Instanzenzug: Az: 2020 Js 38069/24 - 12 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Cannabis an Minderjährige in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Daneben hat es die mit Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen vom rechtskräftig verhängte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 € sowie die dort angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.219 € aufrechterhalten. Ferner hat es gegen den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Abgabe von Cannabis an Minderjährige in drei Fällen sowie wegen räuberischer Erpressung eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Schließlich hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 307 € angeordnet.
2Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
31. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen erweist sich als rechtsfehlerhaft.
4a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beging der Angeklagte die Taten II.1.1. bis II.1.8. der Urteilsgründe im Zeitraum von Juli 2023 bis August 2023, die Taten II.1.9. bis II.1.11. sowie II.2. der Urteilsgründe im Zeitraum von April 2024 bis Juni 2024. Zwischenzeitlich wurde er durch Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen vom , rechtskräftig seit dem , wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Zum Vollstreckungsstand hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.
5Auf dieser Grundlage hat das Landgericht dem Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen eine Zäsurwirkung beigemessen und eine Gesamtstrafenfähigkeit mit den für die Fälle II.1.1. bis II.1.8. festgesetzten Einzelstrafen bejaht, § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB. Von einer Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl hat es indes abgesehen; stattdessen hat es sie gesondert bestehen lassen (§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB) und betreffend die Fälle II.1.1. bis II.1.8. einerseits sowie betreffend die weiteren Fälle II.1.9. bis II.1.11. und II.2. andererseits auf Grundlage der jeweils festgesetzten Einzelstrafen zwei Gesamtfreiheitsstrafen gebildet.
6Dies hält materiellrechtlicher Prüfung nicht stand. Aufgrund der unterbliebenen Feststellungen zum Vollstreckungsstand der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen vom verhängten Geldstrafe ist nicht überprüfbar, ob diesem eine Zäsurwirkung zukommt, mit der Folge, dass die Bildung zweier Gesamtstrafen erforderlich ist.
7b) Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte durch die landgerichtliche Entscheidung beschwert ist. Falls die Geldstrafe zum Zeitpunkt des Urteils bereits vollständig vollstreckt war, mithin die Zäsurwirkung des Strafbefehls entfiele, wäre aus den für die Fälle II.1.1. bis II.1.11. sowie II.2. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafen nur eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden gewesen. Möglicherweise hätte das Landgericht hierbei auf eine verglichen mit der Summe der beiden im ersten Rechtsgang festgesetzten Gesamtstrafen niedrigere Gesamtstrafe erkannt.
8c) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt der dem Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen zugrundeliegenden Tat sind darüber hinaus widersprüchlich und deshalb aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 5/25, juris Rn. 7; vom – 3 StR 429/23, NStZ-RR 2024, 273, 274). Diesen hat das Landgericht teilweise auf Oktober 2022 bzw. den , teilweise auf den datiert.
9Für eine mögliche Gesamtstrafenfähigkeit bzw. Zäsurwirkung ergeben sich hieraus keine Unterschiede, da in jedem Fall die Taten in den Fällen II.1.1. bis II.1.8. der Urteilsgründe vor dem Strafbefehl vom begangen wurden und daher – soweit noch nicht vollstreckt – mit der Tat aus dieser Verurteilung gesamtstrafenfähig sind.
102. Die Aussprüche über die Aufrechterhaltung der mit Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen vom verhängten Geldstrafe und der dort angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.219 € können aufgrund der aufgezeigten Unklarheit ebenfalls keinen Bestand haben.
113. Das Landgericht hat zudem rechtsfehlerhaft eine Entscheidung über die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 67 Abs. 2 StGB) mit der Begründung unterlassen, diese sei entbehrlich, da der Sachverständige von einer voraussichtlichen Dauer der Suchtbehandlung von etwa 24 Monaten ausgehe und der Angeklagte zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei, woraus sich „kein Vorwegvollzug ergibt“. Auch wenn infolge der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtfreiheitsstrafen gebildet werden müssen, ist die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, so dass die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen nicht getrennt, sondern einheitlich gilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 162/14, NStZ-RR 2014, 368, 369; vom – 3 StR 499/09, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Satz 3 Berechnung 1 Rn. 5). Infolge der Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafen kann der Senat die Dauer des Vorwegvollzugs nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst berechnen.
12Die insoweit zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bislang getroffenen nicht widersprechen.
134. Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen ist revisionsrechtlich überwiegend nicht zu beanstanden; betreffend Fall II.1.4. der Urteilsgründe hält sie revisionsrechtlicher Überprüfung jedoch nicht stand, da die der Einziehungsanordnung in Höhe von 40 € zugrundeliegenden Feststellungen nicht von der Beweiswürdigung getragen werden.
14Nach den vom Landgericht in diesem Fall getroffenen Feststellungen verkaufte und übergab der Angeklagte am einem minderjährigen Zeugen 3,5 Gramm Marihuana zum Preis von 40 €. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Strafkammer dargelegt, der Angeklagte habe das Marihuana jeweils gewinnbringend, in der Regel für 10 € je Gramm, an seine Kunden weiterverkauft. Zudem hat sie ausgeführt, dem auf dem Mobiltelefon des Zeugen festgestellten Chatverlauf mit dem Angeklagten entnehme sie betreffend Fall II.1.4., der Angeklagte habe auf Anfrage des Zeugen angegeben, er verkaufe ihm „was billiger“. Der Zeuge habe ihm sodann geschrieben, er solle „mal 4 für 3“ machen, woraufhin der Angeklagte entgegnet habe „Nein dan mach ich miese ich mach dir 3.5“, was der Zeuge bestätigt habe. Dies könnte auch so zu verstehen sein, dass der Angeklagte dem Zeugen 3,5 Gramm Cannabis zum Preis von insgesamt 30 € und nicht, wie von der Strafkammer festgestellt, 40 € verkauft hat.
