Erstattung von Kapitalertragsteuer an japanische Mutterkapitalgesellschaften
Leitsatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verdrängt die Niederlassungsfreiheit in Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —AEUV— (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2008, Nr. C 115, 47) für die Überprüfung von § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in Verbindung mit (i.V.m.) Art. 10 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern vom (DBA-Japan 1966) die Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 63 AEUV als Prüfungsmaßstab, da
- —einerseits— diese Regelungen zwar einen abgeltenden (definitiven) Einbehalt deutscher Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % auf die Dividenden der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) unabhängig von der Beteiligungshöhe einer japanischen Mutterkapitalgesellschaft anordnen,
- aber —andererseits— die von der Klägerin geltend gemachte Beschränkung durch den Kapitalertragsteuereinbehalt nur deshalb eintreten kann, weil die Klägerin zu mindestens 25 % an der ausschüttenden GmbH beteiligt ist und sie die vollständige Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer neben der Inanspruchnahme einer japanischen Steuerbefreiung in Höhe von 95 % der Dividenden beantragt,
- sodass die Klägerin für den Zusammenschluss mit der GmbH im Ergebnis eine binnenmarktähnliche Vollentlastung der Dividende wie im Anwendungsbereich des Art. 5 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1990 Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20, 1997, Nr. L 16, 98), geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom (ABlEU 2006 Nr. L 363, 129; Mutter-Tochter-Richtlinie) begehrt?
2. Falls die Kapitalverkehrsfreiheit als Prüfungsmaßstab nicht verdrängt wird:
Stellt die abgeltende Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer auf die Dividenden gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 unter den Umständen des Streitfalls eine von der Bundesrepublik Deutschland verursachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit der Klägerin dar, wenn
- —einerseits— die deutsche Kapitalertragsteuer, welche auf die Dividende erhoben wurde, bei gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaften auch ab dem bei der Veranlagung angerechnet und erstattet werden kann, und
- —andererseits— die Klägerin die deutsche Kapitalertragsteuer auf die Dividenden gemäß Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 zwar vor dem in vollem Umfang auf die japanische Körperschaftsteuer anrechnen konnte,
- dies ab dem aber allein deshalb misslingt, weil die Dividenden von der GmbH bei der Klägerin durch eine neu eingeführte japanische Steuerbefreiung zu 95 % steuerbefreit werden?
3. Falls eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit anzunehmen sein sollte:
a) Kann die definitive Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses in Gestalt einer Aufteilung der Besteuerungsrechte für die Dividende nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 gerechtfertigt werden?
b) Kann die definitive Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer dadurch gerechtfertigt werden, dass die Klägerin die Befreiung vom Kapitalertragsteuereinbehalt nicht neben der Steuerbefreiung der Dividende in Japan im Wege einer Doppelbegünstigung beanspruchen kann?
4. Falls durch die definitive Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer eine unzulässige und nicht gerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gegeben sein sollte:
Ist es mit Art. 63 AEUV vereinbar, wenn die Erstattung der Kapitalertragsteuer an die Klägerin von den Voraussetzungen abhängig gemacht wird, dass
- die Klägerin neben der Vorlage einer deutschen Steuerbescheinigung über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer zusätzlich den Betrag der deutschen Kapitalertragsteuer in Euro beziffern muss, der in Japan im Bezugsjahr der streitigen Dividenden nicht auf die japanische Körperschaftsteuer angerechnet werden kann, sodass die Erstattung erst zu gewähren ist, wenn die Angaben der Klägerin dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nachgewiesen worden sind oder wenn diese Angaben dem BZSt im Wege des Informationsaustauschs mit der japanischen Steuerverwaltung bestätigt worden sind,
- während eine gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaft für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer in der deutschen Körperschaftsteuerveranlagung nur eine Bescheinigung der deutschen Steuerbehörden über den Einbehalt und die Abführung der Kapitalertragsteuer vorlegen muss?
Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 43 Abs. 1; EStG § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; EStG § 43b; EStG § 50d Abs. 1 Satz 2; KStG § 8b Abs. 1, Abs. 5; KStG § 31 Abs. 1; KStG § 32 Abs. 1 Nr. 2; AEUV Art. 49; AEUV Art. 63; MTR Art. 5; DBA Japan 1966 Art. 10 Abs. 1, Abs. 2; DBA Japan 1966 Art. 23
Instanzenzug:
Tatbestand
1 A. Sach- und Streitstand
2 Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Jahre 2009, 2010 und 2011 (Streitjahre) einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten ist.
3 Die Klägerin ist eine japanische Kapitalgesellschaft mit Sitz in A. Sie ist Alleingesellschafterin der deutschen B-GmbH (GmbH) mit Sitz in C. Aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse vom , und vom schüttete die GmbH Dividenden für die Wirtschaftsjahre 2008, 2009 und 2010 an die Klägerin aus.
4 Der Ausschüttungsbetrag im Jahr 2009 betrug brutto (einschließlich der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags) . €, im Jahr 2010 . € und im Jahr 2011 . €.
5 Der Klägerin war zuvor durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Bundeszentralamt für Steuern —BZSt—) gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) am eine Teilfreistellungsbescheinigung erteilt worden. Wegen einer Begrenzung des Kapitalertragsteuereinbehalts nach Art. 10 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern vom (Bundesgesetzblatt Teil II —BGBl II— 1967, 871, Bundessteuerblatt Teil I —BStBl I— 1967, 58) —DBA-Japan 1966— war auf die Dividenden der GmbH deutsche Kapitalertragsteuer statt in Höhe von 25 % nur in Höhe von 15 % einzubehalten.
6 Die GmbH behielt daher im Jahr 2009 Kapitalertragsteuer in Höhe von . €, im Jahr 2010 in Höhe von . € und im Jahr 2011 in Höhe von . € ein. Sie meldete diese Beträge beim zuständigen Finanzamt D (FA) an und führte sie an dieses ab. Die Kapitalertragsteueranmeldungen der GmbH für die Ausschüttungen datieren vom (2009), vom (2010) und vom (2011). Nach der Regelung in § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (KStG) galt die einbehaltene Kapitalertragsteuer jeweils die Körperschaftsteuerschuld der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin für die bezogenen Dividenden ab.
7 Nach Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 in Verbindung mit (i.V.m.) Art. 69 des japanischen Körperschaftsteuergesetzes war die auf die Dividenden erhobene deutsche Kapitalertragsteuer als Körperschaftsteuer unter Beachtung der Bestimmungen des japanischen Rechts über die Anrechnung von im Ausland zu zahlenden Steuern auf die japanische Körperschaftsteuer grundsätzlich anrechenbar.
8 Danach war die nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 erhobene deutsche Kapitalertragsteuer als Körperschaftsteuer für Ausschüttungen vor dem in vollem Umfang auf die japanische Körperschaftsteuer anrechenbar, die auf die von der GmbH bezogenen Dividenden entfiel.
9 Ab dem änderte sich das japanische Steuerrecht für Ausschüttungen der GmbH an die Klägerin. Da die Klägerin zu mindestens 25 % an der GmbH beteiligt war und die Beteiligung vor der Gesetzesänderung in Japan für mindestens sechs Monate bestanden hatte, wurden die Dividenden der Streitjahre bei der Klägerin jeweils zu 95 % steuerbefreit (Art. 22-4 des japanischen Körperschaftsteuergesetzes). 5 % des Dividendenbetrags wurden nach Art. 22-4 Satz 2 des japanischen Körperschaftsteuergesetzes weiterhin in das körperschaftsteuerpflichtige Einkommen der Klägerin einbezogen. Ab diesem Zeitpunkt entstand wegen der Steuerbefreiung (weitgehend) keine japanische Körperschaftsteuer auf die Dividenden mehr, sodass die in Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 vorgesehene Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die japanische Körperschaftsteuer ins Leere ging.
