Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 3 U 26/21vorgehend LG Frankfurt Az: 2-23 O 177/20
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Leistungsansprüche des Klägers aus einer Erwachsenen-Existenzschutzversicherung.
2Der Kläger unterhält diese Versicherung bei der Beklagten seit dem . Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Existenzschutzversicherung (im Folgenden: AB ESV 2011) der Beklagten zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
3Die Voraussetzungen der Einstufung in die Pflegestufen I bis III waren bis zum in § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der damals geltenden Fassung (im Weiteren: SGB XI a.F.) geregelt. Mit dem Inkrafttreten der Pflegereform zum durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) vom (BGBl. I S. 2424) traten an die Stelle der Pflegestufen I bis III und der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz die gemäß § 15 SGB XI zu ermittelnden Pflegegrade 1 bis 5. Die Beklagte passte ihre Versicherungsbedingungen im Tarif des Klägers nicht an.
4Mit Bescheid der zuständigen Landespolizeidirektion vom22. November 2017 wurde der Kläger mit Ablauf des wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. In einem Gutachten vom , das zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Klägers angefertigt wurde, stufte der Gutachter ihn aufgrund der festgestellten Erkrankungen ab November 2017 in den Pflegegrad 2 ein. Am23. Februar 2018 beantragte der Kläger Leistungen aus der Existenzschutzversicherung. Die Beklagte berief sich auf Leistungsfreiheit wegen behaupteter vorvertraglicher Obliegenheitsverletzung und meinte ferner, ein Versicherungsfall liege nicht vor, weil der Kläger die Voraussetzungen für eine Pflegestufe nicht erfülle. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Zahlung von 48.000 € nebst Zinsen und für den Zeitraum von Juli 2020 bis zu seinem Tod, längstens bis zum Vertragsende am , eine Rente in Höhe von monatlich 1.500 € sowie Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
5Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
6Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7I. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, e
8Auch das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage führe nicht zu einer Vertragsanpassung in dem vom Landgericht festgestellten Sinn. Denn der Gesetzgeber habe in § 143 SGB XI eine Sonderregelung getroffen, die zeige, dass ihm die Konsequenzen des Paradigmenwechsels des Pflegebedürftigkeitsbegriffs bekannt gewesen seien und er dies für die Pflegeversicherung dahingehend gelöst habe, dass diese ein Änderungsrecht, mithin keine Änderungspflicht, habe und dies mit dem Recht der Neufestsetzung der Prämie für die Versicherung einhergehe. Zwar handele es sich vorliegend nicht um eine Pflegeversicherung. Der Versicherungsfall knüpfe aber an den Pflegebedürftigkeitsbegriff an und die Beklagte habe von der Änderung ihres Pflegebedürftigkeitsbegriffs in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen keinen Gebrauch gemacht und daher auch nicht die Versicherungsprämie neu festgesetzt.
9II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der Existenzschutzversicherung nach Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 nicht verneint werden.
101. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil er nicht bewiesen habe, dass er aufgrund der behaupteten Erkrankungen in die Pflegestufe I einzustufen gewesen wäre.
11a) Noch zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Voraussetzungen des Anspruchs nach dem Wortlaut der zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungen infolge des Wegfalls der Pflegestufen gemäß nicht vorliegen.
12b) Zu Unrecht hat es jedoch gemeint, die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthielten trotz des Wegfalls der Pflegestufen keine planwidrige Regelungslücke, sondern der Kläger habe nunmehr beweisen müssen, dass er aufgrund der behaupteten Erkrankungen in die Pflegestufe I einzustufen gewesen wäre.
13aa) Eine die ergänzende Vertragsauslegung eröffnende Regelungslücke liegt vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrundeliegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 11 m.w.N.). Unerheblich ist, ob die Lücke von Anfang an bestanden oder sich erst nachträglich ergeben hat (vgl. Senatsurteil vom30. April 2025 aaO).
14bb) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht hier eine Regelungslücke nicht verneinen dürfen.
