Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 51 KLs 20/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Seine auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen legte sich der Angeklagte an drei nicht näher feststellbaren Tagen zwischen April 2007 und Ende September 2008 sowie an einem weiteren Tag im Oktober 2008 mit der seinerzeit zwischen sieben und neun Jahre alten Nebenklägerin ins Bett, zog sich seine Boxershorts herunter und führte mit ihrer Hand Bewegungen an seinem Penis aus, bevor er ihren Kopf so herunterdrückte, dass das Kind sein erigiertes Glied in den Mund nahm und ihr durch Hoch- und Runterdrücken ihres Kopfes den Oralverkehr an ihm ausführte. An einem weiteren nicht näher feststellbaren Tag zwischen April 2007 und Ende September 2008 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin auf, vor ihm zu knien, und führte sein erigiertes Glied in ihren After ein, was sie ohne zu schreien aushielt, obwohl es für sie „schmerzhaft des Grauens“ war.
3Der Angeklagte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung maßgeblich auf die für glaubhaft erachteten Angaben der Geschädigten gestützt.
II.
4Das Rechtsmittel ist unbegründet. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
51. Soweit die Revision mit einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge geltend macht, die Strafkammer habe bei der Zurückweisung von drei nacheinander gestellten Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO) gegen Verfahrensrecht verstoßen, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf.
6a) Der Verteidiger des Angeklagten hat am fünften Hauptverhandlungstag die Einholung eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass es einem Kind im Alter von sieben bis neun Jahren unmöglich sei, Schmerzen zu unterdrücken, die durch einen Erwachsenen im Rahmen eines erzwungenen vollendeten Analverkehrs bei ihm verursacht werden. Mit einem weiteren Beweisantrag wurde die Einvernahme mehrerer benannter Ärzte und Therapeuten zum Beweis der Tatsache beantragt, dass bereits bei den ersten Klinikaufenthalten der Geschädigten „bezüglich des Themas sexueller Missbrauch Aufdeckungsarbeit erfolgt“ sei, die Einfluss auf die Aussageentstehung gehabt habe. Schließlich wurde der Antrag gestellt, einen namentlich benannten Mitarbeiter des Jugendamtes zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass die Mutter der Geschädigten darüber berichtet habe, dass ihr seitens der Geschädigten von sexuellen Handlungen ihres leiblichen Vaters und seiner neuen Lebensgefährtin berichtet worden sei. Dabei habe der Verdacht einer Einbeziehung der Geschädigten in diese Handlungen bestanden.
7Die Strafkammer hat diese Beweisanträge in zwei Beschlüssen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO) zurückgewiesen. Die Revision beanstandet dies als rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer das jeweilige Beweisvorbringen „lediglich isoliert“ erledigt habe und spätestens in Bezug auf den dritten Beweisantrag eine Gesamtbetrachtung erforderlich gewesen sei. Auch würden die in den Beschlüssen mitgeteilten Gründe den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit nicht tragen.
8b) Der Rüge bleibt der Erfolg versagt.
9aa) Einen konkreten Rechtsfehler, der der Strafkammer bei der Zurückweisung der drei Beweisanträge jeweils für sich genommen unterlaufen sein soll, benennt die Revision lediglich für den ersten Beweisantrag. So habe die Strafkammer bei der Antragsablehnung als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos verkannt, dass im Fall des Zutreffens der Beweisbehauptung seitens der Geschädigten „ein objektiv unmögliches Verhalten“ behauptet worden sei, weil diese angegeben habe, den Schmerz unterdrückt und nicht geschrien zu haben.
10Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat das Beweisbegehren – insoweit unbeanstandet – als einen auf die Ermittlung eines rechtsmedizinischen Erfahrungssatzes abzielenden Beweisantrag ausgelegt (vgl. Rn. 6), wonach ein Kind im Alter von sieben bis neun Jahren die durch einen vollendeten Analverkehr verursachten Schmerzen nach außen hin bemerkbar macht, sei es durch Mimik, Gestik oder Lautäußerung. Sodann hat sie umfangreich ausgeführt, dass ein insoweit bestätigter Erfahrungssatz ihre Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin nicht beeinflussen würde. Dabei hat sie auch die Einlassung der Geschädigten zu der Unterdrückung von Lautäußerungen berücksichtigt. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn der in die Würdigung unverkürzt eingestellte Erfahrungssatz steht der Möglichkeit einer Unterdrückung von Lautäußerungen nicht entgegen. Stattdessen beruht der Einwand der Revision insoweit auf einer Verengung des dritten Beweisantrags der Beweisbehauptung.
11bb) Die Rüge, die Strafkammer habe spätestens bei der Zurückweisung des dritten Beweisantrags die Häufung der gegen die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin vorgebrachten Einwände im Rahmen einer Gesamtwürdigung erörtern müssen, greift ebenfalls nicht durch.
12(1) Bei einer auf § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO gestützten Ablehnung einer Mehrzahl von Beweisanträgen, die das gemeinsame Ziel verfolgen, die Überzeugung des Tatgerichts in Frage zu stellen, kann es im Einzelfall erforderlich werden, eine über die isolierte Bewertung der einzelnen Beweistatsachen hinausgehende Gesamtwürdigung vorzunehmen (vgl. , juris Rn. 20; vom – 4 StR 293/14 Rn. 21; Beschluss vom – 1 StR 13/90, juris Rn. 4). Verfolgen mehrere Beweisanträge – wie hier – das gemeinsame Ziel, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen in Frage zu stellen, ist dies etwa der Fall, wenn nach den konkreten Umständen nicht nur den einzeln unter Beweis gestellten möglichen unwahren Angaben des Zeugen, sondern auch deren Vielzahl eine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 484/18 Rn. 10; vom – 4 StR 598/17 Rn. 4; vom – 3 StR 44/11; vom – 2 StR 57/06 Rn. 14).
13(2) Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Der erste Beweisantrag betraf einen Erfahrungssatz, der – wie oben ausgeführt – nicht die Falsifikation von einzelnen Angaben der Geschädigten zur Folge hätte. Das zweite, von der Strafkammer zu Unrecht als Beweisantrag behandelte Begehren (Aufdeckungsarbeit) enthält schon keine konkrete Beweisbehauptung, die die Angaben der Nebenklägerin in Frage stellt. Der dritte Beweisantrag zielte lediglich auf den Nachweis ab, dass bei Gesprächen mit dem Jugendamt der Verdacht bestanden habe, dass die Geschädigte auch anderweitig in sexuelle Handlungen Erwachsener einbezogen gewesen sei, und war damit allenfalls geeignet, ein Beweisanzeichen für eine möglicherweise anzustellende Projektionshypothese zu liefern.
142. Im Übrigen hat die weitere formell- und sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010725B4STR572.24.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-98634