10 Am beantragte die Klägerin beim FA die Erteilung eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung, der die verfahrensrechtliche Voraussetzung für die Erstattung der von der GmbH einbehaltenen, angemeldeten und abgeführten Kapitalertragsteuer bildet. Die Klägerin machte geltend, die definitiv wirkende Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer für die Dividenden von der GmbH verletze ab dem die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft —AEUV— (Amtsblatt der Europäischen Union —ABlEU— 2008, Nr. C 115, 47), da sie die deutsche Kapitalertragsteuer aufgrund der japanischen Rechtsänderungen nicht wie zuvor anrechnen könne. Sie werde gegenüber gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaften benachteiligt, bei denen gemäß § 8b Abs. 1 KStG die Dividende auch zu 95 % steuerbefreit sei, aber die Kapitalertragsteuer auf die festzusetzende Körperschaftsteuer angerechnet und erstattet werden könne.
11 Das FA lehnte den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin erhob gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch, der vom FA als unbegründet zurückgewiesen wurde.
12 Die Klägerin hat ihr Erstattungsbegehren daraufhin weiterverfolgt und beim Finanzgericht (FG) Düsseldorf eine Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Freistellungsbescheids erhoben. Während des Klageverfahrens ist das BZSt im Wege eines gesetzlichen Beteiligtenwechsels zum Beklagten geworden und in das Klageverfahren eingetreten. Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die Klägerin mit der Beteiligung an der GmbH zwar eine Direktinvestition getätigt habe, die durch die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV geschützt sei. Die Kapitalverkehrsfreiheit als zugunsten der Klägerin anwendbare Grundfreiheit werde allerdings durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängt, auf die sich die Klägerin als Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat nicht berufen könne. Die Begründung des FG ist im Einzelnen in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 598 wiedergegeben.
13 Die Klägerin rügt im Revisionsverfahren die Verletzung materiellen Bundesrechts. Da die abgeltende Erhebung der Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 63 AEUV sei, hätte das FG das BZSt verurteilen müssen, den Freistellungsbescheid zu erteilen.
14 Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das aufzuheben und das BZSt unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom und der Einspruchsentscheidung vom zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid zur einbehaltenen Kapitalertragsteuer für die Ausschüttungen der GmbH an die Klägerin in Höhe von . € für 2009, in Höhe von . € für 2010 und in Höhe von . € für 2011 zu erteilen.
15 Das BZSt beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
B. Beurteilung nach nationalem Recht
1. Die für die Beurteilung des Rechtsstreits wesentlichen Normen haben folgenden Wortlaut
a) Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes
19 § 1 Unbeschränkte Steuerpflicht
(1) Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind die folgenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben:
1. Kapitalgesellschaften (insbesondere Europäische Gesellschaften, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung) einschließlich optierender Gesellschaften im Sinne des § 1a;
.
(2) Die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte.
20 § 2 Beschränkte Steuerpflicht
Beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind
1. Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, mit ihren inländischen Einkünften;
.
21 § 8b Beteiligung an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen
(1) Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes bleiben bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz.
.
(5) Von den Bezügen im Sinne des Absatzes 1, die bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, gelten 5 Prozent als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. .
22 § 31 Steuererklärungspflicht, Veranlagung und Erhebung von Körperschaftsteuer
(1) Auf die Durchführung der Besteuerung einschließlich der Anrechnung, Entrichtung und Vergütung der Körperschaftsteuer sowie die Festsetzung und Erhebung von Steuern, die nach der veranlagten Körperschaftsteuer bemessen werden (Zuschlagsteuern), sind die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes entsprechend anzuwenden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. .
23 § 32 Sondervorschriften für den Steuerabzug
(1) Die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, ist durch den Steuerabzug abgegolten,
.
2. wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen oder land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind.
b) Vorschriften des Einkommensteuergesetzes
25 § 20 Einkünfte aus Kapitalvermögen
(1) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören
1. Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie an bergbautreibenden Vereinigungen, die die Rechte einer juristischen Person haben. .
26 § 36 Entstehung und Tilgung der Einkommensteuer
...
(2) Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:
.
2. die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder auf die nach § 3 Nr. 40 dieses Gesetzes oder nach § 8b Absatz 1 und . des Körperschaftsteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die in § 45a Abs. 2 oder 3 bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist.
...
(4) Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen ergibt, hat der Steuerpflichtige (Steuerschuldner) diesen Betrag, soweit er den fällig gewordenen, aber nicht entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen entspricht, sofort, im Übrigen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (Abschlusszahlung). Wenn sich nach der Abrechnung ein Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen ergibt, wird dieser dem Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe des Steuerbescheids ausgezahlt.
27 § 43 Kapitalerträge mit Steuerabzug
(1) Bei den folgenden inländischen . Kapitalerträgen wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben:
1. Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1 und 2.
Der Steuerabzug ist ungeachtet des § 3 Nummer 40 und des § 8b des Körperschaftsteuergesetzes vorzunehmen.
28 § 43a Bemessung der Kapitalertragsteuer
(1) Die Kapitalertragsteuer beträgt
1. in den Fällen des § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4, 6 bis 7a und 8 bis 12 sowie Satz 2: 25 Prozent des Kapitalertrags; .
(2) Dem Steuerabzug unterliegen die vollen Kapitalerträge ohne jeden Abzug .
29 § 43b Bemessung der Kapitalertragsteuer bei bestimmten Gesellschaften
(1) Auf Antrag wird die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, oder einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gelegenen Betriebsstätte dieser Muttergesellschaft, aus Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen, nicht erhoben. .
(2) Muttergesellschaft im Sinne des Absatzes 1 ist jede Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. EG Nummer L 225 S. 6, Nummer L 266 S. 20, 1997 Nummer L 16 S. 98), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom (ABl. EU Nr. L 363 S. 129), im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Absatz 1 Satz 2 nachweislich mindestens zu 10 Prozent (2009) und 15 Prozent (2010 und 2011) unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft (Mindestbeteiligung) beteiligt ist. Ist die Mindestbeteiligung zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt, ist der Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses maßgeblich. Tochtergesellschaft im Sinne des Absatzes 1 sowie des Satzes 1 ist jede unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Gesetz und in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 90/435/EWG bezeichneten Voraussetzungen erfüllt. Weitere Voraussetzung ist, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht. Wird dieser Beteiligungszeitraum nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Absatz 1 Satz 2 vollendet, ist die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nach § 50d Absatz 1 zu erstatten; das Freistellungsverfahren nach § 50d Absatz 2 ist ausgeschlossen.
30 § 44 Entrichtung der Kapitalertragsteuer
(1) Schuldner der Kapitalertragsteuer ist in den Fällen des § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 . der Gläubiger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. In diesem Zeitpunkt [hat] in den Fällen des § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 . der Schuldner der Kapitalerträge . den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorzunehmen.
31 § 49 Beschränkt steuerpflichtige Einkünfte
(1) Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Absatz 4) sind .
5. Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des
a) § 20 Absatz 1 Nummer 1, . wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat, .
32 § 50d Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen und der §§ 43b und 50g
(1) Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen, nach den §§ 43b, 50g oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, so sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ungeachtet der §§ 43b und 50g sowie des Abkommens anzuwenden. Unberührt bleibt der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten oder der auf Grund Haftungsbescheid oder Nachforderungsbescheid entrichteten Steuer. Die Erstattung erfolgt auf Antrag des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids; der Antrag ist nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem Bundeszentralamt für Steuern zu stellen. Der zu erstattende Betrag wird nach Bekanntgabe des Freistellungsbescheids ausgezahlt.
c) Vorschriften des DBA-Japan 1966 und des japanischen Körperschaftsteuergesetzes
DBA-Japan 1966 = Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern vom (BGBl II 1967, 871, BStBl I 1967, 58).
34 aa) DBA-Japan 1966
35 Art. 10 Abs. 1: Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine in dem anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, können in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden.
