenden Streugut hätte ziehen müssen, die Anforderungen an die dem Geschädigten in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt überspannt.

Seiters                         von Pentz                         Oehler

               Müller                              Linder

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010725BVIZR357.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-98676