15(1) Den Parteien ist der Anknüpfungspunkt für den in Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 bestimmten Leistungsfall der Pflegerente abhandengekommen. Die Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I bis III nach dem Sozialgesetzbuch kommt ab dem aufgrund der Änderung des § 15 SGB XI nicht mehr in Betracht, weil die Versicherten in der gesetzlichen Pflegeversicherung seither nicht mehr auf das Vorliegen von Pflegestufen, sondern von Pflegegraden begutachtet werden (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 13).
16(2) Die Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Pflegerente regeln deren Leistungsvoraussetzungen bei Fortfall der Pflegestufen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. nicht. Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 i.V.m. Ziff. 5 AB ESV 2011 ist, wie das Berufungsgericht allerdings zutreffend erkannt hat, nicht dahingehend auszulegen, dass die Klausel eine dynamische Verweisung auf den jeweils aktuellen sozialrechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriff enthielte.
17Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom - IV ZR 151/23, r+s 2025, 210 Rn. 26 m.w.N.; st. Rspr.).
18Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut von Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011, dass Leistungsvoraussetzung für die Pflegerente der Beklagten eine Pflegebedürftigkeit ist, die durch Einstufung der versicherten Person in die Pflegestufe I, II oder III nach dem Sozialgesetzbuch belegt wird (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 16 m.w.N.). Aus der Überschrift von Ziff. 5 AB ESV 2011, die mit der Formulierung "Leistung einer Rente aus Pflegestufe nach dem Sozialgesetzbuch (SGB)" den Versicherungsfall nur grob umreißt, schließt er nicht, dass Versicherungsfall jede Pflegebedürftigkeit der versicherten Person ist, sondern er wird vielmehr erkennen, dass der in der Überschrift und in der Klausel Ziff. 5 Satz 1 AB ESV 2011 verwendete Begriff der Pflegebedürftigkeit mit der Anknüpfung an die drei Pflegestufen nach dem Sozialgesetzbuch konkretisiert wird. Etwas anderes wird er auch nicht Ziff. 5 Satz 2 AV ESV 2011 entnehmen, wonach Dafür, dass damit eine in den Versicherungsbedingungen nicht näher definierte Pflegebedürftigkeit genügen soll, enthält auch diese Formulierung aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers keine Anhaltspunkte.
19(3) Die Planwidrigkeit der Regelungslücke hat das Berufungsgericht ebenfalls zu Unrecht verneint. Ohne Ergänzung der Versicherungsbedingungen liefe das im Rahmen der Pflegerente gegebene Leistungsversprechen der Beklagten hier infolge des Wegfalls der sozialrechtlichen Pflegestufen leer (vgl. OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 57; , juris Rn. 65). Einer angemessenen und interessengerechten Umsetzung des Versicherungsvertrages steht dies schon deshalb entgegen, weil Leistungspflichten und Ansprüche der Vertragsparteien betroffen sind (vgl. , r+s 2025, 506 Rn. 17; vom - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 309 [juris Rn. 28]), was das Berufungsgericht verkannt hat.
202. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann die Lücke im Versicherungsvertrag nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahingehend geschlossen werden, dass nunmehr - ohne weiteres - eine Pflegerente bei Einstufung mindestens in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu zahlen ist.
21a) Grundlage einer ergänzenden Vertragsauslegung ist der hypothetische Parteiwille, so dass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (, VersR 2023, 1248 Rn. 26 m.w.N.). Die ergänzende Auslegung von Versicherungsbedingungen hat nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss; die Vertragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein (Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 19 m.w.N.). Sie erfordert hinreichend konkrete Anhaltspunkte und darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstands führen (Senatsurteil vom aaO m.w.N.).