36 Art. 10 Abs. 2: Diese Dividenden können jedoch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Vertragsstaates besteuert werden; die Steuer darf aber 15 vom Hundert des Bruttobetrages der Dividenden nicht übersteigen.
37 Art. 23 Abs. 2: Unter Beachtung der Bestimmungen des japanischen Rechts über die Anrechnung von im Ausland zu zahlenden Steuern auf die japanische Steuer wird die deutsche Steuer, die unmittelbar oder im Abzugswege in Übereinstimmung mit diesem Abkommen zu zahlen ist, auf die japanische Steuer angerechnet.
38 bb) Japanisches Körperschaftsteuergesetz
Maßgeblich sind die schon dargestellten Regelungen in Art. 22-4 und Art. 69 des japanischen Körperschaftsteuergesetzes.
2. Beurteilung des Streitfalls auf der Grundlage des nationalen Rechts
40 Die Revision ist auf der Grundlage des nationalen Rechts unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die Klägerin hat nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG i.V.m. Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 keinen Anspruch auf Erteilung eines Freistellungsbescheids zur Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer.
41 Die Klägerin, deren Sitz und Geschäftsleitung sich nicht im Inland, sondern in Japan befindet, unterliegt gemäß § 2 Nr. 1 KStG mit ihren Einkünften aus den Dividenden der GmbH der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG).
42 § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG sehen vor, dass bei Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Körperschaftsteuer durch den Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben wird. Nach § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG ist der Steuereinbehalt ungeachtet der 95 %-Steuerbefreiung für Dividenden gemäß § 8b Abs. 1 KStG von der Bruttodividende vorzunehmen. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Einbehalt der Steuer ist gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 bis 3 EStG in den Streitjahren jeweils der Zuflusszeitpunkt der Kapitalerträge mit Fassung des zugrunde liegenden Gewinnverteilungsbeschlusses. Die Höhe der Kapitalertragsteuer richtet sich für die Dividenden der Streitjahre einheitlich nach § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und beträgt 25 % des jeweiligen Dividendenbetrags.
43 Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG wird die Körperschaftsteuerschuld für Einkünfte einer beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft aus inländischen Dividenden im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. aa i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG —wie bei der Klägerin— durch den Einbehalt der Kapitalertragsteuer abgegolten. Beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaften steht —anders als unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften— die Möglichkeit der Veranlagung und Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die deutsche Körperschaftsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG sowie deren Erstattung gemäß § 36 Abs. 4 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG nicht offen. Die Klägerin als Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat kann auch nicht die Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des Erstattungsverfahrens in § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG verlangen, das Gesellschaften offen steht, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig und zu mindestens 25 % an einer inländischen GmbH beteiligt sind. Solche Gesellschaften könnten sich in den Streitjahren die erhobene Kapitalertragsteuer unter den weiteren Voraussetzungen der Regelungen in § 43b EStG i.V.m. Art. 5 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1990 Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20, 1997, Nr. L 16, 98), geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom (ABlEU 2006 Nr. L 363, 129; Mutter-Tochter-Richtlinie —MTR—) ungeachtet der Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zur Höhe des zulässigen Quellensteuereinbehalts vollständig erstatten lassen.
44 Liegt der in Höhe des anwendbaren DBA zulässige Satz für die Erhebung deutscher Kapitalertragsteuer auf die Dividende wie hier nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 (15 %) unter dem generellen Steuersatz für die einzubehaltende Kapitalertragsteuer (25 %), ist einer Drittstaaten-Kapitalgesellschaft wie der Klägerin die Differenz auf Antrag im Rahmen des Verfahrens nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu erstatten oder —wie im Streitfall— nach vorheriger Erteilung einer Teilfreistellungsbescheinigung die Kapitalertragsteuer von vornherein nur in Höhe des zulässigen DBA-Satzes (hier 15 %) zu erheben.
45 Dies ist geschehen. Die in Höhe von 15 % auf die Bruttodividende erhobene Kapitalertragsteuer entspricht der nach nationalem Recht und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 geschuldeten Körperschaftsteuerschuld der Klägerin. Sie hat keinen Anspruch auf die Erteilung eines Freistellungsbescheids zur Erstattung der Kapitalertragsteuer. Der Senat hätte das klageabweisende Urteil des FG zu bestätigen.
C. Vereinbarkeit des abgeltenden Kapitalertragsteuereinbehalts mit dem Unionsrecht
1. Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten unionsrechtlichen Fragen
48 Der Senat kann über die Revision nicht abschließend entscheiden. Es bestehen Zweifel, ob die abgeltende (definitive) Erhebung der Kapitalertragsteuer auf die Dividenden der Streitjahre in Höhe von jeweils 15 % mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
49 Die erste Vorlagefrage des Senats zielt darauf ab, ob die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV als Prüfungsmaßstab im Streitfall überhaupt eröffnet ist. Zweifelhaft ist, ob die Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV nach den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bislang herausgearbeiteten Abgrenzungskriterien verdrängt wird. Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich die Klägerin als Drittstaaten-Kapitalgesellschaft nicht stützen (dazu C.2.a).
50 Ist die Kapitalverkehrsfreiheit als Prüfungsmaßstab eröffnet, hat der Senat Zweifel, ob die mit der Revision angegriffenen nationalen Besteuerungsregelungen eine von der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) verursachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu Lasten der Klägerin auslösen. Die von der Klägerin gerügte definitive Wirkung des Kapitalertragsteuereinbehalts ab dem beruht aus Sicht des Senats maßgeblich auf der Einführung der japanischen Steuerbefreiung und nicht auf den unveränderten nationalen deutschen Besteuerungsregeln und dem ebenso unverändert gebliebenen Entlastungsmechanismus nach Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966. Die Frage, nach welchen Kriterien die Verursachung und Zurechnung der Deutschland von der Klägerin vorgehaltenen Beschränkung zu bestimmen ist, ist ebenfalls entscheidungserheblich (Vorlagefrage 2, dazu C.2.b).
51 Ist eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu Lasten der Klägerin anzunehmen, ist der Senat der Auffassung, dass der Einbehalt der abgeltenden (definitiven) deutschen Kapitalertragsteuer mit der Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen Deutschland und Japan nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 gerechtfertigt ist. Er hat angesichts der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu Dividendenausschüttungen zwischen den Gesellschaften zweier Mitgliedstaaten aber Zweifel, ob diese Beurteilung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Ferner stellt sich dem Senat die unionsrechtlich zweifelhafte Frage, ob der Einbehalt der abgeltenden (definitiven) deutschen Kapitalertragsteuer dadurch gerechtfertigt sein kann, dass der Klägerin wegen der schon in Anspruch genommenen japanischen Steuerbefreiung keine Doppelbegünstigung der Dividende zu gewähren ist (dazu C.2.c).
52 Sollte im Ergebnis eine unzulässige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die abgeltende Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer anzunehmen sein, stellt sich die Frage der Erstattungsmodalitäten (Vorlagefrage 4, dazu C.2.d). Aus Sicht des Senats ist Voraussetzung für eine Erstattung, dass die Klägerin den Betrag der in Japan nicht anrechenbaren deutschen Kapitalertragsteuer für die einzelnen Ausschüttungen konkret in Euro berechnet und das BZSt die Richtigkeit der Angaben im Wege des Informationsaustauschs mit den japanischen Steuerbehörden überprüfen kann. Hierin lägen aber höhere Anforderungen als eine gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaft bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer zu erfüllen hätte, sodass in den beschriebenen Erstattungsvoraussetzungen eine eigenständige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit liegen könnte. Da die Erteilung des Freistellungsbescheids von den maßgeblichen Erstattungsvoraussetzungen und deren Erfüllung abhängt, ist auch diese Rechtsfrage entscheidungserheblich.
2. Erläuterung der Vorlagefragen im Einzelnen und Auffassung des Senats
a) Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit?