15Soweit das Landgericht bei seiner Berechnung unberücksichtigt gelassen hat, dass der Angeklagte in den Fällen II.1.5., II.1.6. und II.1.8. der Urteilsgründe ebenfalls Taterträge erlangte (in Fall II.1.11. erhielt er dagegen nur Falschgeld), ist er hierdurch nicht beschwert. Einer Verrechnung mit dem gegebenenfalls zu viel eingezogenen Tatertrag in Fall II.1.4. der Urteilsgründe steht das tatbezogene Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen (, juris Rn. 5).
16Die insoweit zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 5/25, juris Rn. 7; vom – 3 StR 429/23, NStZ-RR 2024, 273, 274).
175. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
186. Bei der dem neuen Tatgericht obliegenden Gesamtstrafenbildung wird auf den Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils, mithin den , abzustellen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 177/24, juris Rn. 6; vom – 3 StR 122/22, juris Rn. 19).
197. Zum Verschlechterungsverbot, § 358 Abs. 2 StPO, ist Folgendes zu bemerken:
20a) Sollte das neue Tatgericht zu der Feststellung gelangen, dass die Geldstrafe bereits vollstreckt ist, der Verurteilung aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen folglich keine Zäsurwirkung zukommt, so dass für die Fälle II.1.1. bis II.1.11. sowie II.2. der Urteilsgründe nur auf eine Gesamtstrafe zu erkennen ist, darf diese nicht höher sein als die Summe der beiden im ersten Rechtsgang verhängten Gesamtfreiheitsstrafen (vgl. , BGHSt 15, 164, 165 f.; MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl., § 331 Rn. 40; BeckOK StPO/Wiedner, 56. Ed., § 358 Rn. 23).
21b) Für den Fall, dass der Verurteilung aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen Zäsurwirkung zukommt, mithin für die darin festgesetzte Geldstrafe und die für die Fälle II.1.1. bis II.1.8. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafen einerseits und für die in den Fällen II.1.9. bis II.1.11. sowie II.2. der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafen andererseits jeweils eine Gesamtstrafe zu bilden ist, gilt:
22aa) Hält das neue Tatgericht bei ersterer auch unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Altenkirchen eine solche für tat- und schuldangemessen, die zwei Jahre nicht übersteigt, wird es sich – anders als bisher – zur Frage der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung zu verhalten haben. Denn diese ist nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe angesichts ihrer Höhe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. , juris Rn. 2).
23bb) Andernfalls wird es auch die Frage, ob der Angeklagte in der Lage ist, die Geldstrafe zu zahlen, oder diese im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden wird, in den Blick zu nehmen haben.
24Zwar verstößt – wenn wie hier nur der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt hat – die Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe grundsätzlich gegen das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 StPO, wenn das Tatgericht im ersten Rechtsgang diese gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB neben der Gesamtfreiheitsstrafe bestehen lassen hat und die Einbeziehung durch das neue Tatgericht zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führen würde. Denn die (Gesamt-)Freiheitsstrafe ist im Verhältnis zur Geldstrafe als das schwerere Übel anzusehen, weil der Angeklagte durch die zu einer Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe führende Einbeziehung einer Geldstrafe regelmäßig gegenüber dem Rechtszustand im Zeitpunkt des ersten Urteils eine Verschlechterung erleidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 358/16, juris Rn. 10; vom – 4 StR 516/87, BGHSt 35, 208, 212; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 331 Rn. 4; MüKoStPO/Quentin, 2. Aufl., § 331 Rn. 42).
25Allerdings bedarf die Frage, wann eine Verschlechterung in diesem Sinne vorliegt, einer ganzheitlichen Betrachtung, die Ausnahmen von diesem Grundsatz zulässt (vgl. , StV 2018, 350, 353; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 331 Rn. 4). Vorliegend kommen besondere Umstände in Betracht, unter denen sich eine Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe infolge der Einbeziehung der Geldstrafe als für den Angeklagten günstiger darstellen könnte. Mit Blick auf die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten erscheint eine Vollstreckung der Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe möglich. Dies würde bei Aufrechterhaltung der Geldstrafe neben der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer erhöhten Gesamtverbüßungsdauer führen. In diesem Fall könnte die Verhängung einer erhöhten Gesamtfreiheitsstrafe den Angeklagten ausnahmenweise besserstellen (vgl. , juris Rn. 11; – 5 Ws 90/03, NJW 2003, 2468, 2470).
26cc) Die in diesem Fall für die Fälle II.1.9. bis II.1.11. sowie II.2. der Urteilsgründe zu verhängende Gesamtstrafe dürfte dabei nicht höher sein, als die im ersten Rechtsgang festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe.
Schäfer Hohoff Anstötz
Kreicker Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:080725B3STR207.25.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-98639