22b) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts folgt aus der Umstellung aber nicht, dass im Fall des Fehlens einer Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III nunmehr eine diesen Pflegestufen entsprechende Pflegebedürftigkeit im Einzelfall stets nachzuweisen ist (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 30; OLG Stuttgart r+s 2021, 279 Rn. 56; , juris Rn. 65; a.A. OLG Schleswig BeckRS 2021, 59005 Rn. 28). Schon dem Klauselwortlaut entnimmt der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass die Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente nicht auf die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person, sondern auf deren Einstufung in eine Pflegestufe nach deutschem Sozialgesetzbuch abstellen. Dies wird nochmals verdeutlicht durch die Formulierung in Ziff. 5 Satz 2 Auch der erkennbare Sinn und Zweck dieser Anknüpfung spricht dagegen, im Einzelfall den Nachweis der Pflegebedürftigkeit zu verlangen. Die Anknüpfung soll eine zusätzliche Begutachtung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten der versicherten Person im Rahmen der Leistungsprüfung entbehrlich machen. In der Pflegerente knüpft das Leistungsversprechen nicht unmittelbar an den körperlichen oder geistigen Zustand der versicherten Person, sondern allein an dessen sozialrechtliche Einordnung an. Dem entspricht es, dass Ziff. 1.1 Spiegelstrich 4 und Ziff. 5 AB ESV 2011 im Zusammenhang mit den Leistungsvoraussetzungen der Pflegerente über den Verweis auf die sozialrechtlichen Pflegestufen hinaus keine Beurteilungskriterien für eine bedingungsgemäße Pflegebedürftigkeit enthalten. Diese Anknüpfung der Leistungspflicht führt dem Versicherungsnehmer vor Augen, dass als Nachweis seiner Beeinträchtigung die Begutachtung der Pflegebedürftigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. durch den Medizinischen Dienst oder einen anderen unabhängigen Gutachter maßgebend, aber auch ausreichend sein soll. Die Beklagte hat sich erkennbar an die Einstufung im sozialrechtlichen Verfahren binden wollen. Eine Überprüfung dieser Begutachtung eröffnen ihr die Versicherungsbedingungen nicht. In diesem Verzicht erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer einen angemessenen Interessenausgleich. Während die versicherte Person davon profitiert, sich im Rahmen der Leistungsprüfung keiner zusätzlichen, oftmals belastenden Begutachtung unterziehen zu müssen, macht sich die Beklagte den Sachverstand des Medizinischen Dienstes oder eines vergleichbaren unabhängigen Gutachters zunutze und erspart die mit einer erneuten Begutachtung verbundenen Aufwendungen (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 30).
23c) Nicht auszuschließen ist allerdings, dass es mit Zuerkennung einer Pflegerente bei Einstufung der versicherten Person in den Pflegegrad 2 im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB XI zu einer unzulässigen Erweiterung des Vertragsgegenstands kommt. Das Berufungsgericht erkennt insoweit zutreffend, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz in § 14 SGB XI eine deutliche Erweiterung erfahren hat, so dass die Beklagte unter Umständen bei Anknüpfung ihrer Leistungspflicht an die Einstufung in den Pflegegrad 2 in erheblichem Umfang Pflegerenten an solche versicherten Personen zu zahlen hätte, die nicht in eine der Pflegestufen I bis III nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. eingestuft worden wären. Durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz sind nicht nur der Begriff der Pflegebedürftigkeit, sondern auch seine Definition in den §§ 14, 15 SGB XI gegenüber dem zuvor geltenden Recht deutlich erweitert worden (BTDrucks. 18/5926, S. 109). Die nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 SGB XI bei der Begutachtung maßgeblichen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten und die gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 SGB XI zu berücksichtigenden Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen erfassen auch solche Kriterien, die nach der bis Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht für die Einstufung in eine Pflegestufe, sondern im Rahmen der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. von Bedeutung gewesen sind (vgl. BTDrucks. aaO, S. 110 f.). Diese Kriterien können zu einer Einstufung in den Pflegegrad 2 oder höher führen, obwohl sie keine Bedeutung für die Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III gehabt hätten (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 21 f.). Eine Anpassung des Leistungsversprechens auf eine Pflegerente ab einer Einstufung in den Pflegegrad 2 könnte daher eine entsprechende versicherungsmathematische Kalkulation voraussetzen. Die im Pflegegrad 2 beschriebenen Risiken sind möglicherweise in ihren versicherungsmathematischen Auswirkungen nicht mit denjenigen vergleichbar, die in Pflegestufe I beschrieben werden und erforderten unter Umständen höhere Rückstellungen für zu erwartende Leistungsansprüche (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 24), was die Beklagte im Einzelnen darzulegen und zu beweisen hätte.