55 aa) Im Ausgangspunkt ist für den Senat nicht zweifelhaft, dass die Beteiligung der Klägerin an der GmbH und die steuerliche Belastung der Dividenden mit deutscher Kapitalertragsteuer grundsätzlich in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen können und diese als Prüfungsmaßstab eröffnet sein kann.
56 Es handelt sich im Streitfall bei der Beteiligung an der GmbH um eine sogenannte Direktinvestition im Sinne des Art. 64 Abs. 1 AEUV (EuGH-Urteile SECIL vom - C-464/14, EU:C:2016:896, Rz 75 folgende —ff.—; EV vom - C-685/16, EU:C:2018:743, Bundessteuerblatt Teil II —BStBl II— 2019, 111, Rz 67 bis 69).
57 Eine ungünstigere Behandlung von Dividenden, die an gebietsfremde Gesellschaften gezahlt werden, als von Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften gezahlt werden, kann unter bestimmten Voraussetzungen die nicht gebietsansässigen Gesellschaften nach der Rechtsprechung des EuGH davon abhalten, im erstgenannten Mitgliedstaat zu investieren (EuGH-Urteile Credit Suisse Securities (Europe) vom - C-601/23, EU:C:2024:1048, Rz 31; XX (Contrats dits unit-linked) vom - C-782/22, EU:C:2024:932, Rz 32, m.w.N.; ACC Silicones vom - C-572/20, EU:C:2022:469, Rz 33; EV vom - C-685/16, EU:C:2018:743, BStBl II 2019, 111, Rz 67 bis 69).
58 bb) Der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist aus Sicht des Senats jedoch ebenfalls eröffnet.
59 Die Klägerin nimmt für die von der GmbH bezogenen Dividenden eine 95 %-Steuerbefreiung nach dem japanischen Steuerrecht in Anspruch. Diese Befreiung steht der Klägerin nur deshalb zu, weil sie im Streitzeitraum zu mindestens 25 % für den Mindestzeitraum von sechs Monaten vor dem Dividendenbezug an der GmbH beteiligt war. Eine solche Beteiligung und erst recht die Stellung der Klägerin als Alleingesellschafterin der GmbH vermittelt der Klägerin nach der Rechtsprechung des EuGH einen sicheren Einfluss auf die GmbH (EuGH-Urteil Scheunemann vom - C-31/11, EU:C:2012:481).
60 Daneben begehrt die Klägerin zusätzlich zur japanischen Steuerbefreiung die vollständige Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer. Sie will innerhalb des Zusammenschlusses mit der GmbH erreichen, dass es ausschließlich auf Ebene der GmbH zu einer Körperschaftsteuerbelastung der Gewinne kommt. Eine Belastung der Dividende soll für die Klägerin als Anteilseignerin weder im Quellen- noch im Sitzstaat anfallen.
61 Sowohl nach den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Rechtsschutzziel (der Minderung der steuerlichen Belastung der Gewinne des Zusammenschlusses der Klägerin mit der GmbH) ist qualitativ die Ausübung der Niederlassungsfreiheit in Art. 49 AEUV betroffen. Die Befreiung von der Quellenbesteuerung, das heißt die Nichtbesteuerung der Dividende in qualifizierten Mutter-Tochter-Verhältnissen —unabhängig von der Existenz eines DBA und dessen Ausgestaltung— sichert zwischen den Mitgliedstaaten die steuerliche Neutralität der Gewinnausschüttungen für Zusammenschlüsse von Gesellschaften im Binnenmarkt, um die Kapitalimport- und die Kapitalexportneutralität zu fördern. Diese Situation ist von der Niederlassungsfreiheit geprägt, da sie die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Niederlassung einer Mutterkapitalgesellschaft in Form des Zusammenschlusses mit einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat unter sicherer Einflussnahmemöglichkeit ausgestaltet.
62 Auch der EuGH hat in dem Urteil Denkavit International und Denkavit France vom - C-170/05, EU:C:2006:783, Rz 18 ff., 30 —vor Einführung der Mutter-Tochter-Richtlinie— die Belastung einer Anteilseignergesellschaft mit einer definitiven Quellensteuer aus einem anderen Mitgliedstaat am Maßstab der Niederlassungsfreiheit gemessen. Für die Rechtslage unter Geltung der Mutter-Tochter-Richtlinie hat der EuGH den Zweck der Richtlinie und damit auch § 43b Abs. 2 EStG zum Beispiel (z.B.) in dem Urteil Deister und Juhler Holding vom - C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rz 48 bis 52 konkretisiert. Er hat die Quellensteuerbefreiung im Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft als wichtiges Element für die Funktion des Binnenmarkts betont. Die Richtlinie solle den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Unionsebene erleichtern und sicherstellen, dass Gewinnausschüttungen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Mutterkapitalgesellschaft steuerlich neutral bleiben.
63 cc) Der EuGH hat zur Abgrenzung der Grundfreiheiten im Zusammenhang mit Drittstaatengesellschaften Kriterien entwickelt, die auf Bezüge von Dividenden einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft von einer Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat anzuwenden sind (EuGH-Urteile Test Claimants in the Fii Group Litigation vom - C-35/11, EU:C:2012:707, Rz 89 ff.; X (in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften) vom - C-135/17, EU:C:2019:136; Kronos International/Finanzamt Leverkusen vom - C-47/12, EU:C:2014:2200 sowie SECIL vom - C-464/14, EU:C:2016:896 und EV vom - C-685/16, EU:C:2018:743, BStBl II 2019, 111). Diese Kriterien hat der EuGH in dem Urteil Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 (siehe —s.— ferner EuGH-Urteil College Pension Plan of British Columbia vom - C-641/17, EU:C:2019:960, Rz 48 ff.) für eine Fallkonstellation, in der es um Ausschüttungen aus der Gesellschaft eines Mitgliedstaats an einen Drittstaaten-Investmentfonds mit einer Portfoliobeteiligung ging, in Rz 25 bis 32 dieser Entscheidung für „sinngemäß“ anwendbar erklärt. Danach ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass die steuerliche Behandlung von Dividenden bei der Ausschüttung an eine Drittstaatengesellschaft unter die Niederlassungsfreiheit in Art. 49 AEUV und unter den freien Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV fallen kann. Bei der Antwort auf die Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere Grundfreiheit fällt, ist auf den Gegenstand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen.
64 dd) Nach Rz 29 und 32 des EuGH-Urteils Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 ist für die Abgrenzung der Grundfreiheiten auch bei Ausschüttungen der Gesellschaft eines Mitgliedstaats an eine Drittstaatengesellschaft maßgeblich auf den Gegenstand der nationalen Besteuerungsregelungen abzustellen.
65 aaa) Bei entsprechender Anwendung der Aussagen in Rz 26 und 32 des EuGH-Urteils Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 ist die Niederlassungsfreiheit die vorrangige Grundfreiheit für Dividenden, die aus einem Mitgliedstaat an eine Drittstaatengesellschaft ausgeschüttet werden, wenn sich aus dem Gegenstand der angefochtenen nationalen Regelung ergibt, dass sie nur auf Beteiligungen Anwendung finden soll, die es erlauben, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Für den Senat betrifft der hier maßgebliche Gegenstand der angegriffenen Regelungen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und in Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 nur Beteiligungen von japanischen Mutterkapitalgesellschaften, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der deutschen Tochtergesellschaft vermitteln.
66 Der „Gegenstand“ der nationalen Besteuerungsregelungen zum definitiven Kapitalertragsteuereinbehalt in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 bestimmt sich nach dem Ziel und Zweck der Regelungen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966. Nach Rz 29 des Urteils Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 ist wiederum der Zweck der Regelungen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 im „Kontext der konkreten Ausschüttungen“ zu bestimmen. Der „Kontext“ der hier streitigen Ausschüttungen ist dadurch geprägt, dass die Klägerin zu mindestens 25 % und für einen Zeitraum von sechs Monaten vor dem Dividendenbezug an der GmbH beteiligt sein musste und auch war. Nur unter diesen rechtlichen Voraussetzungen wird ihr die japanische Steuerbefreiung für die Dividende von der GmbH in Höhe von 95 % der Dividenden gewährt. Nur aufgrund der japanischen Steuerbefreiung entsteht die von der Klägerin geltend gemachte Beschränkung durch den definitiven (abgeltenden) Einbehalt der deutschen Kapitalertragsteuer auf die Dividenden: Da auf die Dividenden wegen der japanischen Steuerbefreiung weitgehend keine japanische Körperschaftsteuer anfällt, geht die nach Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 und Art. 69 des japanischen Körperschaftsteuergesetzes vor dem mögliche vollständige Anrechnung der deutschen Kapitalertragsteuer auf die japanische Körperschaftsteuer weitgehend ins Leere. Es handelt sich bei der Höhe der Beteiligung der Klägerin nicht um einen rein tatsächlichen, sondern um einen prägenden rechtlichen Umstand, der aus Sicht des Senats auch den Gegenstand der angegriffenen Regelungen bestimmt. Denn bei einer japanischen Kapitalgesellschaft, deren Beteiligung an einer GmbH unterhalb der Schwelle von mindestens 25 % liegt, kann die von der Klägerin geltend gemachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit von vornherein nicht eintreten. Solche japanischen Mutterkapitalgesellschaften können auf der Grundlage des Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 und des japanischen Körperschaftsteuerrechts die Anrechnung der deutschen Kapitalertragsteuer auf die japanische Körperschaftsteuer beanspruchen. Folglich betrifft der hier relevante Gegenstand der Regelungen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 im konkreten Kontext nur Beteiligungen japanischer Mutterkapitalgesellschaften, die einen sicheren Einfluss auf die deutsche Tochtergesellschaft vermitteln und der Niederlassungsfreiheit unterfallen.
67 bbb) Allerdings könnten der Sichtweise des Senats die Aussagen in Rz 30 und 32 der Entscheidung des EuGH im Urteil Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 entgegenstehen. In Rz 30 hat der EuGH klargestellt, dass eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus einem Drittstaat, die nicht ausschließlich für Situationen gilt, in denen die Mutterkapitalgesellschaft entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt, die die Dividenden ausschüttet, nach Art. 63 AEUV zu beurteilen ist. Eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft könne sich in diesem Fall unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung an der in einem Drittstaat ansässigen Dividenden ausschüttenden Gesellschaft auf diese Bestimmung berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung in Frage zu stellen. Nach Rz 32 der Entscheidung soll diese Wertung für die Ausschüttungen der Gesellschaft eines Mitgliedstaats an eine Drittstaaten-Gesellschaft „entsprechend“ gelten. Bei einem wörtlichen Verständnis dieser Aussage kommt es maßgeblich auf den tatbestandlichen Anwendungsbereich der nationalen Besteuerungsregelungen an (Rz 30: „Regelung, . die nicht ausschließlich . gilt“). Die abgeltende Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 „gilt“ nach ihrem sachlichen Anwendungsbereich (und ohne Berücksichtigung des konkreten Kontexts) auch für Ausschüttungen deutscher Gesellschaften an japanische Mutterkapitalgesellschaften, die zu weniger als 25 % an einer deutschen Kapitalgesellschaft beteiligt sind.
68 ccc) Der Senat hielte eine Eröffnung der Kapitalverkehrsfreiheit, weil § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 abstrakt für sämtliche Dividendenausschüttungen einer deutschen Tochter- an eine japanische Mutterkapitalgesellschaft gelten, im hier zu beurteilenden Fall jedoch für unzutreffend.
69 (1) Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Eröffnung der Kapitalverkehrsfreiheit als Prüfungsmaßstab für „neutrale“ Vorschriften, die tatbestandlich nicht an eine bestimmte Beteiligungsgrenze der Anteilseignergesellschaft anknüpfen, in vielen Situationen geboten ist. Denn ansonsten könnte für Portfoliobeteiligungen und Direktinvestitionen ein unterschiedliches Schutzniveau entstehen.
70 Die objektive Reichweite einer Norm (Sind alle Beteiligungen oder nur unternehmerische Beteiligungen erfasst?) kann ihrerseits aber nur eine indizielle Bedeutung für die Zwecksetzung der Regelung und die Bestimmung ihres Gegenstands besitzen. Andernfalls könnte der Gesetzgeber durch eine künstliche Aufteilung eines Normkomplexes die Wirkkraft der Kapitalverkehrsfreiheit ausschließen, indem er eine Beteiligungsgrenze in die Norm aufnimmt. Der Normzweck als Gegenstand der angegriffenen nationalen Regelung kann je nach dem Kontext der betroffenen Ausschüttung aber unterschiedlich zu beurteilen sein. Im Streitfall betrifft der Gegenstand der nationalen Regelungen wie schon erläutert nur Beteiligungen, die unter den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen.
71 (2) Weiterer Zweck der Regelungen in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 ist, für japanische Mutterkapitalgesellschaften wie die Klägerin mit einer Beteiligung, die einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der deutschen Tochtergesellschaft ermöglicht, für Ausschüttungen an diese die definitive Erhebung der Körperschaftsteuer auf die Dividende in Höhe des Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 (15 %) sicherzustellen. Insoweit steht Deutschland nach dem nationalen Recht und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 das Besteuerungsrecht für die Dividenden zu. Die Klägerin strebt mit der Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit hingegen eine Keinmalbesteuerung der Dividenden in Japan und in Deutschland auf ihrer Ebene an. Sie will für den Zusammenschluss mit der GmbH eine binnenmarktähnliche Besteuerungssituation wie im Anwendungsbereich des Art. 5 MTR herbeiführen. Für dieses Rechtsschutzziel müsste sie sich nach Ansicht des Senats aber wie unter C.2.a bb ausgeführt auf die Niederlassungsfreiheit stützen können.
72 ddd) Es besteht aus Sicht des Senats ferner ein geringeres Schutzniveau der Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber dem Schutzniveau der Niederlassungsfreiheit. Der EuGH hat in Rz 31 des Urteils Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249 ausgeführt, es müsse verhindert werden, dass die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV in Bezug auf die Beziehungen zu Drittstaaten es Wirtschaftsteilnehmern, die sich außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit befinden, erlaube, in den Genuss dieser Freiheit zu gelangen.
73 Das Kriterium des „Marktzugangs“ ist für den Senat auch im Streitfall berührt, da die Klägerin eine binnenmarktähnliche Besteuerungssituation für den Transfer von Gewinnen im Zusammenschluss mit der GmbH erreichen will. Für den Senat ist aber der Umfang und Inhalt dieses Kriteriums unionsrechtlich nicht abschließend geklärt. Der EuGH hat diese Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit einerseits immer wieder in Fallgestaltungen hervorgehoben, die die ungünstigere Behandlung von Dividenden im Quellenstaat oder im Empfängerstaat betreffen. Andererseits hat er ausgeführt, dass Regelungen, die nicht die Voraussetzungen für den Zugang einer Gesellschaft eines Drittstaats zum Markt eines Mitgliedstaats betreffen, sondern lediglich die steuerliche Behandlung von Dividenden, die aufgrund von Investitionen des Empfängers der Dividenden in die Gesellschaft, die die Dividenden ausschüttet, gezahlt werden, den Marktzugang nicht betreffen (EuGH-Urteile SECIL vom - C-464/14, EU:C:2016:896, Rz 42, 43; Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom - C-190/12, EU:C:2014:249, Rz 33).