24Zwar ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei Fehlen einer Einstufung in eine der Pflegestufen I bis III nicht stets eine diesen Pflegestufen entsprechende Pflegebedürftigkeit durch den Versicherungsnehmer nachzuweisen. Ergibt die vorzunehmende Aufklärung des Sachverhalts aber, dass die Anknüpfung des Versicherungsfalls an die Einstufung in einen Pflegegrad nach dem deutschen Sozialgesetzbuch eine Prämienanpassung zulässt, kann das Interesse des Versicherungsnehmers, im Rahmen der Leistungsprüfung von einer Begutachtung verschont zu bleiben, in einem solchen Fall hinter sein Interesse an einer Vermeidung steigender Prämien zurücktreten (Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 31). Das wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch zu prüfen haben.
25III. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Sinne von § 561 ZPO als richtig dar. Insbesondere lässt sich aufgrund fehlender vom Berufungsgericht getroffener Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob gegebenenfalls ein Anspruch der Beklagten auf Anpassung der Versicherungsbedingungen ihres Tarifs unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
26Die Grenzen zwischen ergänzender Vertragsauslegung und Vertragsanpassung nach den Regeln des Fehlens oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind fließend. Ist für eine ergänzende Vertragsauslegung kein Raum, weil sie das Vertragsverhältnis derart umgestaltet, dass eine Herleitung aus dem Vertragswillen ausscheidet, bleibt gleichwohl der Anwendungsbereich für eine Vertragsanpassung wegen gestörter Geschäftsgrundlage eröffnet (Senatsurteil vom - IV ZR 126/16, VersR 2017, 741 Rn. 17; , VersR 2023, 1248 Rn. 22; vom - II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 Rn. 26 f.). Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt allerdings noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr muss gemäß § 313 Abs. 1 BGB als weitere Voraussetzung hinzukommen, dass dem Vertragsteil, der die Anpassung verlangt, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände festgestellt werden (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 26 m.w.N.).
27Dem Willen des Gesetzgebers widerspricht eine Vertragsanpassung allerdings nicht. Allein aus der Beschränkung der Anpassungsmöglichkeiten in § 143 Abs. 1 und 2 SGB XI bei nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Pflegeversicherungen, bei denen das ordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen ist, folgt für Versicherungsbedingungen in anderen Versicherungsverträgen, die auf die Pflegestufen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zurückgreifen, kein Anpassungsverbot (Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 27).
28Nach den bisher getroffenen Feststellungen lässt sich wiederum nicht beurteilen, ob im Rahmen der Abwägung durchgreifende Interessen der Beklagten betroffen sind und inwieweit ihr grundrechtlicher Schutz mit Blick auf ihre Vertragsfreiheit als Unternehmerin aus Art. 12 Abs. 1 GG (Senatsurteil vom - IV ZR 126/23, r+s 2025, 506 Rn. 28 m.w.N.) bei Anpassung eines zivilrechtlichen Versicherungsvertrags im Wege mittelbarer Drittwirkung zugutekommt. Die Störung der Geschäftsgrundlage führt nach § 313 Abs. 1 BGB dazu, dass der Vertrag unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen an die veränderten Verhältnisse anzupassen ist (Senatsurteil vom aaO m.w.N.). Dementsprechend ist auch insoweit gegebenenfalls zu prüfen, inwieweit sich eine mögliche Erstreckung der Pflegerente auf versicherte Personen, denen mindestens ein Pflegegrad 2 zuerkannt worden ist, auf die Tarifkalkulation der Beklagten auswirkt. Ein wesentlich erhöhtes Risiko, das die Grundlagen der Prämienkalkulation beeinflusst und die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehen konnte, muss sie nicht kostenfrei tragen (Senatsurteil vom aaO m.w.N.).
29IV. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben. Die Sache ist, weil sie nicht entscheidungsreif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das - gegebenenfalls nach ergänzendem Parteivortrag - auf der Grundlage der vorangegangenen Ausführungen sowie der bisher offengelassenen Fragen zur Fälligkeit und zu möglichen Obliegenheitsverletzungen des Klägers erneut über den geltend gemachten Anspruch zu befinden haben wird.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:200825UIVZR164.23.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-98442