74 Aus der Sicht des Senats ist das Kriterium des Marktzugangs in einem steuerrechtlichen Sinn im Streitfall berührt. Denn die Klägerin als Drittstaatengesellschaft will wie schon erläutert eine binnenmarktähnliche Keinmalbesteuerung des Gewinntransfers für den Anteilseigner innerhalb des grenzüberschreitenden Zusammenschlusses mit der GmbH wie in den Fällen des Art. 5 MTR erreichen. Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit würde überdehnt, wenn Deutschland über diese verpflichtet werden könnte, der Klägerin einen Marktzugang in dem Sinne zu gewähren, bei dem Deutschland auf das ihm nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 zustehende Besteuerungsrecht und Quellensteueraufkommen für Dividenden verzichten und der Klägerin eine einseitige (nicht reziproke) Vollentlastung der Ausschüttungen von der deutschen Kapitalertragsteuer gewähren müsste.
b) Ist in der definitiven (abgeltenden) Erhebung der Kapitalertragsteuer eine von Deutschland verursachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu sehen?
76 aa) Wäre die Kapitalverkehrsfreiheit als Prüfungsmaßstab eröffnet, ist aus Sicht des Senats nicht zweifelhaft, dass die grenzüberschreitende Belastung von Dividendenausschüttungen grundsätzlich zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führen kann.
77 Eine ungünstigere Behandlung von Dividenden, die an gebietsfremde Gesellschaften gezahlt werden, als von Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften gezahlt werden, kann die nicht gebietsansässigen Gesellschaften davon abhalten, im erstgenannten Mitgliedstaat zu investieren (Credit Suisse Securities (Europe) vom - C-601/23, EU:C:2024:1048, Rz 31). Einer solchen Prüfung bedarf es im Hinblick auf die vom gebietsfremden Steuerpflichtigen geschuldete Dividendensteuer (Quellensteuer) einerseits und die vom gebietsansässigen Steuerpflichtigen geschuldete Dividenden-, Einkommen- oder Körperschaftsteuer andererseits, deren Bemessungsgrundlage die Einkünfte aus den Anteilen umfasst, aus denen die Dividenden fließen (EuGH-Urteil XX (Contrats dits unit-linked) vom - C-782/22, EU:C:2024:932, Rz 32, m.w.N.). Zu Ausschüttungen deutscher Kapitalgesellschaften an Mutterkapitalgesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat der EuGH Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit von Anteilseignergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat bereits bejaht (EuGH-Urteile ACC Silicones vom - C-572/20, EU:C:2022:469, Rz 33; Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 72 und 73).
78 bb) Ursachen einer grundsätzlich unzulässigen Beschränkung können nach der Rechtsprechung des EuGH sämtliche Regelungen des nationalen Rechts des Quellenstaates sein, die trotz des Dividendenzuflusses zu einer Minderung der Körperschaftsteuerfestsetzung für die gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaft führen und in der weiteren Folge eine Anrechnung oder Erstattung der innerstaatlich erhobenen Quellensteuer bewirken, wenn daneben die Erhebung der Quellensteuer gegenüber der gebietsfremden Mutterkapitalgesellschaft eine definitive (abgeltende) Wirkung für deren Körperschaftsteuerfestsetzung hat (zum System des § 8b Abs. 1 KStG mit Veranlagung und Anrechnung auf die Körperschaftsteuerfestsetzung s. EuGH-Urteil Kommission/Deutschland vom 20.10.20211 - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 44 bis 73). Ein Vorteil der gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft kann in einem Liquiditäts- und Stundungsvorteil oder in einem endgültig eintretenden Vorteil (Steuerbefreiung) für die Einkünfte aus der Dividende bestehen (vgl. EuGH-Urteile Credit Suisse Securities (Europe) - vom - C-601/23, EU:C:2024:1048, Rz 35 bis 42; Sofina u.a. vom - C-575/17, EU:C:2018:943; XX (Contrats dits unit-linked) vom - C-782/22, EU:C:2024:932, Rz 34 bis 41).
79 cc) Dies zugrunde gelegt, befinden sich gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaften, die eine Dividende von einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft erhalten, —bei isolierter Betrachtung ohne Einbeziehung der japanischen Steuerbefreiung der Dividende— in einer günstigeren Situation als die Klägerin. Sie sind gemäß § 31 Abs. 1 KStG für Zwecke der Körperschaftsteuer zu veranlagen. Bei der Veranlagung findet die technische Steuerbefreiung für die Dividende in § 8b Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 KStG in Höhe von 95 % Anwendung, sodass auf die Dividende keine Körperschaftsteuer festzusetzen ist. Die erhobene Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % der Dividende kann in der Körperschaftsteuerfestsetzung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG angerechnet und gegebenenfalls gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG erstattet werden (vgl. zum nationalen Besteuerungssystem bereits das EuGH-Urteil Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 33, 34). Eine vergleichbare Entlastung von der Kapitalertragsteuer wird der Klägerin nach den schon dargestellten nationalen Regelungen nicht gewährt.
80 dd) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des EuGH der Quellenstaat die Beschränkung durch eine ungünstigere Behandlung der Dividendenausschüttungen an eine gebietsfremde Mutterkapitalgesellschaft vermeiden, in dem er mit einem anderen Mitgliedstaat ein DBA schließt. Dafür ist jedoch erforderlich, dass die Anwendung des DBA es erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht des Quellenstaats ergebenden unterschiedlichen Behandlung im Vergleich zu einer gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft vollständig auszugleichen (EuGH-Urteile Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 62 ff.; ACC Silicones vom - C-572/20, EU:C:2022:469, Rz 46 bis 50; Miljoen vom - C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rz 76 bis 88). Es ist Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob ein DBA in dieser Weise zu berücksichtigen ist, und zu prüfen, ob dieses Abkommen es ermöglicht, die Wirkungen einer nach nationalem Recht eintretenden Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zu neutralisieren (EuGH-Urteil Amurta vom - C-379/05, EU:C:2007:655).
81 Bis zum wurde die nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 auf die Dividenden der GmbH erhobene Kapitalertragsteuer in dieser Weise vollständig neutralisiert. Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 ordnete die Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf die japanische Körperschaftsteuer an, die auf die Dividenden entfiel. Die japanische Körperschaftsteuer erreichte oder überstieg den Betrag der deutschen Kapitalertragsteuer. Erst die Einführung der japanischen Steuerbefreiung für 95 % des Dividendenbetrags ab dem bewirkt, dass keine japanische Körperschaftsteuer auf die Dividende mehr anfällt. Die in Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 unverändert angeordnete Anrechnungsmöglichkeit ausländischer (deutscher) Quellensteuerbeträge in Japan geht für die Ausschüttungen der GmbH an die Klägerin seitdem ins Leere.
82 Die Gesamtsteuerbelastung der Dividende im Quellen- und Empfängerstaat hat sich für die Klägerin nach dem nicht geändert. Bis zum wurde für die bezogene Dividende neben der Kapitalertragsteuer auch japanische Körperschaftsteuer mindestens in Höhe von 15 % oder mehr erhoben, auf die die Kapitalertragsteuer (15 %) vollständig angerechnet werden konnte. Ab dem wird technisch betrachtet die vollständige Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach dem DBA-Japan 1966 durch eine nationale japanische Steuerbefreiung der Dividende zugunsten der Klägerin ersetzt.
83 ee) Aus der technischen Umgestaltung des japanischen Entlastungsmechanismus für ausländische (deutsche) Dividenden ergibt sich ab dem zwar eine definitive Belastung der Dividende der Klägerin mit deutscher Kapitalertragsteuer, die bei einer veranlagten gebietsansässigen deutschen Mutterkapitalgesellschaft nicht eintreten würde. Allein aus der höheren Kapitalertragsteuerbelastung der Klägerin in Deutschland ergibt sich aus der Sicht des Senats nach den Umständen des Streitfalls jedoch keine von Deutschland verursachte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu Lasten der Klägerin.
84 Art. 10 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG bilden den Rechtsrahmen für die Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer zum . Alle Normen sind unverändert geblieben. Die von der Klägerin geltend gemachte ungünstigere Besteuerung der Dividende ab dem wird allein durch die neu eingeführte japanische Steuerbefreiung der Dividende verursacht. Diese vereitelt die nach Art. 23 Abs. 2 DBA-Japan 1966 bestehende Anrechnungsmöglichkeit der Kapitalertragsteuer.
85 ff) Soweit ersichtlich hat der EuGH über die Frage der Zurechnung einer Beschränkung in einer Situation für Drittstaatensachverhalte wie im Streitfall noch nicht entschieden. Daher ist auch die Beantwortung dieser Rechtsfrage zweifelhaft und Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens.
c) Ist die definitive (abgeltende) Erhebung der Kapitalertragsteuer aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses durch die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt?
87 aa) Der EuGH hat bereits entschieden, dass eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, deren Wirkungen durch ein DBA nicht neutralisiert werden können, gegebenenfalls aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann (vgl. EuGH-Urteil Miljoen vom - C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rz 89).
88 bb) Andererseits hat der EuGH im Urteil Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670 die für die unterschiedliche Behandlung der Dividende auf Ebene einer deutschen Mutterkapitalgesellschaft streitenden Umstände (Rz 74 bis 76) nicht für eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses genügen lassen. Er hat in Rz 78 bis 82 der Entscheidung das Eingreifen dieses Rechtfertigungsgrundes abgelehnt, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Empfängergesellschaften im Hinblick auf Dividendeneinkünfte nicht zu besteuern, andererseits aber die Dividenden der in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfängergesellschaften zu besteuern. Die Entscheidung Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670 betraf Ausschüttungen zwischen den Gesellschaften zweier Mitgliedstaaten.
89 cc) Aus Sicht des Senats ist im Streitfall aber eine andere Situation gegeben, die die Prüfung des Rechtfertigungsgrundes eröffnet. Dessen Voraussetzungen sind nach der Ansicht des Senats auch erfüllt.
90 aaa) Gebietsansässige deutsche Mutterkapitalgesellschaften sind gemäß § 31 Abs. 1 KStG zur Körperschaftsteuer zu veranlagen, wobei für bezogene Dividenden die technische Steuerbefreiung in § 8b Abs. 1 KStG Anwendung findet, was zur Anrechnung oder Erstattung der Quellensteuer gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bzw. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG führen kann. 5 % des Dividendenbetrags unterliegen gemäß § 8b Abs. 5 KStG als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben der Besteuerung, sodass die technische Steuerbefreiung der Dividenden für 95 % des Dividendenbetrags gilt. Es handelt sich —wie schon in der EuGH-Entscheidung Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 33, 34 wiedergegeben— um ein Teileinkünftesystem, das die Dividendenbesteuerung in zwei Schritte teilt. Danach wird im ersten Teilbesteuerungsschritt die ausschüttende inländische Gesellschaft mit einer definitiven, nicht anrechenbaren Körperschaftsteuer (und Gewerbesteuer) belastet, und zwar seit dem in Höhe von 15 %, wohingegen im zweiten Teilbesteuerungsschritt der letzte Anteilseigner, an den ausgeschüttet wird, in einem Umfang belastet wird, der zusammen mit dem ersten Teilbesteuerungsschritt zu einer vollen Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns führt. Folgerichtig kommt es beim Zusammenschluss zweier gebietsansässiger Körperschaften zu einer Einmal-Vollbesteuerung in zwei Teilbesteuerungsschritten, das heißt zwischengeschaltete Anteilseignergesellschaften werden von der Besteuerung freigestellt, um eine Überbesteuerung zu verhindern. Der Verzicht auf eine Besteuerung der Dividendenausschüttung in Höhe von 95 % des Bruttobetrags an eine gebietsansässige Anteilseignergesellschaft auf Ebene der gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG ist nicht als eine Entscheidung zu beurteilen, die Zuständigkeit für die Dividendenbesteuerung nicht wahrzunehmen, da diese mittels eines mehrere Schritte umfassenden Gesamtsystems wahrgenommen wird. Es soll bei einer Einmal-Vollbesteuerung der Dividende beim endgültigen Anteilseigner verbleiben.
91 Durch die definitive (abgeltende) Erhebung der Kapitalertragsteuer für Dividenden an eine japanische Mutterkapitalgesellschaft nimmt Deutschland die ihm nach Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 in Verbindung mit dem Territorialitätsgrundsatz zustehende Befugnis effektiv wahr, die von der deutschen GmbH erwirtschafteten Gewinne besteuern zu dürfen. Durch die definitive Erhebung der Kapitalertragsteuer auf die Dividende wird die Einmal-Vollbesteuerung der Dividende als Teil des Gewinntransfers an die Anteilseigner (Klägerin) sichergestellt (vgl. EuGH-Urteil Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670, Rz 33, 34).
92 bbb) Der EuGH hat im Kontext der Ausschüttung von Dividenden zwischen den Gesellschaften zweier Mitgliedstaaten in Rz 81 und 82 des Urteils Kommission/Deutschland vom - C-284/09, EU:C:2011:670 ausgeführt, Deutschland dürfe ungeachtet des Systems der Dividendenbesteuerung in zwei Teilbesteuerungsschritten auf der Grundlage der Kapitalverkehrsfreiheit zur Verwirklichung des Binnenmarkts keine definitive Kapitalertragsteuer gegenüber ausländischen Anteilseignergesellschaften erheben und habe die daraus resultierenden Steuerausfälle hinzunehmen. Dies begründet der EuGH maßgeblich damit, Deutschland könne den Gewinn, aus dem die Dividende ausgeschüttet werde, auf Ebene der deutschen Tochterkapitalgesellschaft mit Körperschaftsteuer belasten. Diese Betrachtungsweise schließt aber ein, dass eine deutsche Empfängergesellschaft im umgekehrten Fall der Ausschüttung einer Dividende von einer anderen Mitgliedstaaten-Gesellschaft dieselbe Behandlung verlangen könnte.
93 ccc) Anders ist dies im Streitfall. Eine Möglichkeit für deutsche Anteilseignergesellschaften, im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit reziproke Entlastungen in Japan verlangen zu können, ist nicht gegeben. Zudem besteht auch keine Verpflichtung zur Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarkts gegenüber Japan. Die definitive Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer ist daher als Bestandteil der Aufteilung der Besteuerungsrechte gerechtfertigt. Es ist nach den Umständen des Streitfalls verhältnismäßig, dass Deutschland und Japan ihre Besteuerungsbefugnisse für die Dividenden der Streitjahre nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 nebeneinander wahrnehmen. Die Verhältnismäßigkeit der Aufteilung der Besteuerungsrechte in dieser Weise ergibt sich insbesondere daraus, dass sich die steuerliche Gesamtbelastung der Dividende für die Klägerin durch die Beibehaltung der definitiven Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer nicht erhöht hat und sich die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Investition der Klägerin in Deutschland als Quellenstaat nicht geändert haben.
94 dd) Ferner stellt sich zum Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse aus Sicht des Senats die bislang ungeklärte unionsrechtliche Frage, ob die Erhebung der deutschen Kapitalertragsteuer gerechtfertigt ist, weil die Klägerin eine grenzüberschreitende Doppelbegünstigung der Dividende begehrt.
95 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung bereits angedeutet, dass die Beibehaltung beschränkender nationaler Besteuerungsregeln gerechtfertigt sein kann, wenn ein grenzüberschreitender Doppelvorteil angestrebt wird (zur Belastung von Dividenden EuGH-Urteil XX (Contrats dits unit-linked) vom - C-782/22, EU:C:2024:932, Rz 71, 72; zur doppelten Verlustberücksichtigung EuGH-Urteil NN vom - C-28/17, EU:C:2018:526, Rz 42, 48).
96 Ob der Rechtfertigungsgrund hier eingreift, weil die Klägerin neben der Inanspruchnahme der japanischen Steuerbefreiung auch die Nichterhebung der deutschen Kapitalertragsteuer auf die Dividende anstrebt, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Er bittet den EuGH um Klärung, ob und unter welchen Voraussetzungen dieser Rechtfertigungsgrund in einem Fall wie dem Streitfall zur Anwendung zu bringen sein könnte.
d) Anforderungen an die Erstattungsmodalitäten, falls eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt
98 aa) Unionsrechtswidrig erhobene Steuern sind nach der Rechtsprechung des EuGH zu erstatten (z.B. EuGH-Urteile Accor vom - C-310/09, EU:C:2011:581, Rz 71 ff.; Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom - C-415/20, C-419/20 und C-427/20, EU:C:2022:306, Rz 51 ff.).
99 Auf dieser Grundlage ist die Klägerin der Auffassung, dass ihr die Kapitalertragsteuer ohne weitere Voraussetzungen in Form der Erteilung von Teilfreistellungsbescheiden zu erstatten wäre, wenn die Regelungen zur Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuereinbehalts in § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG und Art. 10 Abs. 2 DBA-Japan 1966 eine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit beinhalten. Denn eine gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaft könnte sich auf die Steuerbefreiung der Dividenden in § 8b Abs. 1 KStG berufen und hätte im Rahmen der Veranlagung nur den Einbehalt der Kapitalertragsteuer durch eine deutsche Steuerbescheinigung nachzuweisen. Unter diesen Voraussetzungen könnte die Kapitalertragsteuer gemäß § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG angerechnet und gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG erstattet werden.
100 Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Wäre § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG unionsrechtswidrig, könnte der Klägerin die definitive (abgeltende) Wirkung des Kapitalertragsteuereinbehalts zwar nicht mehr entgegengehalten werden. Der Senat hätte mangels einer in diesem Fall unmittelbar eingreifenden Vorschrift des nationalen Rechts die Voraussetzungen für eine Erstattung der erhobenen Kapitalertragsteuer in unionsrechtskonformer Weise zu definieren.
101 aaa) In dem durch das nationale Recht gezogenen Rahmen bilden die Kapitalertragsteueranmeldungen der GmbH sowohl gegenüber gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaften als auch gegenüber nicht gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaften den Rechtsgrund für das Vereinnahmen und das „Behaltendürfen“ der Kapitalertragsteuerbeträge für den deutschen Fiskus. Es ist nicht gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaften zumutbar, den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Steuerbeträge durch die Beantragung eines auf Erstattung gerichteten Freistellungsbescheids beseitigen zu müssen. Dieses System des „zweigeteilten Steuerabzugs“ ist unionsrechtskonform, da auch eine gebietsansässige Mutterkapitalgesellschaft den Kapitalertragsteuereinbehalt zu dulden hat und eine Veranlagung nach Maßgabe des § 31 KStG durchführen lassen muss, um die Kapitalertragsteuer auf die festzusetzende Körperschaftsteuer anrechnen zu können und sich gegebenenfalls erstatten zu lassen. Dies folgt für den Senat aus dem EuGH-Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen vom - C-290/04, EU:C:2006:630, BStBl II 2007, 352.
102 bbb) Da der Einbehalt der Kapitalertragsteuer als solcher unionsrechtlich nicht zu beanstanden ist und nur die definitive Abgeltungswirkung des Steuereinbehalts unionsrechtswidrig wäre, wäre der Klägerin zur Beseitigung des Unionsrechtsverstoßes aus der Sicht des Senats der Zugang zu einem antragsgebundenen Erstattungsverfahren gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu gewähren. Hiervon geht auch die Klägerin aus, die die Erteilung eines solchen Freistellungsbescheids beantragt hat.
103 bb) Die unionsrechtswidrige Beschränkung der Klägerin bestünde unter Berücksichtigung der zur zweiten Vorlagefrage dargelegten Amurta-Rechtsprechung des EuGH (s. C.2.b) darin, dass der Klägerin diejenige Kapitalertragsteuer, die aufgrund der japanischen 95 %-Steuerbefreiung der Dividenden in Japan nicht mehr anrechenbar wäre, zu erstatten wäre. Hierin bestünde die ungünstigere Behandlung gegenüber einer gebietsansässigen Mutterkapitalgesellschaft, da die Klägerin die Kapitalertragsteuer weiterhin in Japan anrechnen könnte, soweit in Japan Körperschaftsteuer erhoben wird. Der Senat ist der Auffassung, dass die Erstattung der Kapitalertragsteuer davon abhängig gemacht werden darf, dass die Klägerin den ihr entstehenden Nachteil in Höhe der in Japan nicht mehr anrechenbaren Kapitalertragsteuer für jede Ausschüttung konkret berechnet und es dem BZSt dadurch ermöglicht, die Richtigkeit ihrer Angaben zu überprüfen.
104 Der Senat sieht sich hierin durch die Aussagen im EuGH-Urteil ACC Silicones vom - C-572/20, EU:C:2022:469, Rz 26 bestätigt. Danach bedarf die Vereinbarkeit der Erstattungsmodalitäten der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die an in Drittstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer eigenständigen Beurteilung, da die Rechtsprechung zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs in der Union nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern übertragen werden kann, der sich in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt. Die dortigen Bezugnahmen auf Rz 90 ff. des EuGH-Urteils X (in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften) vom - C-135/17, EU:C:2019:136 sowie auf Rz 63 des EuGH-Urteils A vom - C-101/05, EU:C:2007:804 ergeben aus Sicht des Senats, dass die Gewährung der Erstattung im Streitfall von weiteren Beweismitteln der Klägerin oder Auskünften der zuständigen japanischen Behörden abhängig gemacht werden darf, die geeignet sind, die Höhe des von der Klägerin berechneten Nachteils zu verifizieren.
105 Wären die Angaben der Klägerin für das BZSt auf der Grundlage des Art. 25 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter Steuern anderer Staaten sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung (BGBl II 2016, 956, BStBl I 2016, 1306) —DBA-Japan 2015— (zur Anwendbarkeit schon für die Streitjahre s. Art. 31 Abs. 3 DBA-Japan 2015) als einziger ersichtlicher Informationsgrundlage nicht zu erlangen oder nicht zu verifizieren, könnte der Klägerin aus Sicht des Senats die Erstattung verweigert werden.
106 cc) Auch insoweit bestehen aber unionsrechtliche Zweifel des Senats, ob hierin eine eigenständige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit zu sehen sein könnte, da der EuGH den unionsrechtlichen Rahmen für die Erstattungsmodalitäten der Kapitalertragsteuer an Drittstaatengesellschaften nach dem Verständnis des Senats noch nicht abschließend geklärt hat. Er entnimmt der Rechtsprechung des EuGH jedoch, dass Beschränkungen für Kapitalbewegungen für in und aus Drittstaaten, die sich aus erhöhten Darlegungs- und Nachweisanforderungen für die Inanspruchnahme eines steuerlichen Vorteils ergeben, nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls gerechtfertigt sein können (EuGH-Urteil A vom - C-101/05, EU:C:2007:804, Rz 37, 67), auch wenn solche Darlegungs- und Nachweisanforderungen im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (dazu im vorliegenden Kontext EuGH-Urteil ACC Silicones vom - C-572/20, EU:C:2022:469, Rz 59) führen würden.
D. Verfahren
108 Der Senat hält es für ermessensgerecht, das Verfahren ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung auszusetzen und dem EuGH die im Tenor aufgeworfenen Fragen vorzulegen. Die Vereinbarkeit der nationalen Besteuerungsgrundlagen mit dem Unionsrecht und die Erstattung der Kapitalertragsteuer bilden die zentralen Gegenstände des bisherigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens.
109 Der Senat regt an, das Vorabentscheidungsersuchen der Großen Kammer des EuGH zur Entscheidung vorzulegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:VE.030625.VIIIR21.22.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-97154